Iranischer Rundfunk (deutsches Programm) - Interview
20. Februar 2007


Interview zum geplanten amerikanischen Raketenabwehrsystem

mit Otfried Nassauer

Iranischer Rundfunk: Herr Nassauer, das amerikanische Raketenabwehrsystem, das nun in Polen und der Republik Tschechien stationiert werden soll, löste nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland Besorgnis aus. Herr Nassauer ist diese Besorgnis begründet?

Nassauer: Zunächst einmal, es ist ja noch nicht beschlossen, dass dieses Raketenabwehrsystem in Polen und der Tschechischen Republik aufgebaut werden soll, sondern es gibt jetzt den Vorschlag das zu machen, und es geht um ein Raketenabwehrsystem, dass Raketen großer Reichweite, also mit mehr als 5500 km außerhalb der Erdatmosphäre abschießen soll. Raketen, bei denen die Amerikaner davon ausgehen, dass sie irgendwann einmal im Iran verfügbar sein könnten, und von dort aus auf Ziele in Amerika abgeschossen werden könnten. Die politische Reaktion in Russland und in Deutschland ist deswegen negativ, weil es eine ganze Reihe von Gründen gibt, hier sehr vorsichtig zu sein. Erstens: Ein solches Raketenabwehrsystem haben die Amerikaner bereits über dem Pazifik eingerichtet und niemand weiß, ob es auch wirklich funktioniert. Zweitens: Die Raketen die es abschießen soll, die gibt es doch noch gar nicht, weder im Nordkorea noch in Iran. Drittens: Es belastet das Verhältnis zu Russland, denn die Russen befürchten, dass ein Teil ihrer Interkontinentalraketen ebenfalls von diesem System betroffen sein könnte und von diesem System abgeschossen werden könnten, einige wenige russische Raketen. Und viertens: Es ist eine Frage des politischen Verhältnisses zu Russland, denn die NATO hatte ja den Russen versprochen, keine Atomwaffen und keine dauerhaften Stationierungen in den neuen Mitgliedsländern vorzunehmen und wenn man jetzt sagt, es ist ja nicht die NATO, sondern es sind die Amerikaner, die hier in diesen neuen Mitgliedsstaaten etwas stationieren wollen, dann sagen die Russen natürlich, die Amerikaner sind der wichtigste Mitgliedsstaat in der NATO.


Iranischer
Rundfunk: Herr Nassauer, dass die Russen dagegen sind, ist ganz klar, und das kann man auch wohl verstehen, aber dass ausgerechnet Deutschland, so ein enger Verbündeter der USA auch dagegen ist, wird hier mit Skepsis aufgenommen.

Nassauer: Die deutsche Gegnerschaft gegen dieses System ist ja bisher nur in einer sehr vorsichtigen Form von Herrn Steinmeier angesprochen worden und auch nicht als Nein zu einem solchen System, sondern als Aufforderung an die Amerikaner hier mit den Russen doch sehr viel intensiver zu konsultieren, bevor sie einseitig irgendwelche Entscheidungen treffen. Das ist der Punkt, wo die deutsche Kritik im Moment herkommt und das ist eine sehr vorsichtige Kritik. Gleichzeitig denke ich, dass einige Leute sich in der Bundesregierung auch Gedanken machen darüber, dass sie sagen, dass das politische Klima durch eine solche Maßnahme im Ost-West- Verhältnis, aber auch in anderen Bereichen negativ beeinflusst wird.


Iranischer
Rundfunk: Herr Nassauer, die USA wie Sie auch vorhin gesagt haben, erklären, dass das System nicht gegen Russland gerichtet sei, sondern gegen iranische Drohungen. Meint die USA es ernst damit, dass Iran eines Tages auch die USA militärisch angreifen könnten?

Nassauer: Das ist ein altes Lieblingsthema des heutigen amerikanischen Präsidenten George W. Bush, dass er Nordkorea und dem Iran unterstellt, langfristig solche Raketen bauen zu wollen und deswegen müsse man jetzt schon eine Raketenabwehr bauen. Viele andere Staaten sagen, das ist doch ein ungelegtes Ei. Ein solches Raketenabwehrsystem, dass viele, viele Milliarden kostet das braucht man jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, wo man nicht mal weiß, ob irgendein anderer Staat wirklich solche Raketen bauen kann. Und ich denke auch, dass es zumindest im Blick auf die diplomatischen Optionen, die man hat, um zum Beispiel den Streit in der Atomfrage zu regeln, negativ ist, wenn von Seiten der Amerikaner gesagt wird: "Wir tun so, als ob im Iran alle Entscheidungen, wo der Iran sagt, die sind noch nicht gefallen, doch schon gefallen wären. Innerhalb Polens und der Tschechischen Republik scheinen jetzt einige Politiker zu denken, wir müssen diese Entscheidung noch fällen, solange George Bush noch Präsident ist, weil ein demokratischer Präsident dieses Raketenabwehrsystem möglicherweise gar nicht mehr bauen würde.


Iranischer
Rundfunk: Also Sie meinen damit, dass Polen und Tschechien darauf setzen, dass man mit Hilfe eines undemokratischen Präsidenten, wie es der Bush ist, seine Pläne besser realisieren kann.

Nassauer: Polen und Tschechien haben ein besonderes Interesse daran, die bilateralen Verhältnisse mit Washington als sehr intensiv erscheinen zu lassen und das ist der Grund, weswegen sie auf dieses amerikanische Ansinnen eingehen. Sie hoffen vielleicht auch noch, dass ihnen die Regierung in Washington mit etwas Militärhilfe unter die Arme greift, also zum Beispiel mit modernen amerikanischen taktischen Raketenabwehrsystemen oder Luftverteidigungssystemen.


Iranischer
Rundfunk: Herr Nassauer, jetzt abgesehen von allen diesen Vermutungen, was meinen Sie persönlich, oder was sagen überhaupt Experten dazu, wenn nun der amerikanische Präsident ein solches Vorhaben hat und verwirklichen will?

Nassauer: Ich persönlich bin der Auffassung, dass es keine besonders kluge Art ist, amerikanisches Steuergeld auszugeben. Wenn man zig Milliarden für ein System ausgibt bei dem man a) nicht weiß, ob es funktioniert und b) auch nicht weiß, ob die Bedrohung gegen die es aufgebaut wird, denn jemals kommt oder funktionieren wird.


Iranischer
Rundfunk: Herr Nassauer, erlauben Sie mir bitte noch eine letzte Frage, wie wirkt sich ein solches Vorhaben auf das gesamtpolitische Klima auf der ganzen Welt aus?

Nassauer: Eine solche Maßnahme wie das amerikanische Raketenabwehrsystem ist alles andere oder genauer gesagt, das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme, und es wird deswegen sowohl die politischen Spannungen auf dieser Erde wahrscheinlich vergrößern, zumal es weitere Länder in diese Überlegungen mit einbezieht. Und es wird möglicherweise dazu führen - wir haben ja von den Russen erste Ankündigungen in diese Richtung, dass sie zum Beispiel den INF-Vertrag kündigen könnten - dass wieder eine Reihe von Staaten darüber nachdenken, ob es nicht doch klüger wäre, zusätzliche Waffen anderer Art, zum Beispiel als Angriffsraketen kürzerer Reichweite zu bauen.

Das Interview führte Seyed Hedayatollah Shahrokny


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS