«Die Nato ist gespalten punkto Russland»
Die Nato trifft sich in
Wales zum Gipfel. Es ist ein Krisengipfel wegen der russischen
Aggression in der Ukraine. Rückt die Militärallianz nun
wieder enger zusammen?
Sie glaubt es, weil sie sich
gegen eine neue Bedrohung wendet.
Tatsächlich aber nehmen die Spannungen im Bündnis zu. Denn
die Nato ist gespalten wegen Russland respektive
in der Frage, wie man mit Wladimir Putin umgehen soll.
Offen ist, ob sich angesichts der Ukrainekrise das
konfrontative Lager durchsetzt oder jenes, das eine Kooperation mit Moskau anstrebt. Sicher aber werden sich Risse zeigen.
Welches sind die Exponenten der beiden Lager?
Die USA, Grossbritannien und einige neue
Mitglieder in Osteuropa wollen Sicherheit vor
Russland schaffen. Ihnen gegenüber stehen die alten
Nato-Mitglieder Kontinentaleuropas, also vor allem Deutschland und
Frankreich. Sie wollen die europäische Sicherheit mit Moskau
gestalten. Diese Länder glauben, dass eine langfristige
strategische Kooperation beiden Seiten nützt, wirtschaftlich und
politisch.
Aber kommt der Nato die Krise
in der Ukraine nicht gelegen?Nach dem Ende des Afghanistan-Einsatzes
drohte ihr eine neue Debatte über die Daseinsberechtigung.
Ja, man ist auf der Suche nach einer neuen Hauptaufgabe.
Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat freudig
zugegriffen, als ihm die Krise in der Ukraine die
Möglichkeit bot, für eine neue
gemeinsame Abwehrhaltung gegenüber Russland zu
werben. Damit lässt sich die Existenz der Nato
als Überbleibsel des Kalten Kriegs wieder rechtfertigen.
US-Präsident Obama beginnt seinen Europabesuch heute in Estland. Ist das nur als eine symbolische Geste?
Es ist ein bisschen mehr. Die USA gehören ja zum eher
konfrontativen Lager. Washington bietet den neuen
Mitgliedern, die sich von Russland bedroht fühlen, eine
zusätzliche Rückversicherung. Ausserdem stellen die USA damit
sicher, dass sie weiterhin die
europäische Sicherheitspolitik führend beeinflussen
können. Je konfrontativer das Verhältnis
zu Moskau ist, umso grösser ist die amerikanische Dominanz in Europa.
Fühlen sich die Baltischen Staaten und Polen zu Unrecht bedroht?
Die Geschichte der Balten und Polen macht sie
gegenüber Moskau automatisch skeptisch. Schon als das
Verhältnis zwischen Russland und der Nato noch besser war als
heute, warnten diese Länder vor dem russischen Bären.
Deshalb lehnen sie sich auch so sehr an die USA an.
Die Nato hat angekündigt,
ihre Militärpräsenz in Osteuropa zu verstärken.
Lässt sich Putin damit abschrecken?
Es geht nicht primär darum, Putin abzuschrecken, sondern darum,
den Nato-Mitgliedern in Osteuropa die Bündnistreue zu
versichern. Mit den geplanten dauerhaften Verstärkungen
können Sie keinen Krieg gewinnen, es handelt sich nur um
Kompanien. Man will nicht alle Türen zuschlagen. Zudem gibt
es auch technische Signale. So verlegten die USA Kampfjets des Typs
F-15. Aber wohlweislich Jagdflugzeuge, nicht Jagdbomber. Mit den
Jägern greift man keine Ziele am Boden an. Ausserdem wird
derzeit niemand die Nato-Russland-Gründungsakte von 1997
kündigen. Die Nato hatte sich damals verpflichtet, sich in
Osteuropa nicht permanent mit starken militärischen
Kapazitäten festzusetzen.
Aber Putin scheint diese Signale zu ignorieren.
Alle einzelnen Massnahmen zusammen dürften ihn veranlasst
haben, zu demonstrieren, dass er weiter den starken Mann spielen
kann. Zumal es ja nicht nur die Nato-Aktivitäten gibt,
sondern auch die Aktivitäten einzelner Nato-Staaten, etwa der USA.
Ausserdem gibt es Gerüchte, dass neben der Nato-Reaktionsstruppe
ein weiterer militärischer Verband aufgebaut werden soll.
Wer soll dieser Eingreiftruppe der Willigen denn angehören?
Angeblich planen Briten, Dänen, Norweger,
Balten, Polen, Rumänen und die USA diesen weiteren
Eingreifverband, dem sich auch Kanada
anschliessen könnte. Die Rede ist von 10 000 Soldaten unter der
Führung eines britischen Generals. Ob das Projekt realisiert wird,
ist noch unklar. Jedenfalls würde sich die Spaltung in der
Nato vertiefen. Denn beteiligt sind genau jene Länder, die dagegen
sind, dass auch die EU in Europa eine sicherheitspolitische Rolle
spielt.
Was wird die Nato in Wales dem Nichtmitglied Ukraine anbieten?
Die militärische Zusammenarbeit wird verstärkt,
etwa mit gemeinsamen Manövern oder bei der Ausbildung. Aber die
Mehrheit der Nato-Länder will keinesfalls einen allfälligen
Beitritt der Ukraine beschleunigen.
Wird die Ukraine irgendwann zur Nato gehören?
Klug wäre es nicht. Aber ausgeschlossen ist es auch nicht, falls
sich das konfrontative Lager durchsetzt. Ähnliches trifft für
Georgien zu. Bisher galt, dass man keine Länder mit
ungeklärten Grenzkonflikten aufnimmt. Das ist bei der
Ukraine wie bei Georgien der Fall.
Neutrale Staaten wie Finnland
und Schweden suchen wegen ihrer Nähe zu Russland den Kontakt zur
Nato. Stehen die Tore der Allianz offen?
Die Nato wird sicher nicht sagen, Schweden und Finnland
dürfen nie Mitglied werden. Offen ist aber, was diese Länder
selbst wollen. Und dann stellt sich die Frage, was
geschieht mit den anderen neutralen Staaten wie
Österreich und der Schweiz.
Hat die Neutralität wegen der Krise in der Ukraine weiter an Bedeutung verloren?
Eigentlich müsste sie an Bedeutung gewonnen haben. Denn neutrale
Staaten können ja an politischen Lösungsmodellen
für die Ukrainekrise arbeiten, bei denen keiner der
Streithähne das Gesicht verliert. Dafür ist die Nato
inzwischen zu sehr Partei. Dieser Vorteil wird von den Neutralen
derzeit zu wenig genutzt.
Die Schweiz hat es versucht als Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit, steht nun aber im Abseits.
Die OSZE ist sehr aktiv. Aber sie bleibt weit hinter ihren
Möglichkeiten zurück. Denn sie wäre geeignet, zur
Lösung eines solchen Streitfalls beizutragen. Was die
Schweiz betrifft: Neutrale Staaten stehen
immer scheinbar etwas im Abseits. Das ist eine Stärke, keine
Schwäche, denn sie sind keine Konfliktpartei. Deshalb habe
ich die Schweizer OSZE-Präsidentschaft auch keineswegs
abgeschrieben.
Erleben wir gerade den Beginn eines neuen Kalten Kriegs?
Nein, denn es gibt keinen Gegensatz der Systeme. Aber der Konflikt
könnte eine mögliche Westorientierung Russlands
dauerhaft zerschlagen. Die Ukraine hätte eigentlich ein
Brückenland werden können, gebunden an die Europäische
Union und zugleich an Russland. Mit einer langfristigen Perspektive der
Westintegration für den Fall, dass diese Option auch
Moskau angeboten würde. Aber das ist nun in weite Ferne
gerückt.
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Das Interview führte Christof
Münger |
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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