Frankfurter Rundschau
11. März 2004


Ohne Mittler Trajkovski drohen Unruhen

Nach dem Tod des mazedonischen Präsidenten vergrößert sich die Kluft zwischen der Mehrheit und den Albanern

von Peter H. Matthiesen

Mazedoniens Präsident Boris Trajkovski wurde vergangenen Freitag mit einem Staatsbegräbnis in Anwesenheit von Diplomaten aus über 70 Ländern beigesetzt. Seine Integrität, sein Charisma und seine Verdienste wurden zu Recht gewürdigt. Er war eine Ausnahmeerscheinung als Mittler in dem von ethnischen Spannungen geprägten Land. Nahezu täglich heizen Morde und Brandstiftungen das Klima negativ auf, verstärkt durch die einseitigen Berichterstattungen aller Medien. Die albanische Minderheit von rund 24 Prozent ist während Wahlkampf und Wahl das Zünglein an der Waage. Boris Trajkovski hatte 1999 diese Zustimmung als Integrationsfigur wegen seines Einsatzes für hunderttausende albanische Flüchtlinge aus dem Kosovo. Nach dem albanischen Aufstand 2001, der mit dem Rahmenabkommen von Ohrid beendet wurde, setzte er sich persönlich für die Umsetzung des Abkommens und die gestärkten Rechte der albanischen Minderheit ein. Dieses zog den Ruf des "Albanerfreundes" und die Gegnerschaft der Nationalisten nach sich. Andererseits erwarb er nur begrenzt das Vertrauen der albanischen Minderheit, da er als Befehlshaber der Streitkräfte die Unterstützung der Polizei gegen bewaffnete Albaner anordnete. Seine Verdienste als Mittler sind unbestritten, doch eine Wiederwahl war in diesem Spannungsfeld ausgeschlossen.

Der Wahlkampf hat mit der Nachricht des Absturzes begonnen, bei dem Trajkovski umkam. Der mazedonische Regierungschef Crvenkovski bat die Nato um Hilfe bei der Untersuchung des Unglücks. Was logisch erscheint, ist bereits die Instrumentalisierung des Absturzes für innenpolitische Machtkämpfe. Verantwortlich für die Luftüberwachung in Mostar ist die internationale Schutztruppe Sfor, und die Anfrage wie auch die öffentlichen Diskussionen deuten an, dass Sfor und damit die Nato versagt hat, wenn schon kein Attentat gerechtfertigt werden kann. So werden Legenden gebildet, Schuldige gesucht und Emotionen geschürt.

Im Wahlkampf stehen sich zwei mazedonische Parteien, die regierende SDSM und die oppositionelle VMRO, sowie zwei albanische Parteien, der Koalitionspartner DUI und die PDS, unversöhnlich gegenüber. Die mazedonischen Parteien führen einen nationalistischen Wahlkampf vordergründig für den Erhalt des Staates, im Kern gegen die Albaner. Die albanischen Parteien kämpfen formal für mehr Rechte, Freiheit und Einfluss der albanischen Minderheit, damit gegen die mazedonische Mehrheit. Koalitionen schließt das aus und die Polarisierung wird deutlich zunehmen. So ist die Teilung des Landes, die der Vertrag von Ohrid abwenden wollte, bereits Wahlkampfthema. Sobald das Oberste Gericht offiziell bestätigt, dass der Präsident sein Amt nicht mehr ausüben kann, hat das Land 40 Tage Zeit, einen neuen Präsidenten zu wählen. Der juristische und politische Streit um die Auslegung dieser Frist hat begonnen. Eine Ergänzung zur Verfassung wird diskutiert, da es fraglich ist, ob die Regierung alle Vorbereitungen für eine geordnete Wahl zeitgerecht abschließen kann. Jeder Fehler, jedes Missverständnis wird bei jeder Ethnie als gezielter Betrug auf wütende Proteste stoßen und politisch einseitig ausgenutzt werden.


EU muss ihre Missionen überprüfen

Die angeheizte Unzufriedenheit der Bürger kann der Funke sein, der im Wahlkampf die Lunte für gewaltsame ethnische Auseinandersetzungen entzündet.

Die Internationale Gemeinschaft hat Mazedonien 1999 gezwungen, Flüchtlinge aus Kosovo aufzunehmen und 2001 der albanischen Minderheit über erzwungene Verfassungsänderungen weitgehende Rechte eingeräumt. Beides gegen den Willen der mazedonischen Mehrheit. Wenn bereits jetzt die USA unverhohlen für eine Ministerin als neue Regierungschefin eintreten und so den Premierminister als Präsidenten favorisiert, dann ist das erneut ein Eingriff von außen. Die EU hat zur Besonnenheit aufgerufen und Mazedonien aufgefordert, auf Reformkurs für den angestrebten EU-Beitritt zu bleiben, mehr vermag sie nicht. Denn nach der politischen Entscheidung, dass Mazedonien nicht mehr bedroht sei, wurde die militärische Mission im Dezember 2003 durch eine EU-Polizei-Mission ersetzt. Diese kann einem Konflikt nur tatenlos zusehen, bedingt durch begrenzten Auftrag und Mittel. Sollte die EU in einer Krise zum Erhalt der staatlichen Integrität handlungsfähig sein wollen, ist der Auftrag aller Missionen in Mazedonien unverzüglich zu überprüfen und zu verändern. Anderenfalls bleibt Mazedonien sich selbst überlassen, und das traurige Ergebnis ist seit 2001 bekannt: Bewaffnete Unruhen mit der Gefahr von Bürgerkrieg und Teilung, denn eine Integrationsfigur wie Boris Trajkovski ist nicht in Sicht.



Peter H. Matthiesen war bis Ende 2002 deutscher Militärattaché in Mazedonien und hat uns diesen Artikel freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.