Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
25. Januar 2020


Ein Sündenfall? Bundeswehr vergibt fünf Milliarden-Euro teures Rüstungsprojekt an nieder­ländisches Werftenkonsortium

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski


In der vergangenen Woche hat das Verteidigungs­ministerium entschieden, dass der bisher größte Ma­rineauftrag in der Geschichte der Bundeswehr an eine niederländische Werft gehen soll. Die Damen-Werft soll vier Mehrzweckkampfschiffe für rund 5,3 Milliarden Euro bauen. Die Kieler Werft German Na­val Yards, die sich zusammen mit ThyssenKrupp Marine Systems ebenfalls um den Auftrag beworben hatte, ging leer aus. Seitdem ist die Aufregung groß, insbesondere in Schleswig-Holstein. Schließlich geht es um Arbeitsplätze und vor allem um die Zukunft des Marineschiffbaus in Deutschland. Gefordert wird, sicherzustellen, dass solche Aufträge künftig nur noch an heimische Werften vergeben werden.

Der Milliarden-Auftrag geht ins Ausland. Damit haben viele deutsche Werft-Manager nicht gerechnet. Insbesondere die Führung von German Naval Yards in Kiel war geschockt. Sie fühlt sich benachteiligt und will nicht hinnehmen, dass der Zuschlag an das niederländische Konsortium gegangen ist. Wenige Tage nach der Bekanntgabe des Bundeswehr-Beschlusses gab sich das schleswig-holsteinische Unternehmen kämpferisch. In einer Mitteilung hieß es, man habe erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung und werde deshalb alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, die zur Verfügung stünden.

Rückendeckung bekommt German Naval Yards dabei von großen Teilen der Politik des nördlichen Bundeslandes. Der Kieler Wirtschaftsminister Bernd Buchholz sprach sogar von einer schwachsinnigen Entscheidung, die gefällt worden sei. Verantwortlich ist für den FDP-Politiker in erster Linie die Bundesregierung:

 O-Ton Buchholz
„Das Problem ist entstanden, als man europaweit ausgeschrieben hat schon vor vielen Jahren unter der Federführung von Frau von der Leyen als Verteidigungsministerin in einem Bereich, in dem es keinen internationalen Wettbewerb gibt. Weil in Frankreich und Italien Staatswerften existieren und in Holland die eigene Industrie geschützt wird, indem man in Brüssel Anträge stellt, diese Aufträge nur national zu vergeben. Und wir sind die einzigen, die das in europaweiten Ausschreibungen machen, und die anderen lachen sich tot über uns."

Droht der deutschen Werftenindustrie nun der Verlust von mehreren Tausend Arbeitsplätzen? Auch wenn das deutsche Konsortium nicht zum Zuge kommt, muss das nicht zwangsläufig zu Entlassungen führen. Denn die niederländische Damen-Werft kooperiert mit der Bremer Lürssen-Gruppe, die ebenfalls von dem Milliarden-Auftrag profitieren wird. Die Holländer haben angekündigt, dass die vier Mehrzweckkampfschiffe nicht in den Niederlanden, sondern in Deutschland gebaut werden. Dort würden 80 Prozent der Auftragssumme investiert. Profitieren wird vor allem Hamburg mit der Traditionswerft Blohm & Voss, die seit einiger Zeit zu Lürssen gehört. Auch die Peene-Werft im mecklenburgischen Wolgast dürfte etwas von dem Auftrag abbekommen.

Die Landesregierung in Kiel und auch Gewerkschafter kritisieren vor allem die europaweite Ausschreibung der vier Mehrzweckkampfschiffe MKS 180. Ein Sündenfall für Kritiker. Es gehe vor allem um eine langfristige Perspektive des Marineschiffbaus in Deutschland. Die aber sei nun gefährdet. Der Bezirksleiter der IG Metall Küste Daniel Friedrich in dieser Woche nach einem Gespräch mit der Kieler Landesregierung:

O-Ton Friedrich
„Es geht explizit darum, dass auch die Zukunftstechnologie hier vor Ort im Land gehalten wird. Ein Schiff zusammenschweißen - das können Sie fast auf jeder Werft auf der Welt. Alleine im Norden sind 15.000 Beschäftigte betroffen. Und die wollen jetzt nicht nur wissen, ob sie heute einen Auftrag haben, sondern auch morgen oder übermorgen. Und das wird unser gemeinsames Ziel sein, so schnell wie möglich jetzt Klarheit zu bekommen.“

Das sieht der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Bernd Bucholz ähnlich. Er geht zwar davon aus, dass Teile des Auftragsvolumens nach Kiel gehen werden, obwohl die Niederländer die Ausschreibung des fünf Milliarden-Beschaffungsvorhabens gewonnen haben… 

O-Ton Buchholz
„…nur, das ändert nichts daran, dass die eigentliche Leistung die technologische Entwicklungsleistung ist: die Ingenieursleistung, das Design der Schiffe, die technologische Weiterentwicklung. Ob nachher 30, 50 oder 70 Prozent der Schweißarbeiten am Metall der Schiffe auf Werften in Deutschland stattfindet, ist nicht so entscheidend wie die Frage, ob man die Hoheit über die Technologie und die Weiterentwicklung der Technologie betreibt. Und genau dieser Teil des Auftrages geht ins Ausland. Und das ist falsch.“

Für den schleswig-holsteinischen Regierungschef Daniel Günther ist der Marineschiffbau eine Kernkompetenz, die in Deutschland auf jeden Fall erhalten werden muss. Der CDU-Politiker sieht jetzt vor allem die Bundesregierung in der Pflicht. Unabdingbar sei daher…

O-Ton Günther
„…dass die Bundesregierung auf das, was man jetzt vom Hörensagen hört und was immer wieder in Absichtserklärungen artikuliert ist, jetzt auch Taten folgen lässt - nämlich, dass Überwasserschiffbau in Deutschland nicht nur Schlüsseltechnologie wird, sondern dass auch damit verbunden ist, dass zukünftig diese Aufträge auch national vergeben werden.“

Denn im Koalitionsvertrag haben Unionsparteien und SPD 2018 vereinbart, den Überwasserschiffbau zur Schlüsseltechnologie zu erklären. Passiert ist seitdem in dieser Frage aber nichts. 

Rüstungsaufträge im Marinebereich auf diese Weise künftig nur noch national an deutsche Unternehmen zu vergeben, würde allerdings im Widerspruch zu der immer wieder geforderten europäischen Rüstungszusammenarbeit stehen. Dass andere EU-Länder Rüstungsaufträge nur national vergeben und auf europäische Ausschreibungen verzichten, ist dabei ein schwaches Argument.

Die nationale Vergabe wäre ein Rückschritt. Denn komplexe Waffensysteme können schon längst nicht mehr von einem Unternehmen allein hergestellt werden. Internationale Zusammenarbeit im Rüstungsbereich ist in Europa unabdingbar. Es ist kein Zufall, dass die niederländische Damen-Werft beim Bau des Mehrzweckkampfschiffes viele deutsche Unternehmen einbeziehen will. 

Der frühere Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp beobachtet seit Jahren Rüstungsvorhaben der Seestreitkräfte. Für ihn ist die beschlossene Auftragsvergabe auch eine Chance: 

O-Ton Jopp
„Meines Erachtens ist der Weg, den man jetzt bestreiten könnte, als Projekt - wie wir das bei den U-Booten mit Norwegen ja machen - dass wir hier versuchen, zumindest bei mittleren Marinen, die Zusammenarbeit auch dadurch zu erhöhen, dass man gemeinsam einen Schiffstyp entwickelt. Und bei dem Mehrzweckkampfschiff gibt es jetzt eine Chance, dass die nächsten Fregatten für die Niederländer gegebenenfalls auch in einer niederländisch-deutschen Gemeinschaftsproduktion entstehen könnten. Das halte ich persönlich mit Blick auf Europa für sehr viel anspornender als immer wieder zurückzufallen, in die nationale Schiene.“

Rüstungsbeschaffung wird immer noch viel zu einseitig vor allem als Wirtschafts- und Strukturpolitik gesehen. Dabei kommen immer wieder die Interessen der Streitkräfte zu kurz. In den vergangenen Jahren musste das regelmäßig auch die Deutsche Marine erfahren. 

Bestellte Schiffe wurden mit mehrjähriger Verspätung ausgeliefert - und nach der Übernahme stellte sich heraus, dass die neuen Einheiten Mängel hatten und die Schiffe dadurch überhaupt nicht oder nur bedingt einsatzfähig waren. 

So wurde die neue F125 Fregatte „Baden-Württemberg“ mit vierjähriger Verspätung übergeben. Zunächst hatte die Marine sogar erstmals in ihrer Geschichte die Abnahme des Schiffes verweigert. Jahrzehntelang war das anders. Bei der Fregatte F125 hatte das Verteidigungsministerium wegen der Mängel und anderer Defizite sogar einen größeren Teil des Kaufpreises einbehalten – die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag. Ein weiteres Dauerproblem: Regelmäßig wurde der vorgegebene Kostenrahmen von der Werftindustrie gesprengt. 

Auch deshalb wird eine europaweite Ausschreibung großer Rüstungsvorhaben von der Deutschen Marine eher positiv gesehen. Denn Konkurrenz kann helfen, pünktlich ein leistungsfähiges Schiff zu einem angemessenen Preis zu bekommen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Der frühere Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp erinnert zum Beispiel an die Probleme mit der Korvette K130:

O-Ton Jopp
„Hier sind Aufträge vergeben worden für den Bau der Getriebe für die Korvetten. Das ist dann an die Schweiz gegeben worden. Die Schweiz hat ihn dann an Subunternehmer vergeben. Und letztendlich ist Mist dabei herausgekommen. Da musste man nachbessern für viel Geld. Und dann ist die Auftragsvergabe doch wieder weitergegangen an die ursprünglich im Angebot beteiligte, sehr erfahrene Firma Renk aus Augsburg. Und ähnliche Beispiele gibt es auch für die F125. Die Fehler sind nicht spezielle Fehler in moderner Technologie, in Digitaltechnik und solchen Dingen, sondern in ganz banalen Dingen wie nicht funktionierende Klimaanlagen, falsche Farbanstriche und solche Dinge. Und das lässt natürlich Zweifel an dem Qualitätsstandards der Hersteller zu.“

Aus diesen nach einer nationalen Vergabe immer wiederkehrenden Problemen hat das Beschaffungsamt der Bundeswehr offenbar Konsequenzen gezogen und den Milliarden-Auftrag europaweit ausgeschrieben. Die genauen Gründe, warum sich die Bundeswehr für die Damen-Werft und gegen das Angebot von German Naval Yards in Zusammenarbeit mit TKMS entschieden hat, sind allerdings noch nicht bekannt. Auf Anfrage von NDR Info teilte das Verteidigungsministerium mit:

Zitat
„Das Ergebnis der Auswertung der Angebote der Bieter im Vergabeverfahren MKS 180 wurde anhand der mit der Angebotsaufforderung bekannt gegebenen Auswahlkriterien ermittelt, die den Bietern zu Beginn des Vergabeverfahrens bekannt gemacht worden sind und deren Erfüllung durch die Bieter von der Vergabestelle geprüft wurde.“

Und offenbar hatte hier die Damen-Werft besser abgeschnitten als das Konsortium unter Führung des Kieler Unternehmens German Naval Yards. 

In der Mitteilung des Verteidigungsministeriums über die Beschaffungsentscheidung heißt es, man sei dem Ziel, die zukünftige Einsatzfähigkeit der Deutschen Marine zu sichern, ein großes Stück nähergekommen. 

Der Zuschlag für das niederländische Konsortium muss zwar noch vom Haushaltsausschuss des Bundestages gebilligt werden - außerdem muss noch über den Einspruch des unterlegenen deutschen Anbieters entschieden werden - es wäre aber verwunderlich, wenn das Verteidigungsministerium seine getroffene Entscheidung zurücknehmen müsste. 

Für den ehemaligen Marineoffizier Heinz-Dieter Jopp könnte es durchaus sein, dass sich in dem Zuschlag für die Niederländer auch die Unzufriedenheit der Deutschen Marine mit der bisherigen Arbeit der deutschen Werften widerspiegelt. 

O-Ton Jopp
„Entscheidungen, wo es um Milliarden geht, haben meines Erachtens damit zu tun, welches Konsortium ist in der Lage, die neuen Technologien, die ja eingebaut werden sollen, möglichst zum propagierten Ablieferungszeitpunkt auch tatsächlich funktionsfähig zur Verfügung zu stellen. Und bin ich überzeugt davon, dass das ein Entscheidungspunkt war, dass man hier zurzeit diesem Konsortium Niederlande-Deutschland, also Damen und Lürssen, das eher zutraute als dem anderen Anbieter aus Kiel, der sich als Konsortium erst neu aufgestellt hat. Das ist ja kein Konsortium, das schon jahrzehntelang erfolgreich Schiffbau betreibt.“ 

Das erste der vier Mehrzweckkampfschiffe soll Ende 2027 ausgeliefert werden. Sieben Jahre zwischen Auftragsvergabe und Zulauf - angesichts der bisherigen Erfahrungen ein ehrgeiziges Ziel.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.