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Freitag
14. März 2003 |
Notausstieg für Bush?
Interview mit Otfried Nassauer
Der Friedensforscher Otfried Nassauer, Direktor des Berliner
Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), vermisst eine UN-Resolution
Frankreichs, Russlands und Deutschlands, die den Amerikanern ein realistisches Angebot
macht
FREITAG: Während wir dieses Gespräch führen, ist im
UN-Sicherheitsrat die Abstimmung über eine neue Irak-Resolution ein weiteres Mal
verschoben worden. Was man sich jetzt besonders fragt: Sind unwiderruflich alle Brücken
abgebrochen, über die sich der US-Präsident vom Krieg zurückziehen könnte?
OTFRIED NASSAUER: Alle Brücken sind in der Politik so gut wie nie abgebrochen, denn das
wäre das Ende der Politik. Die Brücken, die im Moment noch existieren, sehen wie folgt
aus: Zum einen könnten Briten und Amerikaner über eine Resolution nachdenken, die einen
Katalog von Auflagen enthält, die der Irak bis zum 17. März oder zu einem späteren
Zeitpunkt erfüllen sollte. Diese Auflagen müssten natürlich - vom Inhalt und Zeitrahmen
her - realistisch sein. Zum anderen hat Bulgarien während der jüngsten
Sicherheitsratssitzung erklärt, dass sich das deutsch-französisch-russische Memorandum
und die amerikanisch-britische Resolution nicht grundsätzlich ausschließen. Man könnte
sie kombinieren, sofern man sich auf einen Zeitraum einigt, in dem die Inspektionen
fortgesetzt werden. Das hieße, Frankreich, Russland und Deutschland könnten ihr
Memorandum zu einer Resolution ausbauen, in der sie dann einige von den USA angestrebte
Zusatzziele - etwa eine Demokratisierung des Irak - zum Gegenstand machen.
Demokratisierung hieße im Klartext Verzicht Saddam Husseins auf die
politische Macht? Das kann heißen, man entscheidet sich für eine Periode
von bis zu zwei Jahren, in denen unter internationaler Beobachtung ein Mehrparteiensystem
aufgebaut wird und an deren Ende Wahlen stehen. Parallel dazu müsste allerdings eine
sukzessive Aufhebung der Sanktionen erfolgen.
Wäre das nicht aus Sicht der Amerikaner eine viel zu großzügige Konzession
gegenüber Bagdad? Es wäre zunächst einmal ein weitgehendes Zugeständnis
an die USA - weil man signalisieren würde, die Amerikaner haben mit ihrem militärischen
Druck zu den erfolgreichen Inspektionen einen Beitrag geleistet. Aber auch, weil die
Forderung nach einem Wechsel der Regierung im Irak nun in einen UN-Kontext gestellt
würde.
Warum wurde den Amerikaner nicht schon früher eine solche Offerte gemacht?
Ich wundere mich schon etwas darüber, dass sich die französisch-russisch-deutsche
Position bisher ausschließlich darauf beschränkt abzusichern, dass die USA im
Sicherheitsrat keine Mehrheit haben. Man hat versucht, den diplomatischen Konflikt nicht
eskalieren zu lassen. Im Prinzip hätten die drei Staaten auch eine eigene
mehrheitsfähige Resolution einbringen können.
Weshalb unterblieb das bisher? Vermutlich im Interesse einer
Begrenzung des Konflikts mit den Amerikanern, denen ein Ausstieg aus der jetzigen
Situation unterhalb dieser hochkonfrontativen Ebene ermöglicht werden sollte. Auch jetzt
- indem man andeutet, die Entscheidungsebene im Sicherheitsrat könnte auf das Niveau der
Staats- und Regierungschefs gehoben werden - will man den USA einen Ausstieg ohne
größere Eskalation ermöglichen.
... aus taktischen Gründen? Ja, als taktischen Schachzug, um so
den nächsten Schritt anzudeuten: Nicht nur eine neue Resolution, sondern vielleicht sogar
gleich neun Unterstützer präsentieren zu können. Dagegen müssten die Amerikaner ein
Veto einlegen. Das wäre für sie viel ungünstiger, als zuvor einen Kompromiss
anzusteuern.
Aber ist die Irak-Krise nicht derart durch Prestigefragen aufgeladen, dass
dieses Szenario einer politischen Niederlage der Amerikaner gleichkäme? Ich
sehe das nicht ganz so, Präsident Bush könnte auf den eingeleiteten politischen Wandel
im Irak hinweisen und ihn als Ergebnis des militärischen Drucks von Amerikanern und
Briten hinstellen - und er könnte die begonnene irakische Abrüstung in gleicher Weise
begründen.
Hätte eine rechtzeitige gemeinsame Position Europas - speziell der EU - dazu
führen können, dass die Lage nicht in dieser Weise eskaliert, wie das jetzt der Fall
ist? Eine gemeinsame europäische Position wäre nur denkbar gewesen,
hätten sich die Kontinentaleuropäer - ich sage ausdrücklich von Frankreich bis Russland
- auf die amerikanische Position eingelassen. Damit wäre aber eine Veränderung der Rolle
der Vereinten Nationen akzeptiert worden, die nicht nur Intervention und Krieg bedeutet,
sondern auch die UNO zum Erfüllungsgehilfen und Abnicker nationaler Entscheidungen der
USA gemacht hätte.
Also weitreichende Zugeständnisse an die Amerikaner als Voraussetzung eines
europäischen Schulterschlusses - ist das richtig? Ja, man hätte im Prinzip
sagen müssen: Die UNO wird zum Instrument eines amerikanischen Multilateralismus à la
carte. Das kann, wer auf eine multilaterale Weltordnung setzt, nicht gutheißen.
Mit anderen Worten, ein geschlossen agierendes Europa konnte es demnach
angesichts der Positionen der USA und Großbritanniens gar nicht geben.
Nein, das hätte es nicht geben können, weil die amerikanische Außenpolitik eher auf
Entrechtlichung und Deregulierung der internationalen Beziehungen und auf eine
Devaluierung der multilateralen Institutionen hinaus will. Das Prinzip der europäischen
Integration dagegen zielt auf die weitere Verrechtlichung internationaler Beziehungen -
hier besteht von den Sicherheitsphilosophien her ein wirklicher Gegensatz.
Was geschieht, sollten die USA im Irak ohne UN-Mandat handeln?
Das dürfte zu einer tief greifenden Krise in den Vereinten Nationen führen, da sich dann
gezeigt hätte, dass auch für die UNO gilt, was der NATO gegenüber schon signalisiert
wurde: Wenn ihr nicht unsere Entscheidungen übernehmt, dann machen wir es allein und
lassen euch beiseite. Dann erhebt Washington den Anspruch, aus nationalen Motiven und
allein über Krieg und Frieden zu entscheiden, um so der UNO eine ihrer Hauptfunktionen zu
entziehen. Das würde zu einem enormen Schub für die Doktrin vom Recht des Stärkeren
führen. Alle anderen Staaten sähen sich in eine Lage versetzt, in der sich der Stärkste
nicht mehr an die Regeln halten will, die er selbst einmal aufgeschrieben hat.
Das Gespräch führte Lutz Herden
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