Rüstungsexporte: "Gabriel hätte versuchen können, Waffenlieferungen zu stoppen"
Otfried Nassauer im Gespräch mit
Dirk Müller
Der Direktor des Berliner
Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, Otfried
Nassauer, hat im Deutschlandfunk Sigmar Gabriels Umgang mit
Rüstungsexporten kritisiert. Der Bundeswirtschaftsminister habe in
den beiden Jahren, in denen er für die Rüstungsexporte
verantwortlich gewesen sei, eine Milliarde mehr genehmigt als die
schwarz-gelbe Vorgängerregierung in ihren letzten Jahren.
Dirk Müller: Die Zahlen sprechen für sich. Die deutschen
Waffenausfuhren haben sich im vergangenen Jahr fast verdoppelt. Rund
acht Milliarden Euro sind da zusammengekommen. 2014 waren es vier
Milliarden. Dabei hatte Sigmar Gabriel mehr als nur einmal versprochen:
"Wir werden unsere Rüstungsexporte reduzieren!" Vor allem damit
gemeint Lieferungen in die Krisengebiete, zum Beispiel in den Nahen
Osten. Doch nun ist fast alles anders, oder es ist so wie vorher, je
nach Sichtweise der Dinge.
Ein Rekordhoch für die deutschen Rüstungsexporte - das ist
auch jetzt unser Thema mit Otfried Nassauer, Direktor des Berliner
Informationszentrums für Sicherheitspolitik. Guten Tag.
Otfried Nassauer: Guten Tag!
Müller: Rüstet Deutschland andere Staaten auf?
Nassauer: Ja natürlich! Das tut jedes Land, das
Rüstung exportiert. Und die Zahlen, die jetzt vorliegen
beziehungsweise im Februar ja auch schon angemeldet wurden, die sind
deutlich höher. Selbst wenn man Sondereffekte abzieht, die sich
aus verschiedenen Geschichten ergeben, dann hat Herr Gabriel in den
beiden Jahren, in denen er allein verantwortlich für die
Rüstungsexporte ist, im Prinzip in jedem Jahr eine Milliarde mehr
genehmigt als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung in ihren
letzten Jahren.
Müller: Herr Nassauer, er bringt aber hier, der
Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel, als Argument zum
Beispiel vier Tankflugzeuge für Großbritannien. 1,1
Milliarden, das ist die Milliarde, von der Sie sprechen.
Großbritannien aufzurüsten, wie auch immer zu helfen,
dürfte kein Problem sein?
Nassauer: Zunächst einmal klar. Aber in allen
früheren Jahren war das ja genauso, dass ältere Genehmigungen
nach dem Kriegswaffen-Kontrollgesetz dann später auch auftauchten,
wenn die Ausfuhrgenehmigung erteilt wurde, und in die Statistik
einflossen. Das ist ja kein Sonderfall in diesem Jahr 2014 oder 2015.
Nein, nein, darum geht es nicht, sondern es ist in der Tat eine
Steigerung des Genehmigungsumfangs, nicht nur bei den
Einzelgenehmigungen, sondern auch bei den Sammelausfuhrgenehmigungen,
und damit ist eine Gesamtsteigerung zu verzeichnen, die sich auch
übrigens 2016 wahrscheinlich, wenn auch in geringerem Umfang,
wiederholen wird.
"Drittländer werden von der Bundesrepublik in der Tat mit Rüstungsgütern beliefert"
Müller: Gesamtsteigerungen
von Waffenlieferungen, von Rüstungsgütern. Auch - und das ist
jetzt meine Frage - in Krisengebiete?
Nassauer: Auch in Krisengebiete. Die 1,6 Milliarden für
Katar für die Panzer, die sind auch 2016 noch nicht alle
ausgeliefert. Da gehören U-Boote hin. Drittländer werden von
der Bundesrepublik in der Tat mit Rüstungsgütern beliefert
und im Februar hat Herr Gabriel sogar noch den Fehler gemacht und hat
versucht, bestimmte Drittländer-Lieferungen rauszurechnen, weil er
die in die Verantwortung von Schwarz-Gelb schob. Das ist kein ganz
seriöses Vorgehen gewesen.
Müller: Jetzt müssen Sie uns aber erklären warum.
Verstehe ich nicht ganz. Panzer und Panzerhaubitzen nach Katar, Wert
1,6 Milliarden, ist unter der schwarz-gelben Regierung beschlossen
worden, umgesetzt worden. Kann der Minister denn das jetzt einfach
stoppen?
Nassauer: Er hätte versuchen können, es zu stoppen.
Er ist wahrscheinlich an der Tatsache gescheitert, dass die anderen, an
der damaligen Entscheidung beteiligten Ministerien diese Entscheidung
nicht zurücknehmen wollten. Da war aber auch sein
sozialdemokratischer Kollege Steinmeier mit betroffen und deswegen hat
das wahrscheinlich nicht geklappt.
Müller: Es lag auch an Frank-Walter Steinmeier, sagen Sie?
Nassauer: Ja natürlich!
"Herr Steinmeier muss zugestimmt haben"
Müller: Weil der dafür ist, Panzer nach Katar zu liefern?
Nassauer: Herr Steinmeier wird wahrscheinlich - - Wir wissen
ja nicht genau, wie der Bundessicherheitsrat beziehungsweise die
beteiligten Ministerien ihre Diskussion da gestalten, weil das im
Geheimen passiert. Aber Herr Steinmeier muss zugestimmt haben
beziehungsweise nicht Nein gesagt haben, so wie Herr Gabriel das wollte.
Müller: Das heißt, Frank-Walter Steinmeier hätte als
Bundesaußenminister im Bundessicherheitsrat ein Veto einlegen
können, dann hätte es nicht funktioniert?
Nassauer: Jetzt wird es kompliziert, und zwar, weil wir in
einer neuen Situation sind. Heute entscheidet der Bundessicherheitsrat
nur noch über Grundlinien beziehungsweise einzelne Projekte. Der
hat früher wesentlich mehr gemacht in der Sicherheitspolitik, aber
kann das heute nicht mehr, weil das Bundesverfassungsgericht der
Bundesregierung den Rat gegeben hat in seinem 2014er-Urteil, dass die
Verfahrensweise, die die Bundesregierung bis dahin Jahrzehnte
praktiziert hat, wenn sie denn zur Klage käme, nicht richtig
wäre, also verfassungswidrig wäre. Deswegen wird heute der
Bundessicherheitsrat nur noch befasst und nicht mehr eingesetzt, um die
endgültigen Entscheidungen zu treffen. Stattdessen entscheiden
jetzt die Ministerien, die da federführend tätig sind, und da
ist das Außenministerium halt bei.
Müller: Noch mal die Frage: Hätte Steinmeier Nein gesagt, wäre das Ganze nicht gelaufen?
Nassauer: Dann wäre die Frage gewesen, ob Frau Merkel von
ihrer Weisungsbefugnis als Kanzlerin Gebrauch gemacht hätte und
die beiden sozialdemokratischen Minister angewiesen hätte, diesen
Export trotzdem durchgehen zu lassen.
Noch viele unbearbeitete Anträge aus den Jahren 2014 und 2015
Müller: Wenn diese Spekulationen, wenn das stimmt, was Sie jetzt
sagen - Sie sagen ja auch einschränkend, Herr Nassauer; wir
können das nicht feststellen, weil das Ganze geheim ist und wir
keine Bestätigungen haben über das Abstimmungsverhalten der
jeweiligen beteiligten Minister -, das kommt mir doch jetzt ein
bisschen so vor, wenn ich Ihnen folge, dass Frank-Walter Steinmeier und
Sigmar Gabriel versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen zum
Thema Rüstungspolitik.
Nassauer: Ob das jetzt ein aktives Täuschen wollen ist,
das will ich dahingestellt sein lassen. Ich will einfach nur, so wie
ich es auch am Anfang gesagt habe, verdeutlichen, dass die deutschen
Rüstungsexporte steigen und weil sie steigen, das mit der
Restriktivität mehr Rhetorik als Praxis ist.
Müller: Aber er sagt ja, er will reduzieren. Dann macht er das
nicht. Dann sagen Sie, ist keine Täuschung, wie auch immer. Auf
jeden Fall entsprechen dann die Worte nicht der Wirklichkeit.
Nassauer: Die Worte entsprechen auf jeden Fall nicht in vollem
Umfang der Wirklichkeit. Nein, das ist so, und es ist auch so, dass
viele Entscheidungen, die sehr umstritten sein könnten,
möglicherweise noch ausstehen und in diesem Jahr noch getroffen
werden sollen, insbesondere über Lieferungen auf die arabische
Halbinsel, wo ich nach meinem Wissensstand höre, dass da noch sehr
viele unbearbeitete Anträge aus den Jahren 2014, 2015 herumliegen.
Müller: Wissen Sie da was Konkreteres? Was steht da an für wen?
Nassauer: Es gab einen Bericht in der "Süddeutschen
Zeitung", dass Saudi-Arabien noch Boxerpanzer haben wolle und dass es
auch verschiedene andere Munitionslieferungen nach Saudi-Arabien noch
gäbe, und ich kann natürlich mir vorstellen, dass Herr
Gabriel gerade bei Munitionslieferungen große Bauchschmerzen hat,
die mitten in einen laufenden Krieg hineinzuliefern.
Müller: Gibt es denn in der Praxis noch so etwas wie
Exportrichtlinien, das heißt Verbot von Waffenlieferungen in
Krisenregionen, direkt in Krisenstaaten? Denn wenn wir über den
Nahen Osten reden, sind ja alle Länder daran beteiligt, an dieser
Krisensituation. Darf Deutschland dahin liefern?
Nassauer: Als politische Leitlinien gibt es die noch. Die sind
aus dem Jahr 2000. Die sind auch von dieser Großen Koalition
nicht geändert worden. Die stammen aus der rot-grünen Zeit
und diese politischen Richtlinien sehen Kriterien, ähnlich wie bei
der Europäischen Union vor, was bei der Entscheidung über
Rüstungsexporte zu berücksichtigen ist, und das Nichtliefern
in Spannungsgebiete steht in diesen Richtlinien weiterhin, wenn auch
mit leicht anderer Formulierung, drin.
Müller: Es sind Richtlinien, aber die Bundesregierung richtet sich nicht nach diesen Richtlinien?
Nassauer: Sie richtet sich nicht immer nach ihren eigenen
Richtlinien, das ist genau richtig, obwohl sie eigentlich ja eine
politische Selbstverpflichtung darstellen und kein Gesetz.
Müller: Die Lieferungen sollen keine Konflikte schüren oder
keine Konflikte verschärfen, steht ja auch da irgendwo drin.
Nassauer: Korrekt! Das war die erweiterte Formulierung für Nichtliefern in Spannungsgebiete.
Müller: Und die Waffen, die dort geliefert werden, führen zum Gegenteil?
Nassauer: Die Waffen, die dorthin geliefert werden, die können zum Gegenteil führen. Das ist natürlich richtig.
Müller: Aber das wissen wir nicht?
Nassauer: Manchmal ist es ja einfach so: Waffen sind sehr
langlebig. Wir liefern einem Staat etwas und 15 Jahre später wird
es für einen Konflikt eingesetzt. Manchmal ist der Zeitabstand
kleiner, dann kann man es ein bisschen deutlicher erkennen. Aber wenn
wir jetzt noch mal auf den Fall Saudi-Arabien zurückkommen:
Munitionslieferungen nach Saudi-Arabien, im Moment, wo Saudi-Arabien im
Jemen Krieg führt und solche Munition dafür gebrauchen
könnte, sind ein echtes Problem.
Müller: Stimmt denn wenigstens der Satz - wir haben nicht mehr
viel Zeit, ich möchte Sie das trotzdem fragen: Wenn wir es nicht
tun, wenn wir nicht liefern, dann tun es die anderen?
Nassauer: Dieser Satz kann natürlich stimmen, aber dann
passieren solche Dinge, dass zum Beispiel eine deutsche Firma, weil sie
nicht aus Deutschland liefern darf, aus Südafrika liefert.
Müller: Bei uns heute
Mittag im Deutschlandfunk Otfried Nassauer, Direktor des Berliner
Informationszentrums für Sicherheitspolitik. Danke für das
Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Nassauer: Schönen Tag noch!
Ergänzende Nachbemerkung von Otfried Nassauer:
Die erste Entscheidung im Bundessicherheitsrat zu der Panzerlieferung
nach Katar wurde von der ersten großen Koalition im Jahr 2008
getroffen. Eine zweite fiel während der schwarz-gelben Koalition.
Frank-Walter Steinmeier war auch in der früheren großen
Koalition Außenminister und hätte seine damalige
Entscheidung nun revidieren müssen, um dem Wunsch seines Kollegen
Gabriel nachzukommen, dieses Geschäft zu stoppen.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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