Rüstungskontrolle wird wieder ein politisches Instrument
Interview mit Otfried Nassauer
Neue Luzerner Zeitung: Barack Obama hat gestern
in Prag seine Abrüstungspläne angekündigt. Wie wichtig
ist diese Ankündigung?
Nassauer: Sehr. Obama hat klar gemacht, dass er Rüstungskontrolle
und Abrüstung wieder als Gestaltungsmittel internationaler Beziehungen
nutzen will. Damit ist die Politik der Regierung Bush zu Ende. Im Kern
greift Obama die Agenda von Bill Clinton wieder auf – hoffentlich mit
mehr Konsequenz und Erfolg.
Also nichts Neues?
Nassauer: Doch, etwas Neues: Die Einschnitte bei den
atomaren Waffen dürften tiefer ausfallen, als unter Clinton offiziell
diskutiert.
Was heisst das konkret?
Nassauer: Der Vorschlag, der in Amerika kursiert, lautet:
Je 1.000 aktive Atomwaffen bei den Streitkräften der USA und Russlands.
Damit würden die strategischen Atomwaffen ( auf see- und landgestützten
Langstreckenraketen sowie Bombern) gegenüber der derzeitigen Planung
etwa halbiert. Einschnitte dürfte es auch bei den Reservesprengköpfen
geben. Obama will kein riesiges, zweites Potenzial. Er selbst hat noch
keine konkreten Zahlen genannt, weil er sich für die konkreten Verhandlungen
Flexibilität erhalten will. Russland muss sparen und je weniger Geld
für neue Raketen und Sprengköpfe nötig ist, desto besser.
Moskau wird sicher Entgegenkommen bei technischen Details verlangen. Auf
jeden Fall wird bald über einen neuen Vertrag verhandelt, der den
Weg zu weiteren Abrüstungsschritten ebnen kann.
Wie realistisch schätzen Sie die Umsetzung dieser Pläne
ein?
Nassauer: Für realistisch. Sowohl die USA als
auch Russland haben ein klares Interesse an Abrüstung. Und sie haben
ein weiteres gemeinsames Ziel.
Welches?
Nassauer: Beide Länder sind in Eile. Im April 2010
wird der Atomwaffensperrvertrag überprüft. Beide wollen verschärfte
Regeln gegen die Verbreitung nuklearer Materialen und Waffentechnik. Soll
das auch den Nicht-Nuklearnationen schmackhaft gemacht werden, so müssen
die Atommächte Abrüstungswillen demonstrieren und konkrete Ergebnisse
vorlegen. In diesem Kontext ist die Vision einer atomfreien Welt auch
psychologisch wichtig.
Die Vision scheint sehr vage.
Nassauer: Wichtig ist, dass das Ziel Null wieder genannt
worden ist. Dieses Ziel ist in den vergangenen Jahren von der politischen
Agenda der USA verschwunden. Nun ist es wieder da. Barack Obama ist Realist
genug, zu sagen, dass dieses Ziel zu seinen Lebzeiten möglicherweise
nicht mehr erreicht wird.
Für wie möglich halten Sie dieses Ziel?
Nassauer: Es wäre durchaus möglich, wenn Obama
konsequent tut, was er sagt. Die Frage lautet, wie der Mittlere Osten,
wie China, Indien, Pakistan und die anderen Atommächte für dieses
Ziel gewonnen werden können. Dabei scheint mir, dass Obama eine Doppelstrategie
wählt.
Wie sieht diese aus?
Nassauer: Obama ist bereit, selbst erste Schritte zu
machen. Er setzt auf Kooperation hofft, dass sich wie beim Atomwaffensperrvertrag
eine Dynamik entwickelt, der sich letztlich kein Land entziehen kann.
Nach und nach müssen sie nolens volens mitmachen – beim Verbot atomarer
Waffentests oder beim Verbot der Produktion waffenfähigen Nuklearmaterials.
Wer nicht mitmacht, macht sich selbst zum Außenseiter.
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Begeisterung auf Israel überschwappt,
ist wohl sehr gering?
Nassauer: Derzeit ja. Vielleicht entwickelt die Regierung
Obama aber auch dafür neue Ansätze. Um Israel und die islamische
Welt zu gewinnen, wäre ein neuer Umgang mit ihren Ängsten wichtig.
Israel könnte beispielsweise eine Art Existenzgarantie erhalten;
die islamische Welt dafür eine Nicht-Angriffsgarantie. Beides könnten
starke Garantieren sein. Mit der Zeit könnte sich Israel fragen,
ob es wirklich Atomwaffen braucht.
Wie geht es konkret weiter?
Nassauer: Zuerst stehen die Verhandlungen mit Russland
auf der Agenda. Parallel stellt sich die Frage, ob Obama das Testverbot
im amerikanischen Senat durchbringt: Die Zeichen dafür stehen wegen
der demokratischen Mehrheit gut. Barack Obama bemüht sich jedenfalls
um klare Signale, dass es ihm ernst ist: Die Gelder für die Entwicklung
neuer Atomwaffen sind gestrichen worden.
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Das Interview führte Iwona Meyer |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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