Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
18. Mai 2019


Vor-Ort-Überprüfungen von Waffenexporten – Reform der deutschen Endverbleibskontrolle überfällig?

Björn Müller


Sie ist die Kernauflage bei deutschen Waffenexporten – die sogenannte „Endverbleibserklärung“. Darin bescheinigt der belieferte Staat, dass nur er die Waffen verwenden wird und diese nicht ohne Zustimmung Deutschlands weitergibt. Jahrzehntelang blieb es bei dieser Erklärung auf Treu und Glauben zwischen Verkäufer und Käufer. Erst 2015 kündigte das für Rüstungsexporte zuständige Wirtschaftsministerium an, Vor-Ort-Kontrollen als weitere Verkaufsauflage einzuführen. Mit dieser Maßnahme wollte sich der damalige Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel profilieren. Der SPD-Politiker hatte sich zum Ziel gesetzt, deutsche Rüstungsexporte einzudämmen.

Doch der Einstieg in diese auch „Postshipment-Kontrollen“ genannten Überprüfungen begann zaghaft. Seit 2015 werden nur exportierte Kleinwaffen wie Sturmgewehre und Pistolen stichprobenartig kontrolliert. Diese Testphase ist inzwischen zu Ende gegangen und wird seit diesem Monat ausgewertet. Nach dieser Evaluierung sollen Umfang und Praxis der künftigen deutschen Vor-Ort-Kontrollen bei Waffenexporten festgelegt werden. 

Dass ein Ausbau der Endverbleibskontrolle notwendig ist, davon ist Max Mutschler überzeugt. Der Experte für Waffenexporte am Internationalen Konversionszentrum Bonn – kurz BICC - hat für Greenpeace einen Forderungskatalog zur Reform der  deutschen Endverbleibskontrolle ausgearbeitet. 

O-Ton Mutschler
„Es müsste mehr Kontrollen geben. Bislang wurden 2017 zwei Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt und 2018 eine. Das reicht natürlich nicht, um eine klar abschreckende Wirkung zu erzielen.“

Inzwischen hat es drei weitere Vor-Ort-Prüfungen gegeben. Postshipment-Kontrollen wurden damit in folgenden Ländern durchgeführt: in Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Südkorea, Indonesien, Malaysia und Brasilien. Bei keiner dieser  Überprüfungen gab  es Beanstandungen, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Die geringe Anzahl der Kontrollen hängt sicher auch mit dem  Auswahlverfahren zusammen. Ob und wo Stichproben erfolgen, entscheidet nicht  allein das Wirtschaftsministerium, sondern ein sogenannter Ressortkreis mehrerer Ministerien im Konsens. Zu diesem Ressortkreis gehören: Das Auswärtige Amt, das Wirtschaftsministerium, das Entwicklungshilfeministerium sowie das Verteidigungsministerium. Damit hat jedes dieser Ministerien praktisch eine Art Veto-Recht, wenn es um Vor-Ort-Kontrollen geht. Nach Meinung von Kritikern ein Schwachpunkt der Überprüfungen.

Für Max Mutschler, Rüstungsexperte am Bonner Konversionszentrum BICC, hat die bisherige Endverbleibskontrolle weitere Defizite, die korrigiert werden müssten: 

O-Ton Mutschler
„Ganz wichtig: Es muss eindeutige Regeln für Sanktionen geben. Wenn dann gegen die Endverbleibserklärung verstoßen wurde - was  eben auch durch Vor-Ort-Kontrollen festgestellt wurde -, dann muss klar sein, dass das jeweilige Land, die jeweilige Regierung - bis auf Weiteres - nicht mehr mit Rüstungsgütern aus Deutschland beliefert wird. Es darf dabei auch keine Ausnahmen geben. Dass man sagt, so wie das jetzt noch vorgesehen ist, dass dann, wenn es ein besonderes Interesse, gerade auch mit Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gibt; dass dann auf das Kontrollrecht verzichtet wird. Dass darf nicht sein.“

Bisher gibt es bei Deutschlands Endverbleibskontrollen keine verbindlichen Sanktionen. Die Politik hat sich zwar über die Jahre einen ganzen Kanon sogenannter „Grundsätze“ für Waffenexporte „Made in Germany“ verordnet – hierzu gehört u.a. der Anspruch, dass es bei Verstößen gegen den zugesagten Endverbleib keine Folge-Lieferungen geben wird. Doch diese „Grundsätze“ sind rechtlich gesehen nur „Kann-Bestimmungen“ und nicht obligatorisch. Sie binden die Politik also nicht. 

Generell gelten in weiten Teilen der deutschen Politik Waffenexporte als ein wichtiges Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie dienen aber auch dem Erhalt der deutschen Rüstungsindustrie und der Intensivierung der Kooperation mit  Partner-Staaten. Vor-Ort-Kontrollen sind bei NATO- und EU-Staaten nicht vorgesehen. Dies wird von Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen kritsiert. Denn für Kritiker von Waffenlieferungen sind  Endverbleibskontrollen ein Mittel, um Rüstungsexporte einzuschränken. Der Experte für Waffenlieferungen Max Mutschler:

O-Ton Mutschler
„Es würde Sinn machen, die Kontrollen auf alle Länder auszuweiten. Nicht nur Drittstaaten, sondern auch EU- oder NATO-Staaten. Der Fall Sig Sauer  hat  ja gezeigt, dass auch Kleinwaffen, die an den NATO Verbündeten USA geliefert wurden, dann in illegaler Weise weitergeleitet wurden nach Kolumbien.“

Vor kurzem stellte ein deutsches Gericht fest, dass der Waffenhersteller Sig Sauer für Pistolen-Lieferungen an Kolumbien von 2008 bis 2012 wahrheitswidrig  die USA als Endverbleibsland angegeben hatte - wo nach der gegenwärtigen Regelung keine Vor-Ort-Kontrollen vorgesehen sind. Da die USA Kolumbien als Partner in ihrem sogenannten Anti-Drogen-Krieg in Südamerika betrachten, war es für Sig Sauer ein Leichtes, die Pistolen anschließend aus den USA nach Kolumbien zu transferieren. Überprüfungen auch bei Bündnispartnern könnten solche Machenschaften künftig verhindern. 

Auf Anfrage von NDR Info heißt es aus dem US-Außenministerium, die USA seien nicht per se gegen Vor-Ort-Kontrollen Deutschlands in den USA. Entscheidend sei, wie sich solche Kontrollen an US-Recht anpassen ließen. 

Die USA selbst führen seit den 1990er Jahren weltweit Vor-Ort-Kontrollen ihrer Waffenexporte durch, auch in Deutschland. Die US-amerikanische Endverbleibskontrolle ist für Washington gleichzeitig ein Managementwerkzeug  zur Vertrauensbildung gegenüber den Käufern von US-Waffen. So soll der Transfer von Rüstungsgütern gefördert und erleichtert werden, wie es in einer Präsentation des US-Außenministeriums heißt. Eine solche Ausrichtung der Endverbleibskontrolle fände der Bund der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie BDSV sinnvoll - allerdings unter einer Bedingung. Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien:

O-Ton Atzpodien
„Ich denke Vertrauensbildung zwischen dem Kunden, der ein Rüstungsgut bekommt und dem Lieferland, also in dem Fall Deutschland, ist hier ganz wichtig. Und alles, was der Vertrauensbildung dient, kann man in Erwägung ziehen. Aber, wenn man das ausweitet, sollte man sehr gut überlegen, wie das im Kontext zu unseren europäischen Verbündeten steht. Denn wir sind ja ohnehin dabei, uns beim Thema Export in Europa zu isolieren. Und das sollten wir mit so einem Thema nicht noch weiter tun.“ 

Eine europäische Regelung zum Endverbleib exportierter Waffen wie die Vor-Ort-Kontrollen würde in der Tat Sinn machen. Waffensysteme werden zunehmend über multinationale Kooperationen von Rüstungsfirmen produziert, die jeweils ihr Know-how samt Komponenten beisteuern. Das jeweilige Herstellerland des Rüstungsgutes könnte für die anderen Staaten die Vor-Ort-Kontrollen quasi mit erledigen. 

Nach bisheriger Handhabung wird der Endverbleib deutscher Komponenten in Waffensystemen nicht kontrolliert. Die Bundesregierung erklärte 2015, sie wolle für eine europäische Lösung werben; bisher allerdings ohne Erfolg. 

Das liegt wohl auch daran, dass eine gemeinsame Position der Regierungsparteien zur Weiterentwicklung der Endverbleibskontrolle  nicht erkennbar ist: Der für das Thema zuständige Fachsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Klaus-Peter Willsch, will erst einmal das Ergebnis der Evaluierung der Pilotphase der Vor-Ort-Kontrollen abwarten. Sein Pendant bei der SPD, Frank Junge, hat dagegen bereits jetzt klare Vorstellungen.

O-Ton Junge
„Schwerere Waffen – Waffensysteme – könnten wir uns dort vorstellen; das muss man sich genau angucken. Wir könnten uns aber diese Postshipment-Kontrollen auch in dem Segment vorstellen, wo es um den Dual-Use Bereich geht; wo es um Werkzeuge oder  Maschinen geht, die waffenherstellungstauglich sind. Wir könnten uns vorstellen, also auch an dieser Stelle  eine Öffnung herbeizuführen. Das alles mit dem Ziel,  noch stringenter, noch restriktiver mit dem Thema umzugehen.“

Doch selbst ein ernsthafter Ausbau der Vor-Ort-Kontrollen würde nicht alle Schwachpunkte in Sachen Endverbleib deutscher Rüstungsgüter erfassen. Ein massives Problem bliebe davon unberührt, kritisiert Katja Keul, die abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion:

O-Ton Keul
„Aus meiner Sicht noch dramatischer als die fehlenden Endkontrollen ist die fehlende Genehmigungspflichtigkeit von manchen Geschäften. Und da sind die Deutschen eben wesentlich laxer als beispielsweise die Franzosen oder die Amerikaner. Es ist nämlich nach deutschem Recht möglich, dass Rheinmetall beispielsweise über Tochterunternehmen in Italien oder in Südafrika im Ausland investiert und über diesem Wege die Munition im Jemen-Krieg landet, ohne das die Bundesregierung jemals eine Genehmigung dafür erteilt hat.“

Diese Rüstungsgüter würden daher Vor-Ort-Kontrollen nicht unterworfen sein. 

Es zeigt sich also, dass bei der Ausgestaltung der Endverbleibskontrollen deutscher Waffen noch viele Fragen offen sind. Notwendig wären zunächst  klare Vorstellungen und ein Konzept, wie diese Überprüfungen in der Praxis durchgeführt werden könnten. Schließlich  bräuchte es den politischen Willen, diesen Ansatz anschließend umzusetzen. Doch beides existiert in Deutschland bisher nicht. Die Chance, dass Vor-Ort-Kontrollen schon demnächst ausgeweitet und verbessert werden, ist daher äußerst gering.