27. Februar 2005


Testfall Iran

Die EU hat gute Chancen, einen wichtigen Beitrag für eine Friedensperspektive zu leisten, statt Mittäter eines neuen Krieges der USA zu werden

Prof. Dr. Mohssen Massarrat

Nach der Europa-Visite von George W. Bush liegen nun die transatlantischen Differenzen und Gemeinsamkeiten zum Iran-Atomkonflikt auf dem Tisch. Beide Seiten vereint das Ziel, Irans Zugriff auf Atomwaffen auf keinen Fall zuzulassen. In Brüssel erhielt der US-Präsident für seine Ankündigung, "der Iran dürfe keine Atomwaffen entwickeln", einen tobenden Beifall der Europäer, seine Drohung, dass "keine Option dauerhaft vom Tisch genommen werden könne, wenn es um den Schutz freier Nationen ginge", quittierte Europas politische Elite jedoch mit Schweigen. Die US-Führung hält die militärische Option gegen Iran ohne Wenn und Aber offen, die EU hält dagegen daran fest, das Ziel auf diplomatischem Wege zu erreichen.

Die Differenzen über den Weg sind m. E. nicht taktischer Natur. Vorstellungen, die Iraner mit der Methode Zuckerbrot und Peitsche (EU verhandelt, USA drohen) zum Einlenken zu bewegen, weisen die EU-Unterhändler glaubhaft von sich. Niemand kann aber garantieren, dass die EU nicht doch in die fatale Rolle einer US-Kriegs-Koalition hineinschlittert. Ob es dazu kommt, hängt entscheidend davon ab, wer auf beiden Seiten des Atlantiks am längeren Hebel sitzt. Weshalb war es aber bisher nicht möglich, sich außer über das Ziel, auch über die Methode zu einigen. Warum will die US-Führung die militärische Option auf keinen Fall aus der Hand geben, wo es doch entscheidend in ihrer Hand liegt, mit der EU zusammen das Ziel auf diplomatischem Wege erreichen zu können. Der US-Präsident bräuchte den diplomatischen Kurs der EU nur aktiv zu unterstützen. Der Iran macht den dauerhaften Verzicht auf Urananreicherung von zwei Sicherheitsgarantien abhängig: Erstens die Garantie, dass die USA und Israel Irans Atomanlagen nicht militärisch angreifen und darüber hinaus auch von Feindseligkeiten, wie etwa dem Aufruf zu einem Regimewechsel, Abstand nehmen. Zweitens soll die EU im Falle des iranischen Verzichts auf eigene Urananreicherung die dauerhafte Lieferung des angereicherten Urans für iranische Atomkraftwerke garantieren und dadurch eine Unterbrechung Irans nuklearen Brennstoffkreislaufs ausschließen.

Die erste Garantie, die der Iran verlangt, hat sachlich mit der Energieversorgung nichts zu tun und dürfte ohnehin auch realpolitisch den Vereinigten Staaten kaum abzutrotzen sein. Die zweite Garantie ist jedoch ein Ums, wollte die EU ihre eigene Glaubwürdigkeit als Irans Verhandlungspartner nicht aufs Spiel setzen. Denn nur durch diese Sicherheitsgarantie könnte sich Iran hinsichtlich der nuklearen Energieversorgung in Abhängigkeit von Außen begeben. Eine derartige Garantie können aber nur die USA geben und niemand sonst. Dazu müssten sie mindestens ihre Iran-Boykott-Bestimmungen aufheben, um die Lieferungen der Nukleartechnologie an den Iran überhaupt zu ermöglichen. Insofern ist Bushs Behauptung in seiner Brüsseler Rede, die Ergebnisse der laufenden EU-Verhandlungen "hingen nun im wesentlichen vom Iran ab", irreführend und dient dazu, von der eigenen Schlüsselrolle abzulenken. Somit macht die Methode Verhandeln und Drohen nur dahingehend Sinn, dass die US-Führung die EU-Diplomatie als Teil eigener Strategie ansieht, die darauf abzielt, Boykott-Bestimmungen gegen den Iran nicht aufzuheben und die EU-Verhandlungen scheitern zu lassen. Bush-Berater und Architekt des Irakkrieges, Richard Perle, hat in einem Interview (Die Welt vom 19. 02. 2005) unlängst den diplomatischen Weg abgeschrieben, "weil man den Iranern eben nicht trauen kann..." und weil es auf der Hand liegt, "dass das Regime die Bombe haben will".

Die USA sitzen im Iran-Atomstreit, im Vergleich zu Europa, tatsächlich am längeren Hebel. Die EU, würde sie nicht rechtzeitig nach Auswegen Ausschau halten, könnte in der Tat in die desaströse Lage geraten, im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen die moralische Rechtfertigung für einen US-Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen zu liefern und - wenn auch ungewollt - zu Mittätern im drohenden Krieg zu werden. Die Anreize eines Militärschlages gegen Irans Atomanlagen für die USA sind jedenfalls sehr verlockend: Der Handlungsspielraum für eine eigenständige EU-Politik im Mittleren und Nahen, eigentlich in der Weltpolitik insgesamt, dürfte absehbar gänzlich verschwinden, die US-Unilateralisten würden den Störfaktor EU vorerst loswerden. Mehr noch: selbst ein Teilerfolg bei der Zerstörung iranischer Atomanlagen würde dem Mythos Nahrung geben, nur die USA allein wären dazu berufen, der Menschheit den Schrecken von "Atomwaffen in der Hand von unberechenbaren Mullahs" zu ersparen. Ein Erfolg im Iran könnte helfen, das Irak-Desaster vergessen zu machen. Darüber hinaus dürfte die Zerstörung selbst nur eines Teils der nuklearen Infrastruktur Irans Fähigkeit zur Herstellung von Atombomben auf Jahre beeinträchtigen. Dadurch würde ein regionaler Mitspieler, der Israels Machtvorsprung zunichte machen und der Hegemonialmacht USA in die Quere kommen könnte, bis auf weiteres unschädlich gemacht.

Die Risiken, Iran selektiv aus der Luft anzugreifen, sind im Vergleich mit den Risiken des Irak-Abenteuers fast vernachlässigbar. Im Falle von Iran brauchen die USA für die Rechtfertigung eines Angriffes die Weltöffentlichkeit nicht zu belügen, hier werden Ziele militärisch angegriffen, die als Atomanlagen verdächtigt werden. Andere Risiken, wie möglicherweise eine Destabilisierung im Irak, im Libanon und in der gesamten Region, werden bei so vielen hegemonialpolitischen Vorteilen von den US-Neokonservativen - davon sollte man jedenfalls ausgehen - geflissentlich übersehen. Diese besetzten den Irak auch trotz beträchtlicher Risiken und gegen den Protest fast der gesamten Weltöffentlichkeit. Im Falle Iran - gelänge es den USA, Iran bei einem Scheitern der EU-Verhandlungen die Schuld in die Schuhe zu schieben - dürfte die US-Führung sogar mit moralischer Unterstützung großer Kreise auch in Europa rechnen. Deutschland, Frankreich und England wären daher gut beraten - wollten sie vermeiden, den Kriegsplänen der US-Neokonservativen in die Hände zu spielen - zu unterlassen, Iran mit der US-Drohkulisse unter Druck zu setzen. Innenpolitisch erhielten die US-Neokonservativen durch Bushs grandiosen Wahlsieg den Rückenwind für neue außenpolitische Offensiven. Für den Wahlsieg waren nicht innen- und außenpolitische Erfolge, sondern missionarische Heilsversprechungen und die Mobilisierung von 4 Millionen christlicher Fundamentalisten ausschlaggebend. Der ideologische Kreis im Kampf "für Freiheit und gegen Tyrannei, für Sicherheit und gegen Atombomben in der Hand von Schurken" könnte nunmehr durch einen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen auch international geschlossen werden.

Ein Scheitern der EU-Diplomatie könnte auch durch Iran veranlaßt werden, ginge es Irans Theokraten aus sicherheitspolitischen Erwägungen in erster Linie tatsächlich um Atombomben. Dann würden sie die Option eines eigenen vollständigen Brennstoffkreislaufs unter keinen Umständen aus der Hand geben. Damit wären wir wieder bei dem eigentlichen Kern des Konflikts angelangt. Die USA wollen aus geostrategischen Motiven mit allen Mitteln, auch durch Krieg, Irans Zugriff auf Atombomben verhindern. Und Iran will Israels nuklearem Machtvorsprung, koste es was es wolle, eigene Atompotentiale entgegen setzen. So oder so, ein Scheitern der EU-Diplomatie, ein neuer Krieg mit allen seinen Risiken, scheint in diesem Szenario vorprogrammiert. Europas Schulterschluß mit den USA hinsichtlich des Ziels der Unterbindung von Irans Urananreicherung bei gleichzeitigem Dissens über den Weg dorthin liefert geradezu den sicheren Anlass dafür, dass die EU-Politik scheitert. Nichtsdestotrotz haben Deutschland, Frankreich und England noch die Chance, aus der Sackgasse herauszukommen. Dazu müssten sie allerdings Irans Verzicht auf Urananreicherung mit der Perspektive von Verhandlungen über neue regionale Sicherheitsstrukturen koppeln. So öffnete die EU ein neues Fenster, das einerseits Iran erlaubte, den befristeten Verzicht auf eigene Urananreicherung zu verlängern und andererseits, den eigenen Verhandlungserfolg vom US-Veto abzukoppeln. Den US-Neokonservativen dürfte es dann schwer fallen, Irans Atomanlagen anzugreifen, während die EU eine neue und vielversprechende Diplomatie auf den Weg brächte. Für die EU entstünde auf jeden Fall ein größerer außenpolitischer Handlungsspielraum: die Perspektive eines erweiterten Mittleren Ostens, in dem Iran, auch ohne Atomwaffen, ein wichtiger Mitspieler werden könnte, und Israels Existenzrecht, das nicht durch Atomwaffen, sondern durch umfassende gemeinsame Sicherheitsgarantien auf eine dauerhaften Grundlage gestellt würde, bliebe nicht länger nur pure Träumerei.


 

ist gebürtiger Iraner, lehrt Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück und forscht u. a. über Konfliktstrukturen und Friedensperspektiven im Mittleren und Nahen Osten