Streitkräfte und Strategien - NDR info
10. Februar 2007


Eingeschränkte Souveränität für das Kosovo
Schritt zur Befriedung oder Destabilisierung des Balkans?

von Dr. Alexander Neu

Nahezu acht Jahre nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien und nach einjährigen Verhandlungen über die serbische Provinz Kosovo ist nun eine neue Stufe zur Klärung des künftigen Status der Provinz erreicht. In der vergangenen Woche hat der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, Martti Ahtisaari, seinen Lösungsplan der serbischen Regierung und den Kosovo-Albanern vorgelegt.

Bereits zuvor war die so genannte Kosovo-Kontaktgruppe über die Inhalte unterrichtet worden. Diesem Gremium gehören Russland, Frankreich, Deutschland, die USA, Großbritannien und Italien an. Bei den westlichen Kontaktgruppenmitgliedern stößt der Plan weitgehend auf Zustimmung. Kritik gibt es dagegen von Russland. Um die Bedenken Moskaus auszuräumen, hat der UN-Beauftragte Ahtisaari eine überwachte Unabhängigkeit des Kosovo vorgeschlagen. Als Vorbild kann Bosnien-Herzegowina gesehen werden. Hier ist ein so genannter Hoher Repräsentant eingesetzt worden, der sich die wesentlichen politischen Entscheidungen vorbehält.

Allerdings hat dieser vermeintliche Lösungsansatz zwei Schwächen. Und damit wird er zu einer Mogelpackung für Serbien, aber auch für die Kosovo-Albaner: Für die separatistischen Kosovo-Albaner widerspricht die überwachte Unabhängigkeit ihrer zentralen Forderung nach uneingeschränkter Unabhängigkeit. Der gegenwärtige Zustand wird von Ihnen schon seit längerem als koloniale Bevormundung durch die Internationale Gemeinschaft wahrgenommen. Eine überwachte Unabhängigkeit würde aus Sicht der Kosovo-Albaner diese Situation nur weiter fortsetzen. Und für Belgrad wäre das Kosovo als Teil Serbiens definitiv verloren, ganz gleich ob der dann entstehende Staat Kosovo eine überwachte oder eine uneingeschränkte Unabhängigkeit erhielte. Dass sich Serbien aber genau einer solchen Lösung widersetzt, ist kein Geheimnis. Noch am 2. Februar, dem Tag der Unterbreitung des Lösungsplans durch Ahtisaari, hat der serbische Staatspräsident, Boris Tadic, erneut diese Position deutlich gemacht.

Serbien besteht weiterhin auf einer Lösung im Rahmen der UN-Resolution 1244, in der aus Belgrader Sicht der Status des Kosovo eigentlich bereits festgelegt worden ist. Demnach bleibt das Kosovo, ausgestattet mit substanzieller Autonomie, ein Teil Jugoslawiens bzw. Serbiens. Denn nach der Auflösung Jugoslawiens und der Staatenunion Serbien-Montenegro ging das Kosovo völkerrechtlich in den Besitzstand Serbiens als Rechtsnachfolger über. Verfassungsrechtlich war das Kosovo ohnehin ein Teil Serbiens. Diese Position hat Serbien mit der Annahme der neuen Verfassung kürzlich erneut bekräftigt.

Serbien weiß sich somit völker- und verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite. Dies wird auch in dem Lösungsplan Ahtisaaris’ letztlich anerkannt: Dass nämlich eine Statusänderung eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrates erforderlich macht.

Diese rechtliche Bedingung erschwert es den westlichen Kontaktgruppenmitgliedern, ihre Vorstellungen der überwachten Unabhängigkeit oder gar der uneingeschränkten Unabhängigkeit für das Kosovo umzusetzen. Denn Russland und China wollen keine Entscheidung im UN-Sicherheitsrat unterstützen, die für Serbien nicht akzeptabel ist. Die USA hingegen fordern im Einklang mit den Kosovo-Albanern die vollständige Unabhängigkeit des Kosovo und drohen sogar mit der einseitigen diplomatischen Anerkennung der Provinz.

Eine solche Maßnahme stünde aber im Widerspruch zur angestrebten Stabilität in Südosteuropa. Sie hätte zudem Folgen für andere Regionen mit Minderheitenproblemen. Denn auf dem Territorium eines Staates entstünde gegen dessen Willen, und somit gewaltsam, ein neuer Staat - und dies mit Unterstützung außenstehender Großmächte.

Die einseitige Anerkennung würde einen eklatanten Völkerrechtsbruch darstellen, da die Norm der territorialen Integrität von Staaten über dem Selbstbestimmungsrecht von Minderheiten steht, und zwar aus Gründen der internationalen Stabilität. Eine einseitige Anerkennung wäre ein gefährlicher Präzedenzfall und hätte eine destabilisierende Wirkung. Kein Wunder, dass Abchasen und Osseten in Georgien, Transnistrier in Moldawien, bosnische Serben und bosnische Kroaten, die Basken in Spanien und Frankreich die Entwicklung im Kosovo mit großem Interesse beobachten.

Zwar versuchen die Amerikaner und auch Ahtisaari das Kosovo als einen einzigartigen Fall darzustellen, aus dem kein Präzedenzfall abgeleitet werden könne. Doch diese Begründung ist nur wenig überzeugend. Denn jeder einzelne Sezessionsfall hat immer auch eigene Besonderheiten in seiner Begründung.

Die Gründe für die Amerikaner, das Kosovo in die Unabhängigkeit zu entlassen, sind vielschichtig. Ein wesentlicher Grund ist strategischer Art: Die Amerikaner betrachten die Kosovo-Albaner als muslimische Demokraten und als die größte Gruppe pro-amerikanischer Muslime in der islamischen Welt. Sie wären ein Beispiel für eine erfolgreiche amerikanisch-muslimische Partnerschaft, so sieht es beispielsweise der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats, Joseph Biden.

Moskau fordert indes von den internationalen Verhandlungspartnern, eine Kompromisslösung zwischen Serbien und Kosovo-Albanern zu unterstützen, so dass für beide Konfliktparteien eine win-win Situation entstehen könnte.

Russland selbst befindet sich, wie auch immer die Entscheidung letztlich ausfallen wird, in einer komfortablen Situation: Sollte das Kosovo bei Serbien verbleiben, kann sich Russland in historischer Anlehnung an den Panslawismus als Beschützer Serbiens präsentieren. Zugleich würde damit das gewachsene internationale Gewicht Russlands demonstriert werden. Sollte das Kosovo jedoch gegen den Willen Serbiens und somit einseitig unabhängig werden, so kann Moskau sich diesen Präzedenzfall im post-sowjetischen Raum zu nutze machen: Russland würde Sezessionsbestrebungen in den Nachbarstaaten unterstützen, die sich für Russland als nützlich erweisen könnten – zum Beispiel in Georgien.

Da der Westen aber die Schaffung eines Präzedenzfalles verhindern und zugleich an der Unabhängigkeit des Kosovo festhalten will, werden Serbien für den freiwilligen Verzicht auf das Kosovo Kompensationsleistungen in Aussicht gestellt: Eine raschere Aufnahme in die EU und in die NATO. Doch diese Angebote können in den Augen Serbiens den Verlust eines für Serbien historisch und kulturell bedeutsamen Territoriums nicht ausgleichen. Hinzu kämen weitere zu erwartende serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo. Belgrad sieht sich ohnehin immer noch mit mehreren Hunderttausend Flüchtlingen aus Kroatien, Bosnien und der Provinz Kosovo konfrontiert.

Ob Serbien die in Aussicht gestellte Option einer NATO-Mitgliedschaft überhaupt attraktiv findet, ist außerdem fraglich. Auch die kürzlich beschlossene Aufnahme Belgrads in das NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden" ändert daran wenig. Zu tief sind die Vorbehalte in der serbischen Gesellschaft angesichts der Ereignisse der jüngsten Vergangenheit.

Auch eine EU-Aufnahme, quasi als "Belohnung" für einen Verzicht auf das Kosovo, wirkt nicht überzeugend. Denn letztlich liegt es im ureigensten Interesse der EU selbst, Serbien früher oder später aufzunehmen, um eine räumliche Geschlossenheit der EU herbeizuführen.

Was aber kann der Westen überhaupt bieten, um Serbien zu einer freiwilligen Aufgabe des Kosovo zu bewegen? Für Serbien wäre möglicherweise die Abtrennung eines Teils des Kosovo akzeptabel. Denkbar wäre der Verzicht auf den albanisch dominierten und somit größeren Teil des Kosovo. Der serbisch dominierte nördliche Teil des Kosovo würde bei Serbien verbleiben. Allerdings lehnen die westlichen Mitglieder der Kontaktgruppe diese Option bislang mit Argumenten der notwendigen Aufrechterhaltung eines multiethnischen Kosovo ab. Dass dieser multiethnische Kosovo in der Realität jedoch nicht existiert, scheint den Westen nicht weiter zu stören.

Der UN-Beauftragte Ahtisaari hat den beiden Konfliktparteien am 2. Februar einen weiteren Monat eingeräumt, um durch erneute Verhandlungen doch noch eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen. Dass es dabei einen Durchbruch geben wird ist jedoch unwahrscheinlich. Denn die bisherigen Gespräche haben keine Annäherung der Positionen gebracht.