Irans Atomkonflikt in der Sackgasse:
Neuer Golfkrieg kann nur durch Atomwaffenfreie Zone gebannt werden
Prof. Dr. Mohssen Massarrat
... Der UN-Sicherheitsrat beschließt auf Betreiben der USA harte
Sanktionen gegen den Iran. Die USA und Israel drohen dem Iran mit Präventivkrieg. Als
Reaktion darauf beginnt die iranische Marine, im Persischen Golf Minen zu verlegen. Der
Iran kündigt an, den gesamten Öltransport zu blockieren. Der Westen reagiert auf diese
erschreckende Nachricht mit Empörung, Strangulierungsängste begünstigen antiislamische
Ressentiments, das Gespenst von der islamischen Bedrohung gegen die Freiheit und den
Wohlstand des Westens geht erneut um die Welt. Russland und China verhalten sich im
Konflikt, angesichts des Ernstes der Lage, neutral, die USA beginnen mit Vorbereitungen
für einen Militäreinsatz. Eine Neuauflage der Kriegsallianz von 1990, diesmal gegen den
Iran, erscheint in Sicht, der Westen bewegt sich auf einen neuen Ölkrieg zu.
Die Reaktionen auf der anderen Seite der Front lassen nicht lange auf
sich warten. Millionen Iraner, nicht nur Regimeanhänger, sondern auch Reformer und
national Gesinnte, beteiligen sich an antiamerikanischen Demonstrationen, Tausende melden
sich freiwillig für die Front. In Islamabad, Damaskus, Jakarta gibt es spontane
antiwestliche Demonstrationen aus Solidarität mit ihren Schwestern und Brüdern im Iran.
Die Hisbollah-Miliz im Südlibanon wird mobilisiert, die radikalen Schiiten eröffnen eine
neue Kriegsfront gegen die US-Besatzungsmacht im Irak. In Pakistan spitzt sich die Lage
zu, ein Putsch gegen Amerikas Freund Pervis Musharraf kann nicht mehr ausgeschlossen
werden, die USA erwägen deshalb eine Militärintervention auch in Pakistan, um das
pakistanische Atomwaffenarsenal vor dem Zugriff der Islamisten in der pakistanischen Armee
sicherzustellen. Al Qaida nutzt die Gunst der Stunde und ruft zum Heiligen Krieg gegen die
Ungläubigen auf, eine neue Welle von Selbstmordattentätern in westlichen Staaten, auch
in Berlin und Paris, mit vielen Toten und Verletzten, schließt den Kreislauf der Gewalt.
Huntingtons Krieg der Kulturen wird zur bitteren Realität.
Zu dieser Eskalation, die die Welt an den Rand des Chaos
führte, kam es, weil die EU-Verhandlungen scheiterten und der Iran mit der
Urananreicherung in vollem Umfang begonnen hat.
Der Iran hat ein Sicherheitsproblem
Zugegeben: das oben Beschriebene ist ein Horror-Szenario
unrealistisch ist es aber trotzdem nicht. Das denkbar Mögliche in seiner ganzen Tragweite
zu denken, kann helfen gegenzusteuern, bevor es zu spät ist. Auf der EU lastet dabei eine
große Verantwortung. Kann sie aber die Eskalation verhindern? Ihre Verhandlungsstrategie
ist allerdings in eine Sackgasse geraten, sie zielt offenbar darauf, dem Iran die
moralische Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zuzuschieben, was wiederum die
Eskalation verschärft. Die Verhandlungen sind gescheitert, weil die EU sich um den
eigentlichen Konfliktkern herummogelt und weil der Iran das eigene militärische Problem
hinter der friedlichen Nutzung der Atomenergie versteckt.
Der Iran ist durch die militärische Präsenz der USA im Irak,
Afghanistan, Saudi Arabien und den zentralasiatischen Staaten von allen Seiten regelrecht
eingekreist. Hinzu kommt das noch schwerwiegendere Sicherheitsproblem, das Israels
atomares Arsenal hervorruft. Israel verfügt über 200 300 atomare Sprengköpfe und
alle dazugehörenden Trägersysteme. Dadurch liegt der gesamte Mittlere und Nahe Osten,
also auch Iran, in der Reichweite von Israels Atomwaffen. Dieser Weg ist die
gefährlichste und im übrigen auch teuerste Option, um Israels Sicherheit zu garantieren,
er entfesselt vielmehr ein Wettrüsten in der gesamten Region. Die politische Elite der
Islamischen Republik reagiert darauf mit eigenen aufwändigen Aufrüstungsprogrammen.
Dabei folgt sie der mörderischen Logik der Ballence of Power (Gleichgewicht der Kräfte)
einer im Westen selbstverständlichen Doktrin aus der realistischen Schule. Zu diesen
Aufrüstungsprogrammen gehört auch die vollständige Beherrschung der Nukleartechnologie.
Die Urananreicherung spielt dabei eine Schlüsselrolle, die alle politischen Instanzen des
Iran im Konsens als unverhandelbares Recht deklarieren. Auch der neue iranische Präsident
Ahmadinedschad lässt daran keinen Zweifel. Sein Ziel ist ein "fortschrittlicher und
starker Iran". Irans Position mag völkerrechtlich und machtpolitisch nachvollziehbar
sein, sie ist aber dennoch keine Lösung für sein Sicherheitsproblem. Iranische
Atomwaffen verschärfen das Wettrüsten in der Region und sind daher inakzeptabel. Genau
so inakzeptabel ist aber auch Israels Atomarsenal.
Die EU im Schlepptau der USA
Die Europäische Union verlangt vom Iran einen dauerhaften Verzicht auf
die Urananreicherung und bietet als Gegenleistung wirtschaftliche Anreize und die
Bereitstellung von nuklearen Brennstoffen zur Stromerzeugung. Im Klartext sagt die EU zum
Iran: Ihr dürft auf keinen Fall in den Besitz von Atombomben kommen - und Euer
Sicherheitsproblem ist für uns zweitrangig. Auf diese Weise liefert die EU der im Iran
und in der gesamten islamischen Welt ohnehin vorherrschenden Meinung neue Nahrung, sie
verfolgten ebenso wie die USA eine Politik mit zweierlei Maß: Israels Atomwaffen würden
geduldet, islamischen Ländern dieselben aber versagt. Mit ihrer gegenwärtigen Position
befindet sich aber die EU im Schlepptau der US-Politik der militärischen Einkreisung
Irans. Der Iran wird so dazu getrieben, sein Atomprogramm erst recht in vollem Umfang
wieder aufzunehmen und, wenn nötig, auch aus dem Atomsperrvertrag auszusteigen. Mit der
Schuldzuweisung an die iranische Adresse kaschiert die EU, dass sie bisher die historische
Chance verpasst hat, eigenständige friedenspolitische Alternativen zu entwickeln.
Stattdessen liefert sie nun bewusst oder unbewusst die moralische Legitimation für
UN-Sanktionen gegen den Iran und den Beginn einer neuen und gefährlichen Eskalation ganz
im Sinne der US-Neokonservativen.
Noch ist nicht alles verloren
Die EU hätte immer noch die Möglichkeit, das Ruder herumzureißen und
die Kriegsperspektive abzuwenden. Dazu müsste sie als weitere Gegenleistung für den
iranischen Verzicht auf Urananreicherung eine baldige Konferenz für die Schaffung einer
Atomwaffenfreien Zone im Mittleren und Nahen Osten in Aussicht stellen. Dies wäre für
die EU eine, vielleicht sogar die einzige, Möglichkeit zu einem Befreiungsschlag in
letzter Minute, um aus der Sackgasse herauszukommen. So könnte ein neues Fenster
geöffnet werden, das es dem Iran erlaubt, auf die Urananreicherung bis auf weiteres doch
noch zu verzichten. Dadurch wird es auch möglich, die Zukunft für die gesamte Region neu
zu denken. Die Perspektive einer Organisation der regionalen Sicherheit für den Mittleren
und Nahen Osten (OSZMNO) ist ohnehin die einzig denkbare Grundlage nicht nur für eine
dauerhafte Sicherheit der westlichen Ölversorgung und für die Existenz Israels, sondern
auch für die friedliche Regelung zahlreicher anderer grenzüberschreitender ethnischer
Konflikte sowie Streitigkeiten um die Nutzung von Ölquellen, Wasserquellen und
Wasserstrassen. Europa ist die einzige politische und moralische Macht, die dieses Fenster
des Friedens für eine der sensibelsten Regionen der Welt öffnen kann. Es lohnt sich,
dafür propagandistische Angriffe der US-Neokonservativen und von Israels Scharon auf sich
zu nehmen: Reformkräfte in der gesamten Region, auch in Israel, erhielten neuen Auftrieb
und der innenpolitische Konsens für Atomwaffen verlöre im Iran seine Legitimation. Aber
auch in Israel könnte eine offene Debatte über Alternativen zur atomar gestützten
Sicherheitspolitik beginnen.
Haben aber die drei führenden EU-Staaten Deutschland, Frankreich und
Großbritanien den Willen und den Mut für diese Aufgabe und diese historische Chance?
Nachtrag vom 19. August 2005:
Ein Sieben-Punkte-Plan für den Iran
Ob nun Europa es will oder in der Lage ist, die historische Chance zu nutzen, die
Islamische Republik Iran hat ein substanzielles Interesse an Frieden und politischer
Stabilität im Großraum Mittlerer Osten. Der Iran hat dank seiner geopolitischen Lage
auch vielfältige Möglichkeiten, die Perspektive für eine massenvernichtungswaffenfreie
Zone zum wichtigsten Thema der Weltpolitik und vor allem des Mittleren Ostens zu machen.
Er hat auch gute Voraussetzungen, die Führung bei dieser zukunftsfähigen Perspektive zu
übernehmen und dabei die gegenwärtige internationale Isolation in ihr Gegenteil zu
verkehren. Dadurch könnte gleichzeitig der US-Hegemonialstrategie, die auf Spaltung,
Destabilität, Feindschaft, Misstrauen, Konflikten und Kriegen in dieser besonders
sensiblen Region aufbaut, die Grundlage entzogen werden. Diese Perspektive dürfte in der
Region, auch in Israel, und darüber hinaus auch international, selbst in den Vereinigten
Staaten, auf Zustimmung stoßen. Gegner einer solchen iranischen Initiative, ganz
besonders Hegemonialpolitiker und Kriegstreiber in Washington, hätten es schwer, der Welt
ihre ablehnende Haltung zu erklären und würden sich selbst isolieren. Diese Perspektive
braucht aber seitens Iran eine kluge und gut durchdachte Strategie, die im folgenden
Sieben-Punkte- Plan skizziert werden kann:
- Die Islamische Republik Iran erklärt die Errichtung einer
massenvernichtungswaffenfreien Zone im Mittleren und Nahen Osten zum vordringlichsten Ziel
ihrer Mittel- und Nahostpolitik und fordert alle Staaten der Region einschließlich
Israel auf, sich grundsätzlich zu Verhandlungen über dieses Ziel bereit zu
erklären.
- Der Iran unterbreitet allen Staaten der Region einen Verfahrensvorschlag für den Beginn
einer regionalen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit.
- Der Iran erklärt seine Bereitschaft, mit dem Beginn der Verhandlungen die
Urananreicherung als vertrauensbildende Maßnahme bis auf weiteres freiwillig auszusetzen.
- Der Iran bietet allen Staaten der Region ebenfalls als vertrauensbildende Maßnahme an,
bilaterale Nichtangriffsabkommen zu vereinbaren.
- Der Iran schlägt Irak und den Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates die Bildung
einer gemeinsamen Kommission vor, mit dem Ziel, Verfahren und Regeln für den Zugang zu
internationalen Gewässern, zur Beilegung von Streitigkeiten bei der gemeinsamen Nutzung
des Shatt-al-Arab und bei den grenzüberschreitenden Öl- und Gasvorkommen sowie zur
Klärung sonstiger Territorialfragen zu entwickeln.
- Der Iran erklärt sich bereit, gemeinsam mit allen Staaten im Mittleren und Nahen Osten
Schritte zur Reduzierung der Militärpotentiale und zur Entwicklung von Konzepten zur
gemeinsamen Sicherheit einzuleiten.
Der Iran schlägt die Schaffung eines Regionalfonds vor, der dazu dienen soll
Aufbauprogramme in Palästina, Kurdistan und allen schwach entwickelten Regionen zu
fördern sowie gemeinsame ökonomische und soziale Projekte und Aufbauprogramme, wie die
Einrichtung eines grenzüberschreitenden Stromnetzes für die gesamte Region zu
finanzieren. Das gleiche gilt auch für die Einrichtung von Meerwasserentsalzungsanlagen,
für Programme zur Armutsbekämpfung, zur Alphabetisierung und zur medizinischen
Grundversorgung im Gesundheitsbereich, die Einrichtung von Institutionen für den
Katastrophenschutz, für Programme zur Bekämpfung von Wüstenausbreitung und zum Ausbau
regenerativer Energienutzung sowie zur Einrichtung von gemeinsamen Forschungsinstituten
und Universitäten.
ist gebürtiger Iraner, lehrt
Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück und forscht u. a. über
Konfliktstrukturen und Friedensperspektiven im Mittleren und Nahen Osten
|