Abschied von der restriktiven Rüstungsexportpolitik?
Die Bundesregierung will die Richtlinien überarbeiten
Andreas Flocken
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Monat
zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel erstaunlich selbstkritisch. Nach
ihrem flammenden Plädoyer für den Multilateralismus
wurde Merkel von einem Teilnehmer gefragt, was sie – auch mit
Blick auf ihre lange Zeit als Regierungschefin – in
Deutschland in der Politik nicht so gut findet. Die Antwort der
Kanzlerin:
O-Ton
Merkel
„Wir brauchen oft sehr, sehr lange, ehe wir uns, gerade beim
außenpolitischen Engagement für irgendetwas
entscheiden. Und das gibt immer viele viele innere Kämpfe -
und andere sind schon längst dabei. Das ist manchmal
schon hinderlich.“
Angela Merkel meinte damit die deutsche
Rüstungsexportpolitik. Offiziell verfolgt die Bundesregierung
einen restriktiven Kurs. Und glaubt man der Kanzlerin, hat sich
Deutschland hier inzwischen allerdings in eine Sackgasse
manövriert.
O-Ton
Merkel
„Im Blick auf das, was mir im Augenblick sehr große
Sorgen macht, ist auch die Frage unserer Rüstungsexportpolitik
- ich sag das ganz offen. Wir haben aus unserer Geschichte gute
Gründe, sehr strenge Rüstungsexportrichtlinien zu
haben. Aber wir haben genauso gute Gründe, in der
Verteidigungsgemeinschaft auch gemeinsam aufzutreten, gerade wenn wir
eine europäische Einigkeit haben wollen, gemeinsame
Kampfflugzeuge, gemeinsame Panzer entwickeln wollen. Dann wird es nicht
anders gehen, als dass wir uns auch auf gemeinsame
Rüstungsexportrichtlinien schrittweise hinbewegen. Und da ist
Deutschland, vielleicht aus der Sicht vieler, oft ein zu langsamer
Partner.“
Und die Kanzlerin hat offenbar den Ehrgeiz, das in ihrer
letzten Amtsperiode noch zu ändern.
Richtschnur für die Genehmigungsentscheidungen
im geheim tagenden Bundessicherheitsrat sind die im Jahr 2000
verabschiedeten Politischen Grundsätze für den Export
von Rüstungsgütern. Ein wichtiges Kriterium ist
danach u.a. die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland.
Der Verkauf von Waffensystemen an NATO- und EU-Partner und ihnen
gleichgestellten Ländern wie Australien gilt als unbedenklich.
Immer wieder problematisch ist jedoch der Rüstungs-Export in
sogenannte Dritt-Staaten und Länder in Spannungs- und
Krisengebieten.
Andere EU-Staaten nehmen es bei ihren Exporten hier
nicht so genau. Während die Bundesregierung nach der Ermordung
des Regimekritikers Jamal Khashoggi die Genehmigung von
Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien ausgesetzt hat, liefern
Frankreich und Großbritannien weiterhin Waffensysteme und
Ersatzteile an das Königreich. Dabei haben die
Europäer doch den Anspruch formuliert, in der
Außenpolitik mit einer Stimme zu sprechen.
Bei der Eröffnung der Münchner
Sicherheitskonferenz hatte bereits Verteidigungsministerin von der
Leyen darauf hingewiesen, dass deutsche Maximalpositionen in Europa
nicht mehrheitsfähig seien. Die CDU-Politikerin stellte dann
auch gleich die gegenwärtige restriktive
Rüstungsexportpolitik in Frage:
O-Ton
von der Leyen
„Unsere Außenwirtschaftspolitik sollte eine
europäisch abgestimmte sein. Nur dann ist sie stimmig. Auch
müssen wir dringend Klarheit beim Rüstungsexport
schaffen. Wir Deutschen sollten nicht so tun, als seien wir moralischer
als Frankreich, oder menschenrechtspolitisch weitsichtiger als
Großbritannien. Wir müssen die politische Kraft
aufbringen für eine verlässliche, gemeinsame Linie,
die unsere Sicherheitsinteressen und unsere humanistischen und
humanitären Prinzipien zusammenführt. Das
geht.“
Die gegenwärtige deutsche Haltung ist
für die Regierungen in Paris und London schon seit
längerem ein Hindernis bei der Rüstungskooperation.
Diese aber wird auch von der Bundesregierung angestrebt. Nicht zuletzt
aufgrund der Skepsis gegenüber den USA unter Trump wollen die
Europäer die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich vertiefen
und die eigenen militärischen Fähig-keiten
stärken. Die Anstrengungen sollen gebündelt und damit
effizienter werden. Um die Kosten für die Waffensysteme zu
reduzieren, setzen viele EU-Länder auf die gemeinsame
Entwicklung und Produktion teurer Waffensysteme und zusätzlich
auf den Export von Rüstungsgütern – auch in
umstrittene Drittländer.
Allerdings kommt es aufgrund der restriktiven
Rüstungsexportpolitik in Deutschland immer wieder zu
Konflikten. Der Streit belastet insbesondere die
deutsch-französischen Beziehungen. Dabei haben sich gerade
Berlin und Paris zum Ziel gesetzt, auf dem Gebiet der Sicherheits- und
Verteidigungspolitik ein neues Kapitel aufzuschlagen. Doch das
ehrgeizige Vorhaben könnte am Streit über die
Rüstungsexporte scheitern. Zu unterschiedlich sind bisher die
Vorstellungen. Für Bundeskanzlerin Merkel steht Deutschland
daher vor einer Riesenaufgabe – nicht Frankreich:
O-Ton
Merkel
„Wir wollen jetzt gemeinsame Waffensysteme entwickeln, und im
Zusammenhang mit dem Aachener Vertrag, den wir jetzt mit Frankreich
unterzeichnet haben, hat das Thema der Rüstungsexporte
natürlich eine Rolle gespielt. Wenn wir in Europa
nämlich keine gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte
haben, dann ist die Entwicklung von gemeinsamen Waffensystemen
natürlich auch gefährdet. Das heißt, man
kann nicht von einer europäischen Armee und von einer
gemeinsamen Rüstungspolitik oder Rüstungsentwicklung
sprechen, wenn man nicht gleichzeitig auch bereit ist, eine gemeinsame
Rüstungsexportpolitik zu machen. Da haben wir in Deutschland
noch viele komplizierte Diskussionen vor uns; das ist, glaube ich, kein
Geheimnis, das ich Ihnen hier gerade verrate.“
Deutschland und Frankreich wollen zum Beispiel ein
gemeinsames Kampfflugzeug und einen gemeinsamen Kampfpanzer entwickeln.
Außerdem ist eine europäische Großdrohne
geplant. Für Frankreich ist es eine
Selbstverständlichkeit, diese Waffen später auch zu
exportieren, auch in Länder, die weder der NATO noch der EU
angehören. Falls sich Deutschland aufgrund seiner restriktiven
Rüstungsexportpolitik dagegen sperrt, drohen diese Vorhaben zu
platzen.
Beide Seiten arbeiten daher an einer Lösung der
Rüstungsexportfrage. Im vergangenen Monat wurde eine
Zusatzvereinbarung zum Anfang des Jahres in Aachen geschlossenen neuen
deutsch-französischen Freundschaftsvertrag bekannt. Aus Sicht
der Bundesregierung handelt es sich lediglich um den Vorläufer
für eine spätere förmliche Vereinbarung.
Doch dafür ist dieses noch nicht offizielle Papier in einem
Punkt sehr konkret. So heißt es dort u.a. mit Blick auf
gemeinsam hergestellte Rüstungsgüter:
Zitat
„Die Vertragsparteien werden dem Export oder der Weitergabe
von Rüstungsgütern, die im Rahmen von
Kooperationsprojekten entwickelt worden sind, nicht
widersprechen, außer, wenn ihre direkten Interessen oder die
nationale Sicherheit gefährdet sind.“
Die Schwelle, die Ausfuhr von gemeinsamen hergestellten
Waffensystemen zu blockieren, ist damit hoch. Streitfragen sollen in
einer noch zu schaffenden ge-meinsamen Kommission geklärt
werden.
Es zeichnet sich also eine Kehrtwende in der bisher
offiziell restriktiven Rüstungsexportpolitik ab. Offen ist
allerdings, ob auch die SPD hier mitziehen wird. Die Sozialdemokraten
haben sich in der laufenden Legislaturperiode
regelmäßig für mehr Zurückhaltung
bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern ausgesprochen.
Außenminister Maas musste sich allerdings im
vergangenen Monat heftige Kritik von seinem britischen Kollegen
gefallen lassen. Jeremy Hunt beschwerte sich in einem Schreiben an das
Auswärtige Amt, der deutsche Exportstopp für
Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien behindere britische
Ausfuhren in das Königreich. Der Hintergrund: London hat
gemeinsam mit anderen europäischen Ländern
hergestellte Tornado- und Eurofigher-Kampfflugzeuge an die Saudis
verkauft. Geplant ist zudem ein neues milliardenschweres
Eurofighter-Exportgeschäft mit Riad. Der britische
Außenminister Hunt kritisierte: Der Exportstopp untergrabe
das Vertrauen in Deutschland beim Aufbau einer europäischen
Verteidigungsindustrie. Der Druck auf Deutschland, die
Rüstungsexportrichtlinien zu lockern, wächst also.
Im Koalitionsvertrag haben SPD und Unionsparteien
vereinbart, keine Rüstungsausfuhren an Länder zu
genehmigen, die unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind.
Außerdem heißt es dort:
Zitat
„Wir schärfen
noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr
2000 und reagieren damit auf die veränderten
Gegebenheiten[…]. Wir wollen diese restriktive Exportpolitik
mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der
europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden. Auf dieser
Basis streben wir ebenfalls eine gemeinsame europäische
Rüstungsexportpolitik an und wollen den gemeinsamen Standpunkt
der EU fortentwickeln.“
Zu der vereinbarten Anpassung der
Rüstungsexportrichtlinien ist es im vergangenen Jahr nicht
gekommen. Sie wird nun bis zum Sommer erwartet. Airbus- Chef
Tom Enders warnte schon mal, dass der Konzern den Weg von
„German-free-products" gehen müsse, falls die
Bundesregierung den verhängten Exportstopp gegen Saudi-Arabien
nicht aufhebe oder sich auf gemeinsame Standards mit seinen EU-Partner
einlasse. Auch Vertreter der Unionsparteien dringen auf eine
Überarbeitung der Ausfuhrregeln. Der Druck auf die SPD
wächst, das Ziel einer restriktiven
Rüstungsexportpolitik auf dem Altar einer gemeinsamen
europäischen Verteidigungspolitik und der
europäischen Rüstungskooperation zu opfern.
Deutschland steht also vor einer Kehrwende in der
Rüstungsexportpolitik.
Andreas Flocken ist Redakteur
für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und
Strategien" bei NDRinfo.
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