Vom Traum zum Albtraum?
Das neue Transportflugzeug A400M in der Krise
von Otfried Nassauer
Die Beschaffung eines neuen Transportflugzeugs für die
Bundeswehr steht unter keinem guten Stern. Als Ende 2014 der erste
Airbus vom Typ A400M endlich in Wunsdorf bei Hannover landete, hatte
die Maschine auch eine lange Mängelliste an Bord. Das Flugzeug
entsprach nicht dem technischen Stand, den Airbus der Bundeswehr
vertraglich zugesichert hatte. Verteidigungsministerin Ursula von der
Leyen sah sich gezwungen, auf die übliche Lobpreisung neuer
Spitzentechnik der Bundeswehr zu verzichten. Sie sprach von Problemen:
O-Ton von der Leyen
„Dieser erste A400M ist jetzt zur Ausbildung da. Wir müssen
aber noch viel Arbeit hinter uns bringen. Das wird harte Arbeit sein,
um die Nachbesserungen, die noch nötig sind, zu erfüllen.
Zum Beispiel, dass der A400M auch in der Lage ist, Personal oder
auch Fracht aus der Luft abzusetzen. Und ganz wichtig: Wir brauchen,
einen geschützten A400M. Denn das Flugzeug ist dazu da, vor allem
auch in Krisenregion dieser Welt, Hilfe zu bringen.“
Ein Flugzeug zur Ausbildung, nicht zum Einsatz. In der Tat:
Der A400M konnte zwischen zwei Flugplätzen hin- und herfliegen,
aber die meisten der Fähigkeiten, die ein militärisches
Transportflugzeug ausmachen, hatte er noch nicht. Besserung gab es auch
2015 nicht. Geliefert wurden nur zwei der vertraglich zugesagten
fünf Maschinen für die Bundeswehr. Auch sie entsprachen nicht
dem zugesagten technischen Standard. Erneut gab es weitere Mängel.
Und heute, fast ein halbes Jahr später, steht das
vierte für die Luftwaffe bestimmte Flugzeug in Spanien
– seit Wochen läuft die technische Abnahme. Inzwischen
ist das A400M-Programm, für das erst 2011 ein neuer Zeitplan
für die Auslieferung vereinbart worden ist, schon wieder rund zwei
Jahre im Verzug.
In diesem Jahr wollte Airbus neun Maschinen an Deutschland
übergeben. Auch das wird wohl nichts. Denn bei den bereits
gelieferten Maschinen zeigen sich immer wieder gravierende neue
Probleme. Das dringlichste ist derzeit ein Triebwerksproblem. In den
Getrieben der riesigen Propellertriebwerke können sich schon nach
etwa 200 Flugstunden Metallspäne von den Zahnrädern
lösen. Gelangen sie ins Getriebeöl, droht ein
Triebwerksausfall. Die europäische Zulassungsbehörde EASA hat
deshalb angeordnet, dass für jedes Triebwerk mit mehr als 200
Flugstunden alle 20 Flugstunden eine gründliche
Inspektion notwendig ist. An einen geregelten Ausbildungs- und
Flugbetrieb ist deshalb nicht zu denken.
Die Triebwerksprobleme fallen technisch in die Verantwortung von Avio,
einem Unterauftragnehmer in Italien. Vertragsrechtlich sind sie aber
ein Problem von Airbus, das für den Schaden, die
Verzögerungen und die Ausfälle aufkommen muss. Gegenüber
Bundeswehr und Verteidigungsausschuss tat der Konzern in der
vergangenen Woche so, als wisse er inzwischen, wie man vorgehen kann.
Alle Triebwerke, die mehr als 200 Stunden genutzt wurden, sollen
ausgewechselt werden, um die schadhaften Teile durch etwas besser
haltbare auszutauschen. Man hofft, die europäische
Zulassungsbehörde EASA werde danach nur noch alle 500 Flugstunden
eine Inspektion fordern. Parallel soll nach einer langfristigen
Lösung gesucht werden. Airbus bezeichnete dies zunächst als
„Design Review“, also als Überarbeitung der
Konstruktion des Getriebes und veranschlagte dafür 2-3 Jahre. Kurz
darauf sprach der Konzern von einer Anpassentwicklung und nannte keinen
Zeitbedarf mehr. Endgültig von der EASA gebilligt ist dieses
Vorgehen offenbar noch nicht.
Am Freitag vor Pfingsten dann die nächste Hiobsbotschaft. Die
Bundeswehr berichtete, Airbus habe bestätigt, dass sich im
Mittelrumpfstück des A400M gefährliche Risse bilden
können. Airbus wolle die betroffenen Teile bei künftigen
Wartungsarbeiten austauschen. Was wenig dramatisch klang, ist
äußerst gravierend: Die Teile, die ausgewechselt werden
müssen, sind nämlich „tragende Teile“. Es geht um
Spanten aus Metall im Mittelrumpf des Flugzeugs, an denen die
Tragflächen befestigt sind. Sie müssen die riesigen Druck-
und Zugkräfte aushalten, die die Flügel, an denen ja auch
noch die schweren Triebwerke hängen, auf den Rumpf
übertragen.
Anscheinend kennt Airbus die Schwachstelle im Prinzip schon seit
Jahren. Bereits 2008 berichtete ein Mitarbeiter auf einer Konferenz
über die Suche nach einer geeigneten Abhilfe. Die zunächst
gewählte Lösung hat sich jetzt als unzureichend erwiesen. Die
Risse sind viel früher aufgetreten als erwartet. Airbus spricht
von einem unerwarteten Materialverhalten. Betroffen sind nach den
vorliegenden Informationen die ersten 72 Transportflugzeuge. Viele
davon sind noch in der Produktion. Sollen sie trotz der erkannten
Mängel noch fertiggestellt werden? Wenn nicht, hätte es
deutliche Auswirkungen auf die Auslieferungsplanung für die
Maschinen.
Das gilt auch für die Reparatur. Jeder schadhafte Flieger muss
dafür zunächst noch einmal bis auf sein Grundgerüst
zerlegt und später wieder zusammengebaut werden. Sieben Monate
sind dafür laut Airbus mindestens nötig - bei jedem einzelnen
Flugzeug. Das bindet Personal und Fertigungskapazitäten, die
gleichzeitig für den Bau und die Auslieferung neuer Flugzeuge
benötigt werden. Es drohen also erneut massive Verzögerungen.
Schließlich müssen zusätzlich die
schadhaften Triebwerke ausgetauscht werden. Auch das wird zu
Verzögerungen führen. Denn jedes Triebwerk, das als
Ersatztriebwerk benötigt wird, steht nicht mehr für die
Ausrüstung neuer Flugzeuge zur Verfügung.
Für den Verteidigungs- und Haushaltsexperten der Grünen im
Bundestag, Tobias Lindner, befindet sich das Rüstungsprojekt in
einer Krise:
O-Ton Lindner
„Also ich hab das Programm noch nie in einem so schweren
Fahrwasser gesehen wie im Moment. Es ist völlig unklar, wie viele
Maschinen Deutschland wann erhalten wird und vor allem, was die
können.“
Feste Zusagen über geplante Auslieferungen kann Airbus
derzeit nicht machen. Weder für die Triebwerksprobleme noch
für die Risse im Rumpf des Transportflugzeuges gibt es bereits
Lösungsvorschläge, die endgültig mit den Behörden
abgestimmt sind. Tobias Lindner fordert deshalb zunächst eine
verlässliche Klärung des Sachstands:
O-Ton Lindner
„Natürlich muss der Hersteller Airbus die Karten auf den
Tisch legen, jetzt endlich mal umfassend darstellen, wie groß die
Probleme sind. Andererseits erwarte ich dann auch vom
Verteidigungsministerium, dass man diese Informationen aufnimmt und den
Abgeordneten deutlich sagt: Wo entstehen Fähigkeitslücken und
welche dieser Fähigkeitslücken müssen jetzt
prioritär gefüllt oder gestopft
werden.“
Wenn Airbus nicht rechtzeitig liefern kann, droht der
Bundeswehr tatsächlich eine Fähigkeitslücke beim
Lufttransport. Die zulässige Nutzungsdauer der fast 50 Jahre alten
Transall-Maschinen ist zwar noch einmal verlängert worden. Bis
2021 dürfen sie jetzt noch fliegen. Danach aber ist endgültig
Schluss.
Airbus sollte bis 2020 eigentlich alle für die Luftwaffe
bestimmten A400M-Transporter ausliefern und bis dahin auch noch
fehlende Fähigkeiten wie den Abwurf schwerer Lasten und ein
Selbstschutzsystem nachrüsten. Ob das jetzt überhaupt noch
möglich sein wird, steht derzeit in den Sternen. Außerdem
muss sich die Bundeswehr fragen, ob sie schadhafte
Flugzeuge übernehmen und bezahlen will.
Was also, wenn die Transall 2021 außer Dienst gestellt werden
muss, ohne dass Airbus bis dahin die 40 von der Luftwaffe geplanten
voll einsatzbereiten Transportflugzeuge ausgeliefert hat? Inzwischen
gibt es offenbar erste Überlegungen für einen Plan B. Von
einer Übergangslösung ist in Berlin die Rede, von einem
anderen Transportflugzeug. Zum Beispiel davon, zunächst
kleinere amerikanische Transportmaschinen vom Typ Hercules C-130J zu
kaufen oder zu mieten.
Auch jede andere Lösung ruft Fragen hervor: Welche
Lücke muss dann vorrangig geschlossen werden? Der
Langstreckentransport in die Einsatzländer oder die Fähigkeit
zum Lufttransport in Räume, in denen es auch Kampfhandlungen geben
kann? Welche Verpflichtungen hat die Bundeswehr in der NATO und welche
kann sie zur Stärkung der Ostflanke im Bündnis neu eingehen?
Wie viele und welche Flugzeuge braucht sie dafür? Wann muss man
sich um Personal und Infrastruktur für ein anderes Flugzeug
kümmern? Und was wird das kosten?
Fragen über Fragen. Im Berlin wächst die
Nervosität, weil die Zeit knapp wird, sich rechtzeitig um eine
alternative Lösung zu kümmern. Bis 2021 ist nicht mehr viel
Zeit. Der Traum von einem großen europäischen
Militärtransporter entwickelt sich gerade zu einem großen
Albtraum.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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