Der Freitag
06. Januar 2011


"Kritik des Militärischen kommt zu kurz"


Zivile Wissenschaftler kennen sich kaum mit Waffen und Truppenstärken aus. So überlassen sie den Kriegshandwerkern das Feld, sagt der Friedensforscher Otfried Nassauer.


Der Freitag: Viele fordern den Abzug aus Afghanistan, aber bisher hat kein deutscher Friedensforscher ein Konzept dafür vorgelegt, wie die Bundeswehr sich von dort zurückziehen könnte. Woher rührt dieses Schweigen der deutschen Friedensforschung?

Otfried Nassauer: Es gibt viele Ursachen. Die Friedensforschung in Deutschland ist überwiegend eine akademische, arbeitet also an mehrjährigen Projekten zu theoretischen und normativen Fragen. Sie wird staatlicherseits aus Mitteln des Forschungs- und Entwicklungsministeriums und von Stiftungen finanziert, die sich an den langwierigen und aufwändigen Antragsregeln der Deutschen Forschungsgemeinschaft orientieren. Das alles erschwert kurzfristige, an Tagespolitik und Politikberatung orientierte Projekte. Es gibt nur wenige, kleine. Hinzu kommen geschichtliche Gründe. Die Friedensforschung entstand in den Sechzigern als militärkritische Forschung mit emanzipatorischen Zielen. Sie musste sich lange gegen den Verdacht wehren, linksspinnert zu sein. Um Anerkennung und Ressourcen zu finden, war sie stark akademisch ausgerichtet mit der Folge, dass sie wenig politikberatend arbeitete. Auch wenn sich einiges nach dem Kalten Krieg geändert hat – noch heute ist es sehr schwer, Geld für ein Thema zu finden, dass übermorgen oder nächstes Jahr zu einem relevanten politischen Problem werden könnte.


In den USA dagegen gibt es zahlreiche Denkfabriken, die konkrete Pläne erarbeiten.

Dort hat es immer eine politikberatende Forschung gegeben. Es gibt wesentliche Finanzierungsstränge aus dem privaten Sektor, die Forschung zu tagesaktuellen Fragen fordern und fördern. Deshalb werden den politischen Akteuren Handlungsoptionen aufgezeigt.


Aus welchem Grund hat sich die Forschung in Deutschland nicht auch so entwickelt?

Die universitäre Ausrichtung war lange notwendig, um dem Vorwurf linker Spinnerei etwas entgegensetzen zu können. Auch private Stiftungen bildeten keinen Gegenpol. Mit dem Ende des Kalten Krieges entfiel zudem in der Wahrnehmung vieler Geldgeber die Notwendigkeit, noch militärkritische Forschung zu betreiben. Rüstungskontrolle und Abrüstung wurden zwar weiter kritisch begleitet, aber in vielen Köpfen brach vorschnell der ewige Frieden aus und die militär­kritische Forschung musste neuen sicherheitspolitischen Themen weichen – statt mit Waffen, Truppenstärken und militärischen Strategien beschäftigte man sich mit Konzepten, wie sich Kriege vermeiden und Konflikte managen lassen. Wichtige Fragen, bei denen auch plötzlich Politik­beratung gefragt war, aber Fragen, deren Erforschung nicht auf Kosten der Kapazitäten zur militärkritischen Forschung hätte gehen dürfen.


Die Friedensforschung hat also ihr Gegenüber, das Militär, aus dem Blick verloren.

Ja, zumindest zu weiten Teilen. Die Kritik des Militärischen und vor allem des bundesdeutschen Militärischen kommt zu kurz.


Die Umweltbewegung hat es geschafft, sich zu verwissenschaftlichen und mit ihren Ergebnissen Einfluss in den öffentlichen Debatten zu gewinnen. Wieso ist das der Friedensbewegung nicht gelungen?

Die Umweltbewegung hat ein Thema, bei dem der Staat mehr Mitsprache zulässt. Bei der Friedenforschung kommt es darauf an, ob staatliche Politik ein Interesse an Partizipation hat. In Fragen der Nicht-Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und an der Schnittstelle von Friedens- und Entwicklungspolitik üben Friedensforscher Einfluss aus. Lücken gibt es in der klassischen militärischen Sicherheitspolitik.


Liegt das nur an der Orientierung der Wissenschaftler?

Nein, es hat auch damit zu tun, dass sich die deutsche Regierungsbürokratie sehr stark abschottet. Die Debatte wird von Beamten und Regierungsparteien meist so organisiert, dass Sie immer wieder Kenntnis von eigentlich geheimen Informationen benötigen, um überhaupt als Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Was und wie viel geheim ist, entscheiden natürlich jene Bürokratien, die sich abschotten. Kritische Begleitforschung ist undankbar, sehr aufwändig und scheitert oft schon am fehlenden Geldgeber.


Warum funktioniert das in den Vereinigten Staaten so viel besser?

Zum einen wegen der Finanzierung und der geringeren Geheimhaltung. Zum zweiten gibt es in den USA eine Tradition strategisch arbeitender Institute. Zum dritten tauscht in den USA jeder neue Präsident tausende Mitarbeiter in den Ministerien aus. Der Regierungsapparat atmet also regelmäßig kompetente Leute aus, die über aktuelles internes Wissen verfügen. Diese wechseln zu Denkfabriken und nutzen es für ihre neue Arbeit. Innerhalb und außerhalb des Regierungsapparats gibt es Leute, die kompetent über alternative Strategien diskutieren können.


Wäre eine solche Konstellation auch in Deutschland wünschenswert?

Für die öffentliche Diskussion ist das befruchtend. Andererseits sollten wir nicht verschweigen, dass es die Debatte verengt. Leute, die noch etwas werden wollen, bewegen sich innerhalb eines abgesteckten Meinungsfeldes. Wer Grundsatzkritik übt, hat dagegen einen schwierigen Stand.


Brauchen wir nun eine zivilgesellschaftliche Debatte über Militärstrategien?

Es ist ein Vorteil, wenn kompetente Leute außerhalb des Apparates Alternativen aufzeigen können, zum Beispiel für einen Abzug aus Afghanistan. Sie diskutieren dann vielleicht nicht darüber, ob der Einmarsch damals richtig war, aber sie denken darüber nach, was künftig am besten zu tun ist.


Eine Fähigkeit, die wir in Zukunft öfter brauchen werden, wenn die Bundeswehr zur Armee im Einsatz wird?

Egal, ob deutsche Soldaten in Zukunft häufiger in Kampf­einsätze geschickt werden oder nicht, brauchen wir mehr militärkritische Kompetenz. Bisher beschäftigen sich in Deutschland meist kleine, private Institutionen mit wenig Geld mit solchen Fragen. Ihnen steht ein wachsender Bereich gegenüber, den ich als Lobbyforschung bezeichne – industrieseitig finanzierte Politikberatung, die natürlich genau weiß, wofür die militärische Sicherheitspolitik künftig mehr Geld braucht.


Lässt sich die Situation irgendwie ändern?

Es ließe sich ändern, wenn private Stifter zu dem Schluss kommen, dass die deutsche Sicherheitspolitik eine kritische Begleitforschung benötigt. Private Stifter einfach deshalb, weil der Staat kaum Geld bereitstellen wird, um seine Politik in einem Kernbereich staatlicher Souveränität zu kritisieren. Private Stifter, die erkennen, dass dieses Thema ebenso wichtig ist wie Umwelt- oder Klimaschutz.

Das Gespräch führte Steffen Kraft


 

, Jahrgang 1956, war wissenschaftlicher Berater der Grünen im Bundestag und leitet seit 1991 das unabhängige Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS). Das BITS forscht und informiert zu militärpolitischen und -strategischen Fragen. Getragen wird es von einem Förderverein.