Deutsche Rüstungsexporte – Verkündete Transparenz mehr Schein als Sein?
von Otfried Nassauer
Sigmar Gabriel war guter Laune, als er im März 2015 im
Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags erschien, um sich an der
Diskussion über eine Petition der „Aktion Aufschrei
- Waffenhandel stoppen" für ein weitgehendes
Waffenexportverbot zu beteiligen. Der damalige Wirtschaftsminister sah
seine Teilnahme als Chance, um sein Eintreten für eine
restriktivere Rüstungsexportpolitik öffentlich zu
unterstreichen und zu erläutern, was er in seiner bisherigen
Amtszeit schon erreicht habe. Besonders wichtig war ihm der Punkt
„mehr Transparenz". Sigmar Gabriel:
O-Ton
Gabriel
„Wir haben ein Maß an Transparenz bei den
Rüstungskontrollberichten erreicht in dieser
Legislaturperiode, die es in Deutschland noch nie gegeben
hat. (...) Alle Entscheidungen, die wir treffen, werden
öffentlich.“
Gabriel sprach Veränderungen an, die er selbst
zuvor veranlasst hatte: Sein Haus belieferte Parlament und
Öffentlichkeit zweimal jährlich mit Berichten
über die Genehmigungspolitik der Bundesregierung für
Rüstungsexporte - einmal vor der Sommerpause mit einem
Jahresbericht über das vergangene Jahr und einmal zum
Jahresende mit einem Zwischenbericht über die Genehmigungen
des ersten Halbjahres des laufenden Jahres. Die Berichte erfolgten
somit zeitnäher und häufiger. Der Inhalt
veränderte sich allerdings kaum. Der Bundestag wurde jetzt
zudem innerhalb von 10 Tagen informiert, wenn der
Bundessicherheitsrat und der zugehörige Vorbereitende
Ausschuss der Staatssekretäre sich mit neuen
Exportgenehmigungen abschließend positiv befasst
hatten. Die früher übliche Geheimhaltung der
Sitzungsergebnisse wurde aufgehoben. Diese Mitteilungen betreffen
jedoch nur einige Dutzend kontroverse Exporte, über die
zwischen Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium
keinen Konsens erzielt wurde oder die nicht zuvor auf nachgeordneter
Ebene entschieden werden konnten. Schließlich hatte Gabriels
Ministerium eine Anfrage der Linken genutzt, um die Entscheidungen
dieser beiden Gremien auch für die letzten Jahre
nachträglich öffentlich zu machen. Zweifellos ein
Gewinn an Transparenz, aber zugleich nur ein begrenzter. Er betraf und
betrifft relativ wenige Genehmigungen, während über
das Gros der jährlich mehr als Zehn oder
Fünfzehntausend Genehmigungen weiterhin nur summarisch und
anonymisiert berichtet wird.
Trotzdem: Gabriel hatte für sein Vorgehen ein
grundlegend richtiges Argument:
O-Ton
Gabriel
„Eine außen- und sicherheitspolitische Debatte
über die Frage, an wen liefern wir eigentlich oder an wen
nicht, würde erheblich dazu beitragen, dass wir auch in der
Bevölkerung ein klareres Bild bekommen, was wir hier
eigentlich tun oder lassen. (...) Allein die Debatte an sich
hätte einen Wert."
Sechs Monate vor Gabriels Auftritt hatte das
Bundesverfassungsgericht im Herbst 2014 darüber entschieden,
wann und in welchem Umfang die Bundesregierung den Bundestag
über Rüstungsexportgenehmigungen informieren muss.
Der damalige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele und
die Grünen hatten geklagt, weil sie sich zu spät und
unzureichend über einen potenziellen Panzerexport nach
Saudi-Arabien informiert sahen. Mehr Transparenz - so das Ziel - sollte
helfen, umstrittene Rüstungsexportgeschäfte
frühzeitig auf einer gesicherten Informationsbasis politisch
debattieren zu können. Rechtzeitig, bevor die Regierung eine
Exportgenehmigung erteilen würde und - bildlich gesprochen -
das „Kind schon in den Brunnen gefallen" sei. Am 21. Oktober
2014 wurde die Klage der Grünen in weiten Teilen abgewiesen.
Die Begründung hatte es in sich.
Andreas Voßkuhle, der Vorsitzende Richter, hielt damals fest:
O-Ton
Voßkuhle
„Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet,
Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass
der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes
Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung
nicht erteilt worden ist.“
Das klang gut, war aber von einer Vielzahl von
Einschränkungen der Mitteilungspflicht begleitet:
„Grundsätzlich“ heißt
für Juristen: Es gibt Ausnahmen. Die Bundesregierung darf dem
Parlament also manchmal auch verschweigen, ob sie eine
Exportgenehmigung erteilt hat. Zum Beispiel, wenn die Auskunft das
„Staatswohl“ gefährden könnte
– ein dehnbarer Begriff. Die Regierung darf dem Parlament
auch keine Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse der
antragstellenden Firmen mitteilen. Voßkuhle sprach
außerdem zwei weitere Einschränkungen an:
O-Ton
Voßkuhle
„Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den
Gründen der Entscheidung, sind dagegen verfassungsrechtlich
nicht geboten. Ebenso wenig müssen Auskünfte zu noch
nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum
Beispiel über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess
innerhalb der Bundesregierung in diesem Stadium besonders
geschützt ist.“
Die Genehmigung von Rüstungsexporten und der
damit zusammenhängende Willensbildungsprozess der Exekutive
sei besonders geschützt und stelle im Kontext der
Gewaltenteilung ein Privileg der Exekutive dar. Erst nach Abschluss
dieses Prozesses sei die Bundesregierung
„grundsätzlich" verpflichtet, dessen Ergebnis
mitzuteilen. Voßkuhle sprach nur über Kriegswaffen,
nicht aber über Geschäfte mit sonstigen
Rüstungsgütern, also den größten
Teil deutscher Rüstungsexporte. Dazu gehören zum
Beispiel viele Komponenten, die in größere
Waffensysteme eingebaut werden sollen oder für
militärische Zwecke vorbereitete Lastwagen.
Vier Jahre nach dem Urteil des Gerichts, dreieinhalb
Jahre nach Sigmar Gabriels Feststellung nie dagewesener Transparenz und
zwei Wirtschaftsminister später, muss man festhalten: Das
Urteil des Verfassungsgerichts über die Informationspflichten
der Bundesregierung hat in weiten Teilen das Gegenteil von dem bewirkt,
was mit dem Gang der Grünen vor das Gericht angestrebt worden
war. Statt mehr Transparenz zu ermöglichen, führt die
Anwendung des Urteils immer häufiger zu
Auskunftsverweigerungen.
Die Beamten des Wirtschaftsministeriums haben es
verstanden, das Urteil Schritt für Schritt restriktiver
auszulegen. Unter Berufung auf das Verfassungsgericht ist es den
Beamten des Wirtschaftsministeriums gelungen, aus zentralen
Begrifflichkeiten der Urteilsbegründung wie dem Staatswohl,
den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und dem Privileg des
Exekutivbereichs der Regierung einen sicheren Hafen für
Informationen zu machen, die nur der Exekutive und den antragstellenden
Firmen vorliegen dürfen. Insofern verfügt der
Beamten-Apparat über ein Herrschaftswissen, das sowohl die
parlamentarische Kontrolle als auch eine informierte,
öffentliche Debatte behindert.
Am offensichtlichsten wird dies bei abgelehnten
Exportanträgen. Richter Voßkuhle sah die
Bundesregierung in der Pflicht, den Bundestag auf Nachfrage
„grundsätzlich" über endgültig
abgelehnte Exporte zu informieren. Das Wirtschaftsministerium
verweigert in der Regel konkrete Auskünfte unter Berufung auf
die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Firmen oder das
Staatswohl. Eine Veröffentlichung könne der
Bundesrepublik außenpolitisch Schaden zufügen.
Unter Berufung auf das Staatswohl wird eine wachsende
Zahl von Fragen nicht oder nur noch als Verschlusssache beantwortet.
Mit Bezug auf das Urteil des Verfassungsgerichtes werden immer
häufiger Fragen nach konkreten Fakten nicht oder nur so
allgemein beantwortet, dass der konkrete Exportvorgang nicht
ersichtlich wird. In einigen Fällen wurden Informationen sogar
verweigert, weil deren Bereitstellung in Verbindung mit früher
öffentlich gemachten Informationen es möglich machen
würde, ein bestimmtes Rüstungsexportgeschäft
zu identifizieren. Journalisten machten in letzter Zeit sogar die
Erfahrung, dass das Ministerium das Urteil des Verfassungsgerichts
heranzog, um die Auskunft darüber zu verweigern, ob die
Bundesregierung den Export eines konkreten Rüstungsguts - zum
Beispiel Waffenstationen für gepanzerte Fahrzeuge an die
Vereinigten Arabischen Emirate - also ein kriegführendes Land,
je genehmigt habe.
Dazu kommen auch weichere Formen der
Informationsverweigerung. Oft heißt es, Fragen seien in der
für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit
nicht zu beantworten. Eine mögliche Fristverlängerung
wird dagegen nicht erbeten. Auch die Notwendigkeit einer Auswertung
verfügbarer Daten von Hand ist ein gerne genutztes Argument,
um Fragen nicht zu beantworten.
Vor etwa 20 Jahren erklärte ein für
Rüstungsexportgenehmigungen zuständiger leitender
Beamte des Wirtschaftsministeriums dem Autor dieses Beitrags: Aufgabe
des Wirtschaftsministeriums sei die Außenwirtschaftsförderung,
nicht die Außenwirtschaftsverhinderung.
An einem solchen Selbstverständnis können auch
Minister scheitern. Denn bekanntlich kommen sie nicht nur, sondern
gehen auch wieder. Die Beamten dagegen bleiben im Amt.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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