Tagesspiegel - Interview
18. November 2004


„Die Regierung Bush ist mitschuldig“

von Otfried Nassauer


US-Soldaten haben im Irak vermutlich Unbewaffnete erschossen. Ist das ein Einzelfall oder kann so etwas wieder passieren, Herr Nassauer?

Das kann man nicht ausschließen. Es gibt Gründe zu vermuten, dass solche Szenen im Irak häufiger vorkommen.

Welche Gründe sind das?

Die Nerven liegen blank, Stress und eine wachsende Kriegermentalität. Es ist ein Zeichen der Missachtung von Menschenleben. Schon die Vorgeschichte: Dass am Tag zuvor gekämpft wurde Menschen verwundet liegen gelassen wurden, zeigt, dass Menschenleben im Krieg schnell ein vernachlässigbares Gut werden.

Eine Verrohung also?

Ja, der Soldat mutiert zum Krieger und die Werte, die er angeblich verteidigt – die Menschenrechte zum Beispiel – spiegeln sich nicht mehr in seinem Handeln wider.

Wie werten Sie die Bilder von der Tötung des Irakers?

Für unsere Augen ist das Schlimmste das Töten eines vermutlich Unbewaffneten. Für arabische Augen beinhaltet diese Szene mehr Regelbrüche: Es geschieht in einer Moschee, Soldaten laufen mit Kampfstiefeln herum.

Waren die Soldaten nicht richtig ausgebildet, nicht auf so etwas vorbereitet?

Es sind mehrere Faktoren: Die Personalauswahl, das Personal, die Ausbildung und politisch-moralische Aspekte. Bei der Rekrutierung kämpfen die USA damit, dass sie mangels Geld meist nur im unteren Drittel der Gesellschaft rekrutieren können, im ländlichen, konservativen Raum und in schlecht ausgebildeten Gesellschaftsschichten. Zur Ausbildung: Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass Soldaten in Kriege im Ausland geschickt werden, desto höher müsste der Anspruch an die Bildungsfähigkeit des Soldaten sein. Er braucht eine kulturelle Empathie für seinen Einsatzort. In den USA wird oft nur die Kampfgemeinschaft, das Rädchen in einer Kampfmaschine trainiert. Der militärische Erfolg steht über allem.

Und der politisch-moralische Anteil?

Ein Soldat, der ständig hört, der Gegner halte sich weder an Gesetze noch habe er Moral, der verhält sich entsprechend, wird zum Krieger, der sich nicht an Recht und Moral halten muss. „Töte, bevor du getötet wirst, weil du dich an die Regeln hältst.“ Die politische Legitimation eines Kriegs schlägt bis ins Unrechtsbewusstsein und das moralische Bewerten des einzelnen Soldaten durch. Wenn das Militär da keine präventiven Steuerungselemente aufbaut, geht es schief.

Wie könnte man denn da gegensteuern?

Die Bundeswehr hat ein paar Instrumente: Die Idee vom Soldaten als Bürger in Uniform oder die innere Führung, dieVerantwortung delegiert und damit dem Soldaten immer wieder vor Augen führt, dass er eine rechtliche und moralische Bewertungsnotwendigkeit hat und für sein Tun verantwortlich ist. Das ist natürlich keine absolute Garantie, aber wenn es langfristig trainiert wird, ist es eine recht wirksame Vorbeugung. Fehlen solche vorbeugenden Maßnahmen, dann ist es eine Illusion zu glauben, nach den Bildern von Abu Ghraib käme ähnlich Brutales nie wieder vor. Die US-Soldaten haben kein großes Unrechtsbewusstsein, aber oft einen rechtfertigenden Befehl und eine – aus ihrer Sicht – moralische Rechtfertigung nach dem Motto: Die Guten gegen die Bösen im absoluten Überlebenskampf. Es gibt nur einen Überlebenden.

Die Regierung Bush ist also mitschuldig, weil sie das politische Klima mitherstellt?

Absolut, ja. Die Bilder von Falludscha vermitteln, dass die, die sich für zivilisiert halten, vorgeben, die Zivilisation zuverteidigen, sich höchst unzivilisiert verhalten. Aus unserer Sicht, mehr aber noch aus einer arabischen oder islamischen.

Ist der Weg zu einem stabileren Irak und Wahlen noch erschwert durch die Bilder?

Falludscha ist ein Pyrrhussieg. Die US-Truppen haben militärisch gewonnen, aber politisch, psychologisch verloren. Die Bilder – auch die von dem stark zerstörten Falludscha – wirken in der arabischen Welt wie eine Rekrutierungskampagne für neue Widerstandskämpfer.


Otfried Nassauer leitet das Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit in Berlin. - Das Gespräch führte Stephanie Nannen.