Interview zum geplanten amerikanischen Raketenabwehrsystem
mit Otfried Nassauer
Iranischer Rundfunk: Herr Nassauer, das amerikanische
Raketenabwehrsystem, das nun in Polen und der Republik Tschechien stationiert werden soll,
löste nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland Besorgnis aus. Herr Nassauer ist
diese Besorgnis begründet?
Nassauer: Zunächst einmal, es ist ja noch nicht beschlossen, dass dieses
Raketenabwehrsystem in Polen und der Tschechischen Republik aufgebaut werden soll, sondern
es gibt jetzt den Vorschlag das zu machen, und es geht um ein Raketenabwehrsystem, dass
Raketen großer Reichweite, also mit mehr als 5500 km außerhalb der Erdatmosphäre
abschießen soll. Raketen, bei denen die Amerikaner davon ausgehen, dass sie irgendwann
einmal im Iran verfügbar sein könnten, und von dort aus auf Ziele in Amerika
abgeschossen werden könnten. Die politische Reaktion in Russland und in Deutschland ist
deswegen negativ, weil es eine ganze Reihe von Gründen gibt, hier sehr vorsichtig zu
sein. Erstens: Ein solches Raketenabwehrsystem haben die Amerikaner bereits über dem
Pazifik eingerichtet und niemand weiß, ob es auch wirklich funktioniert. Zweitens: Die
Raketen die es abschießen soll, die gibt es doch noch gar nicht, weder im Nordkorea noch
in Iran. Drittens: Es belastet das Verhältnis zu Russland, denn die Russen befürchten,
dass ein Teil ihrer Interkontinentalraketen ebenfalls von diesem System betroffen sein
könnte und von diesem System abgeschossen werden könnten, einige wenige russische
Raketen. Und viertens: Es ist eine Frage des politischen Verhältnisses zu Russland, denn
die NATO hatte ja den Russen versprochen, keine Atomwaffen und keine dauerhaften
Stationierungen in den neuen Mitgliedsländern vorzunehmen und wenn man jetzt sagt, es ist
ja nicht die NATO, sondern es sind die Amerikaner, die hier in diesen neuen
Mitgliedsstaaten etwas stationieren wollen, dann sagen die Russen natürlich, die
Amerikaner sind der wichtigste Mitgliedsstaat in der NATO.
Iranischer Rundfunk: Herr Nassauer, dass die Russen dagegen sind, ist ganz
klar, und das kann man auch wohl verstehen, aber dass ausgerechnet Deutschland, so ein
enger Verbündeter der USA auch dagegen ist, wird hier mit Skepsis aufgenommen.
Nassauer: Die deutsche Gegnerschaft gegen dieses System ist ja bisher nur in
einer sehr vorsichtigen Form von Herrn Steinmeier angesprochen worden und auch nicht als
Nein zu einem solchen System, sondern als Aufforderung an die Amerikaner hier mit den
Russen doch sehr viel intensiver zu konsultieren, bevor sie einseitig irgendwelche
Entscheidungen treffen. Das ist der Punkt, wo die deutsche Kritik im Moment herkommt und
das ist eine sehr vorsichtige Kritik. Gleichzeitig denke ich, dass einige Leute sich in
der Bundesregierung auch Gedanken machen darüber, dass sie sagen, dass das politische
Klima durch eine solche Maßnahme im Ost-West- Verhältnis, aber auch in anderen Bereichen
negativ beeinflusst wird.
Iranischer Rundfunk: Herr Nassauer, die USA wie Sie auch vorhin gesagt
haben, erklären, dass das System nicht gegen Russland gerichtet sei, sondern gegen
iranische Drohungen. Meint die USA es ernst damit, dass Iran eines Tages auch die USA
militärisch angreifen könnten?
Nassauer: Das ist ein altes Lieblingsthema des heutigen amerikanischen
Präsidenten George W. Bush, dass er Nordkorea und dem Iran unterstellt, langfristig
solche Raketen bauen zu wollen und deswegen müsse man jetzt schon eine Raketenabwehr
bauen. Viele andere Staaten sagen, das ist doch ein ungelegtes Ei. Ein solches
Raketenabwehrsystem, dass viele, viele Milliarden kostet das braucht man jetzt zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, wo man nicht mal weiß, ob irgendein anderer Staat
wirklich solche Raketen bauen kann. Und ich denke auch, dass es zumindest im Blick auf die
diplomatischen Optionen, die man hat, um zum Beispiel den Streit in der Atomfrage zu
regeln, negativ ist, wenn von Seiten der Amerikaner gesagt wird: "Wir tun so, als ob
im Iran alle Entscheidungen, wo der Iran sagt, die sind noch nicht gefallen, doch schon
gefallen wären. Innerhalb Polens und der Tschechischen Republik scheinen jetzt einige
Politiker zu denken, wir müssen diese Entscheidung noch fällen, solange George Bush noch
Präsident ist, weil ein demokratischer Präsident dieses Raketenabwehrsystem
möglicherweise gar nicht mehr bauen würde.
Iranischer Rundfunk: Also Sie meinen damit, dass Polen und Tschechien
darauf setzen, dass man mit Hilfe eines undemokratischen Präsidenten, wie es der Bush
ist, seine Pläne besser realisieren kann.
Nassauer: Polen und Tschechien haben ein besonderes Interesse daran, die
bilateralen Verhältnisse mit Washington als sehr intensiv erscheinen zu lassen und das
ist der Grund, weswegen sie auf dieses amerikanische Ansinnen eingehen. Sie hoffen
vielleicht auch noch, dass ihnen die Regierung in Washington mit etwas Militärhilfe unter
die Arme greift, also zum Beispiel mit modernen amerikanischen taktischen
Raketenabwehrsystemen oder Luftverteidigungssystemen.
Iranischer Rundfunk: Herr Nassauer, jetzt abgesehen von allen diesen
Vermutungen, was meinen Sie persönlich, oder was sagen überhaupt Experten dazu, wenn nun
der amerikanische Präsident ein solches Vorhaben hat und verwirklichen will?
Nassauer: Ich persönlich bin der Auffassung, dass es keine besonders kluge Art
ist, amerikanisches Steuergeld auszugeben. Wenn man zig Milliarden für ein System ausgibt
bei dem man a) nicht weiß, ob es funktioniert und b) auch nicht weiß, ob die Bedrohung
gegen die es aufgebaut wird, denn jemals kommt oder funktionieren wird.
Iranischer Rundfunk: Herr Nassauer, erlauben Sie mir bitte noch eine
letzte Frage, wie wirkt sich ein solches Vorhaben auf das gesamtpolitische Klima auf der
ganzen Welt aus?
Nassauer: Eine solche Maßnahme wie das amerikanische Raketenabwehrsystem ist
alles andere oder genauer gesagt, das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme, und
es wird deswegen sowohl die politischen Spannungen auf dieser Erde wahrscheinlich
vergrößern, zumal es weitere Länder in diese Überlegungen mit einbezieht. Und es wird
möglicherweise dazu führen - wir haben ja von den Russen erste Ankündigungen in diese
Richtung, dass sie zum Beispiel den INF-Vertrag kündigen könnten - dass wieder eine
Reihe von Staaten darüber nachdenken, ob es nicht doch klüger wäre, zusätzliche Waffen
anderer Art, zum Beispiel als Angriffsraketen kürzerer Reichweite zu bauen.
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Das Interview führte Seyed Hedayatollah
Shahrokny |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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