Ein Sündenfall? Bundeswehr vergibt fünf Milliarden-Euro
teures Rüstungsprojekt an niederländisches
Werftenkonsortium
Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski
In der vergangenen Woche hat das Verteidigungsministerium
entschieden, dass der bisher größte Marineauftrag in
der Geschichte der Bundeswehr an eine niederländische Werft gehen
soll. Die Damen-Werft soll vier Mehrzweckkampfschiffe für rund 5,3
Milliarden Euro bauen. Die Kieler Werft German Naval Yards, die
sich zusammen mit ThyssenKrupp Marine Systems ebenfalls um den Auftrag
beworben hatte, ging leer aus. Seitdem ist die Aufregung groß,
insbesondere in Schleswig-Holstein. Schließlich geht es um
Arbeitsplätze und vor allem um die Zukunft des Marineschiffbaus in
Deutschland. Gefordert wird, sicherzustellen, dass solche Aufträge
künftig nur noch an heimische Werften vergeben werden.
Der Milliarden-Auftrag geht ins Ausland. Damit haben viele
deutsche Werft-Manager nicht gerechnet. Insbesondere die Führung
von German Naval Yards in Kiel war geschockt. Sie fühlt sich
benachteiligt und will nicht hinnehmen, dass der Zuschlag an das
niederländische Konsortium gegangen ist. Wenige Tage nach der
Bekanntgabe des Bundeswehr-Beschlusses gab sich das
schleswig-holsteinische Unternehmen kämpferisch. In einer
Mitteilung hieß es, man habe erhebliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Entscheidung und werde deshalb alle
juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, die zur
Verfügung stünden.
Rückendeckung bekommt German Naval Yards dabei von
großen Teilen der Politik des nördlichen Bundeslandes. Der
Kieler Wirtschaftsminister Bernd Buchholz sprach sogar von einer
schwachsinnigen Entscheidung, die gefällt worden sei.
Verantwortlich ist für den FDP-Politiker in erster Linie die
Bundesregierung:
O-Ton Buchholz
„Das Problem ist
entstanden, als man europaweit ausgeschrieben hat schon vor vielen
Jahren unter der Federführung von Frau von der Leyen als
Verteidigungsministerin in einem Bereich, in dem es keinen
internationalen Wettbewerb gibt. Weil in Frankreich und Italien
Staatswerften existieren und in Holland die eigene Industrie
geschützt wird, indem man in Brüssel Anträge stellt,
diese Aufträge nur national zu vergeben. Und wir sind die
einzigen, die das in europaweiten Ausschreibungen machen, und die
anderen lachen sich tot über uns."
Droht der deutschen Werftenindustrie nun der Verlust von
mehreren Tausend Arbeitsplätzen? Auch wenn das deutsche Konsortium
nicht zum Zuge kommt, muss das nicht zwangsläufig zu Entlassungen
führen. Denn die niederländische Damen-Werft kooperiert mit
der Bremer Lürssen-Gruppe, die ebenfalls von dem
Milliarden-Auftrag profitieren wird. Die Holländer haben
angekündigt, dass die vier Mehrzweckkampfschiffe nicht in den
Niederlanden, sondern in Deutschland gebaut werden. Dort würden 80
Prozent der Auftragssumme investiert. Profitieren wird vor allem
Hamburg mit der Traditionswerft Blohm & Voss, die seit einiger Zeit
zu Lürssen gehört. Auch die Peene-Werft im mecklenburgischen
Wolgast dürfte etwas von dem Auftrag abbekommen.
Die Landesregierung in Kiel und auch Gewerkschafter kritisieren vor
allem die europaweite Ausschreibung der vier Mehrzweckkampfschiffe MKS
180. Ein Sündenfall für Kritiker. Es gehe vor allem um eine
langfristige Perspektive des Marineschiffbaus in Deutschland. Die aber
sei nun gefährdet. Der Bezirksleiter der IG Metall Küste
Daniel Friedrich in dieser Woche nach einem Gespräch mit der
Kieler Landesregierung:
O-Ton Friedrich
„Es geht explizit darum, dass auch die Zukunftstechnologie hier
vor Ort im Land gehalten wird. Ein Schiff zusammenschweißen - das
können Sie fast auf jeder Werft auf der Welt. Alleine im Norden
sind 15.000 Beschäftigte betroffen. Und die wollen jetzt nicht nur
wissen, ob sie heute einen Auftrag haben, sondern auch morgen oder
übermorgen. Und das wird unser gemeinsames Ziel sein, so schnell
wie möglich jetzt Klarheit zu bekommen.“
Das sieht der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister
Bernd Bucholz ähnlich. Er geht zwar davon aus, dass Teile des
Auftragsvolumens nach Kiel gehen werden, obwohl die Niederländer
die Ausschreibung des fünf Milliarden-Beschaffungsvorhabens
gewonnen haben…
O-Ton Buchholz
„…nur, das ändert nichts daran, dass die eigentliche
Leistung die technologische Entwicklungsleistung ist: die
Ingenieursleistung, das Design der Schiffe, die technologische
Weiterentwicklung. Ob nachher 30, 50 oder 70 Prozent der
Schweißarbeiten am Metall der Schiffe auf Werften in Deutschland
stattfindet, ist nicht so entscheidend wie die Frage, ob man die Hoheit
über die Technologie und die Weiterentwicklung der Technologie
betreibt. Und genau dieser Teil des Auftrages geht ins Ausland. Und das
ist falsch.“
Für den schleswig-holsteinischen Regierungschef Daniel
Günther ist der Marineschiffbau eine Kernkompetenz, die in
Deutschland auf jeden Fall erhalten werden muss. Der CDU-Politiker
sieht jetzt vor allem die Bundesregierung in der Pflicht. Unabdingbar
sei daher…
O-Ton Günther
„…dass die Bundesregierung auf das, was man jetzt vom
Hörensagen hört und was immer wieder in
Absichtserklärungen artikuliert ist, jetzt auch Taten folgen
lässt - nämlich, dass Überwasserschiffbau in Deutschland
nicht nur Schlüsseltechnologie wird, sondern dass auch damit
verbunden ist, dass zukünftig diese Aufträge auch national
vergeben werden.“
Denn im Koalitionsvertrag haben Unionsparteien und SPD 2018
vereinbart, den Überwasserschiffbau zur Schlüsseltechnologie
zu erklären. Passiert ist seitdem in dieser Frage aber
nichts.
Rüstungsaufträge im Marinebereich auf diese Weise
künftig nur noch national an deutsche Unternehmen zu vergeben,
würde allerdings im Widerspruch zu der immer wieder geforderten
europäischen Rüstungszusammenarbeit stehen. Dass andere
EU-Länder Rüstungsaufträge nur national vergeben und auf
europäische Ausschreibungen verzichten, ist dabei ein schwaches
Argument.
Die nationale Vergabe wäre ein Rückschritt. Denn
komplexe Waffensysteme können schon längst nicht mehr von
einem Unternehmen allein hergestellt werden. Internationale
Zusammenarbeit im Rüstungsbereich ist in Europa unabdingbar. Es
ist kein Zufall, dass die niederländische Damen-Werft beim Bau des
Mehrzweckkampfschiffes viele deutsche Unternehmen einbeziehen
will.
Der frühere Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp beobachtet
seit Jahren Rüstungsvorhaben der Seestreitkräfte. Für
ihn ist die beschlossene Auftragsvergabe auch eine Chance:
O-Ton Jopp
„Meines Erachtens ist der Weg, den man jetzt bestreiten
könnte, als Projekt - wie wir das bei den U-Booten mit Norwegen ja
machen - dass wir hier versuchen, zumindest bei mittleren Marinen, die
Zusammenarbeit auch dadurch zu erhöhen, dass man gemeinsam einen
Schiffstyp entwickelt. Und bei dem Mehrzweckkampfschiff gibt es jetzt
eine Chance, dass die nächsten Fregatten für die
Niederländer gegebenenfalls auch in einer
niederländisch-deutschen Gemeinschaftsproduktion entstehen
könnten. Das halte ich persönlich mit Blick auf Europa
für sehr viel anspornender als immer wieder zurückzufallen,
in die nationale Schiene.“
Rüstungsbeschaffung wird immer noch viel zu einseitig vor
allem als Wirtschafts- und Strukturpolitik gesehen. Dabei kommen immer
wieder die Interessen der Streitkräfte zu kurz. In den vergangenen
Jahren musste das regelmäßig auch die Deutsche Marine
erfahren.
Bestellte Schiffe wurden mit mehrjähriger Verspätung
ausgeliefert - und nach der Übernahme stellte sich heraus, dass
die neuen Einheiten Mängel hatten und die Schiffe dadurch
überhaupt nicht oder nur bedingt einsatzfähig waren.
So wurde die neue F125 Fregatte
„Baden-Württemberg“ mit vierjähriger
Verspätung übergeben. Zunächst hatte die Marine sogar
erstmals in ihrer Geschichte die Abnahme des Schiffes verweigert.
Jahrzehntelang war das anders. Bei der Fregatte F125 hatte das
Verteidigungsministerium wegen der Mängel und anderer Defizite
sogar einen größeren Teil des Kaufpreises einbehalten
– die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag. Ein
weiteres Dauerproblem: Regelmäßig wurde der vorgegebene
Kostenrahmen von der Werftindustrie gesprengt.
Auch deshalb wird eine europaweite Ausschreibung großer
Rüstungsvorhaben von der Deutschen Marine eher positiv gesehen.
Denn Konkurrenz kann helfen, pünktlich ein leistungsfähiges
Schiff zu einem angemessenen Preis zu bekommen. Das war in der
Vergangenheit nicht immer der Fall. Der frühere Marineoffizier
Heinz-Dieter Jopp erinnert zum Beispiel an die Probleme mit der
Korvette K130:
O-Ton Jopp
„Hier sind Aufträge vergeben worden für den Bau der
Getriebe für die Korvetten. Das ist dann an die Schweiz gegeben
worden. Die Schweiz hat ihn dann an Subunternehmer vergeben. Und
letztendlich ist Mist dabei herausgekommen. Da musste man nachbessern
für viel Geld. Und dann ist die Auftragsvergabe doch wieder
weitergegangen an die ursprünglich im Angebot beteiligte, sehr
erfahrene Firma Renk aus Augsburg. Und ähnliche Beispiele gibt es
auch für die F125. Die Fehler sind nicht spezielle Fehler in
moderner Technologie, in Digitaltechnik und solchen Dingen, sondern in
ganz banalen Dingen wie nicht funktionierende Klimaanlagen, falsche
Farbanstriche und solche Dinge. Und das lässt natürlich
Zweifel an dem Qualitätsstandards der Hersteller zu.“
Aus diesen nach einer nationalen Vergabe immer wiederkehrenden
Problemen hat das Beschaffungsamt der Bundeswehr offenbar Konsequenzen
gezogen und den Milliarden-Auftrag europaweit ausgeschrieben. Die
genauen Gründe, warum sich die Bundeswehr für die Damen-Werft
und gegen das Angebot von German Naval Yards in Zusammenarbeit mit TKMS
entschieden hat, sind allerdings noch nicht bekannt. Auf Anfrage von
NDR Info teilte das Verteidigungsministerium mit:
Zitat
„Das Ergebnis der Auswertung der Angebote der Bieter im
Vergabeverfahren MKS 180 wurde anhand der mit der Angebotsaufforderung
bekannt gegebenen Auswahlkriterien ermittelt, die den Bietern zu Beginn
des Vergabeverfahrens bekannt gemacht worden sind und deren
Erfüllung durch die Bieter von der Vergabestelle geprüft
wurde.“
Und offenbar hatte hier die Damen-Werft besser abgeschnitten
als das Konsortium unter Führung des Kieler Unternehmens German
Naval Yards.
In der Mitteilung des Verteidigungsministeriums über die
Beschaffungsentscheidung heißt es, man sei dem Ziel, die
zukünftige Einsatzfähigkeit der Deutschen Marine zu sichern,
ein großes Stück nähergekommen.
Der Zuschlag für das niederländische Konsortium muss
zwar noch vom Haushaltsausschuss des Bundestages gebilligt werden -
außerdem muss noch über den Einspruch des unterlegenen
deutschen Anbieters entschieden werden - es wäre aber
verwunderlich, wenn das Verteidigungsministerium seine getroffene
Entscheidung zurücknehmen müsste.
Für den ehemaligen Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp
könnte es durchaus sein, dass sich in dem Zuschlag für die
Niederländer auch die Unzufriedenheit der Deutschen Marine mit der
bisherigen Arbeit der deutschen Werften widerspiegelt.
O-Ton Jopp
„Entscheidungen, wo es um Milliarden geht, haben meines Erachtens
damit zu tun, welches Konsortium ist in der Lage, die neuen
Technologien, die ja eingebaut werden sollen, möglichst zum
propagierten Ablieferungszeitpunkt auch tatsächlich
funktionsfähig zur Verfügung zu stellen. Und bin ich
überzeugt davon, dass das ein Entscheidungspunkt war, dass man
hier zurzeit diesem Konsortium Niederlande-Deutschland, also Damen und
Lürssen, das eher zutraute als dem anderen Anbieter aus Kiel, der
sich als Konsortium erst neu aufgestellt hat. Das ist ja kein
Konsortium, das schon jahrzehntelang erfolgreich Schiffbau
betreibt.“
Das erste der vier Mehrzweckkampfschiffe soll Ende 2027
ausgeliefert werden. Sieben Jahre zwischen Auftragsvergabe und Zulauf -
angesichts der bisherigen Erfahrungen ein ehrgeiziges Ziel.
Andreas Dawidzinski ist freier
Journalist.
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