Fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September
Westen ohne Konzept für asymmetrische Konflikte?
von Otfried Nassauer
Blicken wir zurück auf das Jahr 2001: Auf die verheerenden Terroranschläge vom 11.
September reagierte die Regierung Bush mit der Feststellung "Amerika ist im
Krieg". Es werde sein legitimes Recht zur Selbstverteidigung nutzen. Die Vereinten
Nationen zeigten Verständnis. Die NATO Solidarität. Sie aktivierte erstmals in ihrer
Geschichte die Beistandsverpflichtung nach Artikel V des NATO-Vertrages, den Bündnisfall.
Er gilt bis heute. Doch Washington agierte zunächst im Alleingang, mit einer Koalition
der Willigen. Im Oktober 2001 begannen US-Truppen, das Taliban-Regime in Afghanistan zu
verjagen. Bald wurden Spezialkräfte der USA zur Bekämpfung militanter islamistischer
Gruppen auch in anderen Ländern eingesetzt, zum Beispiel auf den Philippinen. Anderthalb
Jahre später, im Frühjahr 2003, erfolgte der Angriff auf den Irak. Washington warf
Saddam Hussein fälschlich vor, Massenvernichtungswaffen zu besitzen und Verbindungen zum
islamistischen Terrorismus zu unterhalten.
Spätestens mit der umstrittenen Entscheidung zum Krieg gegen den Irak wurde deutlich,
dass sich in der US-Außenpolitik eine Allianz aus Neokonservativen und ultrakonservativen
Machtpolitikern um Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld durchgesetzt
hatte. Diese Allianz verfolgt ein größeres Ziel. Ihre Vordenker verkündeten früh die
Richtung: Jim Woolsey, ein ehemaliger CIA-Chef, redete nur wenige Monate nach den
Terroranschlägen erstmals vom 4.Weltkrieg. Als GWOT, als Global War on Terrorism, als
globaler Krieg gegen den Terrorismus fand der Gedanke Eingang in die offizielle
Sprachregelung. Er werde lange dauern, möglicherweise Jahrzehnte, länger als der Kalte
Krieg, so war bald zu hören.
Die Neokonservativen präsentierten ihr Projekt der Neuordnung des gesamten Nahen und
Mittleren Ostens, der umfassenden Modernisierung, Demokratisierung und Liberalisierung der
arabischen und islamischen Welt. Notfalls müsse Washington dabei Regierungswechsel
gewaltsam durchsetzen. Es bedürfe nur des politischen Willens, auf eine Strategie des
dauerhaften Drucks und der permanenten Offensive zu setzen. Aus Sicht der
ultrakonservativen Machtpolitiker versprach dieser Ansatz, auf die Verwertung der
gewaltigen Energiereserven der Golfregion mehr Einfluss nehmen zu können, sowie Argumente
für hohe Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben. Die Ultrakonservativen hofften, die
dominante Rolle Washingtons auch in Asien durchsetzen zu können. Der Ansatz ermöglichte
es, offensiv mit jenem großen Problem umzugehen, das Andrew Marshall, ein einflussreicher
Vordenker für beide Gruppen, in einer Studie über "Asien 2025" als wichtigste
Herausforderung für das 21. Jahrhundert identifiziert hatte: In Asien wird in der ersten
Hälfte des 21. Jahrhunderts unweigerlich eine umfassende Neuverteilung globaler Macht
stattfinden. Die USA seien dafür schlecht gerüstet. Marshall legte der Politik in
Washington nahe, Strategien zu entwickeln, mit denen die USA diese Umgestaltung aktiv
betreiben könnten, statt nur auf Veränderungen zu reagieren. Naheliegend war der Schluss
der Bush-Administration, diese Umgestaltung entlang amerikanischer Interessen im
energiereichen Südwestasien zu beginnen. Der Krieg gegen den Terrorismus bot einen
willkommenen Anlass, mit einer Neuordnung zu beginnen.
Doch nach fünf Jahren Krieg sprechen die Zwischenergebnisse dafür, dass Washington
auf eine gefährliche Strategie gesetzt hat, die scheitern könnte oder bei der die USA
die Kontrolle über die Eskalation verlieren könnten. Der islamistische Terrorismus ist
nicht besiegt. Im Gegenteil: Er gewinnt vielmehr nach jüngsten Schätzungen neue
Mitstreiter. Ihre Zahl steigt schneller als die der festgenommenen oder getöteten
Terroristen und Attentäter. Osama bin Laden ist noch immer in Freiheit. Die Taliban in
Afghanistan sind wiedererstarkt. Sie könnten die NATO schon im nächsten Jahr vor die
Wahl stellen, ihre Kräfte deutlich zu verstärken oder aus Teilen des Landes abzuziehen.
Der Irak droht völlig in Terror und Bürgerkrieg zu versinken. Nebenbei wurde die Rolle
des Irans als Regionalmacht gestärkt, weil der Irak als Gegenpol entfällt. Zugleich
verschärft sich der Konflikt mit Teheran, dem Washington die Unterstützung von
Terroristen und das Streben nach Atomwaffen vorwirft. Die Hisbollah - aus der Sicht
Washingtons Terroristen -, die Teheran unterstützt, hat den israelischen Streitkräften
getrotzt. Israels Nimbus der Unbesiegbarkeit ist verloren. Neben der Auseinandersetzung
mit Teilen der sunnitischen Welt droht künftig auch ein Konflikt mit der zweiten großen
Glaubensrichtung der Moslems den Schiiten.
Osama bin Laden versteht den westlichen Krieg gegen den Terrorismus als Kreuzzug gegen
die moslemische Welt. Er kann seinen Anhängern den bisherigen Verlauf dieses Krieges
durchaus als Erfolg darstellen: Die USA haben ihre Truppen weitgehend aus Saudi-Arabien
abgezogen. Der Westen steht im Irak und in Afghanistan unter erheblichem militärischen
Druck. In Somalia haben Fundamentalisten gegen die von Washington unterstützten Warlords
gesiegt. Israel konnte die Hisbollah nicht bezwingen. Die prowestlichen arabischen Regime
haben größte Mühe, ihre fundamentalistische moslemische Opposition unter Kontrolle zu
halten. Moslems in aller Welt sehen in den USA, im Machstreben dieser Supermacht, den
eigentlichen Grund für die immer schärfer werdende Auseinandersetzung. Die westlichen
Werte und Ideale haben durch die klaren Menschen- und Völkerrechtsverletzungen der USA
und die repressiven Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit in vielen Ländern
deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Und Europa? In Europa streiten die Geister weiter mit sich selbst. Ein Teil der
Europäer setzt seit 2001 darauf, die USA bedingungslos zu unterstützen. Ein anderer Teil
hält Washingtons Strategie für verfehlt und gefährlich. Regierungswechsel in
europäischen Ländern führten des Öfteren auch zu einem Lagerwechsel in dieser Frage.
Weitgehend einig ist man sich in Europa nur, dass der Versuch Washingtons, den Terrorismus
primär militärisch zu eliminieren, nicht erfolgreich sein kann. Trotzdem will niemand
dem wichtigsten eigenen Bündnispartner die Unterstützung komplett versagen. Deshalb
beteiligen sich fast alle Europäer militärisch in der einen oder anderen Weise. Je
länger desto mehr: Im Irak, in Afghanistan und künftig auch im Libanon. In all diesen
Ländern können die Truppen der Europäer aber auch Geisel einer weiteren Eskalation
werden, über die nicht sie, sondern andere entscheiden. Andere, die glauben, dass die
Geschichte von Gott vorherbestimmt und in den Heiligen Schriften vorhergesagt ist: Mahmut
Achmadinejad, Osama bin Laden und George W. Bush. Sie alle glauben deshalb, eine Mission
zu haben.
Der Krieg gegen den Terrorismus oder wie es in der neuen Anti-Terrorstrategie
der US-Regierung interessanterweise heißt - gegen "gewalttätige Extremisten"
kann weiter eskalieren. In den USA drängen vor allem Neokonservative darauf, endlich auch
gegen Syrien und den Iran militärisch vorzugehen. Nur dann verliere der islamistische
Terrorismus seine wichtigsten Unterstützer. Israel drängt Washington, noch zu Amtszeiten
George W. Bushs gegen die iranischen Atomanlagen vorzugehen. Der
israelisch-palästinen-sische Konflikt behält seine Brisanz. Die Kriege im Nahen und
Mittleren Osten und der Krieg gegen den Terrorismus können sich sogar zu einem Weltkrieg
entwickeln. Werden Syrien und der Iran in Kampfhandlungen verstrickt, so herrscht vom
Mittelmeer bis nach Afghanistan und Pakistan durchgängig Krieg und Instabilität.
Angesichts seiner zwar großen, aber doch begrenzten militärischen Fähigkeiten muss
Washington dann ein Interesse haben, alle Europäer zu einem klaren Bekenntnis zu zwingen.
Stehen sie mit all ihren Ressourcen auf Seiten der USA? Riskieren sie die Konflikte mit
Millionen in Europa lebender Muslime? Den Import des Krieges gegen den Terrorismus in ihre
eigenen Gesellschaften? Wir leben in einer Zeit, in der zunehmend Bekenntnisse gefordert
sind, nicht Erkenntnisse. Das ist bedauerlich.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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