Streitkräfte und Strategien - NDR info
 29. Juli 2017


Rüstungsprojekte als Dauerbaustelle
Von der Leyens Reformen ohne Wirkung?

von Otfried Nassauer


Für die Bundeswehr war die Reform des Beschaffungswesens das vielleicht wichtigste Thema der letzten vier Jahre. Dazu enthielt der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Jahr 2013 drei zentrale Aussagen. Erstens hieß es: 

Zitat:
„Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen die bestmögliche Ausrüstung. Dabei steht ihre Sicherheit im Mittelpunkt. Die Bundeswehr beschafft, was sie braucht und nicht, was ihr angeboten wird.“ 

Als Zweites wurde festgehalten: 

Zitat:
„Der Staat kann erwarten, dass bestellte militärische Ausrüstungsgüter vertragsgerecht, pünktlich und unter Einhaltung der verabredeten Preise und Qualität geliefert werden.“ 

Schließlich hieß es: 

Zitat:
„Deutschland hat ein elementares Interesse an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.“ 

Umgesetzt werden sollte dies im Rahmen der bestehenden Finanzplanung. Das hieß damals: Bis 2018 waren jedes Jahr zwischen 32 und 33 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingeplant. Heute ist es deutlich mehr. 2017 stehen rund 37 Milliarden zur Verfügung, für 2021 sind sogar 42,4 Milliarden geplant. Aber reichen höhere Ausgaben, um die Ausrüstungs- und Beschaffungsprobleme der Bundeswehr zu lösen? 

Ursula von der Leyen war erst wenige Monate im Amt, da musste sie bereits feststellen, dass ihr Haus bei Beschaffungen erhebliche Fehler gemacht, diese aber oft nicht eingestanden hatte. Im Frühjahr 2014 merkte sie an: 

O-Ton von der Leyen
„Ich stelle allerdings fest, dass dieser Prozess der Klarheit und Transparenz bei Rüstungsvorhaben im Haus noch nicht gelebt wird und deshalb muss ich sowohl strukturelle als auch personelle Veränderungen vornehmen.“ 

Zusammen mit ihrer neuen Staatssekretärin, Katrin Suder, ließ sie etliche große Beschaffungsvorhaben durch externe Berater auf Schwachstellen durchleuchten. Rund 1500 Seiten umfasste der sogenannte KPMG-Bericht und bei seiner Vorstellung räumte Ministerin von der Leyen ein: 

O-Ton von der Leyen
„Handwerkliche Fehler im Verteidigungsministerium, aber auch handwerkliche Fehler auf Seiten der Industrie, die ganz klar benannt werden müssen und politische Einflussnahme und dann kann man aus diesem ganzen Gebräu heraus sehen, dass die Diagnose, wenn auch schmerzhaft, richtig ist und uns auch sehr kostbare Hinweise darauf gibt, wo wir Veränderungen herbeiführen müssen und an diese Arbeit machen wir uns jetzt.“ 

Entdeckt wurden also drei sehr unterschiedliche Problembereiche, die es zu bearbeiten galt: 

  • Mangelnde Transparenz und eine falsche Fehlerkultur haben die Leitung des Ministeriums und das Parlament über entstehende Probleme bei Beschaffungsvorhaben oft lange im Unklaren gelassen.
  • Schlecht ausgehandelte Verträge mit der Industrie bürdeten die Risiken der Beschaffungsprojekte oft einseitig dem Staat auf, nicht aber der Industrie, wenn diese nicht liefern konnte, was sie versprochen hatte.
  • Schließlich hatten politische Eingriffe in die laufende Bundeswehrplanung, zum Beispiel durch die Politik angestoßene Beschaffungsvorhaben, dazu beigetragen, dass falsche Prioritäten gesetzt wurden. 

Ein viertes, ebenfalls politisches Problem blieb dabei unbenannt. Die Aufgaben der Bundeswehr im In- und Ausland sind seit dem Ende des Kalten Krieges immer wieder erweitert worden ohne die Frage zu stellen, ob die deutschen Streitkräfte die dafür notwendigen Fähigkeiten überhaupt erbringen und unterhalten können. 

Problem Nummer eins, die mangelnde Transparenz, ist von Ursula von der Leyen und Katrin Suder angegangen worden. Heute können die Zuständigen für ein Projekt der Leitung des Ministeriums Probleme direkt vortragen. Auch das Parlament fühlt sich durch die regelmäßigen Berichte zum Stand der Beschaffungsprojekte jetzt besser informiert. Dieses „Mehr“ an Transparenz ist jedoch abhängig davon, ob es in der Leitung des Ministeriums Personen gibt, die genau wissen wollen, ob und wo Probleme entstehen. 

Problem Nummer 2 – die schlecht ausgehandelten Verträge. Hier geht es im Kern um die Frage, ob die Industrie bereit ist oder gezwungen werden kann, das zu liefern, was sie bei der Auftragsvergabe versprochen hat. Katrin Suder hat das Gespräch mit dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gesucht. Sie hoffte wohl auf eine Selbstverpflichtung der Industrie, die notwendigen Reformen einzuleiten. Der Verband kann seine Mitgliedsunternehmen aber zu nichts verpflichten. Dem Ministerium blieb nur die Option, auf den Abschluss möglichst wasserdichter Verträge zu setzen. Auch das erwies sich als schwierig. Denn die Industrie verweigert die Unterschrift unter Verträge, bei denen sie die Risiken nicht abschätzen kann oder verlangte hohe Preisaufschläge. Das Ministerium kaufte sich zudem in großem Umfang externen Sachverstand ein, um bessere Verträge abschließen zu können und bestehende Verträge professioneller abwickeln zu können. Die Auftrags- und Vertragsvorbereitung dauern deshalb heute deutlich länger als früher. Zentrale Vorhaben, die eigentlich in dieser Legislaturperiode angestoßen werden sollten, sind deshalb nicht mehr fertig geworden. Dazu gehören beispielsweise das Luftverteidigungssystem MEADS und das Mehrzweckkampfschiff 180. 

Mehr noch: In den letzten beiden Wochen vor der Sommerpause wurden dem Bundestag mehr als zwei Dutzend Vorhaben mit einem Gesamtwert von mehr als 15 Milliarden Euro zur Entscheidung vorgelegt. Auch wenn die Verträge durch die Exekutive und ihre Berater besser vorbereitet worden sein sollten – auf Kosten einer gründlichen parlamentarischen Beratung sollte das nicht gehen. 

Kritik hatten die Berater der KPMG schließlich auch an Eingriffen der Politik in die militärische Bedarfs- und Beschaffungsplanung geübt. Wenn einzelne Politiker oder Fraktionen nicht vorgesehene Großvorhaben aus industrie- oder regionalpolitischen Gründen auf die Tagesordnung setzen und durchdrücken, gerät jede noch so gute Planung aus den Fugen. Zu verhindern, dass so etwas passiert, ist Aufgabe der politischen Leitung des Ministeriums. Daran ist Ursula von der Leyen gescheitert. Denn die Koalitionsfraktionen haben in dieser Legislaturperiode gleich zweimal in die Planung der Bundeswehr eingegriffen. 2015 lancierten sie Projekte, die die Heeresindustrie stärken sollten, zum Beispiel das zweite Los der gepanzerten Transportfahrzeuge vom Typ Boxer. Und im Herbst des vergangenen Jahres setzten die Haushälter Johannes Kahrs und Eckhard Rehberg die Beschaffung von fünf neuen Korvetten für die Marine durch – ein teures Geschenk an die Marineindustrie. Abgeordnete von Regierungsfraktionen rechtfertigen solche Vorstöße oft damit, dass es ihre Aufgabe sei, politisch zu gestalten. Hinter diesem Argument lässt sich die Durchsetzung von Partikularinteressen hervorragend verstecken. 

Wo also stehen wir nach vier Jahren der Reform des Beschaffungswesens? Ursula von der Leyen weiß, dass noch viel zu tun ist. 

O-Ton von der Leyen
„Es wird nicht von heute auf morgen gehen, sondern noch eine ganze Zeit dauern, bis wir einen Zustand erreichen, mit dem wir zufrieden sein können.“ 

Es bleibt also abzuwarten, ob Beschaffungsprojekte der Bundeswehr künftig erfolgreicher verlaufen als bisher. Die Reformbemühungen auf Seiten des Staates können die Probleme, die die Industrie in der Vergangenheit verursacht hat, nicht lösen. Hinzu kommt: Die Beratungsunternehmen haben die Bundeswehr als Großkunden entdeckt. Sie werden sich dieses lukrative Geschäftsfeld erhalten wollen. Da sie sowohl den Staat als auch die Industrie beraten, haben sie auch gute Karten, im Geschäft zu bleiben. Für den Steuerzahler bedeutet das: Beschaffungen für die Bundeswehr werden mit Sicherheit teurer. Ob es gelingt, die Ausstattung der Armee künftig effizienter und besser zu organisieren, bleibt dagegen offen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS