Streitkräfte und Strategien - NDR info
20. Mai 2006


Mehr als ein militärisches Experiment?
Vor der gigantischen Testexplosion in der Wüste von Nevada

von Otfried Nassauer

Fast 600 Tonnen konventioneller Sprengstoff sollen auf einen Schlag zur Explosion gebracht werden. Eine gewaltige Menge: 0,6 Kilotonnen – eine Maßeinheit, die sonst nur im Zusammenhang mit Nuklearwaffen auftaucht. Viel mehr als die größte konventionelle Waffe der USA, die "Mutter aller Bomben", MOAB. Diese bringt es gerade einmal auf ein Fünfzigstel dieser Explosionskraft. Vorsichtshalber – so ist zu hören – sei Russland über den Test vorab informiert worden, damit dieser nicht als Atomtest missverstanden werde.

Die schiere Größe der geplanten Explosion hat Spekulationen hervorgerufen: Hat der Test etwas mit Atomwaffen zu tun? Wird die Arbeit an neuen, bunkerbrechenden Atomwaffen doch weitergeführt, obwohl sie nach einem Nein aus dem Kongress offiziell im letzten Jahr gestoppt worden ist? Ein Körnchen Wahrheit steckt in diesen Überlegungen, aber wirklich zutreffend sind sie nicht.

Mit Divine Strake sollen die Auswirkungen einer kleinen Atomwaffe auf unterirdische, verbunkerte Strukturen getestet werden. So stand es noch im vergangenen Jahr in den Haushaltsunterlagen, die dem Kongress vorgelegt wurden. Der Test ist Teil eines Programms zur Verbesserung der Möglichkeiten, tief verbunkerte unterirdische Bunker- und Tunnel-Anlagen zu zerstören. Deshalb wird der Sprengstoff bei Divine Strake quasi "auf dem Dach" einer relativ typischen unterirdischen Bunkeranlage gezündet. Sorgfältig wurde dafür der Testtunnel auf dem Testgelände in Nevada ausgewählt, der sich in relativ typischen Gesteinsformationen befindet. Sechs bis sieben Meter unter der Erdoberfläche soll die Zündung erfolgen. So tief können vorhandene bunkerbrechende Waffen schon heute in die Erde eindringen. Die Auswirkungen der Druckwelle der Explosion auf den darunter liegenden Tunnelkomplex sollen von der Southern Methodist University genau protokolliert werden. Gerechnet wird mit der Bildung einer großen Staubwolke, die den Pilzwolken nach atomaren Explosionen ähnelt. Dem amerikanischen Kongress wurde mitgeteilt, man entwickle ein – so wörtlich – "Planungsinstrument, das das Vertrauen der Kriegsplaner in die Auswahl der kleinsten geeigneten nuklearen Sprengkraft stärken werde, die nötig ist, um unterirdische Anlagen bei gleichzeitiger Minimierung der Kollateralschäden zu zerstören".

Erstmals werden also bei Divine Strake die Auswirkungen der Explosion einer kleinen atomaren Waffe auf unterirdische Anlagen mit Hilfe einer konventionellen Explosion simuliert. Damit steht das Experiment im Kontext des Global-Strike-Konzeptes, das seit einigen Jahren vom Strategischen Kommando der US-Streitkräfte entwickelt wird. Mit dem Global-Strike-Konzept sollen die konventionellen und nuklearen Mittel und Fähigkeiten der USA, strategische sowie wichtige taktische gegnerische Ziele weltweit zu zerstören, in einen einzigen Operationsplan zusammengeführt werden. Dieser trägt die Bezeichnung OPLAN 8022 und wird seit einigen Jahren ständig weiterentwickelt. Gegenüber der Öffentlichkeit argumentiert das Pentagon, durch die Integration der konventionellen und nuklearen Bekämpfungsmöglichkeiten werde die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearwaffeneinsatzes verringert.

Kritiker sehen das anders: Sie befürchten, dass die Hemmschwelle für den Einsatz kleiner Atomwaffen sinken wird, wenn er gemeinsam mit dem konventioneller Waffen geplant wird. Diese Befürchtungen erhalten durch den Divine Strake-Test neue Nahrung. Denn der Test kann die militärischen Planer geradezu ermutigen, ernsthaft über den wirksamen Einsatz kleinerer Nuklearwaffen nachzudenken. Er kann dazu führen, dass der Einsatz taktischer Atomwaffen zu einer realen Option wird.

Daneben ist ein weiterer Effekt denkbar: Durch Divine Strake können militärische Planer und Waffenentwickler lernen, welche Schäden ein kleiner Atomsprengsatz bei typischen unterirdischen Bunkeranlagen anrichtet. Daraus lassen sich Folgerungen ziehen für den Einsatz vorhandener Atomwaffen und die wünschenswerten Charakteristika neuer Nuklearsprengköpfe.

Betrachten wir zunächst das vorhandene Arsenal der amerikanischen Atomwaffen: Die USA verfügen derzeit nur über eine bunkerbrechende Atomwaffe – die Bombe B-61 Modell 11. Ihr werden bis zu 400 Kilotonnen Sprengkraft nachgesagt. Viel zu viel, um diese Waffe ohne größere so genannte Kollateralschäden einzusetzen. Die Hemmschwelle für den Einsatz dieser Waffe ist deshalb relativ groß. Wird Divine Strake ein Erfolg, so könnte auch der Einsatz kleinerer Atombomben gegen verbunkerte Ziele leichter erwogen werden. Denn das atomare Arsenal der USA enthält auch taktische Versionen der Bombe B-61. Die Modelle 3, 4 und 10 haben eine variable Sprengkraft. Die kleinste Option soll bei 0,3 Kilotonnen liegen. Das ist etwa die Hälfte der Sprengkraft, deren Auswirkungen auf Bunkeranlagen jetzt in Nevada getestet werden soll.

Würde das Experiment zeigen, dass Sprengsätze mit wenigen Hundert Tonnen Explosionskraft solche Tunnel-Anlagen wirkungsvoll zerstören können, dann könnte dies zur Folge haben, dass wegen des geringeren Kollateralschadens künftig auch der Einsatz dieser taktischen Atombomben gegen verbunkerte Ziele erwogen und eingeplant wird. Das aber würde für die NATO zu einem politischen Problem. Die Atombomben, die Washington seinen Verbündeten im Rahmen der so genannten nuklearen Teilhabe zur Verfügung stellt, sind Bomben des Typs B-61 der Modelle 3 und 4 – also Atomwaffen mit einer vergleichsweise kleinen Sprengkraft. Bis 2009 will die NATO ein neues Strategisches Konzept entwickeln. In diesem soll auch die künftige Rolle atomarer Waffen in der Bündnisstrategie neu festgelegt werden.

Die Explosion von Nevada kann auch Auswirkungen für die geplante Modernisierung amerikanischer Atomwaffen haben: Der Test kann den Planern neuer oder modifizierter Atomwaffenmodelle helfen, Argumente und Wege zu finden, um das derzeitige Verbot der Entwicklung neuer bunkerbrechender Waffen zu umgehen. Die Pentagon-Experten könnten vorschlagen, passende Komponenten aus der bunkerbrechenden strategischen Version der B-61-Bombe mit Komponenten aus den taktischen Versionen der B-61-Bomben zu kombinieren, damit eine bunkerbrechende Waffe mit einer Sprengkraft von weniger als einer Kilotonne entsteht. Dabei wäre die Zahl neu zu entwickelnder Komponenten relativ klein. Und in ähnlicher Weise, wie beim Umbau alter strategischer Bomben vom Typ B-61 in das neue Modell 11, könnte argumentiert werden: Wir bauen lediglich ein neues Modell einer vorhandenen Waffe, entwickeln aber keine neue Bombe.

Ob der Divine Strake-Test allerdings wie geplant stattfinden wird ist derzeit noch nicht sicher. Umweltschützer haben Klage eingereicht.

 


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS