Vor SPD-Klausur und Grünen-Parteitag
Neues Marschziel für die Bundeswehr am Hindukusch?
von Otfried Nassauer
Die CDU hat es eilig. Alle drei Bundeswehrmandate für Afghanistan sollen verlängert
werden: Das Mandat für ISAF, die von der UNO mandatierte internationale Mission zur
Stabilisierung Afghanistans. Das für die Terrorbekämpfung im Rahmen der Operation
Enduring Freedom, OEF. Und das Mandat für die Tornado-Aufklärungsflugzeuge, die seit
einem knappen halben Jahr in Mazar i Sharif stationiert sind. Ein Abwasch, eine Debatte
und dann herrscht wieder Ruhe. So die Hoffnung in der Führungsetage der CDU.
Unter taktischen Gesichtspunkten ist das verständlich. Noch hat die Debatte über die
Bundeswehreinsätze in Afghanistan nur die Ränder der Unionsparteien erreicht - einzelne
Abgeordnete der CDU und Teile der CSU. Ganz anders dagegen bei SPD und Grünen. Die
SPD-Führung kämpft mit einer wachsenden innerparteilichen Opposition, die am Sinn der
Anti-Terrormission OEF zweifelt, sich klarer von der US-Politik in Afghanistan abgrenzen
will und bereits die Entsendung der Tornado-Flugzeuge abgelehnt hat. Die Parteiführung
wäre dagegen bereit, einer moderaten Ausweitung des deutschen Afghanistan-Einsatzes
zuzustimmen. Sie will weitergehenden Forderungen aus der NATO zuvorkommen. Eine gemeinsame
Linie muss die SPD noch finden. Die Sozialdemokraten tragen damit die Hauptlast der
Debatte. Ähnlich die Situation bei den Grünen. Teile der Parteispitze würden wie
vom ehemaligen Außenminister Joschka Fischer befürwortet - eine Ausweitung des
Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch persönlich mittragen. Die Parteibasis hat aber einen
Sonderparteitag erzwungen. Teile der Parteibasis wollen die Afghanistan-Einsätze ganz
beenden. Andere wollen ein Ja zur Fortsetzung von ISAF an klare Bedingungen knüpfen und
zumindest den OEF-Einsatz beenden.
Als Kompromiss wird diskutiert, das deutsche Afghanistan-Engagement im Rahmen der
OEF-Mission zu beenden und die anderen NATO-Staaten zu überzeugen, OEF ganz in die
NATO-geführte ISAF-Mission zu überführen. Unter einheitlicher ISAF-Führung könne dann
mehr Einfluss auf die US-Streitkräfte genommen werden. Der Wiederaufbau könne stärker
gewichtet und eine neue Strategie für Afghanistan entwickelt werden. So das Argument.
Der Vorschlag dürfte sich allerdings als kontraproduktiv erweisen und das Gegenteil
bewirken. Er stammt ursprünglich aus den USA. Washington erhoffte sich 2005 von der
Zusammenlegung von OEF und ISAF eine höhere militärische Schlagkraft im Kampf gegen die
Taliban. Berlin wollte getrennte Missionen, um nicht in die Kampfhandlungen im Süden und
das harte Vorgehen der USA hineingezogen zu werden. Es stimmte nur einer schrittweisen
Ausweitung des ISAF-Gebietes zu. Kaum zwei Jahre später steht die gleiche Frage erneut
an. In der ISAF-Kommandostruktur haben die Befürworter eines verstärkten Wiederaufbaus,
die den Kampf um Köpfe und Herzen der Afghanen gewinnen wollten, derweil an Einfluss
verloren. An Einfluss gewonnen haben diejenigen, die glauben, dass zunächst die Taliban
niedergekämpft werden müssen. Die USA und Großbritannien wollen sich auf absehbare Zeit
die Posten des ISAF-Kommandeurs und seines wichtigsten Stellvertreters sichern. Der Posten
des Stabschefs, bislang in deutschen Händen, soll künftig abwechselnd besetzt werden.
Zwei Entwicklungen können die Lage am Hindukusch bald weiter verschärfen. Erstens:
Pakistans Regierung kann die Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan nicht
kontrollieren. Al-Qaida, die Taliban und andere radikalislamische Gruppierungen finden
dort relativ sichere Rückzugsgebiete. Hier können sie sich neu aufstellen, Kämpfer
ausbilden und frisches Personal rekrutieren. Dabei hilft ihnen, dass die Bergstämme
diesseits wie jenseits der Grenze meist Paschtunen sind. Washington drängt deshalb den
pakistanischen Präsidenten Musharraf, militärisch offensiv in den Stammesgebieten
vorzugehen oder zumindest zuzulassen, dass Soldaten der ISAF, der OEF oder amerikanische
Special Forces die Taliban-Kämpfer auch über die Grenze hinweg verfolgen und Ziele auf
pakistanischem Territorium bekämpfen. Für Musharraf ist beides desaströs. Er kann weder
selbst einen offenen Krieg auf pakistanischem Territorium führen noch offiziell zulassen,
dass der amerikanische Krieg gegen den Terror auf Pakistan übergreift.
Der andere Faktor, der die Situation am Hindukusch verschärfen kann, heißt Iran.
Teheran hat bislang die westlichen Bemühungen um Stabilität in Afghanistan eher
unterstützt als torpediert. Das iranisch-pakistanische Grenzgebiet ist auch für Teheran
ein potenzieller Unruheherd. Nun droht Washington, die iranischen Revolutionswächter zur
Terror-Organisation zu erklären. In den Medien tauchen erste Hinweise auf, Amerika könne
einen militärischen Überraschungsschlag aus der Luft gegen die Pasdaran führen
unabhängig vom Konflikt um das iranische Atomprogramm. Auch der Iran wird in Washington
zum Gefechtsfeld im "Krieg gegen den Terror".
Beide Entwicklungen haben in der deutschen Diskussion bislang wenig Beachtung gefunden.
Sie zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen des Engagements in Afghanistan noch erheblich
verschlechtern könnten. Wird der Krieg gegen den Terror ausgeweitet, so stehen
Stabilisierungs- und Wiederaufbaustrategien vor schweren Zeiten.
Die Afghanistan-Mission der NATO steckt in einer Sackgasse und damit auch der
Bundeswehr-Einsatz. Seit die ISAF in ganz Afghanistan für Sicherheit sorgen soll, sieht
sich die Mission immer häufiger mit einem altbekannten Dilemma konfrontiert: Die Kämpfe
mit den erstarkten Taliban lassen sich nicht ohne Verluste führen. Verluste in der
afghanischen Zivilbevölkerung aber schädigen das Ansehen der NATO. Die afghanische
Bevölkerung kann ISAF, OEF und die Special Forces der USA nicht mehr klar unterscheiden.
OEF und die Special Forces lassen sich durch die ISAF nicht kontrollieren. Zu Ende gehen
die Zeiten, in denen deutsche Politiker sich darauf zurückziehen konnten, dies sei vor
allem ein Problem der US-Truppen. Auch die ISAF wird zunehmend als Besatzungsmacht
wahrgenommen. Der NATO-Einsatz in Afghanistan könnte daran scheitern. Mit ihm würde auch
die NATO scheitern. Es geht also nicht mehr ausschließlich um die Stabilisierung
Afghanistans, sondern in gleicher Weise um die Zukunft und das zu wahrende Gesicht der
NATO.
In dieser Situation gibt es drei Optionen: Zur Gesichtswahrung kann die NATO erstens
versuchen, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen, bis offenbar wird, dass sie politisch
und militärisch in einer Sackgasse steckt. Wie Washington im Irak könnte sie versuchen,
"more of the same" als neue Strategie zu verkaufen. Ob das Erfolg verspricht,
ist zweifelhaft, siehe Irak. Zweitens kann die NATO ihr Engagement massiv verstärken und
den Konflikt selbst eskalieren. Selbst wenn die NATO-Mitglieder genug Truppen stellen
würden - der Erfolg wäre nicht garantiert. Und drittens könnte zuerst nach einer neuen
politischen Strategie für Afghanistan gesucht werden - bevor man die militärischen
Strukturen entsprechend anpasst. Dies anzugehen, wäre die eigentliche Aufgabe der
deutschen Diskussion. Doch diese Debatte hat bisher noch nicht begonnen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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