Kampf den Massenvernichtungswaffen
US-Regierung setzt auf unkonventionelle Methoden
von Gerhard Piper
Drei Jahre nach Beginn des Irak-Krieges ist noch immer offen, wie der Konflikt beendet
werden kann. Eines ist jedoch schon jetzt sicher: Der Kampf gegen den Terrorismus hat
durch diesen Feldzug einen Rückschlag erlitten. Denn der Irak ist inzwischen ein
Tummelplatz für Terroristen und fundamentalistische Fanatiker geworden. Dabei haben die
USA nach den Anschlägen vom 11. September ihre Anstrengungen zur Terrorabwehr erheblich
verstärkt. So wurden beispielsweise in den US-Streitkräften die Spezialeinheiten
aufgestockt. Die Zahl der Special Forces beträgt inzwischen rund 52.000 Mann. Die
Terror-Organisation Al Qaida musste zwar Verluste hinnehmen, aber zerstört ist das
Terror-Netzwerk noch lange nicht. Im Gegenteil: Nicht zuletzt durch den Irak-Krieg
erhalten die Fanatiker Zulauf. Und Anfang des Jahres meldete sich Osama bin Laden wieder
zu Wort und drohte den USA erneut mit einem Terroranschlag.
Zwar konnte Al Qaida seit dem 11. September 2001 keinen weiteren Terroranschlag auf
amerikanischem Territorium verüben. Dennoch befürchten die Sicherheitsbehörden, dass
die Terror-Organisation erneut zuschlagen wird. Und der nächste Angriff könnte
möglicherweise noch verheerender sein. Schon 2001 hatte Al Qaida Überlegungen
angestellt, ein Atomkraftwerk bei New York anzugreifen. Aber der Plan wurde schließlich
verworfen - weil die Situation außer Kontrolle geraten könnte, so der Terrorpilot
Mohammed Atta damals. Nach dem Irak-Feldzug und dem Folterskandal von Abu Ghraib sieht die
heutige Terroristen-Generation das aber möglicherweise anders.
Das amerikanische Heimatschutzministerium versucht sich jedenfalls auch auf
Terroranschläge mit ABC-Waffen einzustellen. Im Juli 2004 ging die Behörde von elf
Bedrohungs-Szenarien aus. Das Spektrum der Bedrohungen erstreckte sich von einem Angriff
mit Erregern der Maul- und Klauenseuche gegen Rinderherden in Texas bis hin zu einer
Attacke mit einer 10-Kilotonnen-Atombombe gegen eine amerikanische Großstadt.
Aber wie kann die US-Regierung insbesondere einen atomaren Anschlag verhindern, wenn
doch die amerikanischen Geheimdienste schon den Terroranschlag mit
"konventionellen" Mitteln am 11. September nicht aufdecken konnten, obwohl es
Hinweise auf dieses Attentat gab?
Die Sicherheitsbehörden haben inzwischen versucht, Konsequenzen zu ziehen. Es wurden
entsprechende Sondereinheiten aufgestellt. Im Energieministerium stehen so genannte
"Threat Assessment Teams" bereit. Droht eine Terrorgruppe mit einem
Atomanschlag, so ist es die Aufgabe dieser Teams, zunächst einmal zu prüfen, ob diese
Drohung echt ist. Anschließend würden Experten und Wissenschaftler des "Nuclear
Emergency Search Teams" kurz NEST genannt - versuchen, den Atomsprengsatz zu
finden. Können die Terroristen und die Bombe lokalisiert werden, würde das "Hostage
Rescue Team" in Aktion treten - eine Art GSG-9, die die Täter außer Gefecht setzen
soll. Anschließend kämen wieder die Experten von NEST zum Zuge. Sie müssten nun
versuchen, die Atombombe zu entschärfen, so die theoretische Notfall-Planung.
Bei einem atomaren Anschlag ohne vorherige Warnung hätte Schadensbegrenzung oberste
Priorität. Um die Folgen einer solchen Katastrophe zu bewältigen, hat die Nationalgarde
in jedem US-Bundesstaat so genannte "Raid"-Teams aufgestellt. Sie sollen den
betroffenen Gemeinden und Städten unverzüglich technische und medizinische Soforthilfe
leisten. Zusätzlich stehen zur medizinischen Versorgung der Opfer besondere
Sanitätskommandos bereit, darunter die "Chemical/Biological Incident Response
Force" der Marineinfanterie. Trotz aller Schutzmaßnahmen rechnen die Amerikaner bei
einem Angriff mit tausenden von Opfern.
Die Regierung in Washington will nicht abwarten, bis die USA mit
Massenvernichtungswaffen angegriffen werden. Ziel ist es, präventiv zuzuschlagen und
einen Terroranschlag schon im Vorfeld zu verhindern. So unterhalten die US-Streitkräfte
nicht nur defensive Spezialeinheiten, sondern gleichzeitig offensive Sonderkommandos. Ihr
Auftrag ist es, in anderen Ländern ABC-Waffen aufzuspüren und zu vernichten. Hierbei
setzt man vor allem auf Spezialeinheiten, die bisher auch zur Guerilla- und
Aufstandsbekämpfung eingesetzt worden sind: Zu nennen sind hier vor allem die
"Intelligence Support Activity", das "Technical Analysis Team", die
"Delta Force" und die "Naval Development Group".
Im Afghanistankrieg wurden diese Sonderkommandos als gemischter Verband unter der
Bezeichnung "Task Force K-Bar" eingesetzt, um das vermutete ABC-Potential von Al
Qaida zu zerstören. Weil Osama bin Laden über keine Bestände verfügte, war der Einsatz
nur ein mäßiger Erfolg: Immerhin zerstörten die Amerikaner im Darunta-Camp ein
Chemiewaffenlabor und beschlagnahmten einschlägige Dokumente. Im Januar tötete die CIA
durch einen Luftangriff Abu Khebab. Er soll Leiter des ABC-Programms von Al Qaida gewesen
sein.
Dass die USA verstärkt auf Special Forces setzen, wurde spätestens im Irak-Krieg
deutlich: Dort waren insgesamt 10.000 Kommando-Soldaten im Einsatz. Sie entsprechen am
ehesten der Vorstellung von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, möglichst kleine und
flexible Einheiten in den Kampf zu schicken. So sollten im Irak unter der
Sammelbezeichnung "Task Force 20" zusammengefasste Spezialeinheiten die
vermuteten Massenvernichtungswaffen aufspüren. Das war bekanntlich ein vergebliches
Unterfangen. Aber immerhin konnte Saddam Hussein gefangen genommen werden.
Das Pentagon hat im vergangenen Monat in dem neuen Verteidigungs-Weißbuch, dem
Quadrennial Defense Review Report, angekündigt, die Sondereinheiten weiter auszubauen.
Eine wichtige Aufgabe wird dabei die Eliminierung von Massenvernichtungswaffen sein.
Vorhandene Spezialkräfte sollen so erweitert werden, dass eine Joint Task Force unter
Führung der 20. Support Group gebildet werden kann, die in der Lage ist, vom kommenden
Jahr an entsprechende Missionen durchzuführen.
Die Spezialeinheiten sollen in die Lage versetzt werden, Massenvernichtungswaffen
aufzuspüren, zu bewerten und unschädlich zu machen. Erst kürzlich berichtete die NEW
YORK TIMES, Kommando-Soldaten würden auch in den diplomatischen Vertretungen der USA
stationiert, um potentielle Operationen gegen Terroristen vorzubereiten.
Offenbar wird die neue US-Strategie bereits im Iran umgesetzt, wie der amerikanische
Enthüllungsjournalist Seymour Hersh im vergangenen Jahr berichtet hat. So sollen
amerikanische Sonderkommandos schon seit längerem in dem Land verdeckte Operationen
durchführen. Ziel sei, iranische Nuklearanlagen auszuspähen und sie mit so genannten
"Sniffers" zu verwanzen. Diese Sensoren sollen jede Freisetzung von
Radioaktivität messen und per Funk weiterleiten. Es heißt außerdem, die Amerikaner
bauten im Iran ein Agentennetz mit Einheimischen auf, die ihre Beobachtungen an die
US-Geheimdienste weitermelden sollen. Gleichzeitig gibt es Berichte, die CIA operiere mit
Drohnen vom Typ Global Hawk auch im iranischen Luftraum.
Für die US-Sondereinheiten ist der Iran kein unbekanntes Gebiet. Im April 1980
startete die Delta Force ihre Operation EAGLE CLAW - den gescheiterten Versuch zur
Befreiung der Geiseln in der US-Botschaft in Teheran. Und im Sommer 1987 führte die
Intelligence Support Activity die Operation PRIME CHANCE durch. Dieses Geheimunternehmen
diente der Ausspähung der iranischen Militäranlagen, um durch Präventivschläge
mögliche Angriffe der Iraner gegen kuwaitische Öltanker im damaligen
"Tankerkrieg" zu unterbinden.
Bei einem amerikanischen Angriff auf die Atomanlagen des Irans oder eines anderen
Schwellenlandes wäre der Einsatz der Sondereinheiten ein unverzichtbarer Bestandteil der
Kriegsplanung. Schließlich verfügt die US-Luftwaffe immer noch nicht über geeignete
konventionelle Munition, um sämtliche unterirdischen Bunkeranlagen zu zerstören. Den
Kommando-Soldaten käme daher eine ganz besondere Rolle zu.
In den USA werden gegenwärtig die Weichen für eine entsprechende Umstrukturierung der
Streitkräfte gestellt. Die Zahl der "normalen" Heeressoldaten soll reduziert
werden. Gleichzeitig will man die Special Forces, die Spezialeinheiten, um fast ein
Drittel erhöhen. Dafür sind 28 Milliarden Dollar eingeplant. Fragt sich nur, ob diese
ehrgeizigen Ziele angesichts der wachsenden Rekrutierungsprobleme in den USA auch
umgesetzt werden können.
ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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