Ende eines Dauerstreits?
Regierungskoalition einigt sich auf neue Rüstungsexportrichtlinien
von Otfried Nassauer
Nun also doch. Sechs Monate später als im Koalitionsvertrag
vereinbart hat das Kabinett am Mittwoch neue
Rüstungsexportrichtlinien verabschiedet. Oder genauer gesagt: Neue
"Politische Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern".
CDU/CSU und SPD hatten sich im vergangenen Jahr in ihrem
Koalitionsvertrag geeinigt, die bisherigen Grundsätze aus dem Jahr
2000 bis Ende 2018 - so wörtlich - zu "schärfen". Sie legten
damals nicht fest, ob sie auf eine Verschärfung oder auf eine
Präzisierung der Grundsätze hinarbeiten wollten, die auch
Erleichterungen für Exportgenehmigungen beinhalten sollten. Jetzt
liegt das Ergebnis vor. Es ist ein "sowohl als auch", ein klassisches
Produkt der großen Koalition.
[Vorweg: Politische Grundsätze sind keine gesetzliche,
sondern eine politische Regelung - eine politische
Willensbekundung der Bundesregierung. Sie ändern die
Rechtsgrundlagen nicht, sondern dienen im Rahmen der geltenden
nationalen Gesetze und des Völkerrechts als zusätzliche
politische Gestaltungsgrundlage für die Genehmigung oder Ablehnung
konkreter Exportanträgen für Rüstungsgüter.]
Was also hat sich jetzt geändert? Die neuen Politischen
Grundsätze sind einerseits eine Aktualisierung der geltenden
Fassung. Sie nehmen Neuerungen und Veränderungen aus den letzten
zwei Jahrzehnten auf wie zum eispiel den Internationalen
Waffenhandelsvertrag ATT oder den Gemeinsamen Standpunkt der
Europäischen Union zu Rüstungsexporten. Hinzu kommen
nationale Änderungen aus dieser Zeit, wie sie etwa der damalige
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel 2015 eingeführt hat. Der
SPD-Politiker etablierte damals neu entwickelte Grundsätze
für kleine und leichte Waffen, wie Sturmgewehre, Maschinengewehre
oder tragbare Panzerabwehrwaffen. Der Export solcher Waffen an
Drittstaaten soll "grundsätzlich" nicht mehr genehmigt werden.
Grundsätzlich bedeutet jedoch keineswegs nie. Ausnahmen bleiben
möglich wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in der
Bundespressekonferenz klarstellte:
O-Ton Seibert:
"Das bedeutet gleichzeitig, dass es in
begründeten Einzelfällen Ausnahmen geben
kann; es handelt sich also nicht um ein Komplettverbot, sondern um ein
grundsätzliches Verbot."
In der Praxis können die Ausnahmen jedoch auch
Überhand nehmen. Seit 19 Jahren steht nämlich bereits in den
Politischen Grundsätzen, dass Exporte von Kriegswaffen in
Drittstaaten nur in Ausnahmefällen genehmigt werden. Katja Keul,
abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen, hat in der Praxis
das genaue Gegenteil beobachtet:
O-Ton Keul:
"Und das ist das Hauptproblem mit dieser
Rüstungsexportrichtlinie. Sie ist eine
freiwillige Selbstverpflichtungserklärung und sie ist das Papier
leider nicht mehr wert, auf dem sie geschrieben ist,
weil seit zehn Jahren regelmäßig mehr
Rüstungsgüter an Drittstaaten geliefert
werden als an Bündnispartner und damit das Regel-
Ausnahmeverhältnis auf den Kopf gestellt worden
ist."
Aus der theoretisch möglichen Ausnahme ist also in der Praxis die Regel geworden.
Aus der Zeit Sigmar Gabriels als Wirtschaftsminister wurde
auch eine andere Änderung übernommen - die Möglichkeit,
den Endverbleib von Rüstungsgütern nach deren Export im
Empfängerland zu überprüfen. Erste solche sogenannte
Post-Shipment Kontrollen für kleine und leichte Waffen sind
inzwischen durchgeführt worden. Die Erfahrungen werden derzeit
ausgewertet. Die Möglichkeit zu solchen Kontrollen wurde in die
Politischen Grundsätze aufgenommen. Allerdings wird sich erst in
Zukunft zeigen, ob die Kontrollen von kleinen und leichten Waffen auf
andere Rüstungsgüter ausgeweitet werden.
Schließlich wurde ein dritte Initiative aus der Zeit
Gabriels in den neuen Grundsätzen verankert: Das Versprechen,
Anträge für den Export von Technologie zur Herstellung von
Waffen in Drittländer künftig genauer zu prüfen, wenn
mit den Lieferungen im Empfängerland eigenständige
Produktionskapazitäten aufgebaut werden könnten. In die neuen
Politischen Grundsätze wurde auch diese Änderung
integriert.
Offen bleibt dabei allerdings , ob dies – erstens
- nur für die Herstellung kleiner und leichter Waffen gelten
soll oder auf die Produktion für andere Waffen und
Rüstungsgüter ausgeweitet werden soll. Zweitens bleibt
unklar, ob sich die die Bundesregierung in diesem Kontext endlich eine
Handhabe schaffen will, um die technische Unterstützung, also
immaterielle Beihilfen, zur Integration deutschen Ingenieurswissens in
die Technologierechte ausländischer Firmen zu unterbinden. Solche
Vorhaben, die die konventionelle Waffentechnik betreffen, müssen
bislang nur gemeldet werden, wenn gegen den Empfänger ein
internationales Embargo verhängt worden ist. In allen anderen
Fällen muss die Industrie die Bundesregierung bisher nicht
informieren. Schließlich unterliegt auch der Erwerb oder Aufbau
von Auslandstöchtern und Gemeinschaftsfirmen durch deutsche
Rüstungskonzerne bislang keiner Genehmigungspflicht. Das gilt
selbst für Vorhaben, die darauf zielen, aus einem anderen Land
kriegführende Drittländer zu beliefern, die aus Deutschland
nicht beliefert werden dürften. Auch hier lassen die Politischen
Grundsätze weiter offen, ob sich das ändern soll.
Aus Sicht der SPD sind die politischen Grundsätze also
vor allem deshalb ein Erfolg, weil die Sozialdemokraten in der
Vergangenheit erreichte Fortschritte nicht zurücknehmen mussten
und künftig vielleicht noch ein wenig ausweiten können.
Der CDU/CSU gelang es dagegen, Änderungen in die neuen
politischen Grundsätze zu integrieren, die den Charakter des
Dokumentes mittelfristig verändern können. Auf
Initiative der Unionsparteien wurden verstärkt industriepolitische
Zielsetzungen in das Dokument integriert. Noch sind diese allgemeiner
Natur - künftige Konkretisierungen deuten sich allerdings
bereits an.
Steffen Seibert, der Regierungssprecher, fasste diese Punkte am Mittwoch so zusammen:
O-Ton Seibert
"[Die Bedeutung der Förderung von
Rüstungskooperationen auf europäischer Ebene -
sei es, dass sie schon in PESCO, also in der
Permanent Structured Cooperation, oder im
Europäischen Verteidigungsfonds angelegt sind - wird akzentuiert.]
Entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrags zu
diesen europäischen Kooperationen wird auch der
Stellenwert der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und der Erhalt
technologischer Kompetenzen unterstrichen.
Kooperationen der europäischen Industrie sollen
durch gemeinsame Ansätze oder durch vereinfachte Verfahren
gefördert werden."
Zwei Stoßrichtungen werden hier erkennbar: Zum einen
wird für gemeinsame europäische Rüstungsprojekte eine
Sonderrolle proklamiert. Sie sind politisch gewünscht und
gewollt. Das könnte auch beim Rüstungsexport
Berücksichtigung finden. Zum anderen wird angedeutet, in welche
Richtung das gehen könnte. Neben das Argument, der Einbau
deutscher Teile in eine Kriegswaffe im Ausland begründe – so
wörtlich - "ausfuhrrechtlich einen neuen Warenursprung", wird nun
auch die Möglichkeit geschaffen, sogenannte de-minimis- Regelungen
anzuwenden. D.h. konkret: Überschreitet der Wert der deutschen
Komponenten, die in eine Waffe oder ein Rüstungsgut eingebaut
werden sollen, einen bestimmten Prozentsatz nicht, so verzichtet die
Bundesregierung auf die Vetomöglichkeit gegen einen geplanten
Export – z.B. durch Frankreich. Simone Wisotzki von der
Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt zu den
unterschiedlichen Erwartungen in beiden Ländern:
O-Ton Wisotzki:
"[Und] da sind unterschiedliche Vorstellungen
momentan im Gespräch. Während ´
Deutschland diesen Prozentsatz möglichst gering halten will,
sprechen die Franzosen von rund 35 Prozent. Und da
muss man nun jetzt einfach sehen, wo und wie sich die
beiden Staaten einigen werden."
Hinzu kommt noch eine zweite entscheidende Frage: Auf welchen
Wert bezieht sich der Prozentsatz. Auf den Wert des gesamten
Rüstungsexportvertrags, zu dem auch Ausbildungs- Wartungs- und
Servicekosten gehören können oder auf den viel
kleineren Produktionswert des Waffensystems? Hier eröffnen sich
erhebliche Interpretations- und Verhandlungsspielräume.
Zu welcher Einigung es auf europäischer Ebene kommt, wird
sich an unterschiedlichen Stellen zeigen: Bis zum Jahresende wollen
sich die europäischen Staaten auf eine Überarbeitung ihres
sogenannten Gemeinsamen Standpunkts zu Rüstungsexporten einigen.
Frankreich und Deutschland arbeiten daneben an einer bilateralen
Vereinbarung für ihre angekündigten großen
Rüstungsprojekte wie ein gemeinsames Kampfflugzeug und einen neuen
Kampfpanzer. Auf beiden Wegen lassen sich große Hintertüren
für zusätzliche Rüstungsexporte öffnen.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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