Internationale Friedenstruppen:
Arbeiten auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner
Interview mit Otfried Nassauer
Was sich in der Theorie so schön anhört, stellt sich in der Praxis als sehr
schwierig heraus: Der Einsatz von internationale Friedenstruppen. DW-World.de sprach mit
dem Militärexperten Otfried Nassauer über die Probleme, mit denen die Soldaten zu
kämpfen haben.
DW-World.de: Um für Sicherheit und Frieden in Konflikt- und Kriegsregionen zu sorgen,
setzt die internationale Gemeinschaft vermehrt auf den Einsatz von internationalen
Friedenstruppen. Sie nennen sich UN-Blauhelme, Nato-Schutztruppen oder EU-Missionen. Doch
so schön sich das in der Theorie anhört, in der Praxis stößt das Konzept auf viele
Probleme. In Afghanistan werden beispielsweise ab Montag (31.7.) 18.000 Soldaten aus 37
verschiedenen Ländern unter der Führung der Nato zusammenarbeiten. Keine einfache
Aufgabe, oder?
Otfried Nassauer: Das ist keinesfalls eine einfach Aufgabe, aber die Internationalität
ist natürlich auch gewollt um klarzustellen, dass es hier eine Lastenteilung zwischen den
vielen Ländern gibt und dass der Einsatz auch von vielen Ländern politisch mitgetragen
wird.
Mit welchen Problemen hat so eine bunt zusammengewürfelte Truppe zu
kämpfen?
Wenn Soldaten aus vielen Ländern gemeinsam zum Einsatz kommen, dann gibt es natürlich
Probleme mit unterschiedlichen militärischen Kulturen, mit der Führungskultur, zum
Beispiel mit Auftragstaktik oder Befehlstaktik. Es gibt Probleme mit den
Ausrüstungsgegenständen, die nicht immer kompatibel sind und deswegen nicht immer
effizient funktionieren. Der Auftrag, den eine solche Mission hat, wird von den
unterschiedlichen Ländern unterschiedlich verstanden. Afghanistan ist ein gutes Beispiel,
da haben wir in Zukunft auch amerikanische Truppen in der Isaf, die von der Nato
koordiniert wird. Da wird das amerikanische Verständnis, von einem robusten Kampfeinsatz
zur Befriedung des Landes mit dem europäischen Ansatz, nämlich Wiederaufbauhilfe
militärisch abgesichert zu betreiben, aufeinanderprallen.
Was ist mit Sprachbarrieren?
Die spielen eine sehr große Rolle. Armeen sind nicht unbedingt Fremdsprachenschulen,
sondern beschäftigen sehr viele Menschen, die relativ wenige Fremdsprachenkenntnisse
haben. Allgemein hat sich zwar durchgesetzt, dass Englisch die Kommandosprache ist, aber
im Alltag gibt es intensivste Sprachprobleme. Die Deutschen können davon ein Lied singen:
In der deutsch-französischen Brigade ist es bis heute so, dass die Sprache eines der
wesentlichen Hindernisse in der Kooperation darstellt, und das, obwohl sie schon so lange
existieren.
Die Praxis hat gezeigt, dass die Friedenstruppen oft nicht mit einem
richtigen Mandat ausgestattet sind, um effektiv arbeiten zu können. Das traurigste
Beispiel ist wohl Srebrinca, wo die UN-Blauhelme aufgrund des fehlenden Mandats nicht
verhindern konnten, dass die Zivilbevölkerung massakriert wurde. Macht ein solcher
Einsatz dann überhaupt Sinn?
Das Problem aller internationalen Friedenstruppen ist, dass diese nur ein Mandat bekommen
können, dem alle Staaten zustimmen. Das heißt, sie arbeiten ganz oft auf dem kleinsten
gemeinsamen Nenner - und dieser Nenner reicht oft nicht aus. Das zeigt, was die Arbeit von
internationalen Organisationen, besonders der Uno, so schwer macht. Eine internationale
Organisation kann nur das tun, was ihre Mitglieder sie tun lässt. Insbesondere die USA
betrachten die Aufgabe der Uno sehr kritisch und wollen deren Autorität eher
zurücksetzen. Das führt dazu, dass die Uno andere militärische Organisationen
internationaler Art, zum Beispiel die Nato oder die EU bittet, solche Operationen für sie
durchzuführen. Das ist aber nicht im Sinne des Erfinders. Der müsste wollen, dass die
Uno auch die komplexesten Aufgaben erfüllen kann und dafür die nötigen Mittel erhält.
Die amerikanischen Soldaten beispielsweise haben eine Sonderstellung: Sie
genießen Immunität, um sie vor angeblich politisch motivierten Anklagen zu schützen.
Untergräbt so etwas nicht das Gemeinschaftsgefühl der Truppe?
Die USA hatten immer eine Sonderstellung gefordert. Sie unterstellen ihre Soldaten nie
einem Oberbefehlshaber aus dem Ausland. Auch nicht bei der UNO. Und sie akzeptieren keine
internationale Gerichtsbarkeit für ihre Soldaten, sind also dem Internationalen
Strafgerichtshof nicht beigetreten. In Zusammenarbeit mit anderen kann das ein Problem
werden, muss aber nicht. Es kommt darauf an, ob die Soldaten sich an die
völkerrechtlichen und anderen Regeln halten oder nicht.
Macht ihrer Meinung nach ein Einsatz einer Friedenstruppe im Libanon Sinn?
Im Moment wird mehr darüber geredet, als dass es faktisch umsetzbar wäre. Wenn eine
solche Friedenstruppe in der Tat den Auftrag hätte, die Hisbollah und die israelischen
Streitkräfte auseinander zu halten, dann müsste sie ein sehr, sehr robustes Mandat
haben, damit sie nicht als einseitige Unterstützung für Israel bei der Entwaffnung der
Hisbollah angesehen würde. Derzeit setzt schon ein Waffentstillstand voraus, dass die
politischen Rahmenbedingungen zuvor so sein müssen, dass die Hisbollah ihr Gesicht wahren
kann, gleichzeitig die libanesische Regierung gestärkt wird und Syrien sich nicht zum
Eingreifen veranlasst sieht. Zweitens müsste sich eine wirklich neutrale Friedenstruppe,
und da sieht man wie absurd das Ganze wird, theoretisch auch gegen potenzielle Angriffe
von israelischer Seite verteidigen können. Es ist schwer vorstellbar, dass eine UN-Truppe
so ausgestattet wird, dass sie auch einer High-Tech-Armee widerstehen könnte - und Israel
widerum einer solchen High-Tech-Truppe zustimmen würde.
Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit internationale
Friedenstruppen in Zukunft erfolgreicher arbeiten können?
Vor allem die Autorität der UNO muss gestärkt werden. Darüber hinaus bedarf es klarer
Kritierien, welche Friedenseinsätze man machen will und welche nicht. Dazu gehört oft
auch, dass die Einsätze nicht nur für Stabilität und Sicherheit und die Rechte von
Menschen und Minderheiten sorgen, sondern vor allem, dass sie den Konfliktparteien
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven eröffnen. Oft wird vergessen, dass
Sicherheit nicht nur eine Voraussetzung von Entwicklung, sondern auch Entwicklung eine
Voraussetzung für Sicherheit ist. Wird das unzureichend beachtet, eskalieren die
Konflikte wieder, oder die Staaten werden - wie auf dem Balkan - über viele, viele Jahre,
von finanzieller Unterstützung abhängig bleiben.
Das Interview
führte Sarah Faupel |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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