Streitkräfte und Strategien - NDR info
16. Januar 2010


Die geplante Struktur-Kommission
Chance für eine zukunftsorientierte Bundeswehr?

von Otfried Nassauer

Erste Vorschläge zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Bundeswehr ent-wickelte vor zehn Jahren die Weizsäcker-Kommission. Die Kommission ließ sich von der Frage leiten, welche sicherheitspolitischen Ziele und Vorstellungen die Bundesrepublik künftig gemeinsam mit ihren europäischen Nachbarn verfolgen sollte. Daraus abgeleitet fragte sie, welche Instrumente dazu erforderlich seien. Die Kommission entwickelte Vorschläge für die Zukunft der Bundeswehr, deren Aufgabenstellung, den Personalumfang, die Ausrüstung und deren Einordnung in multinationale Zusammenarbeit. Ein Bespiel: Die Personalstärke der Bundeswehr sollte auf etwa 240.000 Soldaten sinken, um die Bundeswehrplanung auf längere Sicht auf eine auch finanziell tragfähige Grundlage zu stellen. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping nahm die Vorschläge entgegen, setzte sie aber nicht um. Er griff stattdessen auf ein Konzept zurück, das sein Chef des Planungsstabes, Harald Kujat, ausgearbeitet hatte. Es sah nur kleinere Veränderungen vor und versprach damit geringeren Widerstand in der Bundeswehr.

Erst Scharpings Nachfolger, Peter Struck, griff die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission auf. Mit Hilfe eines neuen Generalinspekteurs, Wolfgang Schneiderhan, wurden viele der Grundüberlegungen, Ideen und Anregungen der Kommission weiterentwickelt und in Planungsdokumente der Bundeswehr eingearbeitet. So in die Verteidigungspolitischen Richtlinien und in die Konzeption der Bundeswehr 2004. Wichtigstes Beispiel war die Vorstellung von der Bundeswehr als „Armee im Einsatz“. Um jeden Verdacht eines neuen deutschen Militarismus auszuräumen, griffen Struck und Schneiderhan zum Mittel der freiwilligen Selbstbeschränkung. Sie dimensionierten die Einsatzkräfte der Bundeswehr so, dass diese erkennbar nicht zu großen nationalen Militäroperationen in der Lage waren. Größere militärische Missionen sollten ausschließlich in multinationaler Kooperation möglich sein. Hilmar Linnenkamp, damals Leiter des Sekretariats der Weizsäcker-Kommission, über die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche externe Politikberatung:

O-Ton Linnenkamp
„Gelungene Beratung geht nur, wenn die richtigen Fragen gestellt werden. ... Die Kommission hat das Thema Reform der Bundeswehr in den größeren politischen Zusammenhang eingeordnet, der dadurch geprägt ist, dass die Bundeswehr eine Armee im Einsatz geworden ist. Ende der neunziger Jahre war das Thema Kalter Krieg vorbei und die Bundeswehr musste sich umstellen und reformieren zu einer Armee im Einsatz. Die entscheidenden Themen, die die Kommission behandelt hat, waren die Struktur, das Personal, die Rüstung und die Organisation der Bundeswehr. Und alles wäre nichts wert gewesen, ohne die Unabhängigkeit der Teilnehmer an dieser Kommission und das Ansehen und die Unabhängigkeit des Vorsitzenden, Richard von Weizsäcker.“

Die Transformation der Bundeswehr könnte wie Bruckners 9. Symphonie den Titel „Die Unvollendete“ tragen. Für Struck und Schneiderhan war der Umbau der Streitkräfte ein Prozess kontinuierlicher Reformen unter permanenter Fortschreibung der Ziele. Doch bereits unter Strucks Nachfolger, Franz Josef Jung, wurde auf eine Weiterentwicklung der konzeptionellen Vorstellungen und deren kontinuierliche Anpassung an die finanzielle Realität weitgehend verzichtet. Mittlerweile stößt die Bundeswehrplanung deshalb wieder an finanzielle und konzeptionelle Grenzen. Etliche Fragen, die bereits die Weizsäcker-Kommission aufgeworfen hatte oder die bei der Erarbeitung der Konzeption der Bundeswehr aufgetaucht waren, wurden nicht weiter bearbeitet und beantwortet. Noch einmal Hilmar Linnenkamp:


O-Ton Linnenkamp
„Alle die Fragen, die in der Kommission von besonderer Bedeutung gewesen sind, also Einsatzorientierung, die Wehrpflicht und der europäische Impuls, oder der europäische Imperativ, sind nach wie vor bedeutende Themen. Sie sind alle nicht konsequent zu Ende geführt worden. Sie sind in Ansätzen realisiert, in Ansätzen wahrgenommen und umgesetzt worden, aber nicht konsequent.“

Die heute rund 250.000-Soldaten starke Bundeswehr kann mit dem vorhersehbar verfügbaren Geld nicht erhalten und zugleich modernisiert werden. Sie hat noch immer mehr Personal als die Weizsäcker-Kommission vorsah. Und: Es ist oft das „falsche“ Personal. Es gibt zu viele Offiziere und zu wenig Soldaten. Um den Offizieren angemessene Planstellen anbieten zu können, hält die Bundeswehr an Stäben und Strukturen fest, die oft überdimensioniert oder gar überflüssig sind. Rationalisierung wäre möglich. Doch reicht das, um die Bundeswehrreformen wieder aufs Gleis zu setzen?

Kaum. Denn was vor zehn Jahren der Bundeswehr eine tragfähige Reformperspektive für das kommende Jahrzehnt geben konnte, ist heute dafür nicht mehr ausreichend. Um erneut eine Reformperspektive mit ausreichender Lebenserwartung zu entwickeln, müsste nachgeholt werden, was in den vergangenen Jahren versäumt wurde: Einmal mehr müsste die Frage gestellt werden, welchen Ansprüchen, welchem „level of ambition“ deutsche Sicherheitspolitik im Kontext europäischer Sicherheitspolitik künftig genügen soll. Erneut müsste gefragt werden, welche Ressourcen und Rahmenbedingungen dafür realistisch verfügbar sein werden. Aus diesen Faktoren wären Vorschläge für Umfang, Ausrüstung und Struktur der Bundeswehr abzuleiten. Dabei gilt es, auch mit europäischen Ländern stärker zusammenzuarbeiten. Denn große Rationalisierungspotenziale entstehen vor allem dann, wenn die nationale Streitkräfte- und Rüstungsplanung sich von der Vorstellung löst, dass jede europäische Nation über alle militärischen Fähigkeiten verfügen muss.

Wird die künftige Bundeswehrkommission sich diesen und anderen zentralen Fragen widmen? Wohl eher nicht. Aufgabenstellung und Zusammensetzung lassen das vermuten. Vor dem Bundestag stellte Verteidigungsminister zu Guttenberg klar:

O-Ton zu Guttenberg
„Auch deshalb und gerade, weil dieses Denken vom Einsatz her sich in den Organisationsstrukturen widerzuspiegeln hat, werde ich eine Kommission einsetzen, die bis Ende 2010 Vorschläge zu Eckpunkten einer neuen Organisationsstruktur der Bundeswehr inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen zu erarbeiten hat. Es geht dabei nicht um eine Neuauflage der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ aus dem Jahre 2000. Wir wollen dort Anpassungen vornehmen, wo die Bundeswehr noch schlanker, noch effizienter, noch einsatzorientierter werden kann, und wir wollen – auch das ist ehrgeizig; ich weiß das – auch Abläufe von bürokratischen Fesseln befreien. Dazu wird die dann sicherlich geplagte Kommission Vorschläge ausarbeiten, und auf dieser Grundlage werde ich entscheiden.“

Effizienzsteigerung, Verbesserung der Einsatzorientierung, Befreiung von bürokratischen Fesseln. Damit zielt die Bundesregierung vor allem auf mehr Leistungsfähigkeit im Einsatz, insbesondere bei den Auslandseinsätzen. Unberücksichtigt aber bleiben grundlegende Fragen. Hilmar Linnenkamp, Mitarbeiter der Weizsäcker-Kommission, hegt ebenfalls Zweifel:

O-Ton Linnenkamp
„Der Ansatz dieser Kommission, nach all dem was man davon weiß, – zum Beispiel aus dem Koalitionsvertrag - ist zu eng. Es klingt nach einer innerministeriellen Machtneuverteilung und nach Verbesserungen in der Ablauforganisation. Das ist angesichts der Herausforderungen, vor denen die Bundeswehr steht, ein zu enges Korsett.“

Die geplante Zusammensetzung der Kommission verstärkt die Zweifel: Es soll eine bundeswehrinterne Kommission werden. Damit setzt der Minister auf die Selbstheilungskräfte des Körpers Bundeswehr. Dass diese künftig besser funktioniert als in der Vergangenheit, darf bezweifelt werden. Rivalitäten der Teilstreitkräfte und Besitzstandswahrung sind in der Bundeswehr keineswegs überwunden. Konsens über neue Reformen ist damit vor allem in kleinen Dosen zu erwarten. Schon die Vorgabe der Bundesregierung, die Bundeswehr unter der Maßgabe einer sechsmonatigen Wehrpflicht zu planen, weist in diese Richtung und schränkt die Reformmöglichkeiten deutlich ein. Mehr noch. Viele Reformschritte dürften an eine altbekannte Bedingung verknüpft werden: Um effizienter zu werden, benötige die Bundeswehr vor allem eines - mehr Geld.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS