Freitag
10. März 2006


Der Countdown läuft

Eskalationsschub: Deutschlands willfährige Handlangerdienste für einen neuen US-Feldzug

Gastbeitrag von Mohssen Massarrat

Vor über einem Jahr enthüllte Seymour Hersh die Taktik der US-Neokonservativen im Atomkonflikt mit dem Iran, sie würden zur Tat schreiten »sobald die EU-Diplomatie scheitert«. Nun ist es soweit, die EU-Diplomatie war laienhaft genug, um in diese längst offensichtliche US-Falle hinein zu tappen. Sie hat Ende Januar die Initiative an den Sicherheitsrat, im Klartext an die USA, weiter gegeben. Nun liegt El Baradeis angekündigter Bericht vor, in dem Teheran ganz im Sinne der USA aufgefordert wird, sich dem »Willen der Weltgemeinschaft«, richtiger dem Diktat einer US-Führung zu unterwerfen, die für Abu Ghraib und Guantanamo mit 14.000 Gefangenen die Verantwortung trägt. Für die US-Neokonservativen ist damit ihr Ziel zum Greifen nah. Jetzt kann und will George Bush handeln: Zunächst ein befristetes Ultimatum, dann Sanktionen mit dem Ziel, Iran in eine Eskalationsdynamik zu treiben, die schließlich in einen Luftkrieg münden könnte.

Es muss allen Ernstes damit gerechnet werden, dass sich Bush, Rumsfeld und Cheney den Zenit der Eskalation, auf den sie seit zwei Jahren akribisch hinarbeiten, nicht werden entgehen lassen und mit oder ohne Sicherheitsratsbeschluss spätestens im April losschlagen – denn die Zeit arbeitet dagegen. Im Juni sollen die russischen Raketenabwehrsysteme zum Schutz iranischer Atom- und Militäranlagen installiert werden. Dieses Datum dürften die US-Militärs kaum abwarten wollen. Auch das mit Europas Schützenhilfe aufgebauschte Lügengebäude, der Iran trüge für den Konflikt die alleinige Verantwortung, dürfte alsbald wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, je eingehender europäische Medien sich mit den Details befassen. Es ist aus Sicht der US-Strategen höchste Eile geboten.

Für die Hegemonialmacht USA steht im Iran wesentlich mehr für ihr Greater Middle East-Projekt als im Irak auf dem Spiel. Zum einen soll durch die Zerstörung sämtlicher Atomanlagen Israels atomare Vormachtstellung im Mittleren und Nahen Osten auf Dauer gefestigt werden. Zum anderen soll von der regionalen Mittelmacht Iran nach einem Luftkrieg nicht viel mehr bleiben als ein militärisch unbedeutender und politisch willenloser Staat, der wie nach dem Krieg mit dem Irak (1980 – 1988) erneut in die ruinöse Spirale von Krieg, Wiederaufbau und Wiederaufrüstung getrieben werden soll.

Iranische Atombomben, die selbst nach CIA-Informationen erst in fünf bis zehn Jahren möglich sein sollen, sind ein noch absurderer Vorwand als die Lüge über die Massenvernichtungswaffen zur Legitimierung des Irak-Krieges. Pakistanische Atomwaffen, die längst existieren und auch leicht in die Hände der Extremisten in der pakistanischen Armee gelangen könnten, stellen eine ungemein größere Gefahr dar, die Washington jedoch nicht weiter interessiert. Die US-Führung will trotz des irakischen Desasters – koste es, was es wolle – nun auch den Schlag gegen Teheran und ist dazu – ob allein oder zusammen mit Israel – militärtechnisch, entgegen einer weit verbreiteten Auffassung, sehr wohl in der Lage. Bodentruppen würden – im Unterschied zum Irak – nicht gebraucht. Alle Kapazitäten für einen Luftkrieg sind längst um den Iran herum platziert. Die USA können von ihren Stützpunkten in Saudi-Arabien und Qatar oder von den in Bahrain ankernden Kriegsschiffen aus oder mit den auf der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean stationierten B-52-Bombern oder von ihren Basen im Irak und in Afghanistan sämtliche Ziele erreichen, die sie bombardieren wollen.

Auch die psychologische Kriegsvorbereitung läuft auf vollen Touren. Als notorischer Lügner längst stigmatisiert, sitzt Teheran immer auf der Anklagebank. Ihre Glaubwürdigkeit könnte die islamische Staatsführung nach dem Willen des Westens allein dadurch wiedererlangen, dass sie sich einem westlichen Diktat vollends unterwirft, das den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NVV) in diesem Falle exklusiv außer Kraft setzt. Dabei hat die deutsche Kanzlerin als sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz den islamischen Staates mit dem Naziregime und – indirekt – Präsident Ahmadinedschads mit Hitler verglich, der US-Führung einen großen Gefallen getan. Zur Erinnerung, auch vor dem Kosovo-Krieg wurde Milosevic und vor dem Irak-Krieg Saddam mit Hitler gleich gesetzt.

Ein Krieg gegen den Iran wird iranische Atombomben auf Dauer nicht verhindern, aber unter Umständen in der gesamten Region einen Flächenbrand entfachen. Eine Intervention gegen Teheran kann zu einer Blockade der Ölrouten in der Straße von Hormus und zu dramatischen Ölpreissteigerungen führen. Eine Parteinahme der irakischen Schiiten für den Iran und der endgültige Ausbruch eines Bürgerkriegs zwischen Sunniten und Schiiten im Irak sind gleichfalls nicht auszuschließen. Hinzu kommt die Verwicklung Saudi-Arabiens, das die Sunniten gegen die irakischen Schiiten stärken könnte. Schließlich: wie wird sich Syrien verhalten, das mit dem Iran einen Beistandspakt geschlossen hat?

Ein Iran-Krieg, trotz irakischer Erfahrungen, hätte schlechterdings weder mit Logik noch einem Mindestmaß an Vernunft zu tun. Er ließe sich nur noch durch ideologische Ignoranz erklären. Ein Lernprozess der US-Führung ist nicht erkennbar. Die hartnäckige Ablehnung von Hamas als Wahlsieger in Palästina und die Segnung der indischen Bombe ohne Rücksicht auf ein neues regionales Wettrüsten in Asien belegen das. In Europa wären wir daher gut beraten, uns auf den schlimmsten Fall – einen Krieg – einzustellen.

An der Eskalation hat nicht nur die iranische Regierung ihren Anteil, die mit ihrer durchsichtigen Doppelstrategie, sich auf legalem Weg sicherheitspolitisch relevante, dem NVV aber zuwider laufende Kapazitäten verschaffen zu wollen, in eine Sackgasse geraten ist. Auch die EU, allen voran Deutschland, hat sich wider jede politische Logik und entgegen allen eigenen Interessen, ohne Not freiwillig zum willfährigen Handlanger der rückwärtsgewandten US-Cliquen degradieren lassen, die missionarisches Zelotentum mit Hegemonialinteressen zu einem explosiven Gemisch vermengen. Die EU hat mit ihrem perspektivlosen Schwenk auf die konfliktträchtige US-Politik alle mediativen Optionen aus der Hand gegeben und der US-Strategie eine moralische Legitimation verschafft, ohne die es die US-Regierung – im Unterschied zum Irak – kaum wagen würde, sich auf ein noch größeres Abenteuer einzulassen.

Schließt Angela Merkel eine deutsche Unterstützung oder gar Beteiligung an einer Aggression gegen den Iran nicht bereits jetzt definitiv aus, wird sie Bush – selbst wenn sie es wollte – nie und nimmer ihren Beistand entziehen können, wenn die Eskalation nach Auslaufen des wahrscheinlichen Ultimatums Anfang April richtig in Fahrt kommt. Zu befürchten ist, dass sich die EU dann mit der Parole »Jetzt muss der gesamte Westen zusammenhalten« hinter der US-Regierung verschanzt. Noch größer könnte für Deutschland und die EU die Schmach nicht sein, einen Krieg moralisch zu rechtfertigen, der nicht nur für den Mittleren und Nahen Osten, sondern auch für Europa selbst katastrophale Folgen haben wird.

Es ist unbegreiflich, dass Europa als größte Welthandelsmacht mit einem immer noch positiven Image in der Dritten Welt nicht begriffen hat, die historisch einmalige Chance für eine andere, auf Dialog ausgerichtete Nahost-Politik zu nutzen. Diese Chance ergibt sich aus dem offenkundig absoluten Tiefpunkt des politischen Ansehens der USA in der Region. Es ist wahrlich tragisch, wenn sich das Europa der Aufklärung an der Leine einer Handvoll zwielichtiger US-Think-Tanks führen lässt, statt seine Nahost- und Iran-Politik von eigener politischer Vernunft herzuleiten. Spätestens Wladimir Putins Hamas-Initiative hätte Europas Schlafmützen eigentlich die Augen öffnen müssen, wie weit sie zur Geisel von mafiösen Lobbyisten-Zirkeln jenseits des Atlantiks verkommen sind.


 

Mohssen Massarrat, geboren im Iran, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Seit Jahren aktiv in der Friedensbewegung war er Mitbegründer der "Koalition für Leben und Frieden".