Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau
15. Oktober 2014


„Das ist Lobbyismus für das Heer“

Experte Otfried Nassauer spricht im Interview mit der Berliner Zeitung über das deutsche Heer, neue Panzer und die Rüstungsindustrie.

Herr Nassauer, die Verteidigungspolitiker der Koalition fordern für den Haushalt 2015 erstmals seit Langem, mehr Panzer anzuschaffen. Ist das die Konsequenz aus den Krisen der Welt und der Ansage, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen?

Wer Verteidigungspolitik als Vorsorge gegen Sicherheitsrisiken aller Art betrachtet, kann die Ukraine-Krise auch nutzen, um mehr Panzer zu fordern. Für die Risikovorsorge weltweit sind Panzer meist zu schwer. Wenn Verteidigungspolitiker die aktuellen Mängellisten aus dem Ministerium sehen, dann denken sie schnell: Das ist die Chance auf mehr Geld. Und wenn sie das Jammern der Rüstungsindustrie im Ohr haben, als deren Interessenvertreter manche Abgeordnete sich ja auch sehen, dann geht das noch schneller. Sollte diesem Denken Priorität eingeräumt werden? Nein. Lange, teure Wunschlisten lehren die Bundeswehr nicht, das vorhandene Geld endlich effizient auszugeben.


Woran machen Sie das fest?

Fast alle Vorschläge betreffen das Heer – Modernisierung des Leopard-Panzers, mehr Boxer, Infanterist der Zukunft, zusätzliche Gewehre. Sie könnten auch vom Förderkreis des Heeres kommen. Das Heer hat im Parlament seine Lobby. Ehrlicherweise muss man aber auch zugeben, dass das Heer unter den Fehlern leiden musste, die bei Großbeschaffungen vor allem der Luftwaffe begangen wurden.


Ist es eine Kehrtwende der Rüstungspolitik, wenn die Rede von neuen Panzern für die Bundeswehr ist?

Es ist die Forderung nach einer Kehrtwende. Es sind die Wünsche, die die Verteidigungspolitiker der Koalition in die Haushaltsberatungen einbringen. Sie hielten die Panzeranzahlen schon immer für zu klein und sehen jetzt eine Chance, eine Aufstockung zu fordern. Spannend wird, ob die Haushälter mitspielen.


Halten Sie die Wünsche denn für legitim?

Legitim ist jede Forderung. Ich sehe darin aber das, was die externen Berater der KPMG in ihrem Gutachten zur Beschaffungspolitik als eine wichtige Ursache für die Probleme bei den Großbeschaffungen benannt haben: Einflussnahme aus dem parlamentarischen Raum, die falsche Schwerpunkte setzt, viel Geld kostet und zu problembehafteten Großprojekten führt. Es gibt ja Abgeordnete, die es als politische Gestaltungsaufgabe sehen, Steuergelder über Rüstungsprojekte in ihre Wahlkreise, zu bestimmten Arbeitgebern oder gar Parteispendern zu lenken – Effizienz oder Bedarf sind dann oft nachrangig.


Wie meinen Sie das?

Die Industrie signalisiert der Bundesregierung derzeit sehr offen: Wenn die Bundeswehr immer weniger bestellt und zugleich weniger Exporte genehmigt werden, dann können wir auch ins Ausland abwandern. In der Bundesregierung wird deshalb der Kampf ausgetragen, wer die Arbeitsplätze in der heimischen Rüstungsindustrie schützen soll: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, indem er mehr Rüstungsexporte zulässt, oder Verteidigungsministerin von der Leyen, die ihr Geld für Neuentwicklungen lieber für IT-, Cyber- und Krypto-Projekte ausgeben will – und deshalb für die klassischen Rüstungsbereiche wie U-Boote, Handfeuerwaffen und Panzer eher eine Förderung durch Exporte anstrebt. Die Weiterentwicklung deutscher U-Boote wird seit Jahrzehnten durch deren Export finanziert.


Die Verteidigungspolitiker von Union und SPD beantragen auch Projekte, die 2015 noch gar kein Geld kosten werden. Was steckt dahinter?

Sie versuchen, den Bundestag darauf vorzubereiten, dass ab 2016 oder 2017 eine kräftige Erhöhung des Verteidigungshaushalts erfolgt. Einige der Anträge zielen nicht auf den baldigen Kauf neuer Waffen, sondern auf die Vorbereitung neuer Großprojekte. Etwa beim künftigen Luftabwehrsystem der Bundeswehr. Sie wollen Weichen dafür stellen, dass für diese Vorhaben später auch bezahlt werden muss.


Der Ministerin könnte das doch im Grunde recht sein, oder?

Teilweise, es passt aber nicht dazu, dass sie das Beschaffungswesen reformieren muss, um Großprojekte künftig besser kontrollieren zu können. Hier würden ja neue Großvorhaben geplant, bevor man effizientere Beschaffungsstrukturen eingeführt und die Altlasten aufgeräumt hat.

Das Interview führte Steven Geyer


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS