Iranischer Rundfunk (deutsches Programm) - Interview
03. Dezember 2008


Rüstungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel

Interview mit Otfried Nassauer

Iranischer Rundfunk: Die deutsch-israelische Rüstungszusammenarbeit wurde über Jahrzehnte der Öffentlichkeit verborgen. In jüngster Zeit aber wagen sich die Medien mehr oder weniger offen darüber zu berichten, wobei weiterhin die Öffentlichkeit scheinbar nicht alles wissen darf. Sie haben sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. In einem Artikel bestätigen Sie meine Aussage. Ich zitiere: "Zwei Merkmale prägen diese Kooperation: Weitgehende Geheimhaltung und Nutzen auf Gegenseitigkeit." Bevor wir hierauf eingehen, möchte Sie doch darum bitten, uns zunächst mal über die Geschichte dieser Zusammenarbeit zu informieren.

Nassauer: Die Geschichte der deutsch-israelischen Rüstungszusammenarbeit ist eine unglaublich komplizierte. Sie war ja für beide Seiten von Anfang an mit Problemen behaftet. Israel konnte mit Deutschland gegenüber der eigenen Öffentlichkeit kaum sichtbar kooperieren, weil die Deutschen ja die Täter des Holocausts waren und sechs Millionen Juden auf dem Gewissen hatten. Umgekehrt hatten die Deutschen natürlich genau aus dem gleichen Grund Probleme in der eigenen Öffentlichkeit, offen mit Israel und Rüstungskooperation in Verbindung gebracht zu werden. Die gemeinsame Arbeit an Rüstungsprojekten begann trotzdem sehr früh, weil einige Politiker, die an einer normalen Beziehung zwischen beiden Staaten Interesse hatten, auch Rüstungslieferungen als Instrument der Zusammenarbeit begriffen. Beide Staaten mussten damals quasi „Armeen aus dem Nichts" aufbauen in den 50er Jahren und deswegen hatten sie partiell überlappende und partiell gemeinsame Interessen.

Deswegen haben die deutschen Rüstungslieferungen nach Israel bereits in Jahren begonnen, als Deutschland selber eigentlich noch gar keine Waffen wieder herstellen durfte als Folgen der Tatsache, dass man den 2. Weltkrieg verloren hatte. In den späteren Jahren wurde die deutsch-israelische Zusammenarbeit von sich überlagernden Interessen geprägt. Israel, eroberte zum Beispiel in den Nahostkriegen Waffen sowjetischer Bauart, wo die Deutschen an den Auswerteergebnissen interessiert waren und umgekehrt, die Deutschen bauten dann die technologischen Erkenntnisse zum Beispiel in ihre gepanzerten Fahrzeugen ein. Und dieser Nutzen, der aus Israel kam, wurde mit weiteren Lieferungen aus Deutschland "bezahlt". Israelische Rüstungslieferungen nach Deutschland erfolgten, weil Israel damit Valuta verdienen konnte, also konvertierbare Währung bekommen konnte und diese Entwicklungen gehen bis in die heutigen Jahre hinein. Es gibt bis heute eine relativ intensive Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel im Rüstungsbereich, mit der manche deutsche Rüstungsfirmen aber auch nicht immer glücklich sind.


Iranischer Rundfunk:
Reden wir, Herr Nassauer, nun etwas über die beiden Merkmale der deutsch-israelischen Rüstungskooperation, die Sie andeutungsweise erwähnt haben, ich meine damit Geheimhaltung und Nutzen auf Gegenseitigkeit. Erläutern Sie bitte diese beiden Merkmale und warum war diese Zusammenarbeit geheim gehalten wurde?

Nassauer: Die Geheimhaltung der deutsch-israelischen Rüstungszusammenarbeit stand natürlich in einem engen Zusammenhang damit, dass die jeweiligen Regierungen glaubten, der jeweiligen Bevölkerungen, diese Informationen nicht zumuten zu können und deswegen darauf drängten, dass diese Geheimhaltung besonders groß war. Das merkte man auch daran, dass auf israelischer Seite wie auch auf deutscher Seite die Koordination solcher Liferungen bei den Geheimdiensten lag. Zusätzlich mag hinzugekommen sein, dass diese Abwicklungsform zu einer weiteren Form von Geheimhaltung führte, nämlich zu einer Form von Geheimhaltung, dass man hinter den Rüstungskooperationsprojekten auch andere Formen der Zusammenarbeit und finanzielle Zahlungen verstecken konnte.

Zum gegenseitigen Nutzen war diese Zusammenarbeit, weil Israel auf diesem Wege an relativ technisch modernes Gerät aus Deutschland kommen konnte, zum Beispiel immer wieder an U-Boote, und auf der anderen Seite aber auch Deutschland Wissen über sowjetisches Rüstungsmaterial aus den arabischen Staaten bekam, das die Israelis erbeutet und ausgewertet hatten. Also mit anderen Worten: Das war nie eine einseitige Angelegenheit, wo nur eine der beiden Seiten profitiert hätte, sondern es gab unterschiedliche Formen des gegenseitigen Profitierens, zu denen nicht zuletzt aus israelischer Sicht sicher auch die Tatsache gehört hat, dass Israel durch seine Zusammenarbeit mit Deutschland die Chance hatte, konvertierbare Währung zu verdienen.


Iranischer Rundfunk:
Welche Bereiche umfasst diese Zusammenarbeit?

Nassauer: Die Zusammenarbeit erfasst neben der Forschung und Entwicklung im Großen und Ganzen fast alle Bereiche der Rüstungstechnologie. Nicht so offensichtlich in dem Sinne, dass das "Made in Germany" bei Israel auf der Waffenlieferung in der Regel außen darauf stand, aber innen drin, in den Komponenten, steht es dann doch des Öfteren. Also, zu den Dingen, die von Deutschland geliefert wurden, und nicht so sichtbar sind, gehören Panzermotoren, Getriebe sowie die Technologie für Kanonen für den Merkava-Panzer. Dazu gehören Schutztechnologien für gepanzerte Fahrzeuge. Zu dem, was im Marinenbereich geliefert wurde, gehören Schiffmotoren. Allerdings muss man da einschränkend hinzufügen, da hatte Deutschland technisch weltweit fast ein Monopol bei diesen langsam laufenden Schiffsdieseln und Israel war gezwungen, sie in Deutschland zu kaufen. Aber im Schifffahrtsbereich kommen auch ganze Schiffe hinzu. Im Luft- und Raumfahrtsbereich liefert Deutschland relativ wenig. Das hat damit zu tun, dass Israel hier im Wesentlichen in den USA einkauft und teilweise dann amerikanische Technologien auch wieder benutzt, um zum Beispiel den Deutschen Angebote machen zu können. Da ist zum Beispiel das lange geheim gehaltene Projekt eines elektronischen Störgeräts für das Kampfflugzeug "Tornado" zu nennen. Bei der Bundeswehr gehört das zum Beispiel zu den Lieferungen, die Israel getätigt hat, ebenso wie die Lieferungen von Munition, die Israel an Deutschland tätigte und ähnliches. Für die Zukunft kommen andere Elemente der Zusammenarbeit hinzu. Deutschland ist für Israel ein wichtiger Partner, um den Zugang zu den EU-Märkten zu bekommen. Deutsche Firmen und israelische Firmen vermarkten innerhalb der westlichen Industriestaaten israelische Rüstungsprojekte teilweise gemeinsam und da gibt es inzwischen einige Joint Ventures dieser Art und für Israel ist damit immer die Chance verbunden, Geld zu verdienen, das es anderenfalls auf den Weltmärkten nicht so gut verdienen könnte.


Iranischer Rundfunk:
Es gibt Meldungen, wonach Deutschland Israel beim Bau von Atombomben in den 50er Jahren geholfen haben soll. So zum Beispiel gibt es eine deutsche Journalistin namens "Gabi Weber", wohnhaft in Argentinien, die anhand von Recherchen, dies behauptet. Was ist Ihnen diesbezüglich bekannt?

Nassauer: Ich kenne die Dokumente, die Frau Weber vorliegen, und halte es für durchaus wahrscheinlich, dass in den 60er Jahren in der Tat Deutschland wissentlich oder unwissentlich - eher wissentlich - Hilfestellung gegeben hat, damit Israel Uran aus Argentinien bekommen konnte, das im israelischen Atomprogramm gelandet ist.


Iranischer Rundfunk:
Herr Nassauer, lässt sich diese Rüstungskooperation mit der deutschen Verfassung vereinbaren? Darf Deutschland Waffen in die Krisenregionen, wozu auch wohl der Nahe Osten gehört, liefern?

Nassauer: Diese Regel, die Sie zitieren, steht weder in der deutschen Verfassung noch in den deutschen Exportrichtlinien. Das ist eine geglaubte Wahrheit, dass Deutschland eine solche Politik habe. Es stimmt so nicht. Deutschland hat eine Politik, allerdings erst seit einigen Jahren, die besagt, dass zu Empfängern, bei denen Rüstungslieferungen zu einer Erhöhung des Gewaltniveaus führen könnte, keine Rüstungslieferungen erfolgen sollten, das ist allerdings nicht rechtlich bindend, sondern nur politisch verbindlich. Ähnlich ist es mit von vielen Politikern getätigten falschen Aussagen, dass Deutschland grundsätzlich nicht in die Krisengebiete liefert. Von der praktischen Politik, auf der exekutiven Ebene, ist dieses Kriterium oft missachtet und deswegen erfolgen Lieferungen in Krisenregionen. Das gilt nicht nur für den Nahen Osten, sondern auch für die Länder wie Indien und Pakistan.


Iranischer Rundfunk:
Welche Auswirkungen wird die deutsch-israelische Rüstungszusammenarbeit auf die Entwicklungen im Nahen Osten?

Nassauer: Die Bundesregierung liefert nicht nur an Israel, sondern auch an arabische Länder. Ägypten ist derzeit wieder einer der Empfänger, die von Deutschland durchaus einiges bekommen. Der Iran gehörte auch früher zu den Ländern, die von Deutschland im substantiellen Umfang Rüstungsgüter beziehungsweise Technologie bekommen konnten und die deutsche Seite argumentiert häufiger so: „Okay, wenn beide Seiten etwas bekommen, dann stabilisiert es vielleicht die Lage auch etwas.“ Ich persönlich habe da an dieser Stelle großen Zweifel und fordere seit vielen Jahren die Bundesregierung immer wieder zu einer restriktiven Politik gegenüber beiden Seiten auf, also sowohl gegenüber Israel als auch gegenüber der arabischen beziehungsweise der islamischen Welt.


Iranischer Rundfunk:
Wie sehen Sie die Perspektive dieser deutsch-israelischen Rüstungskooperation?

Nassauer: Aus meiner Sicht bemüht sich Israel für seine eigenen Rüstungsprodukte – Israel lebt relativ stark vom Rüstungsexport in finanzieller Hinsicht – die Märkte der Nato- und der EU-Staaten zunehmend zu erschließen und insbesondere im Hochtechnologie- und Forschungsbereich etliche Kooperationen mit den Ländern aus der Nato und aus der EU in Gang zu bringen. Da sind Israel inzwischen einige Fortschritte gelungen. Es darf beispielsweise an Projekten für Sicherheitsforschung der Europäischen Union teilnehmen und da auch mitwirken und insofern wird hier der Versuch gemacht, Israel stärker an die europäischen Nationen anzubinden. Israel hat dabei durchaus substantielle Erfolge im Sinne seiner eigenen Interessen zu verzeichnen und verdient natürlich an seinen Rüstungslieferungen in die Europäische Union inzwischen auch erheblich an konvertierbarer Währung. Für die künftige Entwicklung kann das zumindest unter den derzeitigen politischen Vorzeichen nicht besonders stabilisierend wirken. Eine restriktive Politik wäre wahrscheinlich hilfreich, allerdings eine restriktive Politik, die dann umgekehrt auch zu einer ähnlichen restriktiven Politik gegenüber den arabischen und islamischen Ländern im Nahen und Mittleren Osten führen müsste.

Das Interview führte Seyed Hedayatollah Shahrokny


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS