Unterstützung für die Rüstungsindustrie? -
Bundesregierung will Schlüsselfähigkeiten
fördern
von Otfried Nassauer
Die wehrtechnische Industrie in Deutschland hat ein Problem. Sie ist zu
groß und gleichzeitig zu klein: Viel zu groß, um
allein von den Aufträgen der Bundeswehr zu leben und deutlich
zu klein, um all das herzustellen, was die Bundeswehr braucht.
Während die Bundeswehr einen Teil ihrer finanziellen Mittel
für Einkäufe im Ausland ausgeben muss, verdient die
deutsche Rüstungsindustrie den Löwenanteil ihres
Geldes in fremden Landen.
Das ist kein neues Phänomen. Schon lange werden die
Kapazitäten der deutschen Rüstungsbetriebe
überwiegend durch den Export ausgelastet. Viele Firmen machen
mehr als 60 Prozent ihres Umsatzes im Ausland, manche sogar mehr. Die
Kapazitäten der wehrtechnischen Industrie in Deutschland sind
überwiegend Exportkapazitäten. Der
Rüstungsexport ist das Standbein, nicht das Spielbein des
Industriezweigs. Besonders gut verkaufen sich gepanzerte Fahrzeuge,
U-Boote, kleinere Kriegsschiffe, Kleinwaffen und hochwertige Bauteile
für im Ausland produzierte Rüstungsgüter.
Waffenexporte sind in vielen Fällen ethisch problematisch und
umstritten. Sie widersprechen häufig offensichtlich der betont
werteorientierten Außenpolitik der Bundesregierung. Deutsche
Kleinwaffen als Öl im Feuer der Kriege dieser Welt? Panzer
für Länder im Mittleren Osten, die schon bald zu
Kriegsparteien werden könnten? Überwachungstechnik
für repressive Regime, die die Menschenrechte mit
Füßen treten? All das kann aus Deutschland nicht
ohne öffentlichen Widerspruch geliefert werden. Das ist gut
so. Viele Rüstungsexporte sind nicht zu rechtfertigen, es sei
denn mit politischen oder finanziellen Eigeninteressen. Sie sollten
also nicht genehmigt werden. Egal, ob das Empfängerland ein
verbündetes Land oder ein sogenannter Drittstaat ist.
Doppelstandards sind ethisch kaum zu rechtfertigen.
In unserem Wirtschaftssystem hat das jedoch ein Problem
zur
Folge. Wachstum ist in der Marktwirtschaft ein entscheidendes
Erfolgskriterium. Auch für die Rüstungsindustrie.
Eingeklemmt
zwischen dem geringeren Bedarf der Bundeswehr und dem Wunsch der
Bevölkerungsmehrheit nach einer möglichst
restriktiven
Rüstungsexportpolitik steckt die wehrtechnische Industrie in
einem
Dilemma: Sie muss wachsen, kann das aber nur dauerhaft, wenn die
Bundeswehr wieder mehr bestellt oder wenn noch mehr exportiert wird.
Das ist kein Entweder – Oder. Langfristig wäre
beides
nötig.
Peter Wilke, ein Hamburger Beratungsunternehmer, hat die
Situation der deutschen Rüstungsindustrie für die
gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Er fasst
seine
Ergebnisse so zusammen:
O-Ton
Wilke
„Die Kernaussage der Studie ist, dass wir in Deutschland
gemessen
an den absehbaren Bedarfen und an dem, was wir als Export
überhaupt politisch legitimieren wollen und können,
im Grunde
Überkapazitäten in der Industrie haben, die sich,
wenn wir
ein bisschen weiterblicken, auch noch doppeln mit Kapazitäten,
die
andere befreundete europäische Staaten haben, so dass es
eigentlich rational wäre, darüber nachzudenken, wie
viel
braucht man eigentlich in Europa und diese Kapazitäten
anzupassen.“
Mehr noch: Die oft beschworene europäische
Alternative
rückt derzeit auch aus einem anderen Grund in
größere
Ferne: Der europäische Rüstungsmarkt mit gemeinsamen
Beschaffungsvorhaben bleibt bisher auf Großvorhaben
beschränkt, die sich kein Staat alleine leisten kann. Die
Hoffnung, dass Kosten gespart werden können, wenn man
gemeinsam
beim besten und günstigsten Anbieter in Europa einkauft,
bleibt
eine Zukunftshoffnung. Die europäische Option leidet zunehmend
unter der Maxime „Breite vor Tiefe“. D.h. die EU
hat immer
mehr Mitglieder aufgenommen und diese driften mit Blick auf ihre
wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Interessen
weiter auseinander. Jeder will große Teile seiner
Rüstungsindustrie möglichst erhalten. Darunter leidet
allerdings das Ziel, die europäische Integration zu vertiefen.
Und
damit die Chance, dass schon bald eine transnationale
europäische
Rüstungsindustrie entsteht.
Der Bundesregierung ist dieses Problem bekannt. Sie
macht sich
schon länger Gedanken um die Zukunft der deutschen
Rüstungsindustrie und die verzögerte Entwicklung in
Europa.
Das Verteidigungsministerium warf deshalb im vergangenen Jahr die Frage
auf, welche Schlüsseltechnologien die deutsche
Wehrtechnik-Industrie künftig beherrschen müsse. Es
forderte
das Wirtschaftsministerium auf, an der Lösung mitzuarbeiten.
Der
Bendler-Block gab zugleich erste Antworten: Man plane, die
Verschlüsselungs- und Informationstechnologie sowie die
Sensorik
und den Bereich der Schutztechnologien künftig
verstärkt zu
fördern. Ganz bewusst offen ließ
Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen, ob gepanzerte Kampffahrzeuge, U-Boote, kleinere
Kriegsschiffe oder Kleinwaffen ebenfalls als
Schlüsseltechnologien
gelten sollen, deren Weiterentwicklung staatlich gefördert
werden
müsse.
Das politische Attentat war leicht zu erkennen. Das
für
Exportgenehmigungen zuständige Wirtschaftministerium wurde vor
die
Frage gestellt, ob es die arbeitsplatzintensiven und
exportabhängigen Systemfirmen, also jene Firmen, die komplette
Waffensysteme für das Heer und die Marine planen und bauen
können, mit einer großzügigen
Genehmigungspraxis
für Exporte unterstützen und so am Leben erhalten
solle.
Anders ausgedrückt lautete das Argument: Die deutsche
U-Boot-Industrie konnte von großzügigen
Exportgenehmigungen
in den vergangenen Jahrzehnten so gut leben, dass sie ihren Status als
Weltmarktführer halten konnte. Das Verteidigungsministerium
musste
kaum Forschungs- und Entwicklungsgelder einsetzen. Geht das nicht auch
bei Kampfpanzern und anderen Gefechtsfahrzeugen?
Inzwischen liegt das Ergebnis der Diskussion zwischen
beiden
Ministerien vor. Es überrascht. Die Stoßrichtung hat
sich
geändert. In dem im Sommer vorgelegten Papier ist nunmehr vom
„Erhalt verteidigungsindustrieller
Schlüsseltechnologien“ die Rede, die sich
– so
wörtlich – „aus dem militärischen
Bedarf der
Bundeswehr, den außen-, sicherheits- und europapolitischen
Interessen, unseren Bündnisverpflichtungen sowie der
Verantwortung
der Bundesrepublik Deutschland“ ableiten.
Im Kern haben sich beide Ministerien offenbar darauf
geeinigt,
dass die deutsche Rüstungsindustrie auch künftig die
Bereiche
Führungssysteme, Aufklärungssysteme, gepanzerte
Plattformen,
U-Boote und Schutztechnologien eigenständig beherrschen und
dabei
wo immer möglich die Fähigkeit behalten soll,
komplette
Waffensysteme zu entwickeln und zu bauen.
Das gemeinsame Strategiepapier fragt nicht mehr, auf
welchen
Technologiefeldern die wehrtechnische Industrie in Deutschland sich
vorrangig weiterentwickeln soll, sondern welche Fähigkeiten
zur
Produktion von Kriegswaffen und Rüstungsgütern auf
nationaler
Ebene erhalten bleiben sollen. Die Ministerien haben ihre
Wünsche
addiert.
Die Konsequenzen sind absehbar: Höhere
nationale
Rüstungsausgaben sollen den notwendigen
Kapazitätsabbau in
der deutschen Rüstungsindustrie vertagen. Absehbar ist aber
auch,
dass dabei wieder neue Kapazitäten entstehen können,
die
über kurz oder lang nur durch zusätzliche
Rüstungsexporte ausgelastet werden können. Zum
Beispiel durch
die Entwicklung leistungsfähiger Drohnen oder weitreichender
Luftabwehrsysteme.
Peter Wilke, der Hamburger Gewerkschaftsberater,
empfiehlt
dagegen, lieber rechtzeitig über eine Anpassung, bzw.
Reduzierung
der Kapazitäten nachzudenken:
O-Ton
Wilke
„Lieber jetzt anpassen, als in ungewollte Anpassungsprozesse
zu laufen, die der Markt fordert.“
Wilke könnte recht haben, denn das
beschäftigungspolitische Umfeld ist derzeit ausgesprochen
günstig: Hochqualifizierte Facharbeiter und Ingenieure, wie
sie in
der Rüstungsindustrie beschäftigt werden, sind
derzeit
Mangelware und in anderen Wirtschaftsbereichen sehr gefragt.
Ansätze, die Rüstungsproduktion auf die Herstellung
ziviler
Güter umzustellen oder vorhandene
Produktionskapazitäten auch
für nicht-militärische Güter zu nutzen,
könnten die
notwendige Umstrukturierung in der Wehrindustrie heute viel leichter
ergänzen, als in den Jahren kurz nach dem Ende des Kalten
Krieges,
als hohe Arbeitslosigkeit herrschte und die Bewältigung der
Folgen
der deutschen Einheit Vorrang hatte. In der Rüstungsbranche
treffen solche Überlegungen jedoch weiterhin auf keine
Gegenliebe.
Dort erwartet man weiterhin, dass die Politik mit Steuergeld und
Exportgenehmigungen zu Hilfe kommt.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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