Irak und die Regionalmächte
"Unüberbrückbare
und widersprüchliche Interessen"
Otfried Nassauer im Gespräch mit Gerd Breker
Die USA, Saudi-Arabien und auch
der Iran befänden sich durch die aktuelle Lage im Irak in einer
Zwickmühle, sagte der Friedensforscher Otfried Nassauer im DLF.
Die USA hätten aber signalisiert, dass "Premierminister al-Maliki
wohl seine Zeit hinter sich hat."
Gerd Breker: Elf Jahre nach der
US-Invasion von 2003 steht der Irak kurz vor dem Kollaps. Der von den
Amerikanern favorisierte Premierminister Maliki hat es in den zwei
Amtszeiten nicht geschafft, einen Ausgleich zwischen den Ethnien und
den Religionen herzustellen. Die sunnitische Terrororganisation Isis
hat dieses Vakuum genutzt und ist mit äußerster
Brutalität auf Eroberungskurs gegangen. Weite Teile des Landes
fielen fast widerstandslos in ihre Hände. Kurs auf Bagdad wird
genommen, ehe ernsthafte Reaktionen überhaupt erfolgen konnten.
Es war Obamas Wahlversprechen: Ich
werde unsere Soldaten aus dem Irak nachhause holen. – Ein
Versprechen, was er auch gehalten hat. Nur was haben die Amerikaner
hinterlassen? Ein Land auf dem Weg in einen gescheiterten Staat. Zum
Schutz der US-Botschaft mit einigen tausend Mitarbeitern hat Obama nun
eine knapp 300 Mann starke Eliteeinheit nach Bagdad geschickt. Das
allein wird die Isis nicht aufhalten. Wenn es keine Bodentruppen sein
sollen, ja dann bleiben eigentlich nur die berüchtigten Drohnen,
wie auch schon im Jemen, wie auch schon in Pakistan.
Am Telefon sind wir nun verbunden
mit dem Friedensforscher Otfried Nassauer vom Berliner
Informationszentrum für Transatlantische Beziehungen. Guten Tag,
Herr Nassauer.
Otfried Nassauer: Schönen guten Tag, Herr Breker.
Breker: Kann sich der Westen,
können sich die Amerikaner eigentlich da raushalten, wenn die
Terrororganisation Isis Bagdad tatsächlich erobert?
Nassauer: Na ja, soweit ist es ja im Moment noch nicht. Es ist
aber durchaus so, dass die USA sich auf jeden Fall ein Eingreifen
vorbehalten müssen, und sie tun das ja im Moment auch schon
politisch, wenn sie deutlich signalisieren, dass der von ihnen selbst
mit inthronisierte und gestützte Premierminister al-Maliki wohl
seine Zeit hinter sich hat.
Die Frage ist, ob aber ein neues tragfähiges
Regierungskonstrukt entsteht, das ausreichend Unterstützung auch
bei den Sunniten im Norden oder in der Mitte des Iraks findet, damit
sie sozusagen das taktische Bündnis mit den Isis-Kräften
aufgeben.
Breker: Ist denn die Person Maliki wirklich das Übel, wenn der weg ist, ist das Problem gelöst?
Nassauer: Nein. Das Problem wird dadurch nicht
grundsätzlich gelöst – aus dem einfachen Grunde, weil
es ja auch um die Frage von Einfluss-Sphären geht, nämlich
zwischen Sunniten und Schiiten und Mitsprachemöglichkeiten beider
Religionsgemeinschaften im Irak. Und da wirken von außen
natürlich der Iran, Saudi-Arabien und andere Länder, nicht
zuletzt auch die USA noch weiter mit. Und alle drei sind in einer
Zwickmühle, wie sie sich da verhalten sollen.
Breker: Ist das denn
tatsächlich ein Konflikt, den man den regionalen Mächten
überlassen kann? Das hören wir immer wieder und es ist ja
irgendwie auch die deutsche Position, die regionalen Mächte sollen
den Konflikt lösen.
Nassauer: Das ist eine relativ bequeme Haltung, weil die ja
indirekt sagt, man will sich da selber nicht einmischen und erwartet,
dass die regionalen Mächte den Konflikt lösen können.
Fakt ist: Ja, sie können und sie müssen beteiligt sein. Und
die Frage, die entscheidend sein dürfte, ist: Wie stark
müssen sie von außen geschubst werden, damit dabei etwas
Konstruktives herauskommt? Da müssen Länder wie
Saudi-Arabien, der Iran und die USA auch sehr vorsichtig mit ihren
teilweise überlappenden und teilweise widersprüchlichen
Interessen umgehen.
Breker: Denn wenn wir, Herr
Nassauer, mal einfach ins Nachbarland Syrien schauen, da führen
doch eben diese Regionalmächte, die den Konflikt lösen
sollen, eine Art Stellvertreterkrieg.
Nassauer: Das ist zum Teil so. Zum Teil unterstützen sie
die Situation, dass sie nicht weiter an Einfluss verlieren wollen, und
so könnte es auch in Teilen des Iraks kommen und daraus resultiert
teilweise die Stärke von Gruppen wie Isis. Allerdings muss es
nicht unbedingt bei dieser Haltung bleiben, weil je größer
der Konflikt dieser Art geographisch wird, desto riskanter wird er auch
für weitere Beteiligte wie zum Beispiel die Türkei. Denken
Sie nur an die Geiseln, die aus der Türkei und aus dem
türkischen Konsulat genommen worden sind.
Breker: Sie haben gesagt, die
Regionalmächte, Herr Nassauer, müssen geschubst werden.
Stellt sich die Frage, wer soll denn, wer kann denn schubsen? Denn
bleiben wir bei Syrien: Da hat sich ja gezeigt, dass die Vereinten
Nationen als schubsende Macht ausfällt.
Nassauer: Dass sie ausfallen, wenn die Regionalmächte in
der Tat kein Interesse an einer Eingrenzung des Konflikts haben. Und es
gibt natürlich regionale Mächte – das ist jetzt im
Unterschied von Regional[en] zu Regionalmächten zu sehen -, die im
Moment sich in gewisser Weise in Ruhe ins Fäustchen lachen
können, wie zum Beispiel Israel, dem es natürlich lieber sein
kann, wenn kleine potenzielle Gegner sich untereinander streiten, und
die auch mit Sicherheit nichts tun, um diesen Konflikt einzuhegen. Das
Ganze betrifft sowohl Syrien, als auch möglicherweise den Irak.
"Es ist vor allem kein Religionskrieg"
Breker: Wenn wir auf den Irak
schauen – das Ganze ist ja mehr als nur eine Auseinandersetzung,
ein Krieg zwischen Sunniten und Schiiten. Das ist mehr!
Nassauer: Es ist vor allem kein Religionskrieg. Das wird gerne
bei uns so in dieser Form hochgehyped. Es ist kein Krieg zwischen den
Denominationen, sondern es wird eher dazu gemacht, indem man behauptet,
die äußeren Einflüsse, die zum Beispiel der Iran
wahrnehmen will, die zum Beispiel Saudi-Arabien wahrnehmen
möchten, da ginge es um mehr als um die regionale
Vormachtstellung, um das Kleinhalten des anderen. Und ich glaube, das
ist im Irak letztlich nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die
schiitische Mehrheit nicht von einer sunnitischen Minderheit
unterdrückt werden will, wie das unter dem Baath-Regime war, und
umgekehrt es aber auch nicht geht, dass die schiitische Mehrheit den
Sunniten oder den Kurden jegliche Mitsprachemöglichkeit nimmt.
"Teilung des Landes wäre schwierig"
Breker: Nun haben wir gehört,
Herr Nassauer, dass möglicherweise eine Teilung des Landes
bevorstünde, eine Dreiteilung in einen kurdischen Teil, einen
schiitischen und einen schiitischen. Doch realistisch ist das auch
nicht?
Nassauer: Diese Idee bestand ja 2003/2004 schon mal. Es ist
relativ unwahrscheinlich, dass so was als Ergebnis dabei herauskommt,
das würde ja die Trennungslinien beziehungsweise die Konflikte
weiter zementieren.
Breker: Und genauer gesagt,
wenn wir etwa auf den Norden schauen: Ein selbständiger kurdischer
Staat im Irak würde ja den Iranern nicht passen und letztlich auch
den Türken nicht. Die haben ja auch kurdische Minderheiten.
Nassauer: Es ist schwierig. Bisher arbeitet die
Regionalregierung im Norden mit den Türken aufgrund gegenseitiger
Wirtschaftsinteressen relativ intensiv zusammen, weil das auch für
die Türkei wirtschaftlich ein interessanter Partner ist, und die
Türkei könnte natürlich auch die Hoffnung haben, dass
mit der Tatsache, dass ein kurdischer Staat im Norden des Iraks
entsteht, dieser Staat dann auch die Heimat aller Kurden werden sollte
und dass dies im Falle eines Wiederaufflammen des Konfliktes in der
Türkei die türkische Position erleichtern würde, was
natürlich meiner Einschätzung nach auch nicht dazu
führen würde, dass die Gegend friedlicher würde.
Breker: Es geht ja nicht nur um
Ethnien, es geht nicht nur um Religionen, es geht vor allem um die
Bodenschätze, es geht um Öl und Gas.
Nassauer: Das ist richtig. Es geht natürlich auch um
Bodenschätze. Allerdings sollte man das Interesse daran nicht
verabsolutieren als Ursache für den Konflikt. Natürlich ist
es aber auch so, dass es einen Einfluss hat, denn Reichtümer, die
gilt es zu verteilen, und wer ein Interesse hat, an dieser Verteilung
zu partizipieren, der wird auch das Interesse haben, die
Bodenschätze mitzukontrollieren.
Ein Failed State wäre keine Lösung
Breker: Herr Nassauer, in den
Think Tanks, also in den Denkschulen, da mehren sich mehr und mehr
Stimmen die sagen, na ja, ein Failed State, also ein nichtregierbarer
Staat, das ist gar kein so schlimmer Zustand, der ist eine geringe
Bedrohung.
Nassauer: Da würde ich mir noch zweimal Gedanken
drüber machen wollen. Ich kann mir vorstellen, dass es in der
amerikanischen Rechten Leute gibt, die solche Vorstellungen vertreten,
die ja auch argumentieren, dass ein fehlgeschlagenes, nicht mehr
handlungsfähiges Syrien auf Dauer durchaus von zehn Jahren
akzeptabel wäre. Ich persönlich habe da größere
Bedenken, dass eine solche instabile Zone im Nahen und Mittleren Osten
auf Dauer oder auf mittlere Sicht wirklich eine konstruktive
Lösung wäre.
Breker: Zumal es auch eine zynische Lösung gegenüber den Menschen, die dort leben, wäre.
Nassauer: Vor allem: Es wäre eine zynische Lösung
gegenüber allen beteiligten Menschen, die in dieser Region leben.
Da haben Sie völlig Recht.
Breker: Und auf der anderen Seite kann man dort dann, wie jetzt gerade
geschehen in Libyen, Terroristen, die man haben will, einfach so nehmen.
Nassauer: Ich muss sagen, ich habe die Frage nicht verstanden.
Breker: Stichwort Bengasi.
Nassauer: Ja, das ist klar, dass man auf jeden Fall vermeiden
möchte, dass eine Region entsteht, die wieder Terroristen wie in
Afghanistan oder im Falle Bengasis "beherbergt". Dass man das gerne
vermeiden möchte aus amerikanischer Sicht, ist doch völlig
logisch.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Otfried
Nassauer. Er ist beim Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Beziehungen. Herr Nassauer, ich danke Ihnen für
dieses Gespräch.
Nassauer: Auf Wiederhören!
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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