Tagesspiegel - Interview
20. Januar 2006


"Das ist das falsche Signal"

Interview mit Otfried Nassauer

Frankreichs Präsident Chirac hat gedroht, gegen Terroristen auch Atomwaffen einzusetzen. Was steckt hinter dieser Äußerung, Herr Nassauer?
Die Äußerung muss man in drei Kontexten sehen. Sie fand zum einen auf dem französischen Atomwaffenstützpunkt L’Ile-Longue statt und dient zunächst der öffentlichen Rechtfertigung der Existenz der französischen Atomwaffen. Der zweite Punkt ist ein strategischer. Chirac sagt ähnlich wie die USA: Atomwaffen sind nicht nur zur Abschreckung anderer atomar bewaffneter Staaten da, sondern auch von Staaten, die Terroristen bei großen Anschlägen unterstützen. Das ist eine sehr problematische Aussage. Und schließlich muss man das aktuelle Thema Iran sehen. In diesem Kontext ist diese Äußerung Teil einer – aus meiner Sicht – fast irrationalen verbalen Eskalation, die Ausdruck einer diplomatischen Hilflosigkeit der Europäer ist.

Könnte das Iran nicht erst recht in dem Wunsch bestärken, eigene Atomwaffen zu entwickeln?
In Iran wird diese Äußerung dem Präsidenten Ahmadinedschad eher helfen. Ob Iran sich aber bestärkt fühlt, Atomwaffen zu bauen, lässt sich im Moment nicht sagen. Möglich ist es durchaus. Denn je stärker die Atomwaffenstaaten signalisieren, dass sie ihre Waffen auch gegen nichtnukleare Staaten einsetzen würden, desto mehr werden Atomwaffen zu einem Symbol nationaler Macht. Das ist eindeutig das falsche Signal.

Glauben Sie, dass Deutschland und Großbritannien von dieser Änderung der französischen Nukleardoktrin wussten?
Für die Regierungen in London und Berlin dürfte diese Äußerung keine riesige Überraschung gewesen sein. Chirac hatte früher schon einmal angedeutet, dass er die Nukleardoktrin in diese Richtung ändern könnte.

Wie kann Terrorismus denn überhaupt mit Atomwaffen bekämpft werden?
Chirac hat ja deutlich gemacht, dass er anders als George W. Bush Atomwaffen nicht als Mittel der Kriegsführung gegen Terroristen sieht. Frankreich bleibt dabei, dass seine Atomwaffen nur zur Abschreckung und Vergeltung da sind. Ein solcher Einsatz von Atomwaffen gegen Staaten, die Terroristen unterstützen, ist so problematisch wie unwahrscheinlich. Wie soll denn bitte der lupenreine Beweis aussehen, dass ein Staat für einen Anschlag verantwortlich ist?

Das Gespräch führte Fabian Leber


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS