Aznars Wahlkampfgeschenk an George W. Bush
Herr Nassauer, haben islamische Terroristen die Wahl in Spanien entschieden? Weniger die Terroristen, als die konservative Regierung. Sie hat sich mit ihrem Verhalten ein gewaltiges Eigentor in Sachen Glaubwürdigkeit geschossen. Das hat die Menschen erneut an die vielen halb- oder unwahren Behauptungen, mit denen der Irak-Krieg begründet wurde, erinnert. Und es hat die Kriegsbefürwortung Aznars und die Beteiligung Spaniens am Irak-Krieg doch noch zu einem entscheidenden Argument für die Wahlentscheidung vieler Menschen werden lassen.
Nach den Anschlägen in Madrid am 11. März hatte die Aznar-Regierung die öffentliche Aufmerksamkeit sehr schnell auf die baskische Separatistenorganisation ETA gelenkt. Welche Anhaltspunkte gab es zu diesem Zeitpunkt für eine solche These? Das müsste die spanische Regierung beantworten. Sie sagte zunächst, dass derselbe Sprengstoff benutzt worden sei wie für frühere Anschläge der ETA. Diese These ist inzwischen wohl widerlegt. Es wurde ein Sprengstoff gefunden, den die ETA seit Jahren nicht mehr benutzt hat. Auch die Zünder waren nicht typisch für die ETA. Außerdem führten die spanischen Sicherheitskräfte an, Ende Februar seien zwei der ETA zuzuordnende Personen festgenommen worden, die versucht hatten, in einem Lieferwagen 500 Kilogramm Sprengstoff nach Madrid zu transportieren. Indizien wurden von der spanischen Regierung im Sinne ihrer eigenen politischen Intentionen vorschnell als Argument für eine gesicherte Täterschaft der ETA verwandt.
Was sprach gegen die These? Dass die schnelle Zuordnung der Schuld an die ETA der konservativen Regierung nutzen sollte, drängt sich auf. Ich habe schon nach der Stellungnahme von Arnaldo Otegi, dem Sprecher der inzwischen verbotenen Baskenpartei Batasuna, meine Zweifel an einer Täterschaft der ETA bekommen. Wenn er sich am Tag des Anschlags so überrascht zeigte, dann ist das ein signifikantes Anzeichen dafür, dass sich entweder in der ETA gewaltig etwa geändert hat, oder die ETA nicht damit zu tun hat...
was sie am Freitagabend ja gegenüber dem baskischen Fensehen ETB und der Zeitung Gara erklärt hat. Das sind zwei Medien, über die sich die ETA schon öfter an die Öffentlichkeit gewandt hat. Dass die konservative Regierung jede Relevanz dieser Stellungnahmen bestritt, zeigte, dass ihr dieses Dementi zwei Tage vor den Wahlen so gar nicht in den Kram passte.
Nach wie vor hält sich die These einer möglichen Kooperation zwischen ETA und Al Kaida. Es gibt auch angeblich Geheimdienste, die etwas von Spitzentreffen beider Organisationen mitbekommen haben wollen. Ich genieße solche Thesen mit Vorsicht. Anzunehmen, dass die ETA einen Anschlag in dieser Größenordnung ausschließlich gegen Zivilisten durchführt, würde ja bedeuten, dass die Organisation ihr Selbstbild, Befreiungsbewegung zu sein, restlos aufgegeben hätte. Denn wer will schon von Massenmördern befreit und später potentiell regiert werden?
Welche Auswirkungen hätte es sicherheitspolitisch, wenn ausschließlich eine islamistische Gruppe für die Anschläge verantwortlich zeichnete? Radikal-islamistische Gruppen sind seit Jahren in Europa aktiv. Das konnte man auch im Kontext der Anschläge am 11. September 2001 sehen, bei deren Planung nicht nur die Hamburger Gruppe, sondern auch Akteure in Spanien eine Rolle gespielt haben. Wenn die Anschläge in Madrid islamistischen Gruppen zuzurechnen wäre, dann hätte deren "heiliger Krieg gegen die Kreuzzügler" Europa endgültig erreicht. Und dieses Europa müsste sich schleunigst Gedanken machen, wie eine europäische Antwort aussehen könnte, die nicht in das Huntingtonsche Muster vom "Kampf der Kulturen" paßt.
Die "Allianz gegen den internationalen Terrorismus" hat hier also erst eine offene Flanke geschaffen? Man kann es eine offene Flanke nennen. Man kann es aber auch Unvorsichtigkeit oder Dummheit nennen, solchen Strukturen die Nutzung europäischen Territoriums als strategisches Rückzugsgebiet oder Ruheraum zu erlauben, statt präventiv dagegen vorzugehen. Nicht nur die amerikanischen Dienste haben diese Gruppierungen vor dem 11.9. allzulange vernachlässigt.
Also mehr und leichtere Abschiebungen, wie es auch die CDU-CSU-Fraktion nach der Sitzung des Sicherheitskabinetts am Montag forderte? Jeder Terroranschlag in Europa ruft gebetsmühlenartige Forderungen nach Bundeswehreinsätzen im Inneren, mehr Polizei und BGS, neuer Sicherheitstechnik, größeren Fahndungsrechten und weniger Bürgerrechten hervor. Aber: Mit der Umsetzung dieser Forderungen werden meist demokratische Grundrechte ausgehöhlt, ohne dass eine verschärfte Sicherheitspolitik im Inneren unbedingt mehr Schutz schaffen würde. Denken Sie nur an den großen Lauschangriff. Außerdem: Ein Restrisiko bleibt ähnlich wie beim Betrieb eines Kernkraftwerkes immer bestehen. Ich denke, man sollte den Terroristen nicht den Triumph gönnen, daß sie indirekt unsere Demokratien und die Einhaltung der Menschrechte aushöhlen oder untergraben können. Gegen Terror verspricht Repression alleine kaum Erfolg. Prävention ist ebenso wichtig.
Wie aber könnte und sollte ein präventives Vorgehen aussehen? Ich kann nur wiederholen, was ich nach dem 11.9. als Priorität sah: Am wichtigsten ist es, die kulturelle und soziale Kompetenz zu entwickeln, die erforderlich ist, um überhaupt zu verstehen, wie radikale Islamisten denken, handeln, kommunizieren und ticken. Ohne diese Kompetenz kann man weder wirksame Präventions- noch Repressionsstrategien entwickeln. Dazu kommt eine doppelte Aufgabe: Es gilt einerseits, die radikalislamistischen Terroristen von deren ideologischem bzw. Glaubensumfeld intelligent zu separieren, d.h. auch, den Terroristen Nachwuchs zu nehmen. Deswegen ist jede Reaktion, die in diesen Kreise als Teil eines christlichen Kreuzzuges gegen den Islam als Ganzes gewertet werden könnte, kontraproduktiv. Zweitens gilt es, auf die Finanziers, einschließlich derer, die scheinbar prowestlich sind, massiv einzuwirken. Ohne Moos nix los. Dabei darf man aber weder vor Pakistan, noch vor Saudi-Arabien oder den Emiraten halt machen. Parallel zu all dem kann man nur versuchen, sein Bestes zu geben, um den nächsten Anschlag zu verhindern.
Der designierte Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero hat noch in der Wahlnacht erklärt, die 1300 spanischen Soldaten nach Ende des Jahresmandats im Juni aus Irak abziehen zu wollen. Welche Folgen wird das für die dortige Situation haben? Das wird sich zeigen. Herr Zapatero beordert die Soldaten ja nicht von heute auf morgen
zurück und fordert ein UNO-Mandat, damit sie vielleicht auch bleiben. Bis dahin bleibt
die Lage im Irak so unsicher wie sie eh schon ist. Mittelfristig würde der spanische
Rückzug die bereits bestehenden Probleme Washingtons, im Irak Entlastung durch andere
Nationen zu finden, vergrößern. Das ist das Wahlkampfgeschenk, daß Herr Aznar mit der
Eta-These an Herrn Bush gemacht hat.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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