Visionen werden gebraucht, billiger geht es nicht
Interview mit Otfried Nassauer
Wie kommt endlich Frieden in den Nahen Osten? Fragen an den Sicherheitsexperten
Otfried Nassauer
ND: Zwei Unerbittliche führen wieder gegeneinander Krieg. Sie lassen ihre Völker
bluten. Ungezielte Hisbollah-Raketen schlagen in israelischen Wohnvierteln ein, Israels
Luftwaffe zerbombt Libanon. Ein ungleicher Krieg. Ist das einer von diesen asymmetrischen
Kriegen oder »nur« eine »übliche« temporäre Auseinandersetzung?
Otfried Nassauer: Ja, ein hoffentlich nur temporärer, aber durchaus ein asymmetrischer
Krieg. Der zu einem regionalen Krieg eskalieren kann. Da kämpft eine Armee, die auf
Aufstandsbekämpfung und zwischenstaatliche Kriege vorbereitet ist, mit einer Truppe, die
Guerillakriegführung und ungelenkte Raketen kombiniert, Waffen nutzt, über die sonst nur
Staaten verfügen, und zeigt, das sie erhebliche Probleme bereiten kann. Ähnliches kennen
wir aus Irak, aus Afghanistan und Gebieten im Süden der ehemaligen Sowjetunion.
Nach dem 11.9. glaubte man, asymmetrische Kriege sind Terrorakte gegen den
Westen und Militärschläge des Westens in der Dritten Welt. Siehe Afghanistan. Es gibt
Nuancen?
Asymmetrische Konflikte können zwischen staatlichen Militärstrukturen und zur
Gewaltanwendung fähigen nichtstaatlichen Akteuren aller Art entstehen. Also mit
Terroristen, religiösen Extremisten, Befreiungsbewegungen, aber auch mit den
Sicherheitskräften eines transnationalen Konzerns oder der Organisierten Kriminalität,
die wirtschaftliche Interessen durchsetzen wollen. Sie können transnationalen Charakter
haben, aber sich auch auf ein Staatsgebiet oder Teile davon beschränken.
Es gibt keine Grenzen? In Lateinamerika kann es ebenso passieren? An Russlands
Südgrenzen schlägt Militär seit langem gegen Guerilla los und trifft Zivilisten ...
Das sind vergleichbare Phänomene, die unterschiedliche Ausprägungsformen
finden. Ähnlich wie die so genannten »Kleinen Kriege«, die Kriege in zerfallenden
Staaten. Es sind auch oft keine neuen Phänomene. Wir kennen sie seit Jahrzehnten. Im
Kalten Krieg wurden sie nur meist schnell eingehegt. Die Kriegsparteien kamen in den
»geopolitischen Schnellkochtopf Ost-West«. Deckel drauf und Ruhe!
Seit dem Ende der Ost-West-Auseinandersetzung sprechen wir vermehrt von
Prozessen der Globalisierung. Hat das auch mit diesen neuen Kriegen zu tun?
Die wirtschaftliche Globalisierung nutzt den Weg der Deregulierung und bedeutet
eine Freisetzung enormer ökonomischer Kräfte vor allem des und zugunsten des Westens.
Das Recht des wirtschaftlich Stärkeren setzt sich durch. Dieser Stärkere ist immer
weniger mit Nationen und deren Interessen identifizierbar. Konzerne agieren transnational
und sind es auch. Kapitalmärkte werden globaler.
Inzwischen hat auch in den internationalen Beziehungen eine Deregulierung eingesetzt. Sie
wird vor allem in zwei Formen sichtbar. Einmal als Deregulierung von unten. Staaten
verlieren die Fähigkeit, ihr gesamtes Territorium zu kontrollieren und auf dem Papier
noch bestehendes Recht durchzusetzen. Sicherheit wird privatisiert, vom öffentlichen Gut
zur Ware, die sich nur leisten kann, wer dafür bezahlt oder arbeitet. So mancher Potentat
geht diesen Weg gerne mit, weil er ihn bereichert, und verstärkt damit die Entwicklung.
Die andere Form der Deregulierung kommt von oben. Wir beobachten sie spätestens seit
George W. Bush im Amt ist. Internationale Organisationen, sei es die UNO oder sei es die
NATO, werden geschwächt. Das Völkerrecht wird übergangen und internationales Recht
geschwächt, multilaterales Handeln durch unilaterales des Stärkeren ersetzt. Und das
durchaus mit dem Ziel, Weltordnung zu gestalten aber auf Wegen, die dem Stärkeren
Möglichkeiten bieten, sich durchzusetzen. Im Nahen und Mittleren Osten führen die USA
uns seit einigen Jahren vor, wie man Weltordnung unilateral neu gestaltet und zugleich
internationale Beziehungen dereguliert. Notfalls gehören militärisch-organisierte
Regimewechsel dazu. Beide Formen der Deregulierung lassen aber auch mehr
Handlungsspielräume für nichtstaatliche Gewaltakteure entstehen.
Zurück zu Libanon. Offenbar ist es doch so, dass Israel die Hisbollah nicht
vernichten kann, und die Hisbollah Israel nicht auslöschen?
Stimmt. Es muss sofort eine Waffenruhe geben und dann so rasch wie möglich einen
richtigen Waffenstillstand. Fragt sich: Was für ein Waffenstillstand wird das sein?
Einer, der den Krieg zugunsten des Stärkeren vorübergehend beendet, oder einer, der den
Konflikt regelt?
Er muss langfristige politische Lösungen beinhalten. Und eine starke
Blauhelmtruppe?
Ob eine Blauhelmtruppe mit einem neuen Mandat Sinn macht, das hängt von den
politischen Vereinbarungen ab. Man kann nicht einfach irgendeine UNO-Truppe mit
irgendeinem Mandat dahin stellen. Sie muss von beiden Seiten, von allen regionalen
Mächten und von den Truppenstellern gewollt und gebilligt werden, ein klares politisches
Ziel und ein so robustes UN-Mandat bekommen, dass sie die politischen Vorgaben auch
umsetzen kann. Die erste Frage muss lauten: Wie sieht die politische Lösung aus? Dann
erst kommt die Frage: Mit welcher militärischen Struktur kann sie abgesichert werden?
Welche Voraussetzungen wären das?
Erstens müsste die militärische Struktur der Hisbollah aufgelöst werden. Durch
politische und militärische Einbeziehung in den libanesischen Staat. Hisbollahs Milizkern
müsste in Libanons Armee integriert werden.
Ist Libanon, speziell die Armee, nicht zu schwach, um die starke Hisbollah zu
integrieren, die jetzt noch stärker geworden ist durch die Auseinandersetzungen?
Zur Zeit ist der Libanon zu schwach, deshalb muss er zweitens politisch und durch
Aus- und Weiterbildung seiner Sicherheits- und Streitkräfte in die Lage versetzt werden,
die zentralstaatliche Ordnung im ganzen Land durchzusetzen und die Hisbollah zu
integrieren. Die Hisbollah muss diesen Prozess politisch mittragen. Das geht, wenn man ein
geeignetes Umfeld schafft. Warum gab es denn in den vergangenen Jahren keinen Bürgerkrieg
mehr in Libanon? Auch, weil es das zarte Pflänzchen nachhaltiger wirtschaftlicher
Entwicklung gab, das den Menschen die Perspektive eines besseren Lebens gab. Gerade weil
der Krieg nun die Infrastruktur und damit auch dieses Pflänzchen zerstört, ist die
Zusage schneller, substanzieller Hilfe zum Wiederaufbau und die Perspektive nachhaltiger
wirtschaftlicher Entwicklung eine dritte Voraussetzung für eine politische Lösung, die
den Einsatz einer Friedenstruppe rechtfertigt.
Das vierte Element einer Lösung wäre die Übergabe der Shebaa-Farmen also eines
seit 1982 von Israel besetzten, kleinen Gebietes mit Bauernhöfen an den Libanon.
Das nähme der Hisbollah das wichtigste Argument zur Rechtfertigung des bewaffneten
Kampfes. Syrien, dem das Gebiet zusteht, ist zum Verzicht bereit. Ein fünftes Element
wäre ein Gefangenenaustausch. Auch der scheint möglich. Deutschland hat zuletzt 2004
einen solchen vermittelt.
Es muss ein Geben und Nehmen beider Seiten entstehen, von dem alle spürbar profitieren
und das mit dauerhaften Anreizen wirtschaftlicher Art verbunden ist. Vielleicht wäre das
wenn ich mal sehr optimistisch sein darf ein Beitrag für einen Vorstoß in
Richtung auf eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren
Osten.
Eine kühne Vision. Allein mir fehlt der Glaube. Auf dem Balkan hat es auch
nicht geklappt.
Richtig. Aber billiger geht es nicht, wenn es nachhaltig sein soll. Auf dem
Balkan klappt es noch immer nicht, weil wir den Faktor einer nachhaltigen wirtschaftlichen
Entwicklung gegenüber Faktoren wie Stabilität, Rechtssystem, Minderheitenrechte
vernachlässigt haben. Wenn der deutsche Beitrag im Nahen Osten aufzeigen könnte, dass
wirtschaftliche Entwicklung eine gute Voraussetzung für Sicherheit ist und nicht nur
Sicherheit eine für Entwicklung, dann wäre das schon ein gutes Zeichen von »Wir haben
verstanden«.
Nur wenn Menschen erleben, dass es ihnen besser geht und sie gemeinsam Chancen auf
nachhaltige Entwicklung erarbeiten können, entstehen Optionen auf eine dauerhafte
Lösung. Das gilt übrigens letztlich auch für die Menschen in Israel. Wir wissen alle,
dass das wirtschaftlich vergleichsweise starke Israel riesige Devisenprobleme hat. Die
Aussicht auf wirtschaftlichen Aufschwung könnte auch für die Menschen dort einen
größeren Reiz haben als der nächste Konflikt.
Dennoch Friedenstruppe. Wie soll die aussehen?
Weniger als 20 000 Mann wären Illusion. Die müssen in die Lage gebracht werden,
jede Verletzung des Waffenstillstands zu unterbinden.
Sogar einen Angriff eines israelischen Geschwaders?
Ein wirksames Mandat, und da merkt man wie, wie schwierig es wohl wird, müsste
in der Tat einer Friedenstruppe die Möglichkeit geben, zu verhindern, dass die Hisbollah
mit Raketen Israel angreift und zugleich, dass Israel mit Kampfflugzeugen zuschlägt.
Wer sollte so eine Trägergruppe im Mittelmeer stationieren können? Die UN hat
nichts derartiges aufzubieten.
Wozu Flugzeugträger? Nein, beide Seiten müssen von Anbeginn an mit sichtbaren,
substanziellen Schritten zeigen, dass sie politisch hinter der gefundenen Lösung stehen.
Die Hisbollah-Raketen müssen unter Verschluss kommen in Libanon, aber unter
internationaler Aufsicht. Israel könnte seinen politischen Willen demonstrieren, indem es
der Friedenstruppe die Patriot-Einheiten übergibt, die es von der Bundeswehr vor dem
Irak-Krieg geliehen bekam. Ohne Bereitschaft beider Seiten zu starken politischen Signalen
würde eine Friedenstruppe kaum Chancen auf dauerhaften Erfolg haben.
Also Bundeswehr in den Nahen Osten?
Auch Holländer können Patriot-Luftabwehrraketen bedienen. Deutsche Truppen
möchte ich zumindest rund um Israel nicht sehen sie können aus historischen
Gründen nicht neutral agieren.
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Das Interview führte René Heilig. |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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