Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
08. März 2019


Abschied von der restriktiven Rüstungsexportpolitik?
Die Bundesregierung will die Richtlinien überarbeiten

Andreas Flocken


Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Monat zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel erstaunlich selbstkritisch. Nach ihrem flammenden Plädoyer für den Multilateralismus wurde Merkel von einem Teilnehmer gefragt, was sie – auch mit Blick auf ihre lange Zeit als Regierungschefin – in Deutschland in der Politik nicht so gut findet. Die Antwort der Kanzlerin:

O-Ton Merkel
„Wir brauchen oft sehr, sehr lange, ehe wir uns, gerade beim außenpolitischen Engagement für irgendetwas entscheiden. Und das gibt immer viele viele innere Kämpfe - und andere sind schon längst dabei. Das ist manchmal schon  hinderlich.“

Angela Merkel meinte damit die deutsche Rüstungsexportpolitik. Offiziell verfolgt die Bundesregierung einen restriktiven Kurs. Und glaubt man der Kanzlerin, hat sich Deutschland  hier inzwischen allerdings in eine Sackgasse manövriert.

O-Ton Merkel
„Im Blick auf das, was mir im Augenblick sehr große Sorgen macht, ist auch die Frage unserer Rüstungsexportpolitik - ich sag das ganz offen. Wir haben aus unserer Geschichte gute Gründe, sehr strenge Rüstungsexportrichtlinien zu haben. Aber wir haben genauso gute Gründe, in der Verteidigungsgemeinschaft auch gemeinsam aufzutreten, gerade wenn wir eine europäische Einigkeit haben wollen, gemeinsame Kampfflugzeuge, gemeinsame Panzer entwickeln wollen. Dann wird es nicht anders gehen, als dass wir uns auch auf gemeinsame Rüstungsexportrichtlinien schrittweise hinbewegen. Und da ist Deutschland, vielleicht aus der Sicht vieler, oft ein zu langsamer Partner.“

Und die Kanzlerin hat offenbar den Ehrgeiz, das in ihrer letzten Amtsperiode noch zu ändern.

Richtschnur für die Genehmigungsentscheidungen im geheim tagenden Bundessicherheitsrat sind die im Jahr 2000 verabschiedeten Politischen Grundsätze für den Export von Rüstungsgütern. Ein wichtiges Kriterium ist danach u.a. die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland. Der Verkauf von Waffensystemen an NATO- und EU-Partner und ihnen gleichgestellten Ländern wie Australien gilt als unbedenklich. Immer wieder problematisch ist jedoch der Rüstungs-Export in sogenannte Dritt-Staaten und Länder in Spannungs- und Krisengebieten.

Andere EU-Staaten nehmen es bei ihren Exporten hier nicht so genau. Während die Bundesregierung nach der Ermordung des Regimekritikers Jamal Khashoggi die Genehmigung von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien ausgesetzt hat, liefern Frankreich und Großbritannien weiterhin Waffensysteme und Ersatzteile an das Königreich. Dabei haben die Europäer doch den Anspruch formuliert, in der Außenpolitik mit einer Stimme zu sprechen.

Bei der Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz hatte bereits Verteidigungsministerin von der Leyen darauf hingewiesen, dass deutsche Maximalpositionen in Europa nicht mehrheitsfähig seien. Die CDU-Politikerin stellte dann auch gleich die gegenwärtige restriktive Rüstungsexportpolitik in Frage:

O-Ton von der Leyen
„Unsere Außenwirtschaftspolitik sollte eine europäisch abgestimmte sein. Nur dann ist sie stimmig. Auch müssen wir dringend Klarheit beim Rüstungsexport schaffen. Wir Deutschen sollten nicht so tun, als seien wir moralischer als Frankreich, oder menschenrechtspolitisch weitsichtiger als Großbritannien. Wir müssen die politische Kraft aufbringen für eine verlässliche, gemeinsame Linie, die unsere Sicherheitsinteressen und unsere humanistischen und humanitären Prinzipien zusammenführt. Das geht.“

Die gegenwärtige deutsche Haltung ist für die Regierungen in Paris und London schon seit längerem ein Hindernis bei der Rüstungskooperation. Diese aber wird auch von der Bundesregierung angestrebt. Nicht zuletzt aufgrund der Skepsis gegenüber den USA unter Trump wollen die Europäer die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich vertiefen und die eigenen militärischen Fähig-keiten stärken. Die Anstrengungen sollen gebündelt und damit effizienter werden. Um die Kosten für die Waffensysteme zu reduzieren, setzen viele EU-Länder auf die gemeinsame Entwicklung und Produktion teurer Waffensysteme und zusätzlich auf den Export von Rüstungsgütern – auch in umstrittene Drittländer.

Allerdings kommt es aufgrund der restriktiven Rüstungsexportpolitik in Deutschland immer wieder zu Konflikten. Der Streit belastet insbesondere die deutsch-französischen Beziehungen. Dabei haben sich gerade Berlin und Paris zum Ziel gesetzt, auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein neues Kapitel aufzuschlagen. Doch das ehrgeizige Vorhaben könnte am Streit über die Rüstungsexporte scheitern. Zu unterschiedlich sind bisher die Vorstellungen. Für Bundeskanzlerin Merkel steht Deutschland daher vor einer Riesenaufgabe – nicht Frankreich:

O-Ton Merkel
„Wir wollen jetzt gemeinsame Waffensysteme entwickeln, und im Zusammenhang mit dem Aachener Vertrag, den wir jetzt mit Frankreich unterzeichnet haben, hat das Thema der Rüstungsexporte natürlich eine Rolle gespielt. Wenn wir in Europa nämlich keine gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte haben, dann ist die Entwicklung von gemeinsamen Waffensystemen natürlich auch gefährdet. Das heißt, man kann nicht von einer europäischen Armee und von einer gemeinsamen Rüstungspolitik oder Rüstungsentwicklung sprechen, wenn man nicht gleichzeitig auch bereit ist, eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik zu machen. Da haben wir in Deutschland noch viele komplizierte Diskussionen vor uns; das ist, glaube ich, kein Geheimnis, das ich Ihnen hier gerade verrate.“

Deutschland und Frankreich wollen zum Beispiel ein gemeinsames Kampfflugzeug und einen gemeinsamen Kampfpanzer entwickeln. Außerdem ist eine europäische Großdrohne geplant. Für Frankreich ist es eine Selbstverständlichkeit, diese Waffen später auch zu exportieren, auch in Länder, die weder der NATO noch der EU angehören. Falls sich Deutschland aufgrund seiner restriktiven Rüstungsexportpolitik dagegen sperrt, drohen diese Vorhaben zu platzen.

Beide Seiten arbeiten daher an einer Lösung der Rüstungsexportfrage. Im vergangenen Monat wurde eine Zusatzvereinbarung zum Anfang des Jahres in Aachen geschlossenen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag bekannt. Aus Sicht der Bundesregierung handelt es sich lediglich um den Vorläufer für eine spätere förmliche Vereinbarung. Doch dafür ist dieses noch nicht offizielle Papier in einem Punkt sehr konkret. So heißt es dort u.a. mit Blick auf gemeinsam hergestellte Rüstungsgüter:

Zitat
„Die Vertragsparteien werden dem Export oder der Weitergabe von Rüstungsgütern, die im Rahmen von Kooperationsprojekten entwickelt worden sind,  nicht widersprechen, außer, wenn ihre direkten Interessen oder die nationale Sicherheit gefährdet sind.“

Die Schwelle, die Ausfuhr von gemeinsamen hergestellten Waffensystemen zu blockieren, ist damit hoch. Streitfragen sollen in einer noch zu schaffenden ge-meinsamen Kommission geklärt werden.

Es zeichnet sich also eine Kehrtwende in der bisher offiziell restriktiven Rüstungsexportpolitik ab. Offen ist allerdings, ob auch die SPD hier mitziehen wird. Die Sozialdemokraten haben sich in der laufenden Legislaturperiode regelmäßig für mehr Zurückhaltung bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern ausgesprochen.

Außenminister Maas musste sich allerdings im vergangenen Monat heftige Kritik von seinem britischen Kollegen gefallen lassen. Jeremy Hunt beschwerte sich in einem Schreiben an das Auswärtige Amt, der deutsche Exportstopp für Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien behindere britische Ausfuhren in das Königreich. Der Hintergrund: London hat gemeinsam mit anderen europäischen Ländern hergestellte Tornado- und Eurofigher-Kampfflugzeuge an die Saudis verkauft. Geplant ist zudem ein neues milliardenschweres Eurofighter-Exportgeschäft mit Riad. Der britische Außenminister Hunt kritisierte: Der Exportstopp untergrabe das Vertrauen in Deutschland beim Aufbau einer europäischen Verteidigungsindustrie. Der Druck auf Deutschland, die Rüstungsexportrichtlinien zu lockern, wächst also.

Im Koalitionsvertrag haben SPD und Unionsparteien vereinbart, keine Rüstungsausfuhren an Länder zu genehmigen, die unmittelbar am Jemenkrieg beteiligt sind. Außerdem heißt es dort:

Zitat
„Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten[…]. Wir wollen diese restriktive Exportpolitik mit Blick auf den Jemen auch mit unseren Partnern im Bereich der europäischen Gemeinschaftsprojekte verabreden. Auf dieser Basis streben wir ebenfalls eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik an und wollen den gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln.“

Zu der vereinbarten Anpassung der Rüstungsexportrichtlinien ist es im vergangenen Jahr nicht gekommen. Sie wird nun bis zum Sommer erwartet. Airbus- Chef  Tom Enders warnte schon mal, dass der Konzern den Weg von „German-free-products" gehen müsse, falls die Bundesregierung den verhängten Exportstopp gegen Saudi-Arabien nicht aufhebe oder sich auf gemeinsame Standards mit seinen EU-Partner einlasse. Auch Vertreter der Unionsparteien dringen auf eine Überarbeitung der Ausfuhrregeln. Der Druck auf die SPD wächst, das Ziel einer restriktiven Rüstungsexportpolitik auf dem Altar einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik und der europäischen Rüstungskooperation zu opfern. Deutschland steht also vor einer Kehrwende in der  Rüstungsexportpolitik.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.