Vor-Ort-Überprüfungen von Waffenexporten – Reform der deutschen Endverbleibskontrolle überfällig?
Björn Müller
Sie ist die Kernauflage bei deutschen Waffenexporten – die
sogenannte „Endverbleibserklärung“. Darin bescheinigt
der belieferte Staat, dass nur er die Waffen verwenden wird und diese
nicht ohne Zustimmung Deutschlands weitergibt. Jahrzehntelang blieb es
bei dieser Erklärung auf Treu und Glauben zwischen Verkäufer
und Käufer. Erst 2015 kündigte das für
Rüstungsexporte zuständige Wirtschaftsministerium an,
Vor-Ort-Kontrollen als weitere Verkaufsauflage einzuführen. Mit
dieser Maßnahme wollte sich der damalige Wirtschaftsminister
Siegmar Gabriel profilieren. Der SPD-Politiker hatte sich zum Ziel
gesetzt, deutsche Rüstungsexporte einzudämmen.
Doch der Einstieg in diese auch
„Postshipment-Kontrollen“ genannten Überprüfungen
begann zaghaft. Seit 2015 werden nur exportierte Kleinwaffen wie
Sturmgewehre und Pistolen stichprobenartig kontrolliert. Diese
Testphase ist inzwischen zu Ende gegangen und wird seit diesem Monat
ausgewertet. Nach dieser Evaluierung sollen Umfang und Praxis der
künftigen deutschen Vor-Ort-Kontrollen bei Waffenexporten
festgelegt werden.
Dass ein Ausbau der Endverbleibskontrolle notwendig ist, davon
ist Max Mutschler überzeugt. Der Experte für Waffenexporte am
Internationalen Konversionszentrum Bonn – kurz BICC - hat
für Greenpeace einen Forderungskatalog zur Reform der
deutschen Endverbleibskontrolle ausgearbeitet.
O-Ton Mutschler
„Es müsste mehr Kontrollen geben. Bislang wurden 2017 zwei
Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt und 2018 eine. Das reicht
natürlich nicht, um eine klar abschreckende Wirkung zu
erzielen.“
Inzwischen hat es drei weitere Vor-Ort-Prüfungen gegeben.
Postshipment-Kontrollen wurden damit in folgenden Ländern
durchgeführt: in Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten,
Südkorea, Indonesien, Malaysia und Brasilien. Bei keiner
dieser Überprüfungen gab es Beanstandungen, so
ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Die geringe Anzahl der
Kontrollen hängt sicher auch mit dem Auswahlverfahren
zusammen. Ob und wo Stichproben erfolgen, entscheidet nicht
allein das Wirtschaftsministerium, sondern ein sogenannter Ressortkreis
mehrerer Ministerien im Konsens. Zu diesem Ressortkreis gehören:
Das Auswärtige Amt, das Wirtschaftsministerium, das
Entwicklungshilfeministerium sowie das Verteidigungsministerium. Damit
hat jedes dieser Ministerien praktisch eine Art Veto-Recht, wenn es um
Vor-Ort-Kontrollen geht. Nach Meinung von Kritikern ein Schwachpunkt
der Überprüfungen.
Für Max Mutschler, Rüstungsexperte am Bonner
Konversionszentrum BICC, hat die bisherige Endverbleibskontrolle
weitere Defizite, die korrigiert werden müssten:
O-Ton Mutschler
„Ganz wichtig: Es muss eindeutige Regeln für Sanktionen
geben. Wenn dann gegen die Endverbleibserklärung verstoßen
wurde - was eben auch durch Vor-Ort-Kontrollen festgestellt wurde
-, dann muss klar sein, dass das jeweilige Land, die jeweilige
Regierung - bis auf Weiteres - nicht mehr mit Rüstungsgütern
aus Deutschland beliefert wird. Es darf dabei auch keine Ausnahmen
geben. Dass man sagt, so wie das jetzt noch vorgesehen ist, dass dann,
wenn es ein besonderes Interesse, gerade auch mit Hinblick auf die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gibt; dass dann auf
das Kontrollrecht verzichtet wird. Dass darf nicht sein.“
Bisher gibt es bei Deutschlands Endverbleibskontrollen keine
verbindlichen Sanktionen. Die Politik hat sich zwar über die Jahre
einen ganzen Kanon sogenannter „Grundsätze“ für
Waffenexporte „Made in Germany“ verordnet – hierzu
gehört u.a. der Anspruch, dass es bei Verstößen gegen
den zugesagten Endverbleib keine Folge-Lieferungen geben wird. Doch
diese „Grundsätze“ sind rechtlich gesehen nur
„Kann-Bestimmungen“ und nicht obligatorisch. Sie binden die
Politik also nicht.
Generell gelten in weiten Teilen der deutschen Politik
Waffenexporte als ein wichtiges Instrument der Außen- und
Sicherheitspolitik. Sie dienen aber auch dem Erhalt der deutschen
Rüstungsindustrie und der Intensivierung der Kooperation mit
Partner-Staaten. Vor-Ort-Kontrollen sind bei NATO- und EU-Staaten nicht
vorgesehen. Dies wird von Greenpeace und anderen
Nichtregierungsorganisationen kritsiert. Denn für Kritiker von
Waffenlieferungen sind Endverbleibskontrollen ein Mittel, um
Rüstungsexporte einzuschränken. Der Experte für
Waffenlieferungen Max Mutschler:
O-Ton Mutschler
„Es würde Sinn machen, die Kontrollen auf alle Länder
auszuweiten. Nicht nur Drittstaaten, sondern auch EU- oder
NATO-Staaten. Der Fall Sig Sauer hat ja gezeigt, dass auch
Kleinwaffen, die an den NATO Verbündeten USA geliefert wurden,
dann in illegaler Weise weitergeleitet wurden nach Kolumbien.“
Vor kurzem stellte ein deutsches Gericht fest, dass der
Waffenhersteller Sig Sauer für Pistolen-Lieferungen an Kolumbien
von 2008 bis 2012 wahrheitswidrig die USA als Endverbleibsland
angegeben hatte - wo nach der gegenwärtigen Regelung keine
Vor-Ort-Kontrollen vorgesehen sind. Da die USA Kolumbien als Partner in
ihrem sogenannten Anti-Drogen-Krieg in Südamerika betrachten, war
es für Sig Sauer ein Leichtes, die Pistolen anschließend aus
den USA nach Kolumbien zu transferieren. Überprüfungen auch
bei Bündnispartnern könnten solche Machenschaften
künftig verhindern.
Auf Anfrage von NDR Info heißt es aus dem
US-Außenministerium, die USA seien nicht per se gegen
Vor-Ort-Kontrollen Deutschlands in den USA. Entscheidend sei, wie sich
solche Kontrollen an US-Recht anpassen ließen.
Die USA selbst führen seit den 1990er Jahren weltweit
Vor-Ort-Kontrollen ihrer Waffenexporte durch, auch in Deutschland. Die
US-amerikanische Endverbleibskontrolle ist für Washington
gleichzeitig ein Managementwerkzeug zur Vertrauensbildung
gegenüber den Käufern von US-Waffen. So soll der Transfer von
Rüstungsgütern gefördert und erleichtert werden, wie es
in einer Präsentation des US-Außenministeriums heißt.
Eine solche Ausrichtung der Endverbleibskontrolle fände der Bund
der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie BDSV sinnvoll -
allerdings unter einer Bedingung. Hauptgeschäftsführer Hans
Christoph Atzpodien:
O-Ton Atzpodien
„Ich denke Vertrauensbildung zwischen dem Kunden, der ein
Rüstungsgut bekommt und dem Lieferland, also in dem Fall
Deutschland, ist hier ganz wichtig. Und alles, was der
Vertrauensbildung dient, kann man in Erwägung ziehen. Aber, wenn
man das ausweitet, sollte man sehr gut überlegen, wie das im
Kontext zu unseren europäischen Verbündeten steht. Denn wir
sind ja ohnehin dabei, uns beim Thema Export in Europa zu isolieren.
Und das sollten wir mit so einem Thema nicht noch weiter
tun.“
Eine europäische Regelung zum Endverbleib exportierter
Waffen wie die Vor-Ort-Kontrollen würde in der Tat Sinn machen.
Waffensysteme werden zunehmend über multinationale Kooperationen
von Rüstungsfirmen produziert, die jeweils ihr Know-how samt
Komponenten beisteuern. Das jeweilige Herstellerland des
Rüstungsgutes könnte für die anderen Staaten die
Vor-Ort-Kontrollen quasi mit erledigen.
Nach bisheriger Handhabung wird der Endverbleib deutscher
Komponenten in Waffensystemen nicht kontrolliert. Die Bundesregierung
erklärte 2015, sie wolle für eine europäische
Lösung werben; bisher allerdings ohne Erfolg.
Das liegt wohl auch daran, dass eine gemeinsame Position der
Regierungsparteien zur Weiterentwicklung der
Endverbleibskontrolle nicht erkennbar ist: Der für das Thema
zuständige Fachsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Klaus-Peter Willsch, will erst einmal das Ergebnis der Evaluierung der
Pilotphase der Vor-Ort-Kontrollen abwarten. Sein Pendant bei der SPD,
Frank Junge, hat dagegen bereits jetzt klare Vorstellungen.
O-Ton Junge
„Schwerere Waffen – Waffensysteme – könnten wir
uns dort vorstellen; das muss man sich genau angucken. Wir könnten
uns aber diese Postshipment-Kontrollen auch in dem Segment vorstellen,
wo es um den Dual-Use Bereich geht; wo es um Werkzeuge oder
Maschinen geht, die waffenherstellungstauglich sind. Wir könnten
uns vorstellen, also auch an dieser Stelle eine Öffnung
herbeizuführen. Das alles mit dem Ziel, noch stringenter,
noch restriktiver mit dem Thema umzugehen.“
Doch selbst ein ernsthafter Ausbau der Vor-Ort-Kontrollen
würde nicht alle Schwachpunkte in Sachen Endverbleib deutscher
Rüstungsgüter erfassen. Ein massives Problem bliebe davon
unberührt, kritisiert Katja Keul, die abrüstungspolitische
Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion:
O-Ton Keul
„Aus meiner Sicht noch dramatischer als die fehlenden
Endkontrollen ist die fehlende Genehmigungspflichtigkeit von manchen
Geschäften. Und da sind die Deutschen eben wesentlich laxer als
beispielsweise die Franzosen oder die Amerikaner. Es ist nämlich
nach deutschem Recht möglich, dass Rheinmetall beispielsweise
über Tochterunternehmen in Italien oder in Südafrika im
Ausland investiert und über diesem Wege die Munition im
Jemen-Krieg landet, ohne das die Bundesregierung jemals eine
Genehmigung dafür erteilt hat.“
Diese Rüstungsgüter würden daher Vor-Ort-Kontrollen nicht unterworfen sein.
Es zeigt sich also, dass bei der Ausgestaltung der
Endverbleibskontrollen deutscher Waffen noch viele Fragen offen sind.
Notwendig wären zunächst klare Vorstellungen und ein
Konzept, wie diese Überprüfungen in der Praxis
durchgeführt werden könnten. Schließlich
bräuchte es den politischen Willen, diesen Ansatz
anschließend umzusetzen. Doch beides existiert in Deutschland
bisher nicht. Die Chance, dass Vor-Ort-Kontrollen schon demnächst
ausgeweitet und verbessert werden, ist daher äußerst gering.
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