Deutschlandfunk - Interview
19. Februar 2007


Putins Ärger über USA verständlich

Interview mit Otfried Nassauer

Otfried Nassauer, Direktor des Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, hält die amerikanischen Plänen für ein Raketenschutzschild in Osteuropa für voreilig. "Da werden Milliarden investiert für etwas, wo noch nicht klar ist, ob es die Bedrohung, gegen die es errichtet wird, je geben wird", sagte Nassauer. Von Langstreckenraketen sei der Iran "noch relativ weit entfernt".

Christoph Heinemann: Tschechien hat die NATO zur Unterstützung des geplanten US-Raketenabwehrschilds in Osteuropa aufgerufen. "Wir bauen darauf, dass alle europäischen Mitglieder der NATO an den Vorteilen dieses Systems teilhaben werden", das sagte der tschechische Botschafter bei der NATO, Stefan Fule, gestern im tschechischen Fernsehen. Das Abwehrsystem müsse in die Leitung und Kommandostrukturen der Allianz integriert werden. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hat das Abwehrsystem in der vergangenen Woche als eine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und Tschechien beziehungsweise Polen bezeichnet.
Die USA planen ein Abwehrsystem mit Basen also in Osteuropa. Es soll Schutz gegen Raketen bieten, die von Terroristen eingesetzt würden, wird aber auch im Zusammenhang mit iranischen Atomplänen genannt. In Tschechien soll ein Abwehrsystem, in Polen sollten Abfangraketen stationiert werden. Der tschechische Ministerpräsident Topolanek reist heute nach Warschau, um mit dem polnischen Regierungschef Kaczynski über die Anfrage aus Washington zu beraten.
Am Telefon ist jetzt Otfried Nassauer, der Direktor des Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit. Guten Tag!
Otfried Nassauer: Guten Tag, Herr Heinemann!

Heinemann: Herr Nassauer, sollte die NATO mitmachen?
Nassauer: Zunächst einmal: Es ist in der Tat ein bilaterales Projekt, Herr Heinemann, das die Amerikaner in Osteuropa aufbauen wollen und das ausschließlich die Funktion hat, amerikanisches Territorium vor Langstreckenraketen aus dem Nahen und Mittleren Osten zu schützen, und nebenbei kann man dann gegebenenfalls auch theoretisch noch ein paar russische Langstreckenraketen mit abfangen beziehungsweise irgendwelche Langstreckenraketen, die sich Terroristen vielleicht in drei Jahrzehnten mal aneignen könnten. Dieses System ist kein System, das darauf ausgelegt wäre, Kurz- oder Mittelstreckenraketen abzuwehren. In diesem Bereich ist die NATO mit eigenen Projekten an der Arbeit, zum Beispiel mit dem deutsch-amerikanischen Raketenabwehrsystem MEADS, aber auch mit Projekten gegen Raketen mit Reichweiten bis zu 3000 Kilometer. Wenn wir jetzt mal für alle Raketenabwehrprojekte sagen, wir wissen ja immer noch nicht, ob die Dinger irgendwann mal funktionieren werden, dann macht eine Beteiligung der NATO an diesem Projekt keinen Sinn.

Heinemann: Eben weil Europa gar nichts davon hätte?
Nassauer: Weil Europa erstens gar nichts davon hätte, und zweitens die Amerikaner eines nicht zulassen werden, nämlich dass in der NATO kollektiv sozusagen der Abschussknopf gedrückt werden müsste. Das ist eine Entscheidung, die Washington für sich national haben möchte. Und in den Vorphasen dieser Debatte, die jetzt öffentlich geworden ist, haben die Amerikaner sogar teilweise verlangt, dass die Tschechen und die Polen vielleicht die Bereitschaft erklären sollten, die Stationierungsorte zum extraterritorialen Gebiet zu erklären, also sprich zu einem Gebiet, auf dem die polnische oder tschechische Staatshoheit nicht mehr gilt.

Heinemann: Bedroht dieses System Russland?
Nassauer: Das Problem ist nicht, dass es Russland bedroht in dem Sinne, dass hier russische Waffen direkt bedroht werden könnten. Nein. Das Problem ist, dass dieses Raketenabwehrsystem einen Teil der russischen Interkontinentalraketen unter bestimmten Bedingungen theoretisch abfangen könnte, wenn es denn funktionieren würde, und zweitens dass die Amerikaner bilateral in Absprache mit Polen und Tschechien etwas tun, was die NATO versprochen hat nicht zu tun, nämlich strategische, militärische Anlagen, zum Beispiel Atomwaffen, näher an die russischen Außengrenzen heranzubringen. Das hatte man bei der Osterweiterung der NATO den Russen versprochen, und die Amerikaner kündigen dieses Versprechen in gewisser Weise indirekt im Moment auf.

Heinemann: Also haben Sie durchaus Verständnis für Präsident Putins Erregung?
Nassauer: Ich habe durchaus Verständnis für Präsident Putins Ablehnung dieses Systems, und ich habe auch Verständnis für diejenigen, die sagen, die Amerikaner hätten die Russen hier konsultieren müssen, abgesehen davon, dass ich eben an dem militärischen Sinn eines solchen Projektes in der Tat zweifle. Da werden Milliarden investiert für etwas, wo noch nicht klar ist, ob es die Bedrohung, gegen die es errichtet wird, je geben wird, und auch noch nicht klar ist, ob denn dieses System je funktionieren wird.

Heinemann: Das heißt, Sie stellen die amerikanische Bedrohungsanalyse in Frage, der zufolge eben von einer möglichen iranischen Rakete oder iranischen Raketen eine große Gefahr ausgehen könnte?
Nassauer: Richtig. Die Amerikaner sagen, der Iran, früher hieß es der Nahe und Mittlere Osten, sei sozusagen das Hauptabschussgebiet, denn die Raketenabwehrsysteme, die man in Amerika aufgebaut habe, die seien ja nur in der Lage, sich mit nordkoreanischen Raketen zu beschäftigen. Aber wenn man sich das iranische Raketenprogramm mal anguckt und mal die Übertreibungen westlicher Geheimdienste ein Stückchen weit abzieht, dann wird man relativ schnell feststellen, dass die Iraner von Langstreckenraketen auch noch relativ weit entfernt sind und dass das, was die Iraner in den nächsten Jahren theoretisch vielleicht erreichen könnten, nämlich Mittelstreckenraketen, bereits Gegenstand der Diskussion für ein Raketenabwehrsystem im Rahmen der NATO ist. Das NATO-System heißt NATINEADS und wird im Moment untersucht hinsichtlich seiner Machbarkeit.

Heinemann: Herr Nassauer, Frankreichs Präsident Jacques Chirac hat kürzlich inoffiziell sozusagen laut ins Unreine gesprochen und gesagt, er könne mit iranischen Atomwaffen durchaus leben, wohl wissend, dass Teheran dem Erdboden gleichgemacht würde, wenn eine solche Rakete jemals abgefeuert werden sollte. Wirkt die Drohung mit massiver Vergeltung abschreckend auf Terroristen oder Staatsterroristen?
Nassauer: Ich sage zunächst einmal, man sollte mit der Bezeichnung der iranischen Regierung als Staatsterrorist vorsichtig sein, die ja implizit in Ihrer Frage drinsteckt. Ich denke, auf einen Staat, der den Anspruch erhebt, eine Mittelmacht, eine regionale Mittelmacht oder Großmacht zu sein wie der Iran, wirkt in der Tat die klassische Abschreckung dann abschreckend, wenn klar ist, dass andere in der Lage wären, ein Land wie den Iran zu zerstören. Und das ist mit den Atomwaffen, die heute vorhanden sind, zigmal möglich. Da gibt es überhaupt keine Debatte drüber. Nur: All das unterstellt ja auch, dass im Iran all die Entscheidungen, wo der Iran sagt, er hat sie noch nicht getroffen, nämlich Nuklearmacht zu werden, dass die längst getroffen sind. Und ich denke, man sollte hier ein bisschen vorsichtiger sein, denn man vergibt sich eine Reihe von diplomatischen Möglichkeiten, wenn man dem anderen unterstellt, dass der sich längst entschieden hat.

Heinemann: Stichwort noch mal Staatsterrorismus: Wenn der iranische Präsident das Existenzrecht Israels infrage stellt und diesen Staat bedroht, nehmen Sie das nicht für bare Münze?
Nassauer: Staatsterrorismus ist etwas anderes, als die Existenz eines anderen Staates infrage zu stellen. Das Zweite, was ich hier sagen muss, ist, wir sollten uns bestimmte Übersetzungen, die wir im Westen von Ahmadinedschads Reden anfertigen, doch noch etwas mal genauer angucken. Teilweise handelt es sich um Zitate von Chomeini, teilweise sagen die Übersetzungen etwas anderes als der Originaltext. Und nichtsdestotrotz haben Sie natürlich Recht, dass Ahmadinedschad das Existenzrecht Israels infrage stellt. Nur: Das ist ein Umgang, der zwischen Staaten historisch gesehen, schon des Öfteren der Fall gewesen ist.

Heinemann: Ottfried Nassauer, der Direktor des Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Nassauer: Auf Wiederhören.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS