Der Herr der Ringe
Gastbeitrag von Jürgen Rose
GENERAL WARDENS LUFTKRIEG - Die israelischen Streitkräfte folgen im Libanon
einem Szenario, das 1991 erstmals gegen den Irak durchgespielt wurde
"Da, wo die Flugzeuge bombardieren, gibt es keine Helden, und wo die Helden sind,
kommen keine Flugzeuge hin" Abbas Beydoun
Vermutlich weiß der libanesische Dichter Abbas Beydoun nur sehr wenig über die Tsvah
Haganah le Israel Chel Ha´Avir - die israelische Luftwaffe. Beispielsweise, dass
ihre Kampfflugzeuge sowie deren Bewaffnung fast ausschließlich aus US-Produktion stammen
und zudem größtenteils vom US-Steuerzahler finanziert werden. Oder dass ihre
Kampfpiloten bestens ausgebildet sind und nicht zuletzt dank ihrer beeindruckenden
Abschussraten in internationalen Luftwaffenkreisen einen legendären Ruf besitzen. Die
Einsatzdoktrinen sind ihm wahrscheinlich ebenfalls nicht geläufig, nach denen die in
ihrer Heimat als Elite der Streitkräfte verehrten Top Gun-Piloten ihre Missionen fliegen.
Frappierend präzise hingegen schildert Abbas Beydoun, der auch als
Feuilletonchef der Beiruter Tageszeitung as-Safir arbeitet, das Grauen des
Luftkrieges im Libanon, wenn er schreibt: "Israel unterschied nicht zwischen
friedlich und kriegerisch. Es zerstörte Brücken und Straßen, ganz zu schweigen von der
anderen Infrastruktur, die zu keinem Versorgungsnetz der Hisbollah gehörte ... Israel
nahm sich Zivilisten zum Ziel und richtete ein Massaker an. All das kann nur durch blinde
Feindseligkeit erklärt werden, die weder zwischen zivil und bewaffnet noch zwischen
friedlich und feindlich unterscheidet. Sie kann nur eines zum Ziel haben: das Rückgrat
einer ganzen Gesellschaft zu brechen. Den Krieg führen sie gegen die Hisbollah - die
Bomben aber fallen auf Fabriken, Wohnhäuser und Zivilisten. Damit zerstören sie den
Staat - Israel ist dabei das gesamte politische Leben im Libanon zu zerstören, sein
Bombardement bedeutet wahrscheinlich die totale Zerstörung."
Rein intuitiv hat Beydoun mit seiner Schilderung die Funktionslogik des
modernen Luftkrieges umrissen, dessen Kriterien vor allem einer definiert hat: John A.
Warden III, zunächst Colonel der Air Force, später zum Kommandeur des Air Command and
Staff College an der Air University, Maxwell AFB (Alabama) aufgestiegen. Seine Theorie
nahm Überlegungen aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts auf und
gelangte mit dem Krieg gegen den Irak Anfang 1991 zum Durchbruch. Sie prägt bis heute die
US-Luftkriegsdoktrin und kam bei den Operationen gegen Jugoslawien 1999 ebenso zur
Anwendung wie gegen Afghanistan 2001 und erneut gegen den Irak 2003.
Den Kern des strategischen Ansatzes stellt Wardens so genanntes
"Fünf-Ringe-Modell" (siehe Grafik) dar: Ausgehend von einer systemtheoretischen
Betrachtungsweise beschreibt er damit einen Gegner als ein System konzentrisch
angeordneter Ringe, deren strategische Relevanz von innen nach außen abnimmt - man
könnte auch von einem "System der gestaffelten Ringe" sprechen. Im Zentrum
befindet sich die politische und militärische Führung eines Feindstaates. Darum herum
gruppieren sich dessen Schlüssel-Industrien, worunter primär die Stromerzeugung und die
petrochemische Industrie fallen, die Infrastruktur, die Zivilbevölkerung und ganz außen
das Militär. Aus der Wichtigkeit dieser Elemente im Hinblick auf die
Überlebensfähigkeit des betreffenden Staates sowie aus ihrer Verwundbarkeit gegenüber
Luftangriffen leiten sich die Zielprioritäten für den Luftkrieg ab - und der zielt
zunächst einmal auf die Zerstörung der Lebensbasis eines Staates, besonders der
Zivilbevölkerung. Je mehr die attackiert wird und ihre Existenzgrundlage verliert, desto
mehr soll ihre Gefolgschaft gegenüber der politischen Führung unterminiert werden.
Gleichzeitig rückt das gegnerische Militär auf der Liste der
Zielprioritäten ganz nach hinten. Die von Warden gelieferte Begründung folgt dem
Kalkül: "Im Gegensatz zu Clausewitz besteht das Wesen des Krieges nicht in der
Vernichtung des feindlichen Militärs; das Wesen des Krieges besteht darin, den Gegner
davon zu überzeugen, unsere Position zu akzeptieren. Und die Streitkräfte des Gegners zu
bekämpfen, ist bestenfalls Mittel zum Zweck, schlimmstenfalls aber totale Zeit- und
Energieverschwendung." Wie mustergültig Israels Luftwaffe dieser Doktrin in der
Realität zu folgen weiß, demonstriert sie derzeit im Libanon und im Gaza-Streifen.
Dem modernen Luftkrieg verheißt Wardens strategisches Credo, im Grunde
genommen ist jedes Mittel erlaubt, um zu siegen. Ob lasergesteuerte Präzisionsbomben auf
Wohnblocks, Streubomben auf Dörfer, Munition aus abgereichertem Uran,
"Fuel-Air-Explosives" (Aerosolbomben, die schlagartig einen gewaltigen
Überdruck erzeugen und sofort jegliches Leben in unmittelbarer Nähe der Explosion
auslöschen) oder gar "Weißer Phosphor gegen weiche Ziele", wie es zynisch im
Sprachgebrauch der Luftkriegsplaner heißt.
Allerdings ist eine solche Kriegführung gemäß der Genfer Konvention von
1949 (inklusive der Zusatzprotokolle von 1974 bis 1977) sowie nach dem
"Internationalen Abkommen über ein Verbot für den Einsatz unterschiedslos wirkender
konventioneller Waffen" vom 10. Oktober 1980 völkerrechtswidrig. Mittlerweile
übersteigt die Zahl der zivilen Todesopfer - üblicherweise mit dem Euphemismus
"Kollateralschaden" bedacht - des angeblich "chirurgisch" geführten
Luftkrieges gegen Hisbollah und Hamas die Zahl der durch die gleichermaßen
völkerrechtwidrigen Raketenangriffe auf Israel umgekommenen Opfer der Hisbollah um das
Vierzigfache.
Ein Sprecher des israelischen Generalstabes hat dennoch vor Tagen
ankündigt, man werde für jedes israelische Opfer zur Vergeltung zehn mehrstöckige
Wohnblocks im Libanon in Schutt und Asche legen. Wer so handelt, der kämpft nach dem
archaischen Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn, Kriegsverbrechen um Kriegsverbrechen - und
wird dem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt nie entkommen.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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