Streitkräfte und Strategien - NDR info
28. Juli 2007


Nach dem Abzug der US-Atomwaffen aus Ramstein
Ende der Nuklearen Teilhabe der Bundeswehr?

von Otfried Nassauer

52 Jahre nach der Stationierung der ersten Atomwaffen in Deutschland ist die Bundesrepublik wieder nuklearwaffenfrei – jedenfalls fast. Nach dem Abzug von etwa 130 atomaren Bomben aus Ramstein gibt es in Deutschland nur noch ein einziges Atomwaffendepot. In Büchel lagern jetzt die letzten von ehemals Tausenden atomaren Sprengsätzen, die während des Kalten Krieges nach Deutschland gebracht worden sind. Rund 20 Atombomben des Typs B-61 vermuten Experten in den elf Magazinen im Boden der Flugzeugschutzbauten in Büchel. 140 US-Soldaten einer Spezialeinheit, der 702. Munition Support Squadron, kurz MUNSS genannt, sind für die Sicherheit und Wartung der Waffen zuständig. Eingesetzt werden sollen die Bomben im Ernstfall von den Tornado-Flugzeugen des deutschen Jagdbombergeschwaders 33, das auf dem Fliegerhorst stationiert ist.

"Nukleare Teilhabe" nennt sich diese Praxis. Einige NATO-Staaten, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen, stellen Trägerflugzeuge und besonders geschulte Piloten, um im Kriegsfall amerikanische Atomwaffen abwerfen zu können. Die Waffen selbst bleiben bis dahin unter Kontrolle der USA. Der amerikanische Präsident muss ihren Einsatz freigeben. Erst dann können amerikanische Spezialisten aus der 702. MUNSS sie per Code freischalten. Rollt der Jagdbomber mit der Bombe an Bord aber zum Start, so übernehmen die deutschen Piloten die Kontrolle über die Atomwaffe. Außer Deutschland beteiligen sich Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei derzeit noch an der Nuklearen Teilhabe.

Die Nukleare Teilhabe hat in der NATO einen hohen – vor allem politisch-symbolischen - Stellenwert. Sie sei ein Signal dafür, dass die NATO-Staaten auch im Falle eines Atomwaffeneinsatzes gemeinsam handeln würden, ist aus dem Hauptquartier des Bündnisses zu hören. Sie zeige, dass auch nicht-nukleare Staaten in der NATO das Risiko eingehen, Ziel eines Atomwaffenangriffs zu werden. Es sei wichtig, dass auch nichtnukleare Mitglieder der NATO sichtbar an einem Atomwaffeneinsatz mitwirken würden. Zudem garantiere sie den Anspruch der nicht-nuklearen NATO-Staaten, konsultiert zu werden, wenn ein Atomwaffeneinsatz bevorstehe. Jedenfalls solange, wie Zeit und Umstände es erlauben, solche Konsultationen abzuhalten. In den USA wird die Nukleare Teilhabe zudem als wichtige Garantie dafür betrachtet, dass die beteiligten nicht-nuklearen Staaten keine eigenen Atomwaffen anstreben.

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Nukleare Teilhabe allerdings erheblich an Umfang und Bedeutung verloren. Die Zahl der in Europa gelagerten Atomwaffen ging auf rund 350 zurück. Von weit mehr als 100 amerikanischen Atomwaffenlagern in Europa sind noch sieben übrig geblieben. Über die nukleare Planung im Bündnis können längst alle NATO-Mitglieder mitreden und nicht nur jene, die auch bei der Teilhabe mitmachen. Inzwischen gibt es praktisch keine Ziele mehr, deren Zerstörung mit Atomwaffen sich politisch rechtfertigen ließe. Viele Mitgliedstaaten des Atomwaffensperrvertrages argwöhnen zudem, dass die Nukleare Teilhabe einen Verstoß gegen dieses Abkommen darstellt. Die Zahl der Kritiker wächst. Bezweifelt wird, dass sich die finanziellen und politischen Kosten der Nuklearen Teilhabe noch rechtfertigen lassen. Wie es mit der Nuklearen Teilhabe weitergeht, ist deshalb derzeit offen. Hinter verschlossenen Türen hat die Diskussion in der NATO allerdings bereits begonnen.

Die Gründe hierfür lassen sich gut am Beispiel des Fliegerhorstes Büchel darstellen: Ab 2012 sollen die alternden nuklearen Tornados in der Eifel durch moderne nicht-nukleare Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter abgelöst werden. In Amerika wird diskutiert, ob und welche neuen Atomwaffen entwickelt werden sollen, um die heutigen zu ersetzen. Die Fliegerbomben in Büchel sind bereits mehr als 20 Jahre alt. Auch die Magazine, in denen sie lagern, erreichen im nächsten Jahrzehnt das Ende ihrer ursprünglich geplanten Lebensdauer.

 

Die Grundsatzfrage lautet daher: Mit viel Geld modernisieren oder in Zukunft darauf verzichten? Die Bundeswehr kann zwischen mehreren Alternativen wählen.

Sie kann erstens langfristig an der Nuklearen Teilhabe festhalten. Diese Position wurde im vergangenen Jahr indirekt im ersten Entwurf für das neue Weißbuch bezogen. Würde diese Option umgesetzt, muss die Bundeswehr ein neues nuklearfähiges Trägerflugzeug beschaffen. Doch diese Möglichkeit ist nicht sehr erstrebenswert. Denn der neue amerikanische Joint Strike Fighter, den die Niederlande, Italien und die Türkei möglicherweise als Atomwaffenträger kaufen wollen, wäre nicht nur teuer, sondern auch ein zusätzliches Flugzeugmuster im Bestand der Bundeswehr. Den Eurofighter nuklear nachzurüsten, plant kein beteiligtes Land.

Zweitens kann die Bundeswehr versuchen, die Nukleare Teilhabe mittelfristig beizubehalten. Dazu müsste sie die am besten erhaltenen Tornado-Flugzeuge länger als geplant nutzen. Auf diese Option setzen diejenigen, die vermeiden wollen, dass Deutschland eine Diskussion über die Zukunft der Nuklearen Teilhabe auslöst. Die technische Umsetzung aber würde zu Problemen führen. Da in Büchel künftig Eurofighter stationiert werden, müssten die nuklearen Tornados an einen anderen Ort verlegt werden. Ein zusätzliches Geschwader kann sich die Bundeswehr nicht leisten. Trägerflugzeuge und Atomwaffen wären damit räumlich getrennt. Es sei denn, die amerikanischen Spezialisten, ihre Familien, die 20 Atomwaffen und die Unterflurmagazine werden ebenfalls verlegt. Aus Sicht der US-Luftwaffe wäre das allerdings keine attraktive Lösung. Die mittelfristige Aufrechterhaltung der Nuklearen Teilhabe wäre deshalb eigentlich nur zu realisieren, wenn die Bundeswehr auf die letzten der vorgesehenen 180 Eurofighter verzichten und in Büchel alles beim Alten belassen würde.

Drittens könnte die Bundeswehr die Nukleare Teilhabe mit der Umrüstung des Geschwaders in Büchel stillschweigend auslaufen lassen. Diese Position vertreten viele SPD-Abgeordnete. Sie hoffen, dass dies auch Washington oder zumindest der US-Luftwaffe entgegenkäme. Die Airforce hält die Teilhabe nicht mehr für notwendig und plant ihre eigenen taktischen Kampfflugzeuge, wo politisch möglich, nur noch konventionell ein. Die US-Flugzeuge in Spangdahlem haben zum Beispiel keine nukleare Aufgabe mehr.

Schließlich könnte die Bundeswehr die Nukleare Teilhabe auch bewusst aufgeben – national oder gemeinsam mit anderen NATO-Staaten, die bislang ebenfalls nuklearfähige Trägerflugzeuge bereithalten. Diese Option ließe sich nach dem amerikanischen Abzug aus Ramstein leichter begründen und wäre ein abrüstungspolitisch wichtiges Zeichen. In der Bundeswehr und im Auswärtigen Amt aber wird befürchtet, dass ein solcher Schritt in Washington als Aufkündigung eines wichtigen Teils der Bündnissolidarität gewertet würde.

Mit raschen Entscheidungen ist nicht zu rechnen. Weder bei der NATO in Brüssel noch in Berlin. Ob die NATO auch künftig neben britischen und amerikanischen Atom-U-Booten die Nukleare Teilhabe zur Abschreckung braucht, dürfte noch ein paar Jahre offen bleiben. Das Vorhaben, bis zum 60. Geburtstag der NATO 2009 eine neue NATO-Strategie zu entwickeln, ist vertagt worden. Damit entfällt auch die Notwendigkeit dafür, dass die High Level Group der Allianz in absehbarer Zeit Vorschläge für den künftigen Bedarf im Bereich der nuklearen Abschreckung vorlegt. In Berlin dürfte daraus gefolgert werden, dass auch national kein akuter Entscheidungsbedarf in dieser Frage besteht. Mit dem Argument der "Bündnissolidarität" kann also auch weiterhin vieles begründet werden, für das es in der Sache keine guten Argumente mehr gibt. Hierzu gehört die Nukleare Teilhabe der Bundeswehr.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS