Streitkräfte und Strategien - NDR info
 10. September 2016


Gescheitertes U-Boot-Geschäft mit Australien
Negativ-Folgen für den geplanten Indien-Deal?

von Otfried Nassauer


Es war ein Paukenschlag. Im April verkündete die australische Regierung, sie werde ihre künftigen U-Boote mit Hilfe des französischen Herstellers DCNS bauen. Mitsubishi aus Japan und der deutsche Weltmarktführer bei konventionellen U-Booten, ThyssenKrupp Marine Systems, hatten das Nachsehen. Australiens Premierminister, Malcolm Turnbull, gab die Entscheidung bekannt:

O-Ton Turnbull (overvoice)
„Unsere künftigen U-Boote, 12 in der Region überlegene U-Boote, werden hier in Osborne, in Südaustralien  gebaut. Sie werden in Partnerschaft mit der französischen Schiffbaufirma DCNS konzipiert. (...). Das französische Angebot war am besten geeignet, um die Bedürfnisse Australiens zu erfüllen.“  

Australien hatte ein riesiges Geschäft ausgeschrieben: Zwölf große nicht-nukleare U-Boote, deren Wartung, Versorgung und Modernisierung über rund 30 Betriebsjahre - das versprach dem Gewinner der Ausschreibung einen Umsatz von mindestens 30, wenn nicht sogar 40 bis 50 Milliarden Dollar und zugleich ein Geschäft mit insgesamt 30-50 Jahren Laufzeit. Zudem ging es um einen technisch sehr anspruchsvollen Auftrag. Australien forderte hochseefähige U-Boote mit einer Verdrängung von 4.000 Tonnen – rund 2.000 Tonnen sind heute üblich.

Bei TKMS in Kiel hatte man sich frühzeitig intensiv auf die Ausschreibung vorbereitet. Eigens wurde ein U-Boot konzipiert, das auf die Bedürfnisse von Pazifikanrainern zugeschnitten war und alle in Deutschland bislang gebauten U-Boote in den Schatten stellte. Mit ihrer neuen Klasse 216 glaubten die Kieler, höchste Ansprüche von Kunden befriedigen zu können, die zwar große U-Boote benötigten, aber die zusätzlichen Kosten und Risiken eines Nuklearantriebs meiden wollten. Die Klasse 216 war etwa 40 Prozent größer als die bislang größten in Kiel gefertigten U-Boote der israelischen Dolphin-2-Klasse. Man hoffte,  einen wettbewerbsentscheidenden Vorteil ausspielen zu können: TKMS konnte als einziger Wettbewerber einen eingeführten und erprobten Brennstoffzellenantrieb vorweisen, der das Boot über Wochen von der Außenluftzufuhr unabhängig macht und somit sehr lange Tauchfahrten ermöglicht. Der Antrieb gilt zugleich als extrem leise. Der einzige offensichtliche Nachteil der Kieler: Ein so großes Boot hatten sie noch nie gebaut. Die Klasse 216 gibt es bisher nur auf dem Papier.

Das war bei den beiden wichtigsten Konkurrenten anders: Mitsubishi bot Aus-tralien seine modernsten Boote der Soryu-Klasse mit einem außenluftunabhängigen Sterling-Antrieb an. Der französische Konkurrent DCNS offerierte eine Variante seines modernsten Atom-U-Bootes der Barracuda-Klasse. Das erste Boot soll in diesem Jahr vom Stapel laufen. Dieses Boot ist größer als in der Ausschreibung gefordert, nutzt die modernste Sonar- und Stealth-Technik der atomaren Variante, wird aber diesel-elektrisch angetrieben. Die Boote des Barracuda-Designs haben keinen traditionellen Antriebspropeller mehr. Sie nutzen stattdessen die besonders leise Düsenringpropellertechnik -  eine Technologie, die sich bei den Atom-U-Booten der USA, Großbritanniens, Russlands und Frankreichs durchgesetzt hat. 

Warum hat ThyssenKrupp Marine Systems den Auftrag nicht bekommen? Hat sich die Bundesregierung nicht ausreichend für TKMS stark gemacht? Wohl kaum, denn nicht nur verschiedene Minister, sondern auch Angela Merkel, die Kanzlerin, haben sich mehrfach für das deutsche Angebot eingesetzt.

Auch stereotype Vorwürfe aus der Rüstungsindustrie, die restriktive deutsche Rüstungsexportpolitik sei Schuld, waren mehr ein Reflex als das Ergebnis gründlicher Analyse. Bundesregierungen aller Couleur haben sich über Jahrzehnte immer wieder für U-Boot-Exporte eingesetzt. Der U-Boot-Bau ist eine Schlüsseltechnologie, die nicht aufgegeben werden soll. 

Was also gab den Ausschlag, dass Frankreich den Zuschlag erhielt? Es waren wohl mehrere Gründe: Die Zeitung „The Australian“ berichtete, das TKMS-Boot sei in bestimmten, für Australien wichtigen Einsatzszenarien deutlich lauter und dadurch leichter aufzuspüren als das französische Boot. Das ist durchaus möglich. Es gibt ja auch etliche Szenarien, in denen atomar angetriebene Boote so laut sind, dass sie durch diesel-elektrische U-Boote erfolgreich bekämpft werden können. Und das, obwohl die Staaten, die atomgetriebene U-Boote nutzen, viel Geld für die moderne Düsenringpropellertechnologie, sowie für leistungsfähige Sonar- und Stealth-Technik ausgeben, um ihre milliardenteuren U-Boote vor Entdeckung und Zerstörung durch viel billigere Waffen zu schützen. 

Frankreich bot Australien eine Kombination aus den Technologien beider Welten an. Die Boote sollen den geforderten diesel-elektrischen Antrieb bekommen und zugleich die teuren Technologien, mit denen Atom-U-Boote vor Entdeckung geschützt oder zumindest in die Lage versetzt werden, einen Angreifer zu entdecken und zu bekämpfen, bevor dieser sie entdecken kann. Das könnte ein Wettbewerbsvorteil des französischen Angebots gewesen sein, entscheidender als die von TKMS angebotene Möglichkeit, mit einem Brennstoffzellenantrieb mehrwöchige Tauchfahrten zu unternehmen. Australien könnte zudem Zweifel gehabt haben, ob TKMS den für ein 4.000 Tonnen-U-Boot notwendigen, leistungsfähigeren Brennstoffzellenantrieb mit bordeigener Wasserstoffherstellung und einer neuen U-Boot-Batterie auf Lithium-Basis rechtzeitig bereitstellen kann.

Hinzu kommt: Es ist riskant, eine neue U-Boot-Klasse als Erstkunde zu betreiben. Sind die Boote, die man kauft, dagegen bereits im Herstellerland eingeführt, so hat das viele Vorteile. Die meisten Kinderkrankheiten sind bereits dort aufgetreten und neue auftretende Probleme können gemeinsam gelöst werden. Das sprach ebenfalls für das französische Angebot. Für die von TKMS  angebotene Klasse 216 wäre Australien der Erstkunde gewesen. 

Zudem haben sich die deutschen U-Boot-Bauer in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert: Wiederholt gab es Probleme mit der Qualität der gelieferten Boote und auch mit der Brennstoffzelle. Versprochene Liefertermine wurden nicht eingehalten. Ausgelieferte Boote waren nicht so oft einsatzbereit wie erwartet und mussten häufiger in die Werft als geplant.

Schließlich könnte auch das französische Angebot zum Technologietransfer und zur Beteiligung australischer Firmen am Bau der Boote die Deutschen ausgestochen haben. Australiens Premier Malcolm Turnbull hob hervor, wie wichtig ihm die industrielle Beteiligung Australiens war:

O-Ton Turnbull (overvoice)
„Das U-Boot-Projekt wird dazu führen, dass australische Arbeiter australische U-Boote aus australischem Stahl bauen.“

Frankreich war bereit, den Technologietransfer durch ein Regierungsabkommen zu garantieren. Bei deutschen U-Boot-Exporten ist das unüblich. Die Technologie wurde überwiegend mit Firmengeldern entwickelt und die Bundesregierung hält daran kein Eigentum.

Zurzeit handeln Australien und das französische Unternehmen DCNS  die Einzelheiten des Beschaffungsvertrages aus. Dass dies zur beiderseitigen Zufriedenheit gelingt, ist wahrscheinlich, aber nicht garantiert. Erfahrungsgemäß steckt der Teufel im Detail. Der geplante Lizenzbau französischer Rafale-Kampfflugzeuge in Indien scheiterte nach jahrelangen Gesprächen noch an solchen Details.

Hinzu kommt jetzt offenbar noch ein ganz anderes Problem: Die Zeitung „The Australian“ berichtete im vergangenen Monat über ein Datenleck im Umfeld  der französischen Werft DCNS. Die Zeitung konnte mehr als 22.000 Seiten mit recht detaillierten Informationen über die Scorpene-U-Boote einsehen, die DCNS derzeit für Indien baut. Auch wenn die Papiere wahrscheinlich nicht in vollem Umfang öffentlich werden, rief dies in Indien und Australien natürlich Zweifel an der Datensicherheit bei dem französischen Schiffbauer DCNS hervor. 

Die Sache ist äußerst heikel. Denn Australien darf für seine U-Boote auch auf geheime britische und vor allem amerikanische Technologie zurückgreifen. Das Führungs- und Waffeneinsatzsystem, also das elektronische Herz der neuen Boote, soll auf US-Technik beruhen. Gewährleistet das französische Unternehmen DCNS den Schutz amerikanischer Geheimnisse in ausreichendem Maß? Australien muss das sicherstellen. Auf diese Notwendigkeit machte Simon Todd, der Leiter der Expertenkommission, die die Regierung in Canberra berät, bereits 2014 aufmerksam:

O-Ton Simon Todd  (overvoice)
„Das heißt, dass die Beschaffungsstrategie, die wir entwickeln, die Sicherheitserfordernisse und die operativen Sachzwänge anerkennen muss, die mit diesen Zugangsprivilegien verbunden sind. Wir müssen aufpassen, dass damit die besonderen Beziehungen zur US-Marine nicht kompromittiert werden.“  

Ein noch größeres Problem mit dem Datenleck hat Indien. Die Informationen betreffen U-Boote für Indien, die gerade im Bau sind. Deshalb will Indien genau wissen, welche Daten jetzt öffentlich kursieren. Ist das Leck eine Gefahr für die Sicherheit der künftigen U-Boote Indiens? Mehr noch: Neu Delhi plant, im kommenden Jahr oder 2018 über die Bestellung und den Bau von sechs weiteren U-Booten zu entscheiden.  Ebenfalls ein Milliarden-Vorhaben. Zu den aussichtsreichsten Bewerbern gehören DCNS, das gerne weitere Scorpene-Boote verkaufen möchte, und TKMS, das U-Boote der Klasse 214 anbietet. Vielleicht profitiert der deutsche U-Boot-Hersteller von diesem Datenskandal. Geht TKMS erneut leer aus, könnte es für den deutschen U-Boot-Bau langfristig eng werden.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS