Die Regierung Bush ist mitschuldig
von Otfried Nassauer
US-Soldaten haben im Irak vermutlich Unbewaffnete erschossen. Ist das ein Einzelfall
oder kann so etwas wieder passieren, Herr Nassauer?
Das kann man nicht ausschließen. Es gibt Gründe zu vermuten, dass solche Szenen im
Irak häufiger vorkommen.
Welche Gründe sind das?
Die Nerven liegen blank, Stress und eine wachsende Kriegermentalität. Es ist ein
Zeichen der Missachtung von Menschenleben. Schon die Vorgeschichte: Dass am Tag zuvor
gekämpft wurde Menschen verwundet liegen gelassen wurden, zeigt, dass Menschenleben im
Krieg schnell ein vernachlässigbares Gut werden.
Eine Verrohung also?
Ja, der Soldat mutiert zum Krieger und die Werte, die er angeblich verteidigt
die Menschenrechte zum Beispiel spiegeln sich nicht mehr in seinem Handeln wider.
Wie werten Sie die Bilder von der Tötung des Irakers?
Für unsere Augen ist das Schlimmste das Töten eines vermutlich Unbewaffneten. Für
arabische Augen beinhaltet diese Szene mehr Regelbrüche: Es geschieht in einer Moschee,
Soldaten laufen mit Kampfstiefeln herum.
Waren die Soldaten nicht richtig ausgebildet, nicht auf so etwas vorbereitet?
Es sind mehrere Faktoren: Die Personalauswahl, das Personal, die Ausbildung und
politisch-moralische Aspekte. Bei der Rekrutierung kämpfen die USA damit, dass sie
mangels Geld meist nur im unteren Drittel der Gesellschaft rekrutieren können, im
ländlichen, konservativen Raum und in schlecht ausgebildeten Gesellschaftsschichten. Zur
Ausbildung: Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass Soldaten in Kriege im Ausland
geschickt werden, desto höher müsste der Anspruch an die Bildungsfähigkeit des Soldaten
sein. Er braucht eine kulturelle Empathie für seinen Einsatzort. In den USA wird oft nur
die Kampfgemeinschaft, das Rädchen in einer Kampfmaschine trainiert. Der militärische
Erfolg steht über allem.
Und der politisch-moralische Anteil?
Ein Soldat, der ständig hört, der Gegner halte sich weder an Gesetze noch habe er
Moral, der verhält sich entsprechend, wird zum Krieger, der sich nicht an Recht und Moral
halten muss. Töte, bevor du getötet wirst, weil du dich an die Regeln
hältst. Die politische Legitimation eines Kriegs schlägt bis ins
Unrechtsbewusstsein und das moralische Bewerten des einzelnen Soldaten durch. Wenn das
Militär da keine präventiven Steuerungselemente aufbaut, geht es schief.
Wie könnte man denn da gegensteuern?
Die Bundeswehr hat ein paar Instrumente: Die Idee vom Soldaten als Bürger in Uniform
oder die innere Führung, dieVerantwortung delegiert und damit dem Soldaten immer wieder
vor Augen führt, dass er eine rechtliche und moralische Bewertungsnotwendigkeit hat und
für sein Tun verantwortlich ist. Das ist natürlich keine absolute Garantie, aber wenn es
langfristig trainiert wird, ist es eine recht wirksame Vorbeugung. Fehlen solche
vorbeugenden Maßnahmen, dann ist es eine Illusion zu glauben, nach den Bildern von Abu
Ghraib käme ähnlich Brutales nie wieder vor. Die US-Soldaten haben kein großes
Unrechtsbewusstsein, aber oft einen rechtfertigenden Befehl und eine aus ihrer
Sicht moralische Rechtfertigung nach dem Motto: Die Guten gegen die Bösen im
absoluten Überlebenskampf. Es gibt nur einen Überlebenden.
Die Regierung Bush ist also mitschuldig, weil sie das politische Klima mitherstellt?
Absolut, ja. Die Bilder von Falludscha vermitteln, dass die, die sich für zivilisiert
halten, vorgeben, die Zivilisation zuverteidigen, sich höchst unzivilisiert verhalten.
Aus unserer Sicht, mehr aber noch aus einer arabischen oder islamischen.
Ist der Weg zu einem stabileren Irak und Wahlen noch erschwert durch die Bilder?
Falludscha ist ein Pyrrhussieg. Die US-Truppen haben militärisch gewonnen, aber
politisch, psychologisch verloren. Die Bilder auch die von dem stark zerstörten
Falludscha wirken in der arabischen Welt wie eine Rekrutierungskampagne für neue
Widerstandskämpfer.
Otfried Nassauer leitet das Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit in
Berlin. - Das Gespräch führte Stephanie Nannen.
|