Keine Veränderung in der Rüstungsindustrie
Neues Bundeswehr-Beschaffungsmanagement ohne Chance?
von Otfried Nassauer
Die Diagnose liegt seit geraumer Zeit auf dem Tisch. Die
Industrie kann häufig nicht liefern, was sie versprochen hat. Und
das, was sie liefert, steckt immer wieder voller Kinderkrankheiten. Das
verursacht zusätzliche Probleme. Altes Material muss länger
in Dienst gehalten werden als geplant. Die Wartung wird teuer, die
Ersatzteile werden knapp. Die Verfügbarkeit und die
Einsatzbereitschaft leiden. So sieht es auch Ursula von der Leyen. Die
Verteidigungsministerin im vergangenen Jahr im Bundestag:
O-Ton von der Leyen
„Wir sehen einen Stau in der Rüstungsbeschaffung. Das, was
bestellt worden ist, kommt Jahre zu spät und weit überteuert.
Deshalb haben wir die Verpflichtung, mit dem Material, das wir haben,
das bewährt, aber betagt ist, viel länger zu arbeiten. Das
hat zur Folge, dass es bei Wartung, Instandhaltung und
Ersatzteilbeschaffung knirscht.“
Und natürlich hat es auch zur Folge, dass die
Hiobsbotschaften sich häufen. Denn seit der Amtszeit des
früheren Ministers Franz Josef Jung galt im
Verteidigungsministerium über Jahre die Maxime: Fehler gibt es
nicht, Fehler werden nicht gemacht. Auch das gehört zur Diagnose,
die jetzt auf dem Tisch liegt. Von der Leyen weiß, dass sie das
ändern muss. Noch einmal die Ministerin:
O-Ton von der Leyen
„Das heißt, wir müssen auch eine neue Fehlerkultur
entwickeln, eine Fehlerkultur, in der es in Ordnung ist, zu sagen: Da
ist ein Risiko. ‚Wir haben hier einen Fehler gemacht‘,
frühzeitig, um dann auch gegensteuern zu können. Das ist
bisher keine Selbstverständlichkeit.“
Seit Monaten wühlen sich von der Leyen und ihre
Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder durch das Dickicht der
Probleme des Beschaffungswesens. Vertrags- und Projektmanagement,
Controlling, Personalansätze – das sind nur einige der
Themen, die bearbeitet werden. Zudem gilt es zu analysieren, welchen
Anteil die drei großen Akteure des Beschaffungswesens jeweils an
den gegenwärtigen Problemen haben: Also den Anteil des
Militärs, das als Nutzer technische Lösungen mit Goldrand
fordert. Den Anteil der zivilen Beschaffungsbürokratie der
Bundeswehr, die für die Vertragsaushandlung, das Projektmanagement
und die Qualitätskontrolle zuständig ist. Und es geht um den
Anteil der Industrie, die natürlich verspricht, das Beste vom
Besten zu liefern, um an lukrative Aufträge zu kommen.
Staatssekretärin Katrin Suder beschrieb ihre ersten
Erfahrungen kürzlich in einem Film der ARD am Beispiel eines der
Probleme mit dem neuen Transporthubschrauber:
O-Ton Suder
„Der NH90 fliegt nicht, weil ein Knopf nicht funktioniert und
weil wir 18 oder 14 Monate gebraucht haben, um rauszufinden, dass ein
Knopf ein Problem ist. Das ist schmerzhaft, extrem schmerzhaft. Also
warum wussten wir das nicht vorher? Warum kann das nicht so sein? Was
ist die Lösung? Wie kriegen wir die [Hubschrauber] wieder in die
Luft? Das ist natürlich schmerzhaft.“
Ursula von der Leyen entschloss sich früh, externe
Berater unter Führung der Unternehmensberatungsfirma KPMG zu
beauftragen, die Beschaffungsprobleme der Bundeswehr an konkreten
Beispielen zu untersuchen. Die Berater lieferten ein detailliertes
Gutachten. Auf 1.500 Seiten analysieren sie die Schwachstellen von neun
großen Beschaffungsvorhaben und geben konkrete Empfehlungen ab.
Doch eines ist auffällig: Aufgabe der Berater war es nur, die
Schwächen der militärischen und der zivilen
Beschaffungsbürokratie zu untersuchen. Zu ihrem Auftrag
gehörte es nicht, auch den dritten wichtigen Akteur kritisch unter
die Lupe zu nehmen: Die Industrie. Dabei trägt die
Rüstungsindustrie einen erheblichen Teil der Verantwortung
dafür, dass neue Waffensysteme bei der Bundeswehr meist zu
spät, zu teuer und schlechter als versprochen ausgeliefert
werden.
Anfang des Jahres hat ein Dialogprozess zwischen
Verteidigungsministerium und wehrtechnischer Industrie begonnen, der
den Reformprozess des Beschaffungswesens beratend begleiten soll. In
vier Gesprächsrunden zwischen Industrie, Bundeswehr und ziviler
Beschaffungsbürokratie sollen bis zum Sommer Empfehlungen
erarbeitet werden, wie die Rüstungsvorhaben der Bundeswehr
effizienter und erfolgreicher gestaltet werden können. Erstaunlich
ist allerdings: Keine der Gesprächsrunden befasst sich mit der
zentralen Frage, welche Veränderungen und Verbesserungen in der
Industrie notwendig sind und welchen Beitrag die Hersteller dabei
leisten könnten.
Das überrascht. Denn es ist ja nicht zu leugnen, dass
unzureichende Entwicklungsleistungen, mangelnde Vertragstreue,
zeitliche Verzögerungen und finanzielle Nachforderungen seitens
der Industrie zu den wesentlichen Ursachen der Probleme im
Beschaffungswesen zählen. Man hat den Eindruck, das
Verteidigungsministerium erwarte von der Industrie, dass diese ihren
Anteil an den Problemen selbst identifiziert und löst.
Ein solches Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des
Marktes grenzt in unverantwortlicher Weise an pures Gottvertrauen.
Unter den Anbietern auf dem „Markt“ für
Verteidigungsgüter gibt es auf nationaler Ebene kaum noch
Konkurrenz. Die Rüstungsunternehmen sehen daher wenig Anlass, Geld
auszugeben, um besser zu werden. Sie sehen auch keinen Grund,
größere finanzielle Risiken einzugehen oder für die
Folgen zu haften, wenn sie Verträge nicht einhalten können
und verspätet oder schlechter liefern. Vertragsstrafen sind nur in
kleinem Umfang oder gar nicht durchsetzbar. Der Staat kann zwar
theoretisch damit drohen, im Ausland zu kaufen. Das aber kann auch
bedeuten, dass es dann künftig keinen nationalen Anbieter für
bestimmte Technologien mehr geben wird.
Deshalb ist die Rüstungsindustrie in einer recht
komfortablen Situation. Die Unternehmen können hoffen, dass der
staatliche Auftraggeber sie dafür bezahlt, dass sie die Probleme
lösen, die im Verantwortungsbereich der Industrie liegen.
Die Politik verstärkt diese Erwartungshaltung der
Industrie: Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen sind offenbar
beseelt davon, endlich wieder einmal neue Großvorhaben für
die Bundeswehr auf den Weg zu bringen. Sie möchten noch in diesem
Jahr die Großdrohne Euro Hawk wiederbeleben, die Entwicklung
eines künftigen Luftverteidigungssystems in Auftrag geben,
über die Anschaffung bewaffneter Drohnen entscheiden und
möglichst bald zusätzliche Transportpanzer vom Typ Boxer
bestellen.
Auch Ursula von der Leyen signalisiert, dass mehr Geld und
neue Aufträge die Probleme bei der Bundeswehr lösen sollen.
Vor dem Bundestag erklärte sie:
O-Ton von der Leyen
„Wir haben die Möglichkeit, 1,8 Milliarden Euro mehr in die
Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten zu investieren. Das ist
ein Riesenschritt voran, und wir werden jetzt auch mutig die richtigen
Entscheidungen treffen.“
Die richtigen Entscheidungen? Die KPMG-Unternehmensberater
empfahlen beispielsweise, die Beschaffung der neuen Panzerabwehrrakete
PARS 3LR für den Kampfhubschrauber Tiger wegen „nicht
vorhandener Produktreife“ abzubrechen. Die Rakete sei
„nicht lieferbar“, sie weise „eine mangelnde
Treffsicherheit unter Einsatzbedingungen“ auf und bedürfe
einer Nachentwicklung von „circa 2 Jahren“. Doch deren
Erfolg sei zweifelhaft, da das Aufwuchspotential des Suchkopfs“
bereits „ausgeschöpft“ sei. Das Rüstungsboard des
Ministeriums beschloss kürzlich, trotzdem an der Beschaffung
festzuhalten. Der Lenkflugkörper habe „die vertraglich
vereinbarte Leistungsfähigkeit“ nachgewiesen, so das
Argument. Der Vorschlag der KPMG führe „zu finanziellen
Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe für die
Bundeswehr“ und dazu, dass eine Fähigkeitslücke einige
Jahre länger bestehe. Eine eigenartige Begründung.
Acht Milliarden Euro soll die Bundeswehr in den nächsten
fünf Jahren zusätzlich bekommen. So hat es die
Bundesregierung bei der Verabschiedung der Eckpunkte für den
Haushalt 2016 beschlossen. Ein weiterer Nachschlag ist bei der
Aufstellung des Haushalts 2017 zu erwarten. Es sollen also erheblich
mehr Steuergelder bereitgestellt werden, um die Bundeswehr zu sanieren
und der Industrie mit neuen Aufträgen zu helfen. Eine Garantie,
dass die Rüstungsindustrie künftig rechtzeitig, im Rahmen der
Kostenplanung das liefert, was sie versprochen hat, ist damit nicht
verbunden. Es wird teurer, aber wohl kaum besser.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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