Untersuchungsausschuss zum Luftangriff bei Kundus
Chance für eine neue Informationspolitik der Bundeswehr?
von Otfried Nassauer
„Kehrt Marsch!“ So lautet wohl der Befehl, den Verteidigungsminister
zu Guttenberg sich selbst und seinem Ministerium erteilt hat. Mit großer
Eile und erheblichem Risiko ändert er den Kurs in Sachen Luftangriff,
bei dem am 4. September nach NATO-Angaben bis zu 142 Menschen nahe Kundus
getötet worden sind. War dieser Angriff auf zwei entführte Tanklaster
für den CSU-Politiker zunächst noch militärisch angemessen,
so gilt heute das Gegenteil. Minister zu Guttenberg Anfang des Monats
im Bundestag:
O-Ton zu Guttenberg
„Obgleich Oberst Klein – ich rufe das auch den Offizieren zu die heute
hier sind – zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz
seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht
im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente militärisch
nicht angemessen.“
Da staunt die Öffentlichkeit und die Offiziere wundern sich. Denn
die vom Verteidigungsminister angeforderten Berichte seines Hauses, auf
die sich zu Guttenberg bei seiner Neubewertung stützen wollte, sollten
erst am 10. Dezember vorgelegt werden – also eine Woche nach seiner Erklärung
im Bundestag. Eile nun auch an anderer Stelle. Das Verteidigungsministerium
will die zivilen Opfer des Luftangriffs rasch entschädigen. Eine
außergerichtliche Einigung mit dem Bremer Anwalt, der die Familien
der Opfer vertritt, wird angestrebt.
Am kommenden Mittwoch nun will der Verteidigungsausschuss das Mandat
beschließen, auf dessen Basis er als Untersuchungsausschuss den
Vorfall gründlich aufarbeiten will. SPD, Grüne und Linke haben
den Ausschuss beantragt. CDU/CSU und FDP haben signalisiert, dass sie
einverstanden sind. Und der Minister selbst gibt sich als radikaler Aufklärer:
O-Ton zu Guttenberg
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe im Zusammenhang mit dem Vorfall
von Kundus aber im Zusammenhang mit dem Afghanistanmandat dem Parlament
größtmögliche Offenheit und Transparenz zugesagt. Und
so will ich das auch weiterhin handhaben, auch mit Blick auf den Untersuchungsausschuss.
Auch ich habe ein Interesse an der Aufdeckung all dessen, was sich im
Zuge dessen entsprechend ereignet hat.“
Doch wie weit die Gemeinsamkeiten zwischen Opposition und Regierung wirklich
gehen, wird sich erstmals zeigen, wenn der Ausschuss festlegt, was genau
untersucht werden soll. Im Kern sind zwei unterschiedliche Wege denkbar:
Zum einen kann sich der Ausschuss ein enges Mandat geben. Dann wird der
Vorfall in Kundus im Detail aufgearbeitet und bewertet. Es wird untersucht,
wer welche Fehler bei dieser Militäroperation gemacht hat. Zudem
wird geprüft, welche Informationen nach der Kaperung der Tanklastzüge
wann und wem in der Bundeswehr sowie in der politischen Führung bekannt
waren. Gefragt wird, ob die militärische Seite die politische Spitze
rechtzeitig und umfassend informiert hat. Man wird außerdem untersuchen,
ob Parlament und Öffentlichkeit ausreichend und korrekt unterrichtet
worden sind. Falls nicht, wird der Ausschuss fragen, warum und aufgrund
welcher Motive, nicht die Wahrheit gesagt worden ist. Hatte zum Beispiel
der laufende Bundestagswahlkampf Einfluss auf das Vorgehen der Regierung?
Gegebenenfalls müssen weitere Verantwortliche ihren Hut nehmen. Bei
einem engen Mandat wäre die Vergangenheitsbewältigung die vorrangige
Aufgabe.
Der Untersuchungsausschuss kann aber auch anders vorgehen. Das Gremium
kann sich ein breites und sehr politisches Mandat geben. Ziel wäre
dann, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und Bundesregierung,
Bundeswehr und Ministerium Empfehlungen an die Hand zu geben, die bei
der Bewältigung von Zukunftsaufgaben hilfreich sein können und
dazu beitragen, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Neben den schon genannten Fragen würde dann untersucht, welche strukturellen
Probleme in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium und in der Bundesregierung
dazu beigetragen haben, dass Oberst Klein offenbar eine falsche Entscheidung
getroffen hat. Ein Fehler, den man anschließend allem Anschein nach
zu vertuschen suchte. Gefragt werden müsste dann zum Beispiel, ob
es Probleme mit der Führungskultur in der Bundeswehr gibt – insbesondere
mit der Inneren Führung bei Auslandseinsätzen. Zu untersuchen
wäre, ob unter Franz Josef Jung im Verteidigungsministerium ein Kommunikationsklima
entstanden ist, in dem Probleme und Fehler nicht mehr offen angesprochen
oder diskutiert werden können, weil die politische Leitung des Hauses
negative Schlagzeilen um jeden Preis verhindern wollte.
Die unter Verteidigungsminister Jung offenbar praktizierte Vertuschungsmentalität
- unterstützt durch den Korpsgeist konservativer Militärs –
hat seinem Nachfolger sehr wahrscheinlich weitere Tretminen hinterlassen.
Nicht nur mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan, sondern auch auf anderen
Arbeitsfeldern wie zum Beispiel bei der Bundeswehrplanung. Diese Minen
müssen gefunden werden, bevor sie explodieren und Schaden anrichten.
Ein Untersuchungsausschuss, der sich dieser Aufgabe stellt, kann für
die Bundeswehr hilfreich sein. Das Gremium könnte vorhandene strukturelle
Fehler identifizieren und Empfehlungen abgeben, wie ähnliche Fehler
künftig vermieden werden können. Daraus müsste die Bundeswehr
dann Konsequenzen für die weitere Arbeit ziehen. Zu den wichtigen
Aufgaben, die man zurzeit angeht, gehören zum Beispiel die nächsten
Schritte bei der Reform der Bundeswehr und die Zukunft der Auslandseinsätze.
Hinzu kommt die Notwendigkeit der Entwicklung einer realistischen Strategie
für Afghanistan und die Ausarbeitung der deutschen Beiträge
zur Weiterentwicklung der NATO-Strategie und der europäischen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik.
Viel Arbeit also unter dem Vorzeichen, aus der Not eine Tugend machen
zu wollen. Möglich werden kann ein solches, konstruktives Vorgehen
dann, wenn Regierung und Opposition die erforderlichen Voraussetzungen
schaffen: Die Regierungsfraktionen müssen der Versuchung widerstehen,
auf ein enges Mandat zu drängen, das sich lediglich auf den Luftschlag
bei Kundus konzentriert. Und die Opposition darf nicht vor allem darauf
hinarbeiten, dass weitere Köpfe rollen. Verteidigungsminister zu
Guttenberg schließlich sollte nicht in erster Linie als Selbstverteidigungsminister
agieren, der mit der Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan und
Staatssekretär Wichert bereits alle notwendigen Konsequenzen gezogen
haben will. Zudem muss der CSU-Politiker sein Versprechen einhalten, für
größtmögliche Offenheit und Transparenz zu sorgen. Die
Beteiligung eines BND-Mitarbeiters und von KSK-Soldaten an dem Luftangriff
darf nicht zum Vorwand für übertriebene Geheimhaltung werden.
Offenheit ist auch mit Blick auf Guttenbergs schwer zu glaubende Behauptung
geboten, er habe den Luftangriff in Afghanistan zunächst nur deshalb
falsch beurteilt, weil ihm wesentliche Informationen vorenthalten wurden.
Alle Beteiligten müssen schließlich die Chance nutzen, bereits
gemachte Fehler aufzuklären und die Sacharbeit in den Vordergrund
zu stellen.
Allerdings: Selbst dann, wenn sie in der kommenden Woche bei der Konstituierung
des Untersuchungsausschusses diese erforderliche Selbstdisziplin nicht
aufbringen sollten und kein konstruktives zukunftsorientiertes Mandat
beschließen, dann gibt es noch Hoffnung. Denn ein Untersuchungsausschuss
lässt sich nicht beliebig steuern. Er kann schnell eine ernorme Eigendynamik
entwickeln. Darauf hat kürzlich der CDU-Politiker Willy Wimmer hingewiesen.
Er war früher Staatssekretär im Verteidigungsministerium und
verweist auf seine eigenen Erfahrungen mit drei Untersuchungsausschüssen:
O-Ton Wimmer
„Wenn eine Regierung nicht von vornherein sagt, was Sache ist, dann
wird sie sich in der Regel – das war jedenfalls die Lehre in der Vergangenheit
– mit Dimensionen auseinandersetzen müssen, bei denen sie im Anschluss
sagt: Ich hätte besser die Hosen runtergelassen.“
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit - BITS
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