Rüstungsbeschaffung – Bleibt doch alles beim Alten?
von Otfried Nassauer
Eines ist klar: Das Beschaffungswesen der Bundeswehr hat
ein Problem. Immer noch und immer wieder. Vom Schützenpanzer
HS 30 und dem Starfighter bis zum Eurofighter und dem Puma der
Gegenwart. Noch immer gilt, worüber sich Helmut
Schmidt bereits als Verteidigungsminister 1971 mokierte, als er eine
grundlegende Neuordnung des Rüstungsbereichs anordnete und
feststellte. Zitat:
Zitat Helmut Schmidt
„Bei einer Reihe von Rüstungsprojekten der
Vergangenheit waren erhebliche Verzögerungen, unangenehme
Kostensteigerungen und beachtliche technische Fehlleistungen
aufgetreten.“
Immer das gleiche Bild: Vor dem Vertragsabschluss verspricht die
Industrie das Blaue vom Himmel und liefert danach in schöner
Regelmäßigkeit zu spät, zu teuer und zu
schlecht. Der schwarze Peter landet nicht bei den Schuldigen, sondern
verschwindet unauffindbar im Bermudadreieck der Beteiligten, also
zwischen Industrie, Bundeswehr und ziviler
Beschaffungsbürokratie.
Es scheint, als wolle Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den
Stier bei den Hörnern packen: Noch nicht einmal drei Monate im
Amt, da hatte die neue Ministerin bereits alle für die
Rüstungsbeschaffung verantwortlichen Top- Beamten entlassen.
Sie billigte keinen der vorgelegten Sachstandsberichte zu
großen Rüstungsprojekten. Die Begründung
ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig. Zitat:
Zitat von der Leyen
„Viele Großprojekte halten weder Zeit- noch
Finanzrahmen ein. (...) Das ist kein haltbarer Zustand.“
Der Zustand ist in der Tat unhaltbar. Über 30 Prozent der
für 2013 vorgesehenen Beschaffungsausgaben von 5,1
Milliarden Euro konnten nicht ausgegeben werden. Allein eine
Milliarde für den Eurofighter.
Außerdem jeweils dreistellige Millionenbeträge
für das Transportflugzeug A400M, die Hubschrauber NH90 und
Tiger sowie für den Schützenpanzer Puma.
Teilbeträge wurden notdürftig zur
Verstärkung von Forschung und Entwicklung umgebucht, aber der
größte Teil des bereitgestellten Geldes konnte
einfach nicht abfließen. Die Ursachen waren unterschiedlich:
Die Industrie konnte nicht zeitgerecht liefern. Änderungen bei
den Beschaffungsprogrammen wurden notwendig. Oder es gab technische
Probleme. Der Schützenpanzer Puma wurde beispielsweise wegen
Mängel von der Bundeswehr nicht abgenommen und konnte nicht
wie geplant in Serie gehen. Ursula von der Leyen räumte das in
der Haushaltsdebatte in der vergangenen Woche ein. Zugleich
verharmloste sie aber auch die Schwierigkeiten:
O-Ton von der Leyen
„Das bedeutet – das Komplexe, was ich eben gesagt
habe, vielleicht etwas einfacher –: Wir sparen
sozusagen heute für
morgen aufgrund der einmaligen
Verzögerungen, die gestern stattgefunden haben.“
Mit anderen Worten: Die Verteidigungsministerin weiß, dass
die im vergangenen Jahr nicht abgeflossenen Haushaltsmittel in der
Zukunft zusätzlich anfallen. Der Verteidigungshaushalt muss ab
2016 also höher ausfallen als bislang geplant. Zugleich
beschönigt von der Leyen das Problem, wenn sie von
„einmaligen Verzögerungen“ spricht. Bei
keinem dieser Großvorhaben kam es 2013 zum ersten Mal zu
Verzögerungen oder Minderleistungen. Es handelt sich dabei
keineswegs um einen einmaligen Sonderfall, sondern um ein sich
wiederholendes Problem. Das weiß eigentlich auch die
Verteidigungsministerin.
Denn nach der ersten Sitzung des neueingerichteten
Rüstungsboards im Februar entschied Ursula von der Leyen, das
Beschaffungswesen zu reformieren. In ihrem Ministerium waren immer
wieder Schwierigkeiten verschwiegen worden. Die CDU-Politikerin:
O-Ton von der Leyen:
„Ich stelle allerdings fest, dass dieser Prozess der Klarheit
und Transparenz bei Rüstungsvorhaben im Haus noch nicht gelebt
wird und deshalb muss ich sowohl strukturelle als auch personelle
Veränderungen vornehmen.“
Von der Leyen kündigte an, dass externe Berater dem
Ministerium helfen sollen, Management und Controlling solcher Projekte
zu verbessern. Doch eine Unternehmensberatung kann nur dann
hilfreiche Vorschläge machen, wenn ihr ein Auftrag mit den
richtigen Fragen erteilt wird. Außerdem sind für
eine so anspruchsvolle Aufgabe genug Zeit und ausreichende Mittel
notwendig. Nur dann kann man zu den eigentlichen Ursachen der
Probleme im Rüstungsbereich vordringen.
Das Verteidigungsministerium hat sich wiederholt externe Berater ins
Haus geholt. Deren Rat führte aber bislang meist nur
dazu, dass an den Symptomen der Probleme herum kuriert wurde, die
Ursachen derselben aber nicht aufgespürt oder
angerührt wurden. Sollte es diesmal besser werden?
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Ausschreibung
für die externe Beratung. Sie erfolgte im vergangenen Monat.
Diese Woche sollten die Angebote eingereicht werden. Bis Ende Juni soll
das beste Angebot ausgewählt und ein Vertrag unterzeichnet
werden. Dann wird drei Monate Zeit sein, den Auftrag
auszuführen. Bereits Ende September sollen die
Ergebnisse vorgelegt werden. Drei vage große
Arbeitsaufträge haben die Berater: Sie sollen eine
„Risiko- und Frühwarnanalyse zentraler
Rüstungsprojekte“ vorlegen, den – wie es
heißt - „Projektreview eines zentralen
Projekts“ durchführen und
„Handlungsempfehlungen für Management und
Organisationsentwicklung“ entwickeln.
Doch sowohl die Zeitplanung als auch die Aufgabenstellung wecken
Zweifel, ob die Beratung eine grundlegende Reform des
Beschaffungswesens vorbereiten kann. Die Arbeit der Berater soll
während der Haupturlaubszeit in den Sommerferien erledigt
werden. Das lässt Schwierigkeiten beim Zugang zu Informationen
und vor allem zu der Vielzahl zuständiger
Behördenmitarbeiter erwarten. Für letztere wurde ja
vermutlich keine umfassende Urlaubssperre verhängt. Und
reichen drei Monate überhaupt für eine
gründliche Analyse der gewaltigen Probleme? Wohl kaum.
Problematisch ist auch die Aufgabenstellung. Ein Beispiel: Nur ein
Vorhaben soll mit einem sogenannten Projektreview, also einer
genaueren, detaillierten Projektanalyse untersucht werden. Es gibt aber
zwei sehr verschiedene Arten von Rüstungsprojekten: Nationale
und multinationale. Beide weisen sehr unterschiedliche
Rahmenbedingungen und Durchführungsprobleme auf.
Verbesserungsvorschläge für nationale Projekte sind
auf internationale Vorhaben in der Regel nicht
übertragbar. Das gilt auch umgekehrt. Nur ein einzelnes
Rüstungsvorhaben gründlich zu prüfen, greift
also viel zu kurz.
Zeitplan und Aufgabenstellung wecken damit Zweifel, ob die externe
Beratung überhaupt ein Ergebnis haben kann, das die Probleme
des Beschaffungswesens löst. Ist das überhaupt
gewollt?
Auffällig ist ein weiterer Punkt: Angesichts der Probleme bei
der Rüstungsbeschaffung wäre es eigentlich sinnvoll,
wenn vorübergehend kein neues Großprojekt begonnen
würde. Denn jedes Vorhaben, das unter den bisher geltenden
Rahmenbedingungen neu aufgelegt wird, bekäme wohl
ähnliche Geburtsfehler in die Wiege gelegt, wie die bereits
laufenden Vorhaben.
Die Koalitionsparteien sehen das offenbar anders. Die SPD hat in der
vergangenen Woche Vorschläge gemacht, wo bei der
Neuausrichtung der Bundeswehr nachgesteuert werden sollte. Dabei ging
es auch um neue Beschaffungsprojekte. Rainer Arnold, der
verteidigungspolitische Sprecher der SPD, im Bundestag:
O-Ton Arnold:
„Deutschland ist jetzt schon gut im Bereich der
bodengebundenen Luftverteidigung; das ist ein richtiges Argument. Wir
haben schon viel Geld ausgegeben, auch für die
Weiterentwicklung – Stichwort MEADS. Die deutsche Wirtschaft
hat im Bereich Sensorik und bei anderen Technologien auf dem Weltmarkt
die Marktführerschaft inne bzw. besitzt hohe
Fähigkeiten. Deshalb wäre es klug, die bodengebundene
Luftverteidigung zu einem Schwerpunkt der deutschen
Verteidigungspolitik zu machen und den Bündnispartnern
anzubieten.“
Arnold will den Transporthubschrauber NH90 lieber in der
ursprünglich geplanten Stückzahl kaufen und fordert
damit indirekt ein neues Großvorhaben, die Beschaffung eines
eigenständigen Marinehubschraubers. Der SPD-Politiker
befürwortet außerdem die Entwicklung einer
europäischen Großdrohne. Natürlich kostet
das alles Geld und deshalb fordert er, den Verteidigungshaushalt ab
2017 moderat zu erhöhen.
Fazit: Die Verteidigungsministerin will ab 2016 mehr Geld, um die
Probleme der Rüstungsbeschaffung aus den Vorjahren zu
lösen. Der Koalitionspartner SPD will ab 2017 mehr
Finanzmittel, um Neuvorhaben anstoßen zu können.
Zugleich aber wird die überfällige strukturelle
Reform des Beschaffungswesens halbherzig angegangen. Das Ergebnis ist
absehbar: Es wird zwar mehr Geld geben, die Probleme bei den
Rüstungsprojekten werden aber bleiben. Die Bundeswehr bekommt
auch künftig ihre Waffensysteme viel zu spät,
viel zu teuer und oft schlechter als bestellt.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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