Streitkräfte und Strategien - NDR info
04. April 2015


Keine Veränderung in der Rüstungsindustrie
Neues Bundeswehr-Beschaffungsmanagement ohne Chance?

von Otfried Nassauer

Die Diagnose liegt seit geraumer Zeit auf dem Tisch. Die Industrie kann häufig nicht liefern, was sie versprochen hat. Und das, was sie liefert, steckt immer wieder voller Kinderkrankheiten. Das verursacht zusätzliche Probleme. Altes Material muss länger in Dienst gehalten werden als geplant. Die Wartung wird teuer, die Ersatzteile werden knapp. Die Verfügbarkeit und die Einsatzbereitschaft leiden. So sieht es auch Ursula von der Leyen. Die Verteidigungsministerin im vergangenen Jahr im Bundestag: 

O-Ton von der Leyen
„Wir sehen einen Stau in der Rüstungsbeschaffung. Das, was bestellt worden ist, kommt Jahre zu spät und weit überteuert. Deshalb haben wir die Verpflichtung, mit dem Material, das wir haben, das bewährt, aber betagt ist, viel länger zu arbeiten. Das hat zur Folge, dass es bei Wartung, Instandhaltung und Ersatzteilbeschaffung knirscht.“ 

Und natürlich hat es auch zur Folge, dass die Hiobsbotschaften sich häufen. Denn seit der Amtszeit des früheren Ministers Franz Josef Jung galt im Verteidigungsministerium über Jahre die Maxime: Fehler gibt es nicht, Fehler werden nicht gemacht. Auch das gehört zur Diagnose, die jetzt auf dem Tisch liegt. Von der Leyen weiß, dass sie das ändern muss. Noch einmal die Ministerin: 

O-Ton von der Leyen 
„Das heißt, wir müssen auch eine neue Fehlerkultur entwickeln, eine Fehlerkultur, in der es in Ordnung ist, zu sagen: Da ist ein Risiko. ‚Wir haben hier einen Fehler gemacht‘, frühzeitig, um dann auch gegensteuern zu können. Das ist bisher keine Selbstverständlichkeit.“ 

Seit Monaten wühlen sich von der Leyen und ihre Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder durch das Dickicht der Probleme des Beschaffungswesens. Vertrags- und Projektmanagement, Controlling, Personalansätze – das sind nur einige der Themen, die bearbeitet werden. Zudem gilt es zu analysieren, welchen Anteil die drei großen Akteure des Beschaffungswesens jeweils an den gegenwärtigen Problemen haben: Also den Anteil des Militärs, das als Nutzer technische Lösungen mit Goldrand fordert. Den Anteil der zivilen Beschaffungsbürokratie der Bundeswehr, die für die Vertragsaushandlung, das Projektmanagement und die Qualitätskontrolle zuständig ist. Und es geht um den Anteil der Industrie, die natürlich verspricht, das Beste vom Besten zu liefern, um an lukrative Aufträge zu kommen. 

Staatssekretärin Katrin Suder beschrieb ihre ersten Erfahrungen kürzlich in einem Film der ARD am Beispiel eines der Probleme mit dem neuen Transporthubschrauber: 

O-Ton Suder
„Der NH90 fliegt nicht, weil ein Knopf nicht funktioniert und weil wir 18 oder 14 Monate gebraucht haben, um rauszufinden, dass ein Knopf ein Problem ist. Das ist schmerzhaft, extrem schmerzhaft. Also warum wussten wir das nicht vorher? Warum kann das nicht so sein? Was ist die Lösung? Wie kriegen wir die [Hubschrauber] wieder in die Luft? Das ist natürlich schmerzhaft.“ 

Ursula von der Leyen entschloss sich früh, externe Berater unter Führung der Unternehmensberatungsfirma KPMG zu beauftragen, die Beschaffungsprobleme der Bundeswehr an konkreten Beispielen zu untersuchen. Die Berater lieferten ein detailliertes Gutachten. Auf 1.500 Seiten analysieren sie die Schwachstellen von neun großen Beschaffungsvorhaben und geben konkrete Empfehlungen ab. Doch eines ist auffällig: Aufgabe der Berater war es nur, die Schwächen der militärischen und der zivilen Beschaffungsbürokratie zu untersuchen. Zu ihrem Auftrag gehörte es nicht, auch den dritten wichtigen Akteur kritisch unter die Lupe zu nehmen: Die Industrie. Dabei trägt die Rüstungsindustrie einen erheblichen Teil der Verantwortung dafür, dass neue Waffensysteme bei der Bundeswehr meist zu spät, zu teuer und schlechter als versprochen ausgeliefert werden. 

Anfang des Jahres hat ein Dialogprozess zwischen Verteidigungsministerium und wehrtechnischer Industrie begonnen, der den Reformprozess des Beschaffungswesens beratend begleiten soll. In vier Gesprächsrunden zwischen Industrie, Bundeswehr und ziviler Beschaffungsbürokratie sollen bis zum Sommer Empfehlungen erarbeitet werden, wie die Rüstungsvorhaben der Bundeswehr effizienter und erfolgreicher gestaltet werden können. Erstaunlich ist allerdings: Keine der Gesprächsrunden befasst sich mit der zentralen Frage, welche Veränderungen und Verbesserungen in der Industrie notwendig sind und welchen Beitrag die Hersteller dabei leisten könnten. 

Das überrascht. Denn es ist ja nicht zu leugnen, dass unzureichende Entwicklungsleistungen, mangelnde Vertragstreue, zeitliche Verzögerungen und finanzielle Nachforderungen seitens der Industrie zu den wesentlichen Ursachen der Probleme im Beschaffungswesen zählen. Man hat den Eindruck, das Verteidigungsministerium erwarte von der Industrie, dass diese ihren Anteil an den Problemen selbst identifiziert und löst. 

Ein solches Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes grenzt in unverantwortlicher Weise an pures Gottvertrauen. Unter den Anbietern auf dem „Markt“ für Verteidigungsgüter gibt es auf nationaler Ebene kaum noch Konkurrenz. Die Rüstungsunternehmen sehen daher wenig Anlass, Geld auszugeben, um besser zu werden. Sie sehen auch keinen Grund, größere finanzielle Risiken einzugehen oder für die Folgen zu haften, wenn sie Verträge nicht einhalten können und verspätet oder schlechter liefern. Vertragsstrafen sind nur in kleinem Umfang oder gar nicht durchsetzbar. Der Staat kann zwar theoretisch damit drohen, im Ausland zu kaufen. Das aber kann auch bedeuten, dass es dann künftig keinen nationalen Anbieter für bestimmte Technologien mehr geben wird. 

Deshalb ist die Rüstungsindustrie in einer recht komfortablen Situation. Die Unternehmen können hoffen, dass der staatliche Auftraggeber sie dafür bezahlt, dass sie die Probleme lösen, die im Verantwortungsbereich der Industrie liegen.

Die Politik verstärkt diese Erwartungshaltung der Industrie: Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen sind offenbar beseelt davon, endlich wieder einmal neue Großvorhaben für die Bundeswehr auf den Weg zu bringen. Sie möchten noch in diesem Jahr die Großdrohne Euro Hawk wiederbeleben, die Entwicklung eines künftigen Luftverteidigungssystems in Auftrag geben, über die Anschaffung bewaffneter Drohnen entscheiden und möglichst bald zusätzliche Transportpanzer vom Typ Boxer bestellen. 

Auch Ursula von der Leyen signalisiert, dass mehr Geld und neue Aufträge die Probleme bei der Bundeswehr lösen sollen. Vor dem Bundestag erklärte sie: 

O-Ton von der Leyen
„Wir haben die Möglichkeit, 1,8 Milliarden Euro mehr in die Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten zu investieren. Das ist ein Riesenschritt voran, und wir werden jetzt auch mutig die richtigen Entscheidungen treffen.“ 

Die richtigen Entscheidungen? Die KPMG-Unternehmensberater empfahlen beispielsweise, die Beschaffung der neuen Panzerabwehrrakete PARS 3LR für den Kampfhubschrauber Tiger wegen „nicht vorhandener Produktreife“ abzubrechen. Die Rakete sei „nicht lieferbar“, sie weise „eine mangelnde Treffsicherheit unter Einsatzbedingungen“ auf und bedürfe einer Nachentwicklung von „circa 2 Jahren“. Doch deren Erfolg sei zweifelhaft, da das Aufwuchspotential des Suchkopfs“ bereits „ausgeschöpft“ sei. Das Rüstungsboard des Ministeriums beschloss kürzlich, trotzdem an der Beschaffung festzuhalten. Der Lenkflugkörper habe „die vertraglich vereinbarte Leistungsfähigkeit“ nachgewiesen, so das Argument. Der Vorschlag der KPMG führe „zu finanziellen Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe für die Bundeswehr“ und dazu, dass eine Fähigkeitslücke einige Jahre länger bestehe. Eine eigenartige Begründung. 

Acht Milliarden Euro soll die Bundeswehr in den nächsten fünf Jahren zusätzlich bekommen. So hat es die Bundesregierung bei der Verabschiedung der Eckpunkte für den Haushalt 2016 beschlossen. Ein weiterer Nachschlag ist bei der Aufstellung des Haushalts 2017 zu erwarten. Es sollen also erheblich mehr Steuergelder bereitgestellt werden, um die Bundeswehr zu sanieren und der Industrie mit neuen Aufträgen zu helfen. Eine Garantie, dass die Rüstungsindustrie künftig rechtzeitig, im Rahmen der Kostenplanung das liefert, was sie versprochen hat, ist damit nicht verbunden. Es wird teurer, aber wohl kaum besser. 


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS