Deutschlandfunk - Interview
19. April 2004

Spanien nähert sich in Irak-Politik an andere europäische Staaten an
Stefan Heinlein im Gespräch mit Otfried Nassauer

Stefan Heinlein: Herr Nassauer, Fahnenflucht oder mutige Entscheidung? Wie werten Sie die Entscheidung der spanischen Regierung?
Otfried Nassauer: Es ist zunächst einmal eine Erfüllung eines Wahlversprechens, aber es ist auch die Rückkehr Spaniens beziehungsweise die Umkehr Spaniens zu der Haltung der meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien, nämlich zu sagen, dieser Krieg war illegal, und er hat zu größeren Problemen geführt als er denn Probleme gelöst hätte. Da zeigt sich im Moment, dass Herr Zapatero ganz offensichtlich eine Linie verfolgt, die es ihm ermöglichen soll, zunächst einmal einen Abzug der Truppen unter US-Kommando zu ermöglichen, und dann in einem zweiten Schritt gegebenenfalls im Rahmen der EU wieder tätig zu werden.

Heinlein: Also ist Spanien auf dem Weg zurück zum alten Europa. Unter Aznar gab es eine sehr enge Partnerschaft mit Washington. Wie sehr könnte denn der jetzige Schritt die Beziehungen zum Weißen Haus beeinträchtigen?
Nassauer: Der Schritt kann die Beziehungen zum Weißen Haus durchaus beeinträchtigen. Nur: Man muss natürlich bedenken, dass mit der These, die ETA habe diese Attentate in Madrid begangen, die Regierung Aznar, die mit Washington sehr eng befreundet ist, im Prinzip Herrn Bush das schlimmere Wahlkampfgeschenk gemacht hat, denn das ist im Prinzip das Wiederaufleben der Kriegsgründedebatte gewesen und damit auch einer Diskussion, die es für Herrn Zapatero in gewisser Weise noch leichter macht, den Schulterschluss mit dem so genannten alten Europa, das ich in der Form nicht sehe, zu suchen.

Heinlein: 1300 Soldaten hatte oder hat Spanien noch im Irak. Wie groß ist denn die Lücke, die Spanien durch diesen Truppenabzug hinterlässt?
Nassauer: Militärisch gesehen, ist diese nicht besonders groß. Es ist deutlich weniger als ein Prozent aller im Irak tätigen ausländischen Truppen. Mit anderen Worten: Es ist nicht in dem Sinne militärisch relevant. Politisch symbolisch ist es natürlich sehr viel relevanter, und zwar einfach deswegen, weil Spanien damit das erste Mitglied der Kriegskoalition der Amerikaner wird, das seine Truppen zurückzieht und in gewisser Weise sagt, die Strategie ist gescheitert.

Heinlein: Wie groß ist denn die Gefahr, dass diesem politischen Beispiel andere Staaten aus dieser Koalition der Willigen nun folgen?
Nassauer: Die Möglichkeit ist durchaus gegeben. Es gibt ja eine ganze Reihe Länder, die darüber nachdenken, ob sie weiterhin in dieser Koalition der Willigen tätig sein sollten. Das sind Länder praktisch rund um den ganzen Globus, wobei auch dabei jeweils die militärische Relevanz eines solchen Rückzuges geringer wäre als die politische, denn die meisten Staaten, die im Irak militärisch tätig sind, haben ja nur wenige Hundert Soldaten dort im Einsatz. Er sind ja im ganz Überwiegenden Briten und Amerikaner, die dort stationiert sind.

Heinlein: Warum weigert sich denn Washington vor dem Hintergrund der Gefahr, die Sie gerade geschildert haben, standhaft nun der Vereinten Nationen eine größere Rolle zu geben? Denn ein UN-Mandat wäre ja für Spanien ein Grund gewesen, ihre Truppen im Lande zu belassen.
Nassauer: Ich denke, dass diejenigen, die George W. Bush veranlasst haben, diesen Krieg zu führen, der Auffassung sind, sie müssten auch auf der Strategie, die sie damals angesetzt haben, jetzt auch zum militärischen beziehungsweise politischen Erfolg kommen, und dass jedes Zurückweisen dabei ein Problem darstelle, das letztlich "als Sieg der Aufständischen" dargestellt werden könnte. Das kann natürlich die Rolle für die Zukunft für die Vereinten Nationen erheblich erschweren, weil sie natürlich die Frage beantworten müssen, ob sie denn nun als eigenständigen Neuansatz dort tätig werden würden, oder ob sie der verlängerte Arm der Vereinigten Staaten werden würden. Das steht auch noch mal mit zur Debatte. Wenn man sich diese Situation genauerer anguckt, dann wird man feststellen, dass es für die Vereinten Nationen genau wie für Washington jetzt eine ganz schwierige Entscheidung sein wird. Washington muss sich entscheiden, ob es die politische, militärische und wirtschaftliche Verantwortung für den Irak teilt, und die Vereinten Nationen, also New York, müssen entscheiden, ob die Bedingungen, zu denen diese Verantwortung geteilt oder übergeben werden wird, tatsächlich Erfolg versprechend sind, nämlich so Erfolg versprechend, dass die Vereinten Nationen dieses Risiko auch übernehmen.

Heinlein: Wir haben es in dem Bericht über die Situation im Irak gehört, es gibt Verhandlungen zwischen der US-Armee und den Schiiten und den Aufständischen der Sunniten. Glauben Sie, dass es eine Chance besteht für eine Verhandlungslösung, dass man weniger auf die militärische Karte jetzt setzt?
Nassauer: Ich würde im Moment erwarten, dass die Chance besteht zu einer gewissen Beruhigung der Lage. Ob daraus in einem zweiten Schritt die Tür hin zu einer politischen Lösung geöffnet werden kann, das ist im Moment noch nicht zu sagen. Ich habe aber große Zweifel, dass das mit der bisherigen Strategie erreicht werden kann.

Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).