Vor dem NATO-Gipfel – US-Präsident als größte Herausforderung?
von Otfried Nassauer
Am 11. und 12. Juli ist es wieder soweit: Zwei Jahre nach
Warschau steht der nächste turnusmäßige NATO-Gipfel an.
Ein Arbeitsgipfel. 18 Monate nach dem Amtsantritt von Donald Trump als
US-Präsident wünschen sich viele in der NATO „Business
as usual", also einen normalen, geschäftsmäßigen
Ablauf, bei dem die Allianz Beschlüsse fasst, wie sie weiter
vorgehen will. Zudem gibt es den Wunsch, dass von dem Treffen in
Brüssel ein Signal der Geschlossenheit ausgeht. Erwartet wird das
jedoch nur von wenigen. Im Gegenteil: Viele befürchten, es
könne ähnlich wie beim G-7-Gipfel in Kanada zu einem Eklat
kommen, Präsident Trump werde auch diesem Gipfel seinen Stempel
aufdrücken.
Wolfgang Ischinger, Chef der Münchener
Sicherheitskonferenz artikulierte diese Sorge bei einem Gespräch
der Körber-Stiftung kürzlich so:
O-Ton Ischinger (overvoice)
„Ich habe die schlimmsten Befürchtungen, richtig schlechte
Träume, wenn ich an den bevorstehenden NATO-Gipfel denke und
welche Art von Botschaft von diesem Gipfel ausgeht, wenn er so endet
wie der G7-Gipfel. Was wäre das für eine Botschaft für
unsere russischen Freunde. Es scheint so, als sei derzeit nichts so,
wie es einmal war oder sogar wie es eigentlich sein sollte."
Beamte und Militärs in Brüssel haben die
Gipfelbeschlüsse wie immer professionell vorbereitet. Wo Konsens
unter den Bündnismitgliedern herrscht, wurde dieser formuliert.
Zum Beispiel bei der verbesserten Zusammenarbeit zwischen NATO und EU,
bei der Erhöhung der Einsatzbereitschaft oder bei der Reform der
Nachschubfähigkeiten des Bündnisses. Hoch kontroverse und
strittige Themen sollen dagegen ausgeklammert werden, zum Beispiel die
Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran. Bei überbrückbaren
Differenzen sucht man Formelkompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner. Darin hat man in Brüssel jahrzehntelange Übung.
Genauso wie darin, offensichtliche Kontroversen auch zu
benennen und so das sichtbare Konfliktpotenzial im Bündnis auf
bereits Bekanntes und eventuell Nützliches zu begrenzen. Donald
Trump werde weiter darauf bestehen, dass jedes NATO-Mitglied bis 2024
zwei Prozent seines Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung
ausgebe. Deutschland müsse sich bei diesem Thema warm anziehen,
heißt es. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe sich
bislang nur bereit erklärt, bis 2025 1,5 Prozent anzustreben.
Trump sei das nicht genug.
Diese Kontroverse wäre für von der Leyen sogar
nützlich. Sie fordert schon lange deutlich mehr Geld für die
Bundeswehr als bislang trotz aller geplanten Steigerungen eingeplant
ist. Druck aus Washington und Brüssel stärkt ihr den
Rücken in der Innenpolitik. Ob dagegen zusätzliches Geld von
der Bundeswehr auch effizient ausgegeben und auf der Zeitachse
kosteneffektiv in zusätzliche militärische Fähigkeiten
umgesetzt werden kann, spielt dabei zunächst keine Rolle.
Im Kontext der gültigen NATO-Streitkräfteplanung hat
Deutschland zugesagt, bis 2032 68 konkrete Maßnahmen umzusetzen
und in die nationale Streitkräfteplanung zu überführen.
Das ist geschehen. Eines dieser Ziele sieht vor, dass die Bundeswehr
der NATO dann drei einsatzbereite Heeresdivisionen mit je drei Brigaden
zur Verfügung stellen kann. Allein dafür kalkuliert die
Bundeswehr mit einem zusätzlichen Finanzbedarf von fünf
Milliarden Euro jährlich.
Washington hat dagegen bereits nachgelegt. Die
Verteidigungsminister der NATO haben bei ihrer Sitzung im April eine
neue Initiative in ihre Beschlusslage aufgenommen. Sie wurde in dieser
Woche noch einmal von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
bekräftigt:
O-Ton Stoltenberg (overvoice)
„Wir werden während des NATO-Gipfels eine Initiative
beschließen, die den Bereitschaftsgrad der NATO-Kräfte
weiter erhöht, die wir ‚Vier mal
Dreißig-Initiative‘ nennen. Geplant sind 30 Bataillone, 30
Luftwaffenstaffeln und 30 Kampfschiffe, die in 30 oder weniger Tagen
einsatzbereit sind."
Bis 2020 sollen die NATO-Staaten diese Truppen bereitstellen.
In der deutschen Planung zur Umsetzung der
NATO-Streitkräfteplanung ist dieses Ziel bislang jedoch gar nicht
abgebildet. Der für die deutsche Planung zuständige Offizier,
Brigadegeneral Gerald Funke, räumte dies Anfang dieser Woche bei
einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft ein:
O-Ton Funke
„Das, was jetzt die vier thirties betrifft, also in 30 Tagen 30
Bataillone, 30 Staffeln und 30 schwimmende Einheiten in der
Größe von Fregatten verfügbar zu haben, ist eine neue
Qualität, die wir bisher nicht akzeptiert haben, die nicht Teil
des NATO-Planungsprozesses ist. Insofern können wir auch nicht
sagen, wie wir das erreichen."
Auch wenn die Bundeswehr dazu nur etwa zehn Prozent beitragen
müsse, sei diese US-Forderung zu kurzfristig und könne mit
dem derzeitig geplanten Fähigkeitsprofil der Bundeswehr nicht
umgesetzt werden. Diese Forderung könne erst Bestandteil der
nächsten Runde des NATO-Streitkräfteplanungsprozesses 2019
werden und dann – so der Streitkräfteplaner des
Verteidigungsministeriums wörtlich – „werden wir
sehen, was wir davon akzeptieren können und wollen".
Zu anderen wichtigen und kontroversen Themen ist bislang
erstaunlich wenig zu hören. Dazu gehören die Zukunft der
nuklearen Abschreckung in Europa, die der Rüstungskontrolle und
die Zukunft des NATO-Russland-Verhältnisses. Zwar wird immer
wieder betont, dass die Politik der Allianz gegenüber Moskau aus
Abschreckung und Dialog bestehe. Das Schwergewicht liegt aber offenbar
derzeit vor allem bei der Stärkung der militärischen
Abschreckung. Über kooperative sicherheitspolitische Instrumente,
wie Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle, wird vor allem in
Form von Anforderungen an die russische Seite gesprochen. Es
heißt: Natürlich befürworte die NATO, den
Gesprächsfaden mit Russland im NATO-Russlandrat beizubehalten.
Natürlich wünsche man mehr Transparenz mit Blick auf das
russische Manövergeschehen und strebe einen verbesserten
Informationsaustausch hierüber an. Europa sei
selbstverständlich daran interessiert, dass der INF-Vertrag, der
landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen verbietet, erhalten
bleibe. Gerade deshalb fordere man ja, dass Moskau die Zweifel an
seiner Vertragstreue möglichst schnell ausräumen
müsse.
Eigene Initiativen kooperativer Sicherheit gegenüber
Russland will die NATO dagegen derzeit anscheinend nicht ergreifen. Das
„Dialog-Element" in der Politik des Bündnisses
erschöpft sich offenbar darin, noch vorhandene
Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen.
Mit Blick auf den NATO-Gipfel dominiert jedoch letztlich die
Ungewissheit. Diese hat jedoch weniger mit Moskau als mit
US-Präsident Trump zu tun. Die Frage ist: Lässt Trump in
Brüssel erneut eine Bombe platzen und wenn ja welche? Bleibt es
bei der Kontroverse um die europäischen Rüstungsausgaben oder
kommen noch zusätzliche neue Differenzen auf den Tisch? Zum
Beispiel beim Thema Iran: Washington hat den multilateralen Vertrag
über die Begrenzung des iranischen Atomprogramms einseitig
aufgekündigt und will die Sanktionen gegen Teheran
verschärfen. Alle anderen Vertragsparteien - der Iran, Russland,
China und die NATO-Staaten Frankreich, Großbritannien und
Deutschland - wollen dagegen an dem Vertrag festhalten. Nun will
Washington offenbar allen Ländern, die gegen Ende dieses Jahres
noch Öl aus dem Iran beziehen, mit Sanktionen drohen. Den Verkauf
iranischen Öls zu erleichtern ist jedoch eine vertragliche
Verpflichtung aus dem Iran-Abkommen, aus dem Washington ausgestiegen
ist und an dem die drei großen europäischen NATO-Staaten
festhalten wollen.
Und dann ist da noch Wladimir Putin, Russlands Präsident.
Auch mit ihm will sich Trump im Umfeld des Gipfels treffen. Manch einer
befürchtet bereits, Trump könne Putin gegen den Willen der
NATO-Verbündeten Zugeständnisse machen. So wie bei Nordkorea,
dem Trump zusagte, auf etliche Manöver in Südkorea zu
verzichten. - ohne sich vorher mit den Verbündeten in
Südkorea abzusprechen. Selbst das Pentagon wurde davon
überrascht.
Die Ungewissheit, ob der US-Präsident letztlich als
verlässlicher Partner agiert, befeuert sogar die Diskussion
darüber, ob ein „Ende des Westens" droht, dessen Opfer
letztlich auch die NATO werden könne.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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