Streitkräfte und Strategien - NDR info
19. September 2015


Rüstungsexporte – Geht ohne Korruption gar nichts?

von Otfried Nassauer

Rüstungsexporte und Korruption sind oft zwei Seiten einer Medaille. Mehr noch: Sie sind es viel häufiger als man denkt. Diese Erkenntnis ist Joe Roeber zu verdanken, einem verstorbenen Experten von Transparency International, der diesen Zusammenhang vor zehn Jahren erstmals statistisch unterlegte. Andrew Feinstein, ein international anerkannter Experte für Korruption bei Rüstungsgeschäften, erinnerte kürzlich an Roebers Entdeckung: 

O-Ton Feinstein (overvoice)
„Es gelang ihm Statistiken zu erarbeiten, die nie zuvor öffentlich verfügbar waren. Auf der Basis dieser Statistiken kalkulierte er [Roeber] – das gilt für Daten bis Ende 2003 – dass die Korruption bei Rüstungsexportgeschäften rund 40% der Korruption im gesamten Welthandel ausmachte.“ 

Feinstein beschrieb auch, warum vor allem europäische Rüstungsfirmen zu diesem Sachverhalt entscheidend beitragen: 

O-Ton Feinstein (overvoice)
„Weil die USA mehr als ein Drittel aller Waffenkäufe auf der Welt tätigen, können deren Rüstungsfirmen unter Bedingungen produzieren, die man als ‚economies of scale‘ bezeichnet. Sie produzieren mehr, also billiger. Um in dieser Situation konkurrenzfähig zu bleiben, greifen die europäischen Rüstungsfirmen oft zu massiver Bestechung.“ 

Weil die Europäer teurer produzieren. Die wehrtechnische Industrie in Deutschland lebt überwiegend vom Export. Sie macht ihr Geschäft also in einem äußerst korruptionsanfälligen Umfeld. Früher war das für die Industrie kein wirkliches Problem. Bis Ende 1999 war die Bestechung ausländischer Entscheidungsträger in Deutschland nicht strafbar. Mehr noch: Die Zahlungen konnten sogar als Betriebsausgaben von der Steuer abgesetzt werden. Sie galten als „Nützliche Aufwendungen“. 

Jüngere Erkenntnisse zu den deutschen Rüstungsexporten in das hochverschuldete Griechenland zeigen, dass Bestechung bei solchen Geschäften auch dann noch eine zentrale Rolle spielte, als sie längst strafbar geworden war.  

Deutsche Rüstungsfirmen haben in den Jahren 2000 bis 2014 Vertragsabschlüsse mit Athen im Gesamtumfang von rund sechs Milliarden Euro bekannt gegeben. Griechenland war für sie über viele Jahre einer der wichtigsten Märkte. Verkauft wurden in diesem Zeitraum unter anderem 

  • vier U-Boote des Typs 214 durch Ferrostaal und ThyssenKrupp Marine Systems 
  • „Pakete“ zur Modernisierung von drei älteren U-Booten der Klasse 209 
  • 170 Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6 von Krauss Maffei Wegmann 
  • 24 moderne Panzerhaubitzen derselben Firma 
  • 54 mobile Flugabwehrsysteme vom Typ ASRAD von der Bremer Firma STN-Atlas, heute Rheinmetall Defence Electronics und 
  • 20 Hubschrauber des Typs NH90 von Eurocopter, heute Airbus


In den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung stand Griechenland immer wieder auf den vorderen Plätzen. Das Risiko, das dafür eingegangen wurde, war offenbar hoch. Jedes einzelne der genannten Geschäfte steht heute unter Korruptionsverdacht. 

Ein erster Hinweis ergibt sich schon aus der Statistik: Die von der Bundesregierung erteilten Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Griechenland addieren sich im Zeitraum von 2000 bis 2014 nur auf einen Exportwert von etwa 2,4 Milliarden Euro. Das sind deutlich weniger als jene 6 Milliarden Euro, die die Industrie verkündet hatte. 

Ein Teil der Differenz lässt sich erklären. Nicht alle Verträge wurden auch vollständig umgesetzt, andere sind noch nicht ganz abgearbeitet. Steuern und Abgaben erhöhen den Umsatz, stellen aber keinen exportierten Warenwert dar. Das ist allerdings auch bei Provisionszahlungen an Vermittler oder bei Bestechungsgeldern so, die im Ausland an Entscheidungsträger weitergereicht werden. Solche Kosten treiben den Umsatz und den Preis einer Waffe in die Höhe, nicht aber den materiellen Wert der Ware, die exportiert wird. Diese Kostenfaktoren sind enorm gestiegen, seit die Firmen nach dem Verbot sogenannter nützlicher Aufwendungen diese verschleiern müssen. Eine große Diskrepanz zwischen den Vertragswerten und genehmigten Exportwerten kann also auch ein Indiz für Korruption sein. Ähnlich wie überhöhte Preise.
 
Korruption war und ist in Griechenland weit verbreitet. Im Großen wie im Kleinen. Neu ist, dass Bestechung seit dem Siemens-Skandal professioneller verfolgt wird. Zwei neue Sonderstaatsanwaltschaften gehen großen Fällen nach, darunter der Korruption bei Rüstungsgeschäften. Sie kooperieren intensiv mit Staatsanwaltschaften in Deutschland und in der Schweiz. Und sie haben eine Reihe von Kronzeugen gewonnen, die sich ein milderes Urteil erhoffen, wenn sie ihre Beteiligung an Bestechungsvorgängen im Detail offenlegen. Das hat etliche zusätzliche Fälle ins Rollen gebracht. 

Erste Erfolge wurden in Griechenland und in Deutschland sichtbar. Mit Akis Tsoschatzopoulos wurde ein ehemaliger griechischer Verteidigungsminister zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er bei diversen Rüstungskäufen insgesamt eine hohe zweistellige Millionensumme kassierte. Die internationale  Kooperation der Ermittler machte es möglich, die Ferrostaal AG zu dem Eingeständnis zu zwingen, dass der Konzern bei U-Boot-Geschäften mit Griechenland und Portugal mindestens 55 Millionen Euro an Bestechungsgeldern zahlte. Ferrostaal willigte in eine Strafzahlung von 149 Millionen Euro ein. 

Auch Rheinmetall musste einräumen, dass die Bremer Tochter RDE über einen geständigen griechischen Berater Bestechungsgelder in Millionenhöhe gezahlt hatte. Der Konzern akzeptierte eine Strafzahlung in Höhe von 37 Millionen Euro. Gegen Krauss Maffei Wegmann wird weiter ermittelt, weil die Firma beim Verkauf von Leopard-Panzern und Haubitzen bestochen haben soll. Ein ehemaliger Manager soll im Oktober vor Gericht gestellt werden. Auch ThyssenKrupp-Marine Systems kann sich keineswegs sicher sein, ob der Firma nicht noch ein gefährliches Verfahren droht. Die Firma könnte belangt werden, weil sie der Nachfolger von HDW ist und zudem eine frühere Gemeinschaftsfirma von HDW und Ferrostaal übernommen hat. Diese saß in London und hatte viele teure ausländische Berater unter Vertrag genommen, mit deren Hilfe neue U-Boot-Aufträge zum Beispiel in der Türkei und in Südkorea eingeworben wurden. Der Name des Unternehmens lautet Marine Force International - oder kurz: MFI. TKMS will nun eine Untersuchung der Vorgänge einleiten. 

An diesem letzten Beispiel zeigen sich zwei weitere Risiken für die deutsche Industrie. Wer kommt für die noch nicht erfüllten Zahlungsverpflichtungen aus alten Verträgen mit Beratern auf, denen man überhöhte Provisionen zugesagt hat, damit sie Bestechungsgelder weiterleiten? Übernahm MFI diese Verpflichtungen von Ferrostaal und musste Thyssenkrupp Marine Systems sie später von MFI übernehmen? Wie verhalten sich diese Berater, wenn sie noch finanzielle Ansprüche haben? Fordern sie Gelder von dem neuen Eigentümer ein? Drohen sie mit Zivilklagen? Da die fünfjährige Verjährungsfrist für Korruption erst beginnt, wenn der letzte Liefer- und der letzte Zahlungsanspruch aus einem Geschäft abgegolten sind, kann ein solcher Streit die Verjährung um viele Jahre hinauszögern. Für die Firmen ist dies ein erheblicher Risikofaktor.
 
Schließlich stellt sich die Frage, ob die Rüstungsfirmen, auch jene, die bereits einmal erwischt wurden, nur nach außen als reuige Sünder bzw. als gesetzestreue Akteure inszenieren oder ob sie ihre Praxis tatsächlich geändert haben. Da Bestechung in vielen Ländern eine Voraussetzung dafür bleibt, um Waffensysteme verkaufen zu können, kann auch die hohe Abhängigkeit deutscher Rüstungsfirmen vom Export die Versuchung vergrößern , erneut – wenn auch besser versteckt – zu bestechen.  

Was also tun gegen die offenbar allgegenwärtige Korruption im Rüstungshandel? Ein Allheilmittel gibt es nicht. Verschärfungen des Strafrechtes können auch kontraproduktiv wirken. Ein Mafia-ähnliches „Gesetz des Schweigens“ kann entstehen. Freiwillige Verhaltenskodexe in der Industrie helfen wenig, wenn die Verkäufer unter dem Druck stehen, um jeden Preis neue Geschäfte abzuschließen und Wachstum zu generieren. Das Fehlen gleicher Regeln auf internationaler Ebene begrenzt die Wirksamkeit nationalstaatlicher Gesetzgebung. Peter Eigen, der Gründer von Transparency International, plädiert deshalb für einen integrierten Ansatz unterschiedlichster Maßnahmen. 

O-Ton Eigen
„Wir haben uns genau mit diesen Fragen sei 20 Jahren befasst und dabei vor allem festgestellt, dass strafrechtliche Sanktionen eben nur ein Pfeil im Köcher der Waffen gegen die Korruption sind. (...) Es gibt viel viel bessere Sanktionen, zum Beispiel den Ausschluss von Angeboten für Staatsaufträge (...) zum Beispiel Schadensersatzklagen. Es gibt viele andere Elemente eines Integritätssystems.“ 

Eigen dürfte recht haben. Es gilt, den Köcher mit möglichst vielen wirksamen Pfeilen zu füllen. 


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS