Ukraine-Krise – Streit über weiteren Umgang mit
Moskau
von Otfried Nassauer
Anfang Februar: Kurz vor der Münchener
Sicherheitskonferenz werden die Themen gesetzt. Bundeskanzlerin Angela
Merkel und der französische Präsident Francois Hollande
verhandeln mit Hochdruck über einen neuen Waffenstillstand in der
Ukraine. Ob sie Erfolg haben werden, ist noch ungewiss. Eine Meldung
aus Washington platzt dazwischen. Acht ehemals hochrangige Mitarbeiter
der US-Regierung fordern in einem gemeinsamen Papier des Chicago
Council on Global Affairs, der Ukraine künftig auch tödliche
Waffen zu liefern. Das Thema führt zu einer Kontroverse unter den
westlichen Ländern in München.
Angela Merkel hält Waffenlieferungen für kontraproduktiv. Sie äußert sich ungewöhnlich deutlich:
O-Ton Merkel
„Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Konflikt nicht
militärisch gelöst wird (...) Ich glaube nicht, dass die
Fortschritte, die die Ukraine braucht, durch noch mehr Waffen erreicht
werden (...) Das Problem ist, dass ich mir keine Situation vorstellen
kann, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee
dazu führt, dass Präsident Putin so beeindruckt ist, dass er
glaubt, militärisch zu verlieren.“
Merkel setzt auf eine Kombination aus Sanktionen, Diplomatie
und Geduld. US-Senatoren wie der Republikaner John McCain kritisieren
sie und argumentieren:
O-Ton McCain (overvoice)
„Wenn wir den Ukrainern helfen, die Kosten für die
russischen Militärs zu erhöhen, die in ihr Land eingefallen
sind, wie lange kann Putin dann einen Krieg weiterführen, von dem
er seiner Bevölkerung erzählt, dass der gar nicht
stattfindet? Das ist der Grund dafür, dass wir der Ukraine
defensive Waffen geben müssen.“
Die Kontroverse kennzeichnet einen grundlegenden Konflikt in
der NATO, der seit einiger Zeit immer deutlicher sichtbar wird.
Washington und mit ihm London, Warschau, die baltischen Staaten,
Rumänien und Bulgarien wollen die Krise in der Ukraine nicht nur
nutzen, um die Rolle der NATO als Verteidigungsbündnis gegen
Russland zu stärken, sondern auch dazu, die Ukraine in das
westliche Lager zu integrieren. Es gehe um Sicherheit vor Russland.
Anders ist die Interessenslage im westlichen und
südlichen Europa. Dafür stehen Länder wie Deutschland
und Frankreich. Sie glauben, dass es Sicherheit und Stabilität in
Europa nicht ohne oder gar gegen Russland geben kann. Stabile
Sicherheitsstrukturen seien nur möglich, wenn Russlands
berechtigte Interessen berücksichtigt werden.
Das gilt trotz aller Kritik an Moskaus Verhalten in der
Ukraine-Krise auch weiterhin. Denn längerfristig überwiegen
die Interessen an einem kooperativen Verhältnis zu Russland.
Westeuropa benötigt russische Rohstoffe und den russischen Markt.
Moskau braucht westliches Kapital und westliche Technologie. Ein
gewisses Mindestmaß an stabiler Partnerschaft mit Russland ist
deshalb unverzichtbar.
Russland auszugrenzen und gegen seinen Willen aus der Ukraine
hinauszudrängen macht keinen Sinn. Das kann keine dauerhaft
stabile Lösung sein. Russland muss deshalb in der Ukraine-Krise
ein politischer Ausweg ohne Gesichtsverlust aufgezeigt werden.
Doch das ist nicht ganz so einfach. Die USA und jene
NATO-Länder, die Russland aus einer Position der Stärke
heraus Grenzen aufzeigen wollen, können die Suche nach einem
solchen Ausweg durch Nadelstiche gegen Russland erschweren.
Washington entsendet zum Beispiel über die
Beschlüsse der NATO hinaus weitere Truppen nach Mittel- und
Osteuropa. Gepanzerte Fahrzeuge aus den USA nehmen an einer Parade in
Estland teil und passieren in Sichtweite einen Grenzübergang zu
Russland. 200 gepanzerte Fahrzeuge erreichen das Baltikum, um dort
für mehrere Monate bei Manövern eingesetzt zu werden.
Nationale US-Verstärkungen gibt es auch in Rumänien und
Bulgarien.
Konfrontative Signale senden auch andere: Polen hat Washington
gefragt, ob die USA Warschau weitreichende Marschflugkörper vom
Typ Tomahawk für U-Boote liefern würden. Mehrere neue
Mitglieder haben signalisiert, dass sie bereit wären, Atomwaffen
der USA auf ihrem Boden zu stationieren. Russland empfindet solche
Maßnahmen bekanntlich als bedrohlich, weil es sich vor einer
militärischen Einkreisung fürchtet. In der Neufassung seiner
Militärdoktrin beschrieb Moskau Anfang des Jahres, was in Moskau
als besonders bedrohlich empfunden wird. Genannt werden dort u.a.
– Zitat -
Zitat
„die Verstärkung des Machtpotenzials der NATO durch globale
Funktionen, die unter Verletzung der Normen des Völkerrechtes
umgesetzt werden, sowie das Heranrücken der
militärischen Infrastruktur der NATO-Mitgliedstaaten an die
Grenzen der Russischen Föderation, darunter durch die Erweiterung
des Blocks.“
und
Zitat
„die Entfaltung und Verstärkung militärischer
Kontingente ausländischer Staaten (bzw. Staatengruppen) auf
Territorien der Staaten, die an die Russische Föderation und
an mit ihr verbündete Staaten angrenzen, oder in
anliegenden Gewässern (...).“
Wenn die USA Truppen in etliche der Länder zwischen
Ostsee und Schwarzem Meer entsenden, dann führt das zu drei
verschiedenen Interpretationen: Die USA und die neuen
NATO-Mitgliedstaaten sehen darin ein Zeichen, dass Washington zu seinen
Bündnispflichten steht und bereit ist, einen Cordon Sanitaire
gegen die aggressive Politik Moskaus zu errichten. Russland dagegen
betrachtet die Truppenentsendung als Provokation und Bestätigung,
dass der Westen aggressive Absichten hegt. Und Westeuropäer wie
Deutschland oder Frankreich befürchten, dass ihre Bemühungen
um eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise ebenso torpediert
werden könnten, wie ihr langfristiges Interesse an kooperativen
Beziehungen zu Moskau.
George Friedman, der Gründer des einflussreichen privaten
Geheimdienst-Dienstleisters Stratfor, beschrieb in der vergangenen
Woche vor dem Chicago Council on Global Affairs die unvereinbaren
Sichtweisen Moskaus und Washingtons:
George Friedman (overvoice)
„Die USA haben ihre Karten bereits auf den Tisch gelegt. Es ist
die Linie vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Die Karten der Russen
liegen schon lange auf dem Tisch. Sie brauchen eine mindestens neutrale
Ukraine – keine prowestliche.“
Diese Konstellation bringt für die Bundesregierung
Probleme mit sich. Die USA erwarten Unterstützung von ihrem
Bündnispartner in Berlin. Russland hofft dagegen weiter, dass
Deutschland eine Integration der Ukraine in den Westen ablehnt.
Die deutsch-französischen Vermittlungsbemühungen stehen vor
einem zusätzlichen Problem. Nach dem Ende des Kalten Krieges
fehlte dem Westen der politische Wille, eine Sicherheitsarchitektur
aufzubauen, die Russland und Moskaus berechtigte Interessen in die
wesentlichen Entscheidungen europäischer Sicherheit einbezieht.
Das rächt sich heute. Es gibt neben der OSZE keine Institution
mehr, in der sich Russland einbringen kann. Es fehlt deshalb an einem
effektiven Instrumentarium, um Krisen wie in der Ukraine rechtzeitig
und kooperativ zu lösen.
Deutschland übernimmt im kommenden Jahr den
Vorsitz in der OSZE. Die Bundesregierung will die Gelegenheit deshalb
nutzen, um diese Organisation wieder zu beleben. Angela Merkel deutete
das auf der Münchner Sicherheitskonferenz bereits an:
O-Ton Merkel
„Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, die Instrumente
kooperativer Sicherheit in Europa wieder herzustellen und sie zu
stärken. Hierbei kommt der OSZE eine besondere Rolle zu. Als ein
Forum für Dialog und Vertrauensbildung in Europa hat die OSZE im
letzten Jahr ihre Werte nachdrücklich unter Beweis gestellt. (...)
Wir wollen das gemeinsame Verständnis für diese Prinzipien
erneuern, die dafür stehen, dass Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa am Ende nur durch Dialog, Kooperation und Vertrauensbildung
möglich sind.“
Der Ansatz ist richtig. Aber reicht er aus? Er könnte zu
eng sein. Russland will einen europäischen Tisch, an dem niemand
Moskaus Interessen übergehen kann. Manch einer im Westen will
keinen solchen Tisch. Es bedarf also wahrscheinlich eines umfassenderen
Ansatzes. Eines Ansatzes der, ähnlich wie die Ostpolitik der
Ära Brandt, die Spielregeln deutlich verändert. Es ist
notwendig, über eine kooperative neue Entspannungs- und Ostpolitik
nachzudenken.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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