Neue US-Nuklearstrategie
Maßgeschneiderte Abschreckung durch „Mini-Nukes“?
von Otfried Nassauer
Jeder US-Präsident, der zum ersten Mal gewählt
worden ist, muss dem Kon-gress nach dem ersten Amtsjahr eine Blaupause
seiner künftigen Nuklearpolitik vorlegen. Auch Donald Trump hat
das jetzt getan. Nuclear Posture Review heißt das Dokument.
Anfang des Monats wurde es öffentlich vorgestellt. Es
unterscheidet sich nur wenig von einem Entwurf, der schon einige Wochen
zuvor kursierte.
Den zugrundeliegenden Ton hatte Trump bereits in seiner Rede zur Lage der Nation am 30. Januar vorgegeben:
O-Ton Trump (overvoice)
„Als Teil unserer Verteidigungsanstrengungen müssen wir
unser nukleares Arsenal modernisieren und wieder aufbauen. Wir
müssen es hoffentlich nie einsetzen, aber so stark und
mächtig machen, dass es jeden Akt der Agression abschreckt.“
Und mit Blick auf die Herausforderungen durch
Schurkenstaaten, Terroristen und Rivalen wie China und Russland
argumentierte Trump so:
O-Ton Trump (overvoice)
„Während wir uns mit diesen Gefahren konfrontiert sehen,
wissen wir, dass Schwäche der sicherste Weg in den Konflikt ist,
während konkurrenzlose Überlegenheit das sicherste Mittel
unserer Verteidigung ist.“
In diesen beiden Aussagen spiegelt sich Trumps Credo:
„Frieden durch Stärke“. Die Autoren seines Nuclear
Posture Reviews haben diesen Grundsatz indirekt aufgenommen und ihrem
Präsidenten ein Konzept maßgeschneiderter Abschreckung,
einer „tailored deterrence“ aufgeschrieben. Dieser Begriff
durchzieht das neue Dokument wie ein roter Faden. Neu ist er jedoch
nicht. Er findet sich bereits in Dokumenten, die zu Zeiten von
Ex-Pentagon-Chef Donald Rumsfeld während der Präsidentschaft
George W. Bushs 2004-2006 entwickelt worden sind.
Das Konzept einer maßgeschneiderten Abschreckung geht
davon aus, dass die Herausforderungen, vor denen die Nuklearmacht USA
steht, so unterschiedlich und so bedrohlich sind, dass es verschiedener
Antworten auf diverse Szenarien bedarf. Erforderlich sei vor allem ein
flexibleres und glaubwürdiger einsetzbares, eigenes
Atomwaffenpotenzial. Die umfassende Modernisierung aller atomaren
Trägersysteme und nuklearen Sprengköpfe, die Barack Obama
bereits 2010 mit seinem Nuclear Posture Review eingeleitet hatte,
reicht aus Sicht der Autoren nicht aus. Sie fordern mehr und
plädieren einerseits für neue, zusätzliche
Rüstungsvorhaben und wollen andererseits jene Pläne stoppen,
mit denen Obama die Zahl unterschiedlicher Atomwaffentypen im
US-Arsenal weiter reduzieren wollte.
Obamas Plan sah vor, im Rahmen der Modernisierung der
US-Atomwaffen mehrere Sprengkopftypen mittel- und längerfristig
aus den US-Depots zu verbannen. So sollte die Atombombe B83 mit ihrer
gewaltigen Sprengkraft von 1,2 Megatonnen möglichst bald
außer Dienst gestellt werden. Langfristig sollten außerdem
die vier derzeit vorhandenen Sprengkopftypen für
Langstreckenraketen auf nur noch zwei Versionen reduziert werden. Die
Trump-Administration plant jetzt, die Bomben vom Typ B83 zumindest
solange im Dienst zu halten, bis deren Aufgabe nachweislich von einer
anderen Waffe übernommen werden kann. Von einer Reduzierung der
Typenvielfalt bei den nuklearen Gefechtsköpfen für Raketen
ist nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Es soll sogar zusätzliche
Varianten geben. Zum einen soll ein kleiner Teil der
Langstreckenraketen auf U-Booten möglichst bald mit
Atomgefechtsköpfen kleiner Sprengkraft ausgestattet werden.
Technisch bedeutet das wahrscheinlich, dass von den beiden explosiven
Nuklearkomponenten, die in diesen Gefechtsköpfen enthalten sind,
die größere entfernt oder abgeschaltet wird, während
der kleinere atomare Zündsprengsatz aktiv bleibt. Damit
könnte die Sprengkraft auf wenige Kilotonnen beschränkt
werden. Robert Soofer, ein hoher Pentagon-Beamter, spricht von einer
Sprengkraft unterhalb jener der Hiroshima-Bombe, also von weniger als
12,5 Kilotonnen. Kritiker befürchten, dies werde destabilisierend
wirken. Kein Gegner sei in der Lage, eine anfliegende seegestützte
Langstreckenrake-te vom Typ Trident mit einem oder mehreren solcher
kleinen Sprengköpfe rechtzeitig von einer baugleichen Rakete zu
unterscheiden, die viele große strategische Sprengköpfe
trage.
Der zweite Vorschlag sieht vor, in sieben bis zehn Jahren
wieder nuklear bestückte Marschflugkörper auf Schiffen oder
U-Booten einzuführen. Diese Art der Bewaffnung hat die Regierung
Obama erst vor einigen Jahren abgeschafft. Beide Vorschläge sollen
umgesetzt werden, ohne zusätzlich neue Atomwaffen zu bauen. Auf
diese Weise soll jedoch der Anteil der Atomwaffen mit kleiner oder
variabler Sprengkraft im amerikanischen Arsenal vergrößert
werden.
Die Autoren des Nuclear Posture Review glauben, dass
zielgenauere Atomwaffen mit kleinerer Sprengkraft potenzielle Gegner
glaubwürdiger abschrecken als große Nuklearwaffen, vor deren
Einsatz selbst der US-Präsident möglicherweise wegen der
verheerenden Folgen zurückschrecken könnte. Ein Gegner wie
Russland könnte versuchen, das auszunutzen, um seine politische
Ziele durchzusetzen, so die Befürchtung. Diese Logik ignoriert
jedoch zwei andere Gefahren: Zum einen könnte die eigene
Führung in Washington verlockt werden, in einem Konflikt schneller
auf Atomwaffen zurückzugreifen. Die Schwelle vor einem
Nuklearwaffeneinsatz könnte sinken. Zum anderen könnte ein
altes Dilemma der nuklearen Abschreckungslogik in die transatlantische
Debatte zurückkehren: Die Diskussion über regional
begrenzbare Atomkriege.
Diese historisch betrachtet westliche Problematik erklärt
das Dokument jedoch schlicht zu einem Problem der aktuellen russischen
Politik. Moskau verfolge seit einiger Zeit eine Strategie der –
so wörtlich - „Eskalation, um zu deeskalieren“.
Russland spiele mit dem Gedanken eines frühen, begrenzten
Ersteinsatzes kleiner Atomwaffen, um die NATO während eines
Konfliktes frühzeitig zu einer Kriegsbeendigung zu für Moskau
günstigen Bedingungen zu zwingen - weil die NATO vor dem Einsatz
großer Atomwaffen zurückschrecken werde. Diese Lesart ist
allerdings äußerst umstritten. Durch die russische
Militärdoktrin ist sie jedenfalls nicht abgedeckt. Dort
heißt es über den Einsatz von Kernwaffen - Zitat:
Zitat
„Die Russische Föderation behält sich das Recht vor,
als Antwort auf einen gegen sie und/oder ihre Verbündeten
erfolgten Einsatz von Kernwaffen oder anderen Arten von
Massenvernichtungswaffen, ihrerseits Kernwaffen einzusetzen. Das gilt
auch für den Fall einer Aggression mit konventionellen Waffen
gegen die Russische Föderation, bei der die Existenz des Staates
selbst in Gefahr gerät.“
Voraussetzung eines atomaren Ersteinsatzes in einem bis dato
konventionell geführten Krieg wäre also die Gefährdung
der staatlichen Existenz Russlands.
Der neue Nuclear Posture Review der USA weist Nuklearwaffen
dagegen eine deutlich größere Rolle zu. Zu lesen ist dort
– Zitat:
Zitat
„Die Vereinigten Staaten würden den Einsatz nuklearer Waffen
nur unter extremen Umständen erwägen, um die vitalen
Interessen der USA, ihrer Verbündeten und Partner zu verteidigen.
Zu diesen extremen Umständen können signifikante
nicht-nukleare strategische Angriffe gehören. Zu solchen
signifikanten nicht-nuklearen, strategischen Angriffen gehören
– ohne Anspruch auf Vollständigkeit - Angriffe auf die
zivile Bevölkerung oder die Infrastruktur der USA, der
Verbündeten oder Partner sowie Angriffe auf US- oder allierte
Nuklearkräfte, deren Kommando und Kontrollstrukturen, Warnsysteme
oder Auswertefähigkeiten für Angriffe.“
Der Nuclear Posture Review reklamiert zudem für die USA
das Recht, die Definition eines nicht-nuklearen, strategischen Angriffs
jederzeit zu ändern und lehnt eine Politik des Verzichts auf einen
nuklearen Ersteinsatz ausdrücklich ab. Kernwaffen wird damit eine
deutlich größere und flexibler interpretierbare Rolle
zugewiesen als unter Barack Obama. Kingston Reif, Wissenschaftler bei
der Arms Control Association in Washington, fasst die Kritik an dem
Dokument wie folgt zusammen:
O-Ton Reif (overvoice)
„Erstens: Im Gegensatz zu früheren Nuclear Posture Reviews,
die die Rolle nuklearer Waffen reduziert haben, sucht der Bericht von
Trump eine größere Rolle für diese Waffen. Er
schlägt vor, die Umstände zu erweitern, in denen ein
Nuklearwaffeneinsatz in Betracht gezogen wird. (...) Zweitens fordert
der Bericht neue und besser nutzbare Nuklearwaffen. (...) Und drittens
gibt er wichtige Verpflichtungen der USA bei der Nichtverbreitung und
bei der Abrüstung auf.“
In der Tat: Das Thema Rüstungskontrolle wird in dem
Bericht eher stiefmütterlich behandelt. Er fällt hinter
frühere Positionen Washingtons zurück. Der Report betont zwar
das grundsätzliche Interesse Washingtons an der nuklearen
Nichtverbreitung, er beklagt aber, dass das Atomabkommen mit dem Iran
völlig unzureichend sei. Außerdem wird darauf verzichtet,
die vertragliche Verpflichtung der Nuklearmächte zur
vollständigen atomaren Abrüstung zu erwähnen.
Unzureichende Fortschritte bei der Rüstungskontrolle erklärt
der Bericht vor allem damit, dass andere Staaten dem Beispiel und den
guten Vorschlägen der USA nicht gefolgt seien. Oder er nennt als
Grund die Verletzung etlicher Rüstungskontrollabkommen durch
Russland. Das bekannteste Beispiel ist dabei der bislang noch nicht
wirklich nachvollziehbar belegte Vorwurf, Russland verletze den
INF-Vertrag durch die Stationierung von weitreichenden
landgestützten Marschflugkörpern.
Mehr noch: Diese Passagen lesen sich eher wie eine
Rechtfertigung der zusätzlichen atomaren
US-Modernisierungspläne, die der Nuclear Posture Review
einfordert. Seegestützte Marschflugkörper seien zum Beispiel
erforderlich, damit Moskau den INF-Vertrag nicht länger ungestraft
verletzen könne. Deutlich wird damit: Die nukleare
Rüstungskontrolle geht unter Präsident Trump schweren Zeiten
entgegen.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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