Rüstungsprojekte als Dauerbaustelle
Von der Leyens Reformen ohne Wirkung?
von Otfried Nassauer
Für die Bundeswehr war die Reform des Beschaffungswesens
das vielleicht wichtigste Thema der letzten vier Jahre. Dazu enthielt
der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Jahr 2013 drei zentrale
Aussagen. Erstens hieß es:
Zitat:
„Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen die bestmögliche
Ausrüstung. Dabei steht ihre Sicherheit im Mittelpunkt. Die
Bundeswehr beschafft, was sie braucht und nicht, was ihr angeboten
wird.“
Als Zweites wurde festgehalten:
Zitat:
„Der Staat kann erwarten, dass bestellte militärische
Ausrüstungsgüter vertragsgerecht, pünktlich und unter
Einhaltung der verabredeten Preise und Qualität geliefert
werden.“
Schließlich hieß es:
Zitat:
„Deutschland hat ein elementares Interesse an einer innovativen,
leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und
Verteidigungsindustrie.“
Umgesetzt werden sollte dies im Rahmen der bestehenden
Finanzplanung. Das hieß damals: Bis 2018 waren jedes Jahr
zwischen 32 und 33 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingeplant.
Heute ist es deutlich mehr. 2017 stehen rund 37 Milliarden zur
Verfügung, für 2021 sind sogar 42,4 Milliarden geplant. Aber
reichen höhere Ausgaben, um die Ausrüstungs- und
Beschaffungsprobleme der Bundeswehr zu lösen?
Ursula von der Leyen war erst wenige Monate im Amt, da musste
sie bereits feststellen, dass ihr Haus bei Beschaffungen erhebliche
Fehler gemacht, diese aber oft nicht eingestanden hatte. Im
Frühjahr 2014 merkte sie an:
O-Ton von der Leyen
„Ich stelle allerdings fest, dass dieser Prozess der Klarheit und
Transparenz bei Rüstungsvorhaben im Haus noch nicht gelebt wird
und deshalb muss ich sowohl strukturelle als auch personelle
Veränderungen vornehmen.“
Zusammen mit ihrer neuen Staatssekretärin, Katrin Suder,
ließ sie etliche große Beschaffungsvorhaben durch externe
Berater auf Schwachstellen durchleuchten. Rund 1500 Seiten umfasste der
sogenannte KPMG-Bericht und bei seiner Vorstellung räumte
Ministerin von der Leyen ein:
O-Ton von der Leyen
„Handwerkliche Fehler im Verteidigungsministerium, aber auch
handwerkliche Fehler auf Seiten der Industrie, die ganz klar benannt
werden müssen und politische Einflussnahme und dann kann man aus
diesem ganzen Gebräu heraus sehen, dass die Diagnose, wenn auch
schmerzhaft, richtig ist und uns auch sehr kostbare Hinweise darauf
gibt, wo wir Veränderungen herbeiführen müssen und an
diese Arbeit machen wir uns jetzt.“
Entdeckt wurden also drei sehr unterschiedliche Problembereiche, die es zu bearbeiten galt:
- Mangelnde Transparenz und eine falsche Fehlerkultur haben
die Leitung des Ministeriums und das Parlament über entstehende
Probleme bei Beschaffungsvorhaben oft lange im Unklaren gelassen.
- Schlecht ausgehandelte Verträge mit der Industrie
bürdeten die Risiken der Beschaffungsprojekte oft einseitig dem
Staat auf, nicht aber der Industrie, wenn diese nicht liefern konnte,
was sie versprochen hatte.
- Schließlich hatten politische Eingriffe in die
laufende Bundeswehrplanung, zum Beispiel durch die Politik
angestoßene Beschaffungsvorhaben, dazu beigetragen, dass falsche
Prioritäten gesetzt wurden.
Ein viertes, ebenfalls politisches Problem blieb dabei
unbenannt. Die Aufgaben der Bundeswehr im In- und Ausland sind seit dem
Ende des Kalten Krieges immer wieder erweitert worden ohne die Frage zu
stellen, ob die deutschen Streitkräfte die dafür notwendigen
Fähigkeiten überhaupt erbringen und unterhalten
können.
Problem Nummer eins, die mangelnde Transparenz, ist von Ursula
von der Leyen und Katrin Suder angegangen worden. Heute können die
Zuständigen für ein Projekt der Leitung des Ministeriums
Probleme direkt vortragen. Auch das Parlament fühlt sich durch die
regelmäßigen Berichte zum Stand der Beschaffungsprojekte
jetzt besser informiert. Dieses „Mehr“ an Transparenz ist
jedoch abhängig davon, ob es in der Leitung des Ministeriums
Personen gibt, die genau wissen wollen, ob und wo Probleme
entstehen.
Problem Nummer 2 – die schlecht ausgehandelten
Verträge. Hier geht es im Kern um die Frage, ob die Industrie
bereit ist oder gezwungen werden kann, das zu liefern, was sie bei der
Auftragsvergabe versprochen hat. Katrin Suder hat das Gespräch mit
dem Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie
gesucht. Sie hoffte wohl auf eine Selbstverpflichtung der Industrie,
die notwendigen Reformen einzuleiten. Der Verband kann seine
Mitgliedsunternehmen aber zu nichts verpflichten. Dem Ministerium blieb
nur die Option, auf den Abschluss möglichst wasserdichter
Verträge zu setzen. Auch das erwies sich als schwierig. Denn die
Industrie verweigert die Unterschrift unter Verträge, bei denen
sie die Risiken nicht abschätzen kann oder verlangte hohe
Preisaufschläge. Das Ministerium kaufte sich zudem in großem
Umfang externen Sachverstand ein, um bessere Verträge
abschließen zu können und bestehende Verträge
professioneller abwickeln zu können. Die Auftrags- und
Vertragsvorbereitung dauern deshalb heute deutlich länger als
früher. Zentrale Vorhaben, die eigentlich in dieser
Legislaturperiode angestoßen werden sollten, sind deshalb nicht
mehr fertig geworden. Dazu gehören beispielsweise das
Luftverteidigungssystem MEADS und das Mehrzweckkampfschiff 180.
Mehr noch: In den letzten beiden Wochen vor der Sommerpause
wurden dem Bundestag mehr als zwei Dutzend Vorhaben mit einem
Gesamtwert von mehr als 15 Milliarden Euro zur Entscheidung vorgelegt.
Auch wenn die Verträge durch die Exekutive und ihre Berater besser
vorbereitet worden sein sollten – auf Kosten einer
gründlichen parlamentarischen Beratung sollte das nicht
gehen.
Kritik hatten die Berater der KPMG schließlich auch an
Eingriffen der Politik in die militärische Bedarfs- und
Beschaffungsplanung geübt. Wenn einzelne Politiker oder Fraktionen
nicht vorgesehene Großvorhaben aus industrie- oder
regionalpolitischen Gründen auf die Tagesordnung setzen und
durchdrücken, gerät jede noch so gute Planung aus den Fugen.
Zu verhindern, dass so etwas passiert, ist Aufgabe der politischen
Leitung des Ministeriums. Daran ist Ursula von der Leyen gescheitert.
Denn die Koalitionsfraktionen haben in dieser Legislaturperiode gleich
zweimal in die Planung der Bundeswehr eingegriffen. 2015 lancierten sie
Projekte, die die Heeresindustrie stärken sollten, zum Beispiel
das zweite Los der gepanzerten Transportfahrzeuge vom Typ Boxer. Und im
Herbst des vergangenen Jahres setzten die Haushälter Johannes
Kahrs und Eckhard Rehberg die Beschaffung von fünf neuen Korvetten
für die Marine durch – ein teures Geschenk an die
Marineindustrie. Abgeordnete von Regierungsfraktionen rechtfertigen
solche Vorstöße oft damit, dass es ihre Aufgabe sei,
politisch zu gestalten. Hinter diesem Argument lässt sich die
Durchsetzung von Partikularinteressen hervorragend verstecken.
Wo also stehen wir nach vier Jahren der Reform des
Beschaffungswesens? Ursula von der Leyen weiß, dass noch viel zu
tun ist.
O-Ton von der Leyen
„Es wird nicht von heute auf morgen gehen, sondern noch eine
ganze Zeit dauern, bis wir einen Zustand erreichen, mit dem wir
zufrieden sein können.“
Es bleibt also abzuwarten, ob Beschaffungsprojekte der
Bundeswehr künftig erfolgreicher verlaufen als bisher. Die
Reformbemühungen auf Seiten des Staates können die Probleme,
die die Industrie in der Vergangenheit verursacht hat, nicht
lösen. Hinzu kommt: Die Beratungsunternehmen haben die Bundeswehr
als Großkunden entdeckt. Sie werden sich dieses lukrative
Geschäftsfeld erhalten wollen. Da sie sowohl den Staat als auch
die Industrie beraten, haben sie auch gute Karten, im Geschäft zu
bleiben. Für den Steuerzahler bedeutet das: Beschaffungen für
die Bundeswehr werden mit Sicherheit teurer. Ob es gelingt, die
Ausstattung der Armee künftig effizienter und besser zu
organisieren, bleibt dagegen offen.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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