Streitkräfte und Strategien - NDR info
12. Dezember 2009


Untersuchungsausschuss zum Luftangriff bei Kundus
Chance für eine neue Informationspolitik der Bundeswehr?

von Otfried Nassauer

„Kehrt Marsch!“ So lautet wohl der Befehl, den Verteidigungsminister zu Guttenberg sich selbst und seinem Ministerium erteilt hat. Mit großer Eile und erheblichem Risiko ändert er den Kurs in Sachen Luftangriff, bei dem am 4. September nach NATO-Angaben bis zu 142 Menschen nahe Kundus getötet worden sind. War dieser Angriff auf zwei entführte Tanklaster für den CSU-Politiker zunächst noch militärisch angemessen, so gilt heute das Gegenteil. Minister zu Guttenberg Anfang des Monats im Bundestag:

O-Ton zu Guttenberg
„Obgleich Oberst Klein – ich rufe das auch den Offizieren zu die heute hier sind – zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente militärisch nicht angemessen.“

Da staunt die Öffentlichkeit und die Offiziere wundern sich. Denn die vom Verteidigungsminister angeforderten Berichte seines Hauses, auf die sich zu Guttenberg bei seiner Neubewertung stützen wollte, sollten erst am 10. Dezember vorgelegt werden – also eine Woche nach seiner Erklärung im Bundestag. Eile nun auch an anderer Stelle. Das Verteidigungsministerium will die zivilen Opfer des Luftangriffs rasch entschädigen. Eine außergerichtliche Einigung mit dem Bremer Anwalt, der die Familien der Opfer vertritt, wird angestrebt.

Am kommenden Mittwoch nun will der Verteidigungsausschuss das Mandat beschließen, auf dessen Basis er als Untersuchungsausschuss den Vorfall gründlich aufarbeiten will. SPD, Grüne und Linke haben den Ausschuss beantragt. CDU/CSU und FDP haben signalisiert, dass sie einverstanden sind. Und der Minister selbst gibt sich als radikaler Aufklärer:

O-Ton zu Guttenberg
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe im Zusammenhang mit dem Vorfall von Kundus aber im Zusammenhang mit dem Afghanistanmandat dem Parlament größtmögliche Offenheit und Transparenz zugesagt. Und so will ich das auch weiterhin handhaben, auch mit Blick auf den Untersuchungsausschuss. Auch ich habe ein Interesse an der Aufdeckung all dessen, was sich im Zuge dessen entsprechend ereignet hat.“

Doch wie weit die Gemeinsamkeiten zwischen Opposition und Regierung wirklich gehen, wird sich erstmals zeigen, wenn der Ausschuss festlegt, was genau untersucht werden soll. Im Kern sind zwei unterschiedliche Wege denkbar:

Zum einen kann sich der Ausschuss ein enges Mandat geben. Dann wird der Vorfall in Kundus im Detail aufgearbeitet und bewertet. Es wird untersucht, wer welche Fehler bei dieser Militäroperation gemacht hat. Zudem wird geprüft, welche Informationen nach der Kaperung der Tanklastzüge wann und wem in der Bundeswehr sowie in der politischen Führung bekannt waren. Gefragt wird, ob die militärische Seite die politische Spitze rechtzeitig und umfassend informiert hat. Man wird außerdem untersuchen, ob Parlament und Öffentlichkeit ausreichend und korrekt unterrichtet worden sind. Falls nicht, wird der Ausschuss fragen, warum und aufgrund welcher Motive, nicht die Wahrheit gesagt worden ist. Hatte zum Beispiel der laufende Bundestagswahlkampf Einfluss auf das Vorgehen der Regierung? Gegebenenfalls müssen weitere Verantwortliche ihren Hut nehmen. Bei einem engen Mandat wäre die Vergangenheitsbewältigung die vorrangige Aufgabe.

Der Untersuchungsausschuss kann aber auch anders vorgehen. Das Gremium kann sich ein breites und sehr politisches Mandat geben. Ziel wäre dann, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Bundesregierung, Bundeswehr und Ministerium Empfehlungen an die Hand zu geben, die bei der Bewältigung von Zukunftsaufgaben hilfreich sein können und dazu beitragen, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Neben den schon genannten Fragen würde dann untersucht, welche strukturellen Probleme in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium und in der Bundesregierung dazu beigetragen haben, dass Oberst Klein offenbar eine falsche Entscheidung getroffen hat. Ein Fehler, den man anschließend allem Anschein nach zu vertuschen suchte. Gefragt werden müsste dann zum Beispiel, ob es Probleme mit der Führungskultur in der Bundeswehr gibt – insbesondere mit der Inneren Führung bei Auslandseinsätzen. Zu untersuchen wäre, ob unter Franz Josef Jung im Verteidigungsministerium ein Kommunikationsklima entstanden ist, in dem Probleme und Fehler nicht mehr offen angesprochen oder diskutiert werden können, weil die politische Leitung des Hauses negative Schlagzeilen um jeden Preis verhindern wollte.

Die unter Verteidigungsminister Jung offenbar praktizierte Vertuschungsmentalität - unterstützt durch den Korpsgeist konservativer Militärs – hat seinem Nachfolger sehr wahrscheinlich weitere Tretminen hinterlassen. Nicht nur mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan, sondern auch auf anderen Arbeitsfeldern wie zum Beispiel bei der Bundeswehrplanung. Diese Minen müssen gefunden werden, bevor sie explodieren und Schaden anrichten. Ein Untersuchungsausschuss, der sich dieser Aufgabe stellt, kann für die Bundeswehr hilfreich sein. Das Gremium könnte vorhandene strukturelle Fehler identifizieren und Empfehlungen abgeben, wie ähnliche Fehler künftig vermieden werden können. Daraus müsste die Bundeswehr dann Konsequenzen für die weitere Arbeit ziehen. Zu den wichtigen Aufgaben, die man zurzeit angeht, gehören zum Beispiel die nächsten Schritte bei der Reform der Bundeswehr und die Zukunft der Auslandseinsätze. Hinzu kommt die Notwendigkeit der Entwicklung einer realistischen Strategie für Afghanistan und die Ausarbeitung der deutschen Beiträge zur Weiterentwicklung der NATO-Strategie und der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Viel Arbeit also unter dem Vorzeichen, aus der Not eine Tugend machen zu wollen. Möglich werden kann ein solches, konstruktives Vorgehen dann, wenn Regierung und Opposition die erforderlichen Voraussetzungen schaffen: Die Regierungsfraktionen müssen der Versuchung widerstehen, auf ein enges Mandat zu drängen, das sich lediglich auf den Luftschlag bei Kundus konzentriert. Und die Opposition darf nicht vor allem darauf hinarbeiten, dass weitere Köpfe rollen. Verteidigungsminister zu Guttenberg schließlich sollte nicht in erster Linie als Selbstverteidigungsminister agieren, der mit der Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert bereits alle notwendigen Konsequenzen gezogen haben will. Zudem muss der CSU-Politiker sein Versprechen einhalten, für größtmögliche Offenheit und Transparenz zu sorgen. Die Beteiligung eines BND-Mitarbeiters und von KSK-Soldaten an dem Luftangriff darf nicht zum Vorwand für übertriebene Geheimhaltung werden. Offenheit ist auch mit Blick auf Guttenbergs schwer zu glaubende Behauptung geboten, er habe den Luftangriff in Afghanistan zunächst nur deshalb falsch beurteilt, weil ihm wesentliche Informationen vorenthalten wurden. Alle Beteiligten müssen schließlich die Chance nutzen, bereits gemachte Fehler aufzuklären und die Sacharbeit in den Vordergrund zu stellen.

Allerdings: Selbst dann, wenn sie in der kommenden Woche bei der Konstituierung des Untersuchungsausschusses diese erforderliche Selbstdisziplin nicht aufbringen sollten und kein konstruktives zukunftsorientiertes Mandat beschließen, dann gibt es noch Hoffnung. Denn ein Untersuchungsausschuss lässt sich nicht beliebig steuern. Er kann schnell eine ernorme Eigendynamik entwickeln. Darauf hat kürzlich der CDU-Politiker Willy Wimmer hingewiesen. Er war früher Staatssekretär im Verteidigungsministerium und verweist auf seine eigenen Erfahrungen mit drei Untersuchungsausschüssen:

O-Ton Wimmer
„Wenn eine Regierung nicht von vornherein sagt, was Sache ist, dann wird sie sich in der Regel – das war jedenfalls die Lehre in der Vergangenheit – mit Dimensionen auseinandersetzen müssen, bei denen sie im Anschluss sagt: Ich hätte besser die Hosen runtergelassen.“


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS