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Friedbert Meurer: Der Waffenstillstand steht nur auf dem Papier, kein Tag vergeht im Osten der Ukraine ohne neue Kämpfe zwischen Separatisten und ukrainischen Einheiten. Gerade erst vorgestern wurde in Minsk in Weißrussland nach nur wenigen Stunden ein internationales Treffen der Kontaktgruppe ergebnislos abgebrochen. Dafür kommt jetzt die Meldung, dass Washington bereit sein soll, der Ukraine möglicherweise Waffen zu liefern.
Die Ukraine wünscht sich Waffen, um sich zu verteidigen. Die USA erwägen Waffenlieferungen und Berlin lehnt Waffenlieferungen ab. Das scheint, der Stand der Dinge zu sein.
Otfried Nassauer leitet das Berliner Institut für Transatlantische Studien. Guten Tag, Herr Nassauer, nach Berlin.
Otfried Nassauer: Schönen guten Tag, Herr Meurer.
Meurer: Noch sind das
Überlegungen, Gespräche innerhalb der US-Regierung, innerhalb
der Militärs. Glauben Sie, die USA werden Waffen an die Ukraine
liefern?
Nassauer: Zunächst: Das ist eine Forderung, die in einer Studie
erhoben wird, die von drei großen wissenschaftlichen
Institutionen vorgelegt worden ist, und die Autoren sind ehemalige
Administrationsmitarbeiter der Regierungen Clinton und Obama, die
durchaus Gewicht haben. Sie schlagen vor, dass die Vereinigten Staaten
jedes Jahr in den nächsten drei Jahren eine Milliarde US-Dollar
zur Verfügung stellen, um nicht nur wie bisher nicht lethales,
also nicht-tödliches Militärgerät zu liefern, sondern
darüber hinaus auch Waffen, mit denen man Menschen
erschießen und umbringen kann.
Meurer: Es ist von Abwehrwaffen
die Rede, Panzerabwehrwaffen. Was heißt das, was schränkt
das ein und was bedeutet das?
Nassauer: Das heißt faktisch Panzerabwehrraketen. Das ist der
Vorschlag, verbunden mit gepanzerten Fahrzeugen. Dann sollen Drohnen
geliefert werden, Aufklärungsdrohnen. Nach diesem Vorschlag sollen
Störmittel für gegnerische Drohnen dazukommen, sichere
Kommunikationssysteme, die man nicht abhören kann, und als ganz
wichtiges Element Artillerie-Ortungsradare, mit denen die Ukrainer in
der Lage sein sollen zu sehen, von wo aus sie beschossen werden, damit
sie diese Stellungen beschießen können.
Meurer: Das ist dann schon Material, mit dem die ukrainische Artillerie dann Angriffe starten kann?
Nassauer: Aber natürlich. Das ist durchaus richtig. Und sie haben
ja auch schon unter den nicht-lethalen, nicht-tödlichen Systemen
für die Ortung von Mörsern ähnliches Equipment gekriegt.
Sie können Mörser heute orten, während sie weiter
entfernte Raketenwerfer, 30, 40 Kilometer entfernte Raketenwerfer,
nicht orten können, und das sollen sie zukünftig auch
können.
Meurer: Was hält denn, Herr Nassauer, im Moment die USA noch davon ab, jetzt diesen einen Schritt weiterzugehen?
Nassauer: Die Tatsache, dass es in der amerikanischen Administration
bisher keine Einigkeit darüber gab, ob so etwas nicht auf diesen
Konflikt eskalierend wirken würde, und das ist auch die
tatsächliche Gefahr, die damit verbunden ist. Waffenlieferungen
sind Öl in das Feuer dieses Konfliktes und tatsächlich auch
Wasser auf die Mühlen einer ukrainischen Regierung, die nichts
unversucht lässt, um die USA und den Westen weiter in diesen
Konflikt hineinzuziehen.
Meurer: Der britische
Historiker Timothy Garton Ash hat jetzt einen Aufsatz publiziert, und
da schreibt er kurz gefasst: Wir, der Westen, meinen, mit Putin Schach
zu spielen, und der antwortet mit Krieg. Wäre das nicht nur die
Herstellung von gleichen Maßnahmen auf beiden Seiten?
Nassauer: Zunächst einmal glaube ich nicht, dass das Bild stimmt,
weil Putin vermutlich in bestimmten Punkten nur besser Schach spielt.
Das andere ist: Es geht hier tatsächlich aus Sicht der Amerikaner
um die Wiederherstellung von Waffengleichgewicht beziehungsweise von
Waffengleichheit. Allerdings muss man auch die Frage stellen, ob die
ukrainische Regierung da an dieser Stelle ganz unschuldig ist. Sie hat
meiner Einschätzung nach in der Vergangenheit erhebliche Fehler
gemacht, denken Sie einfach nur an den ukrainischen
Außenminister, der unmittelbar nach der Parlamentswahl, also noch
während des Waffenstillstandes, als der wirklich weitgehend
eingehalten wurde, sagte, wir werden uns die von den
Aufständischen besetzten Gebiete zurückholen, wo diese dann
automatisch daraus schlussfolgern mussten, dass ihnen die nächste
Offensive drohen werde.
Meurer: Sie haben ja Eingangs
von einer Studie in Washington gesprochen von namhaften Instituten, von
namhaften Leuten. Wird da eigentlich ins Gespräch gebracht nur
Waffenlieferungen von den USA an die Ukraine, oder auch von anderen
Verbündeten, von Nato-Staaten, auch von Deutschland?
Nassauer: Diese Studie sagt, wir sollten das als Amerikaner nicht
alleine machen, wir sollten uns insbesondere an die baltischen Staaten,
an Polen, Kanada und Großbritannien wenden, weil die als
Nato-Mitglieder durchaus bereit wären, auch Waffen zu liefern. Und
man gibt auch bestimmte Begründungen an, warum das sinnvoll sein
könnte. Zum einen: Die Staaten, die neu der Nato beigetreten sind
und viel altes sowjetisches Gerät haben, könnten Ersatzteile
liefern. Oder bei Polen wird zum Beispiel das Argument gemacht, dass
Polen die Ukraine ja auch mit Luftverteidigung unterstützen
könnte, sprich mit Systemen, mit denen sie dann in der Lage
wären, gegebenenfalls auftauchende russische oder separatistische
Kampfflugzeuge abzuschießen.
Meurer: Aber die Deutschen werden auf jeden Fall drei Kreuzzeichen machen und das nicht tun, oder?
Nassauer: Die Deutschen werden drei Kreuzzeichen machen, oder hoffen,
dass sie drei Kreuzchen machen dürfen. Das Problem ist aber
trotzdem grundsätzlicher Natur. Wenn die anderen Nato-Staaten und
nicht nur die USA auf bilateraler Ebene die ukrainische Regierung
unterstützen - und bei Polen ist das relativ sicher, dass sie das
gerne würden, weil ja vorm Zweiten Weltkrieg auch Teile der
Ukraine noch zu Polen gehörten -, dann wird die Nato als Nato
stärker in diesen Konflikt hineingezogen, obwohl die Ukraine kein
Nato-Mitglied ist und die Nato dort keine [vertraglichen]
Verpflichtungen hat. Und genau das ist möglicherweise das
Kalkül von Kiew, die Nato nämlich möglichst tief zu
involvieren, weil das entweder am Ende dazu führt, dass Kiew in
die Nato reinkommt, oder weil es den Konflikt quasi von einem
ukrainisch-potenziell russischen zu einem Nato-russischen Konflikt
machen könnte.
Meurer: Otfried Nassauer,
Leiter des Berliner Instituts für Transatlantische Studien, zur
Frage, ob die Amerikaner Waffen liefern wollen an die Ukraine und was
das alles bedeuten könnte. Danke, Herr Nassauer, auf
Wiederhören.
Nassauer: Auf Wiederhören, Herr Meurer.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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