Mehr als ein militärisches Experiment?
Vor der gigantischen Testexplosion in der Wüste von Nevada
von Otfried Nassauer
Fast 600 Tonnen konventioneller Sprengstoff sollen auf einen Schlag zur Explosion
gebracht werden. Eine gewaltige Menge: 0,6 Kilotonnen eine Maßeinheit, die sonst
nur im Zusammenhang mit Nuklearwaffen auftaucht. Viel mehr als die größte konventionelle
Waffe der USA, die "Mutter aller Bomben", MOAB. Diese bringt es gerade einmal
auf ein Fünfzigstel dieser Explosionskraft. Vorsichtshalber so ist zu hören
sei Russland über den Test vorab informiert worden, damit dieser nicht als
Atomtest missverstanden werde.
Die schiere Größe der geplanten Explosion hat Spekulationen hervorgerufen: Hat der
Test etwas mit Atomwaffen zu tun? Wird die Arbeit an neuen, bunkerbrechenden Atomwaffen
doch weitergeführt, obwohl sie nach einem Nein aus dem Kongress offiziell im letzten Jahr
gestoppt worden ist? Ein Körnchen Wahrheit steckt in diesen Überlegungen, aber wirklich
zutreffend sind sie nicht.
Mit Divine Strake sollen die Auswirkungen einer kleinen Atomwaffe auf unterirdische,
verbunkerte Strukturen getestet werden. So stand es noch im vergangenen Jahr in den
Haushaltsunterlagen, die dem Kongress vorgelegt wurden. Der Test ist Teil eines Programms
zur Verbesserung der Möglichkeiten, tief verbunkerte unterirdische Bunker- und
Tunnel-Anlagen zu zerstören. Deshalb wird der Sprengstoff bei Divine Strake quasi
"auf dem Dach" einer relativ typischen unterirdischen Bunkeranlage gezündet.
Sorgfältig wurde dafür der Testtunnel auf dem Testgelände in Nevada ausgewählt, der
sich in relativ typischen Gesteinsformationen befindet. Sechs bis sieben Meter unter der
Erdoberfläche soll die Zündung erfolgen. So tief können vorhandene bunkerbrechende
Waffen schon heute in die Erde eindringen. Die Auswirkungen der Druckwelle der Explosion
auf den darunter liegenden Tunnelkomplex sollen von der Southern Methodist University
genau protokolliert werden. Gerechnet wird mit der Bildung einer großen Staubwolke, die
den Pilzwolken nach atomaren Explosionen ähnelt. Dem amerikanischen Kongress wurde
mitgeteilt, man entwickle ein so wörtlich "Planungsinstrument, das das
Vertrauen der Kriegsplaner in die Auswahl der kleinsten geeigneten nuklearen Sprengkraft
stärken werde, die nötig ist, um unterirdische Anlagen bei gleichzeitiger Minimierung
der Kollateralschäden zu zerstören".
Erstmals werden also bei Divine Strake die Auswirkungen der Explosion einer kleinen
atomaren Waffe auf unterirdische Anlagen mit Hilfe einer konventionellen Explosion
simuliert. Damit steht das Experiment im Kontext des Global-Strike-Konzeptes, das seit
einigen Jahren vom Strategischen Kommando der US-Streitkräfte entwickelt wird. Mit dem
Global-Strike-Konzept sollen die konventionellen und nuklearen Mittel und Fähigkeiten der
USA, strategische sowie wichtige taktische gegnerische Ziele weltweit zu zerstören, in
einen einzigen Operationsplan zusammengeführt werden. Dieser trägt die Bezeichnung OPLAN
8022 und wird seit einigen Jahren ständig weiterentwickelt. Gegenüber der
Öffentlichkeit argumentiert das Pentagon, durch die Integration der konventionellen und
nuklearen Bekämpfungsmöglichkeiten werde die Wahrscheinlichkeit eines
Nuklearwaffeneinsatzes verringert.
Kritiker sehen das anders: Sie befürchten, dass die Hemmschwelle für den Einsatz
kleiner Atomwaffen sinken wird, wenn er gemeinsam mit dem konventioneller Waffen geplant
wird. Diese Befürchtungen erhalten durch den Divine Strake-Test neue Nahrung. Denn der
Test kann die militärischen Planer geradezu ermutigen, ernsthaft über den wirksamen
Einsatz kleinerer Nuklearwaffen nachzudenken. Er kann dazu führen, dass der Einsatz
taktischer Atomwaffen zu einer realen Option wird.
Daneben ist ein weiterer Effekt denkbar: Durch Divine Strake können militärische
Planer und Waffenentwickler lernen, welche Schäden ein kleiner Atomsprengsatz bei
typischen unterirdischen Bunkeranlagen anrichtet. Daraus lassen sich Folgerungen ziehen
für den Einsatz vorhandener Atomwaffen und die wünschenswerten Charakteristika neuer
Nuklearsprengköpfe.
Betrachten wir zunächst das vorhandene Arsenal der amerikanischen Atomwaffen: Die USA
verfügen derzeit nur über eine bunkerbrechende Atomwaffe die Bombe B-61 Modell
11. Ihr werden bis zu 400 Kilotonnen Sprengkraft nachgesagt. Viel zu viel, um diese Waffe
ohne größere so genannte Kollateralschäden einzusetzen. Die Hemmschwelle für den
Einsatz dieser Waffe ist deshalb relativ groß. Wird Divine Strake ein Erfolg, so könnte
auch der Einsatz kleinerer Atombomben gegen verbunkerte Ziele leichter erwogen werden.
Denn das atomare Arsenal der USA enthält auch taktische Versionen der Bombe B-61. Die
Modelle 3, 4 und 10 haben eine variable Sprengkraft. Die kleinste Option soll bei 0,3
Kilotonnen liegen. Das ist etwa die Hälfte der Sprengkraft, deren Auswirkungen auf
Bunkeranlagen jetzt in Nevada getestet werden soll.
Würde das Experiment zeigen, dass Sprengsätze mit wenigen Hundert Tonnen
Explosionskraft solche Tunnel-Anlagen wirkungsvoll zerstören können, dann könnte dies
zur Folge haben, dass wegen des geringeren Kollateralschadens künftig auch der Einsatz
dieser taktischen Atombomben gegen verbunkerte Ziele erwogen und eingeplant wird. Das aber
würde für die NATO zu einem politischen Problem. Die Atombomben, die Washington seinen
Verbündeten im Rahmen der so genannten nuklearen Teilhabe zur Verfügung stellt, sind
Bomben des Typs B-61 der Modelle 3 und 4 also Atomwaffen mit einer vergleichsweise
kleinen Sprengkraft. Bis 2009 will die NATO ein neues Strategisches Konzept entwickeln. In
diesem soll auch die künftige Rolle atomarer Waffen in der Bündnisstrategie neu
festgelegt werden.
Die Explosion von Nevada kann auch Auswirkungen für die geplante Modernisierung
amerikanischer Atomwaffen haben: Der Test kann den Planern neuer oder modifizierter
Atomwaffenmodelle helfen, Argumente und Wege zu finden, um das derzeitige Verbot der
Entwicklung neuer bunkerbrechender Waffen zu umgehen. Die Pentagon-Experten könnten
vorschlagen, passende Komponenten aus der bunkerbrechenden strategischen Version der
B-61-Bombe mit Komponenten aus den taktischen Versionen der B-61-Bomben zu kombinieren,
damit eine bunkerbrechende Waffe mit einer Sprengkraft von weniger als einer Kilotonne
entsteht. Dabei wäre die Zahl neu zu entwickelnder Komponenten relativ klein. Und in
ähnlicher Weise, wie beim Umbau alter strategischer Bomben vom Typ B-61 in das neue
Modell 11, könnte argumentiert werden: Wir bauen lediglich ein neues Modell einer
vorhandenen Waffe, entwickeln aber keine neue Bombe.
Ob der Divine Strake-Test allerdings wie geplant stattfinden wird ist derzeit noch
nicht sicher. Umweltschützer haben Klage eingereicht.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
|