Streitkräfte und Strategien - NDR info
 17. November 2018


Deutsche Rüstungsexporte – Verkündete Transparenz mehr Schein als Sein?

von Otfried Nassauer


Sigmar Gabriel war guter Laune, als er im März 2015 im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags erschien, um sich an der Diskussion über eine Petition der „Aktion Aufschrei - Waffenhandel stoppen" für ein weitgehendes Waffenexportverbot zu beteiligen. Der damalige Wirtschaftsminister sah seine Teilnahme als Chance, um sein Eintreten für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik öffentlich zu unterstreichen und zu erläutern, was er in seiner bisherigen Amtszeit schon erreicht habe. Besonders wichtig war ihm der Punkt „mehr Transparenz". Sigmar Gabriel:

O-Ton Gabriel
„Wir haben ein Maß an Transparenz bei den Rüstungskontrollberichten erreicht in dieser Legislaturperiode, die  es in Deutschland noch nie gegeben hat. (...) Alle Entscheidungen, die wir treffen, werden öffentlich.“

Gabriel sprach Veränderungen an, die er selbst zuvor veranlasst hatte: Sein Haus belieferte Parlament und Öffentlichkeit zweimal jährlich mit Berichten über die Genehmigungspolitik der Bundesregierung für Rüstungsexporte - einmal vor der Sommerpause mit einem Jahresbericht über das vergangene Jahr und einmal zum Jahresende mit einem Zwischenbericht über die Genehmigungen des ersten Halbjahres des laufenden Jahres. Die Berichte erfolgten somit zeitnäher und häufiger. Der Inhalt veränderte sich allerdings kaum. Der Bundestag wurde jetzt zudem  innerhalb von 10 Tagen informiert, wenn der Bundessicherheitsrat und der zugehörige Vorbereitende Ausschuss der Staatssekretäre sich mit neuen Exportgenehmigungen abschließend positiv befasst  hatten. Die früher übliche Geheimhaltung der Sitzungsergebnisse wurde aufgehoben. Diese Mitteilungen betreffen jedoch nur einige Dutzend kontroverse Exporte, über die zwischen Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium keinen Konsens erzielt wurde oder die nicht zuvor auf nachgeordneter Ebene entschieden werden konnten. Schließlich hatte Gabriels Ministerium eine Anfrage der Linken genutzt, um die Entscheidungen dieser beiden Gremien auch für die letzten Jahre nachträglich öffentlich zu machen. Zweifellos ein Gewinn an Transparenz, aber zugleich nur ein begrenzter. Er betraf und betrifft relativ wenige Genehmigungen, während über das Gros der jährlich mehr als Zehn oder Fünfzehntausend Genehmigungen weiterhin nur summarisch und anonymisiert berichtet wird.

Trotzdem: Gabriel hatte für sein Vorgehen ein grundlegend richtiges Argument:

O-Ton Gabriel
„Eine außen- und sicherheitspolitische Debatte über die Frage, an wen liefern wir eigentlich oder an wen nicht, würde erheblich dazu beitragen, dass wir auch in der Bevölkerung ein klareres Bild bekommen, was wir hier eigentlich tun oder lassen. (...) Allein die Debatte an sich hätte einen Wert."

Sechs Monate vor Gabriels Auftritt hatte das Bundesverfassungsgericht im Herbst 2014 darüber entschieden, wann und in welchem Umfang die Bundesregierung den Bundestag über Rüstungsexportgenehmigungen informieren muss. Der damalige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele und die Grünen hatten geklagt, weil sie sich zu spät und unzureichend über einen potenziellen Panzerexport nach Saudi-Arabien informiert sahen. Mehr Transparenz - so das Ziel - sollte helfen, umstrittene Rüstungsexportgeschäfte frühzeitig auf einer gesicherten Informationsbasis politisch debattieren zu können. Rechtzeitig, bevor die Regierung eine Exportgenehmigung erteilen würde und - bildlich gesprochen - das „Kind schon in den Brunnen gefallen" sei. Am 21. Oktober 2014 wurde die Klage der Grünen in weiten Teilen abgewiesen. Die Begründung hatte es in sich.

Andreas Voßkuhle, der Vorsitzende Richter, hielt damals fest:

O-Ton Voßkuhle
„Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet, Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung nicht erteilt worden ist.“

Das klang gut, war aber von einer Vielzahl von Einschränkungen der Mitteilungspflicht begleitet:

„Grundsätzlich“ heißt für Juristen: Es gibt Ausnahmen. Die Bundesregierung darf dem Parlament also manchmal auch verschweigen, ob sie eine Exportgenehmigung erteilt hat. Zum Beispiel, wenn die Auskunft das „Staatswohl“ gefährden könnte – ein dehnbarer Begriff. Die Regierung darf dem Parlament auch keine Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse der antragstellenden Firmen mitteilen. Voßkuhle  sprach außerdem zwei weitere Einschränkungen  an:

O-Ton Voßkuhle
„Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den Gründen der Entscheidung, sind dagegen verfassungsrechtlich nicht geboten. Ebenso wenig müssen Auskünfte zu noch nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum Beispiel über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung in diesem Stadium besonders geschützt ist.“

Die Genehmigung von Rüstungsexporten und der damit zusammenhängende Willensbildungsprozess der Exekutive sei besonders geschützt und stelle im Kontext der Gewaltenteilung ein Privileg der Exekutive dar. Erst nach Abschluss dieses Prozesses sei die Bundesregierung „grundsätzlich" verpflichtet, dessen Ergebnis mitzuteilen. Voßkuhle sprach nur über Kriegswaffen, nicht aber über Geschäfte mit sonstigen Rüstungsgütern, also den größten Teil deutscher Rüstungsexporte. Dazu gehören zum Beispiel viele Komponenten, die in größere Waffensysteme eingebaut werden sollen oder für militärische Zwecke vorbereitete Lastwagen.

Vier Jahre nach dem Urteil des Gerichts, dreieinhalb Jahre nach Sigmar Gabriels Feststellung nie dagewesener Transparenz und zwei Wirtschaftsminister später, muss man festhalten: Das Urteil des Verfassungsgerichts über die Informationspflichten der Bundesregierung hat in weiten Teilen das Gegenteil von dem bewirkt, was mit dem Gang der Grünen vor das Gericht angestrebt worden war. Statt mehr Transparenz zu ermöglichen, führt die Anwendung des Urteils immer häufiger zu Auskunftsverweigerungen.

Die Beamten des Wirtschaftsministeriums haben es verstanden, das Urteil Schritt für Schritt restriktiver auszulegen. Unter Berufung auf das Verfassungsgericht ist es den Beamten des Wirtschaftsministeriums gelungen, aus zentralen Begrifflichkeiten der Urteilsbegründung wie dem Staatswohl, den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und dem Privileg des Exekutivbereichs der Regierung einen sicheren Hafen für Informationen zu machen, die nur der Exekutive und den antragstellenden Firmen vorliegen dürfen. Insofern verfügt der Beamten-Apparat über ein Herrschaftswissen, das sowohl die parlamentarische Kontrolle als auch eine informierte, öffentliche Debatte behindert.

Am offensichtlichsten wird dies bei abgelehnten Exportanträgen. Richter Voßkuhle sah die Bundesregierung in der Pflicht, den Bundestag auf Nachfrage „grundsätzlich" über endgültig abgelehnte Exporte zu informieren. Das Wirtschaftsministerium verweigert in der Regel konkrete Auskünfte unter Berufung auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Firmen oder das Staatswohl. Eine Veröffentlichung könne der Bundesrepublik außenpolitisch Schaden zufügen.

Unter Berufung auf das Staatswohl wird eine wachsende Zahl von Fragen nicht oder nur noch als Verschlusssache beantwortet. Mit Bezug auf das Urteil des Verfassungsgerichtes werden immer häufiger Fragen nach konkreten Fakten nicht oder nur so allgemein beantwortet, dass der konkrete Exportvorgang nicht ersichtlich wird. In einigen Fällen wurden Informationen sogar verweigert, weil deren Bereitstellung in Verbindung mit früher öffentlich gemachten Informationen es möglich machen würde, ein bestimmtes Rüstungsexportgeschäft zu identifizieren. Journalisten machten in letzter Zeit sogar die Erfahrung, dass das Ministerium das Urteil des Verfassungsgerichts heranzog, um die Auskunft darüber zu verweigern, ob die Bundesregierung den Export eines konkreten Rüstungsguts - zum Beispiel Waffenstationen für gepanzerte Fahrzeuge an die Vereinigten Arabischen Emirate - also ein kriegführendes Land, je genehmigt habe.

Dazu kommen auch weichere Formen der Informationsverweigerung. Oft heißt es, Fragen seien in der für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu beantworten. Eine mögliche Fristverlängerung wird dagegen nicht erbeten. Auch die Notwendigkeit einer Auswertung verfügbarer Daten von Hand ist ein gerne genutztes Argument, um Fragen nicht zu beantworten.

Vor etwa 20 Jahren erklärte ein für Rüstungsexportgenehmigungen zuständiger leitender Beamte des Wirtschaftsministeriums dem Autor dieses Beitrags: Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sei die Außenwirtschaftsförderung, nicht die Außenwirtschaftsverhinderung. An einem solchen Selbstverständnis können auch Minister scheitern. Denn bekanntlich kommen sie nicht nur, sondern gehen auch wieder. Die Beamten dagegen bleiben im Amt. 


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS