Tagesspiegel - Interview
22. März 2004

“Schwund und schwarze Schafe”
Sicherheitsexperte Nassauer über schmutzige Geschäfte

 


Korruptionsvorwürfe gegen die UN – überrascht Sie das?

Nicht wirklich. Die UN sind eine multinationale Großbürokratie und Großbürokratien ohne Schwund und schwarze Schafe gibt es selten. Dazu kommt, dass in den Vereinten Nationen alle Kulturen der Welt zusammenkommen, auch ihre unterschiedlichen Rechtsverständnisse und ihre Geschäftsgewohnheiten. Das Bakschisch ist in der arabischen Welt üblich und scheinbar nicht nur dort – denken Sie nur an den Münchener Stadionbau, den US-Konzern Halliburton im Irak oder die Kölner Müllverbrennungsanlage. Im arabischen Raum ist mit dem Bakschisch kein Unrechtsbewusstsein verbunden. In unserer Kultur sollte es vorhanden sein.

 

Wer hat sich bei Oil-for-Food selbst bedient?

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Saddam und sein Regime und wahrscheinlich auch der eine oder andere, der mit ihm zusammengearbeitet hat. Wer sich schmutzige Finger macht, sorgt gern dafür, dass auch andere schmutzige Hände kriegen. "Öl für Lebensmittel" war ja nie nur ein humanitäres Hilfsprogramm, sondern immer auch der Spielball politischer Interessen.

 

Im Nachkriegsirak tauchen Listen jener auf, die Saddam mit Oil-for-Food- Geld bestochen haben soll. Sind das glaubwürdige Hinweise?

Das kann und will ich nicht im Einzelnen beurteilen. Im Nachkriegsirak taucht so manches auf oder nicht mehr auf. Aber vorstellen kann ich mir sehr gut, dass Saddams Regime die ihm genehmen Geschäftspartner extrem gut bezahlt um nicht zu sagen bestochen hat. Das muss nicht nur mit Oil-for-Food-Geldern passiert sein, es kann auch über Zusagen auf lukrative Geschäfte nach Ende der Embargo-Zeit passiert sein. Embargobrecher lassen sich ihr Risiko bezahlen. Und wer mit Embargostaaten Handel treibt, bekommt oft die Zusage besserer Bezahlung in der Zukunft.

 

Wem dienen die Vorwürfe politisch?

Objektiv dienen die Vorwürfe jenen, die verhindern wollen, dass die UN im Irak bald das politische und wirtschaftliche Sagen bekommen. Genau das wäre nicht im Interesse der amerikanischen Hardliner um Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld, die erst den Krieg wollten und sich jetzt um dessen Früchte Sorgen machen. In diesen Kreisen sind die UN ungeliebt. Mancher hält sie gar für überflüssig. Viel Macht für die UN wäre aber auch nicht im Interesse der Iraker, die bald selbst über die Zukunft ihres Landes entscheiden wollen. Und das sind nicht nur Leute wie Herr Chalabi, die eng mit den USA zusammenarbeiten. Deshalb ist es interessant zu sehen, woher die Vorwürfe kommen. Sie kommen meist aus Kreisen, die in der Entmachtung Saddams nur den ersten Schritt zu einer neuen Machtstruktur im ganzen Nahen und Mittleren Osten sehen.

 

Sind die UN reformierbar?

Sie sind reformbedürftig und reformierbar. Nur: Genau wie bei den Reformen in Deutschland bedeutet das, dicke Bretter zu bohren, interne und externe Widerstände zu brechen wie sie für mächtige und einflussreiche Lobbygruppen typisch sind. Wer da Veränderung will, darf getrost mit jedem denkbaren Dolchstoß rechnen.


Das Gespräch führte Robert von Rimscha.

 

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).