Genehmigung von Rüstungsexporten – immer weniger
vorhersehbar?
von Otfried Nassauer
Wirtschaftsminister Peter Altmaier steuert auf einen neuen Rekord zu.
Er hat in diesem Jahr mehr Rüstungsexporte genehmigt als je zuvor.
Bereits Anfang der zweiten Dezemberhälfte wurde der bisherige
Höchstwert aus dem Jahr 2015 überschritten. Am 15. Dezember
summierten sich die Genehmigungen auf 7,95 Mrd. Euro. Und das, obwohl
Peter Altmaier schon Monate zuvor gebremst hatte, um nicht allzu weit
vor dem bisherigen Rekordhalter, Sigmar Gabriel, zu landen.
Dass es trotzdem auch in dieser Neuauflage der großen
Koalition wieder viel Streit um die Genehmigungspolitik für
Rüstungsexporte geben würde, war absehbar. Der
Koalitionsvertrag vom März 2018 sah vor, die aus rot-grüner
Zeit stammenden Politischen Grundsätze für die Genehmigung
von Rüstungsexporten - so wörtlich – zu
„schärfen“. Offen ließ man dagegen, ob damit
eine Verschärfung gemeint sei oder eine Präzisierung.
Außerdem versprach das Dokument, für jene Staaten, die
unmittelbar an dem Krieg im Jemen beteiligt seien, keine neuen
Exportgenehmigungen mehr zu erteilen. Bis heute ist ungeklärt,
welche Länder an diesem Krieg unmittelbar beteiligt sind.
Hinzu kam damals ein personalpolitisches Signal. Das für
den Rüstungsexport zuständige Wirtschaftsministerium
wechselte 2018 von der SPD zur CDU. Mit Peter Altmaier ist jetzt ein
CDU-Politiker für die Genehmigung von Rüstungsexporten
zuständig. Unter seiner politischen Führung deutet sich
inzwischen eine Schwerpunktverlagerung in der Debatte an: Die
Genehmigungspolitik für Rüstungsexporte gerät wieder
stärker unter den Einfluss industriepolitischer Interessen. Sie
orientiert sich verstärkt an den Möglichkeiten und Chancen
der deutschen Industrie, an multinationalen Rüstungsvorhaben,
deren Exporten und den damit verbundenen Wachstums- und Profitchancen
zu partizipieren. In den Hintergrund treten dagegen sowohl
rüstungskontrollpolitische Interessen als auch
Bemühungen, die Kontrolle von Rüstungsexporten zu
verbessern, also Bemühungen um eine wirklich restriktive
Rüstungsexportpolitik. Vor allem zwei Ereignisse zeigen die
Auswirkungen dieser Schwerpunktverlagerung.
Im Juni wurden die angekündigten neugefassten Politischen
Grundsätze für Rüstungsexportgenehmigungen
veröffentlicht. Hans Christoph Atzpodien, der
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen
Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), bewertet sie
gegenüber NDR Info im Wesentlichen positiv, weil diese
- so Atzpodien
O-Ton Atzpodien
„nicht im Sinne einer
Verschärfung, sondern im Sinne einer Schärfung, das
heißt einer Präzisierung [erfolgte]. Und solche
Präzisierungen sind aus Sicht der betroffenen Industrie
generell zu begrüßen.“
Auf ein Kernproblem der Neufassung macht dagegen Michael Brzoska, der
frühere Leiter des Hamburger Instituts für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik, aufmerksam.
O-Ton Brzoska
„Wir haben auch in der Vergangenheit schon Regelungen gehabt, die
im Wesentlichen das Interesse an Koproduktion über das Interesse
der Kontrolle des Exports in Drittstaaten gestellt haben. (…)
Aber dass es jetzt doch so klar formuliert wird (…), das ist
doch eine andere Position, die hier zum Ausdruck kommt als in der
Vergangenheit, wo das eher Praxis war, als dass es in den
Grundsätzen derart klar formuliert war.“
Brzoska benennt das Grundproblem: Was wird künftig die
Entwicklung der Genehmigungspolitik für Rüstungsexporte in
Deutschland und Europa stärker prägen - das Interesse daran,
an der gemeinsamen Produktion von Rüstungsgütern beteiligt zu
sein und dafür eine gelockerte
Rüstungsexportgenehmigungspolitik in Kauf zu nehmen oder
aber das Interesse daran, zu einer stringenten und restriktiven
Genehmigungs- und Kontrollpolitik für Rüstungsexporte zu
kommen?
Diese Weichenstellung prägte auch eine zweite
Entwicklung in diesem Jahr. Mit Frankreich hat die Bundesregierung im
Oktober ein neues Abkommen darüber geschlossen, wie der Export von
Kriegswaffen und Rüstungsgütern gehandhabt werden soll, an
deren Entwicklung und Produktion beide Staaten oder Firmen aus
beiden Ländern beteiligt sind. Wie soll verfahren werden, wenn ein
Land die produzierten Güter unbedingt exportieren will, das andere
aber dagegen ist?
Für staatliche und größere
Industriekooperationen wurde vereinbart, dass jeder Partei nur dann ein
Vetorecht zusteht, wenn sie ihre - so wörtlich -
„unmittelbaren Interessen oder ihre nationale Sicherheit
beeinträchtigt“ sieht. Für kleinere Zulieferungen, bei
denen aus einem Land Komponenten oder Teile von bis zu 20% des Wertes
des Gesamtproduktes im anderen Land in ein größeres
Rüstungssystem integriert werden, soll in dem zuliefernden Land
künftig auf ein Exportgenehmigungsverfahren verzichtet werden.
Vorausgesetzt, dass das Produkt nicht auf einer Liste im Abkommen
explizit genannter Kriegswaffen und Kriegswaffenteile steht. Diese
Liste enthält zwar viele Positionen der deutschen
Kriegswaffenliste, aber bei weitem nicht alle. Zudem kann diese
sogenannte De-Minimis-Regelung auch auf alle sonstigen
Rüstungsgüter angewendet werden.
Christine Hoffmann, Generalsekretärin der katholischen
Friedensbewegung Pax Christi und eine der Sprecherinnen der
„Aktion Aufschrei – Waffenexporte stoppen“,
kritisiert diese Schwachstelle:
O-Ton Hoffmann
„Mit dem deutsch-französischen Abkommen werden zwei
Eckpfeiler der deutschen Rüstungsexportkontrolle ausgehebelt: Das
Exportverbot für [alle] Kriegswaffen mit Genehmigungsvorbehalt und
die Endverbleibskontrolle. Denn bei der Anwendung des in dem Abkommen
festgelegten De-Minimis-Grundsatzes entfällt für
Rüstungsgüter und bestimmte Kriegswaffen die Notwendigkeit
einer Endverbleibserklärung sowie der Genehmigungsvorbehalt beim
Reexport bestimmter Kriegswaffen in Drittländer.“
Hoffmann befürchtet, dieses Abkommen könne
künftig als Muster für Abkommen mit weiteren Staaten dienen
und zu einer gelockerten europäischen Rüstungsexportpolitik
auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners führen.
Aus Sicht der Industrie hat die De-Minimis-Regelung dagegen
eher Vorteile. Sie erleichtert die internationale Zusammenarbeit,
reduziert den bürokratischen Genehmigungsaufwand und beschleunigt
viele Genehmigungsvorgänge. Hauptgeschäftsführer Hans
Christoph Atzpodien signalisiert deshalb Zustimmung seitens des
Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie:
O-Ton Atzpodien
„Das ist eine Regelung, die wir ebenfalls begrüßen,
zumal sie wechselseitig gilt, d.h. das ist hier keine
Einbahnstraße, sondern in beide Richtungen wird das
Rüstungsgenehmigungsverfahren für diese ausgewählten
Fälle vereinfacht.“
Atzpodien kann sich auch vorstellen, dass die Regelung zum
Vorbild für die Kooperation mit anderen Ländern
wird:
O-Ton Atzpodien
„Sie könnte in der Tat auch ein mögliches Muster sein
für Regelungen mit anderen Ländern, sei es bilateral oder sei
es auch zu dritt oder viert.“
Die wiederkehrenden politischen Kontroversen um die deutsche
Genehmigungspolitik für Rüstungsexporte haben ihre Ursache
meist in zwei grundsätzlichen widersprüchlichen Vorgaben.
Die eine findet sich in den zugrundeliegenden Gesetzen, also
dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz.
Das Kriegswaffenkontrollgesetz fußt auf dem Grundsatz, dass alles
verboten ist, was nicht explizit erlaubt wurde. Das
Außenwirtschaftsgesetz ist dagegen vom Gedanken der Freiheit des
Außenhandels geprägt. Dort gilt: „Alles, was nicht
verboten wird, ist erlaubt.“ Da auch für Kriegswaffenexporte
eine Ausfuhrgenehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz
erforderlich ist, entsteht eine Versuchung, auch bei der Ausfuhr
solcher Rüstungsgüter letztlich dem Grundsatz der Freiheit
des Außenhandels zu folgen.
Widersprüchlich ist schon lange auch eine Vorgabe der
Politischen Grundsätze. Diese halten fest, dass
Rüstungsexporte in andere EU- oder NATO-Staaten, sowie eine kleine
Zahl gleichgestellter Länder, grundsätzlich zu genehmigen
sind und nur in begründeten Ausnahmefällen untersagt werden
sollen. Für die sogenannten Drittländer gilt dagegen, dass
Rüstungslieferungen nur in begründeten Ausnahmefällen
genehmigt werden sollten. Das Empfängerland sollte zudem nicht
gegen bestimmte Kriterien verstoßen. Diese Vorgaben sind nur
politisch, nicht aber rechtlich bindend. Auch hierin liegt eine
mehrfache Versuchung: Genehmigungen für Drittstaaten sind bereits
heute die Regel und keine Ausnahme mehr. Seit 10 Jahren sind sie sogar
weit höher als die Genehmigungswerte für die NATO- und
EU-Staaten. Eine zweite Versuchung besteht in der gemeinsamen
Produktion von Rüstungsgütern in anderen EU- oder
NATO-Staaten, die dann Reexporte in Drittstaaten genehmigen.
Schließlich sind Exportgenehmigungen für Technologie und
Technologierechte zur Herstellung von Rüstungsgütern offenbar
in vielen Fällen leichter zu erhalten als solche für den
Export von fertigen Produkten oder Komponenten.
Nichtregierungsorganisationen, die Kirchen, viele Experten und
etliche Parteien fordern deshalb seit Jahren ein einheitliches
deutsches Rüstungsexportkontrollgesetz. Es soll auf dem
restriktiveren Prinzip des Kriegswaffenkontrollgesetzes aufsetzen, die
erforderlichen Regelungen aus dem Außenwirtschaftsgesetz und die
Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes der Europäischen Union
rechtsverbindlich integrieren. Außerdem soll es der
Bundesregierung Vorgaben machen, in welchem Umfang sie Parlament
und Öffentlichkeit über Rüstungsexporte und ihre
Genehmigungsentscheidungen zu informieren hat. Mangelnde Transparenz
ist unter Wirtschaftsminister Peter Altmaier nämlich wieder zu
einem echten Problem geworden.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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