Zusätzlich zum NATO- und EU-Bündnis
Setzt Polen auf eine Osteuropa-Allianz gegen Russland?
Björn Müller
Wenn es um mehr Sicherheit und Stabilität in ihrer Region geht,
blicken die osteuropäischen Staaten vor allem auf die NATO und die
EU. Diskutiert wird aber auch über den möglichen Aufbau von
einer weiteren Allianz - dem sogenannten „Intermarium“, zu
Deutsch „zwischen den Meeren“. Die Vorstellung ist: Die
Staaten zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer schließen sich
zu einem Bündnis zusammen. Dahinter steckt die Idee, eine Art
Gegenmacht zu Russland zu bilden und so zusätzlich für mehr
Stabilität in der Region zu sorgen. Einer der Befürworter
einer solchen Allianz der Osteuropäer ist Polens Präsident
Andrezj Duda:
O-Ton Duda (overvoice)
„Ein Staat ist dann stark, wenn er von Verbündeten umgeben
ist. Das ist ein Element des Aufbaus von Stärke. Die Staaten
Mittel-Osteuropas denken darüber nach, einen Partnerschaftsblock
zu schaffen; beginnend bei der Ostsee bis hin zum Schwarzen Meer und
der Adria.“
So der Präsident Duda im vergangenen Jahr in einem
Interview mit der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Die Idee eines
solchen Staatenbundes ist nicht neu. Das geopolitische Konzept des
Intermariums stammt von Jozef Pilsudski, Präsident der Polnischen
Republik zwischen den Weltkriegen. Die damalige Zielsetzung: Ein Bund
der nach dem Ersten Weltkrieg in Osteuropa gegründeten Staaten
sollte die Unabhängigkeit dieser schwachen Länder zwischen
den Großmächten Deutschland und Russland sichern. Doch warum
kommt es jetzt zu einer Neuauflage dieses Konzeptes? - Heute ist die EU
zerstritten und viele Osteuropäer zweifeln an einer ausreichenden
Bündnistreue der NATO im Falle einer russischen Aggression. Das
macht das Intermarium mit seinem Kollektivgedanken wieder attraktiv.
Vor allem Polens neue nationalkonservative Regierung postuliert gerne
die Idee eines Osteuropa-Bundes. Das Kalkül dahinter glaubt
Kai-Olaf Lang zu kennen, Osteuropa-Experte bei der Stiftung
Wissenschaft und Politik in Berlin:
O-Ton Lang
„Auch aus Sicht derjenigen, die jetzt in Polen regieren, geht es
primär darum, die intensivierte Kooperation der Länder der
Region, als Kraftverstärker zu nutzen. Nicht zuletzt auch als
Kraftverstärker für Polen selbst, das natürlich eine
Vormachtstellung in der Region hat, wo es in der Regel nur sehr kleine
und schwache Länder gibt.“
Eine Intermarium-Allianz wäre aus Sicht Warschaus keine
Alternative zu EU und NATO, aber ein Instrument, um andere Länder
hinter den eigenen Positionen zu sammeln, um diese im Konzert der
Mächte besser durchsetzen zu können.
Solche Gedankenspiele hält Eugeniusz Smolar, Experte für
Geopolitik am Zentrum für Internationale Beziehungen in Warschau,
allerdings für gefährlich:
O-Ton Smolar (overvoice)
„Weil die NATO auf der Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des
Nordatlantikvertrages basiert. Das bedeutet: Einer für alle und
alle für einen. Falls Polen und andere Länder eine Art andere
Struktur aufbauen würden, dann würde das die Verbindlichkeit
des Artikels 5 schwächen und die Einigkeit verringern.“
Eine zusätzliche Sicherheitsallianz neben der NATO
könnte die Sicherheitsprobleme der Osteuropäer sogar noch
verschärfen. Für die NATO-Partner im Westen gäbe es
nämlich die Versuchung, bei eskalierenden Konflikten in der
Region, dem neuen Bündnis dort den Schwarzen Peter zuzuschieben.
Für Marcin Terlikowski vom Polnischen Institut für
Internationale Angelegenheiten in Warschau, hat das Intermarium-Konzept
aber auch aus einem anderen Grund einen nur begrenzten Nutzen:
O-Ton Terlikowski (overvoice)
„Ich würde sagen, dass das Intermarium ein politisches
Konzept ist, das nur von Fall zu Fall und von Zeit zu Zeit Anwendung
findet. Aber es wird sich nicht zu etwas Beständigem und Robustem
entwickeln; einfach deshalb, weil die natürlichen Differenzen der
Kerninteressen dieser Staaten zu unterschiedlich sind.“
Beispiel EU-Sanktionen gegen Russland. Hier ist die Slowakei
näher an der deutschen Haltung eines schrittweisen Abbaus, als an
der Position Polens, das die Sanktionen unbedingt aufrechterhalten
will. Ungarn wiederum betreibt eine Schaukelpolitik zwischen Moskau und
Brüssel, um sich so einen möglichst großen eigenen
Handlungsspielraum zu erhalten.
Geopolitik im Sinne des Intermarium-Konzeptes hat bisher eine nur
bescheidene Wirkung entfaltet. Ein Beispiel ist die Visegrad-Gruppe,
ein lockerer Staatenbund zwischen Polen, Ungarn, der Slowakei und
Tschechien. Gemeinsam stellen die Staaten gegenwärtig die
sogenannte EU-Battlegroup - also einen rund 1.200 Soldaten starken
Eingreifverband der EU. Zu der aber seit Jahren erwogenen
weitergehenden Militärkooperation oder gar einer
Sicherheitsallianz ist es jedoch nie gekommen.
Eine Intermarium-Allianz wäre allerdings attraktiv
für die osteuropäischen Staaten, die weder der EU noch der
NATO angehören. Für die Ukraine, Georgien und Moldawien
könnte das Konzept ein Mehr an Sicherheit bedeuten - so sieht es
jedenfalls Andreas Umland, Osteuropa-Experte am Institut für
Euro-Atlantische Kooperation in Kiew:
O-Ton Umland
„Es würde doch zumindest den Preis für eine russische
Intervention, ob nun militärischer oder nicht militärischer
Art, also diesen so genannten Hybridkrieg, den Russland führt,
erhöhen, wenn diese Staaten denn tatsächlich mit Ländern
wie Polen, Rumänien in einem Beistandsabkommen verbunden sein
würden.“
Immerhin betreibt die EU in der Ukraine, Georgien und
Moldawien mit Assoziierungsabkommen eine aktive Erweiterungspolitik.
Allerdings sind gerade die Westeuropäer wie auch die NATO nicht
bereit, das Sicherheitsdilemma zu lösen, das daraus für diese
Staaten entsteht. Denn Russland betrachtet dieses Vorgehen des Westens
als aggressives Eindringen in eine Region, die der Kreml als seine
Einflusszone betrachtet. Um dieses Problem zu lösen, mache das
Intermarium-Konzept Sinn, meint der Osteuropa-Experte Andreas
Umland:
O-Ton Umland
„Da wäre das Intermarium eine Notlösung, ein
Provisorium, das für den Zeitraum, bis diese Länder dann eben
auch Mitglieder der Europäischen Union, der NATO werden, zumindest
eine größere Sicherheit als jetzt bieten würden. Sicher
keine vollkommene Sicherheit, denn die Länder, die für dieses
Intermarium, für diesen Block, in Frage kommen würden, sind
keine Atomwaffen besitzenden Staaten. Das heißt, das wäre
auch keine existenzielle Gefahr für Russland.“
Allerdings würde es die NATO wohl nicht dulden, dass ihre
Mitglieder mit Staaten außerhalb der Allianz paktieren und dabei
eine klare Beistandsverpflichtung eingehen, die dem Artikel 5 des
NATO-Vertrages ähnlich ist. Doch für eine Sicherheitsallianz
aus NATO und nicht NATO-Staaten gibt es bereits einen
Präzedenzfall, sagt Andreas Umland:
O-Ton Umland
„2010 hat der NATO- Staat Türkei ein Beistandsabkommen mit
dem Nicht-NATO-Staat Aserbaidschan abgeschlossen. Und dort ist im
Artikel 2 festgelegt, dass Aserbaidschan und die Türkei sich im
Falle eines militärischen Angriffes konsultieren werden und dann
nach Mitteln und Wegen suchen werden, um sich militärisch Beistand
zu geben. Also es ist keine so direkte Verpflichtung wie im Artikel 5
des NATO-Vertrages.“
Sollte sich der Konflikt zwischen dem Westen und Moskau weiter
zuspitzen, wird auch Russlands Druck auf die EU-Aspiranten Ukraine,
Georgien und Moldawien stetig wachsen. Dann muss der Westen Farbe
bekennen: Bricht er seine Bemühungen ab, diese Länder
näher an die EU heranzuführen, oder ergänzt er diese
Politik durch sicherheitspolitische Maßnahmen, um diese Staaten
zu schützen. Da eine schnelle Aufnahme Georgiens, der Ukraine oder
Moldawiens in EU oder NATO unrealistisch ist, könnte das
Intermarium-Konzept eine Art Notlösung werden. Eine
Notlösung, die letztlich auch im Sinne von EU und NATO wäre.
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