Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
27. Februar 2016


Mehr als eine Notlösung?
Deutsche Marine will niederländisches Unterstützungsschiff nutzen

Björn Müller


Die europäische Verteidigungslandschaft mit ihren zahlreichen Militärkooperationen ist wieder um ein Projekt reicher. Die Deutsche und die Niederländische Marine wollen künftig gemeinsam das Unterstützungsschiff KAREL DOORMAN der Niederländer nutzen. Bei der Unterzeichnung  der Absichtserklärung Anfang des Monats in Amsterdam zeigt sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sichtlich begeistert: 

O-Ton von der Leyen
„Wir legen heute zugleich einen Grundstein für einen Leuchtturm innerhalb der maritimen Kooperation. Wir werden dazu das Seebataillon der Deutschen in die königlich niederländische Marine integrieren. Beide zusammen werden das niederländische Schiff gemeinsam nutzen. In meinen Augen ist das ein Musterbeispiel für den Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion, was wir heute erleben.“ 

Starke Worte. Die CDU-Politikerin erweckt den Eindruck, hier entsteht großes - quasi der Kern einer künftigen EU-Marine, bei der schon mal die Marine-Infanterie der Bundeswehr in eine andere Streitkraft überführt wird. Aber welche konkreten Möglichkeiten ergeben sich aus der Militär-Kooperation der beiden Nachbarländer in der Praxis? 

Konkret geht es darum, dass die Bundeswehr mit diesem Projekt endlich amphibische Fähigkeiten erlangen will. Amphibische Fähigkeiten - damit ist die Möglichkeit gemeint, von Schiffen auf hoher See Truppen und Material an Land zu verlegen und von dort wieder aufnehmen zu können.  

Seit die Bundeswehr 1994 Probleme hatte, ihre Verbände nach Ende des Auslandseinsatzes in Somalia abzuziehen, gab es immer wieder Versuche, für die deutschen Streitkräfte solche Unterstützungsschiffe anzuschaffen. Doch sie scheiterten bisher allesamt. Der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, war einer der Befürworter dieses Projekts. Der frühere Vier-Sterne-General zum militärstrategischen Wert amphibischer Fähigkeiten: 

O-Ton Naumann
„Wenn man sich die potenziellen Krisenherde dieser Welt angesehen hat, dann kam man sehr schnell zu dem Ergebnis, dass etwa 70 Prozent und mehr in einer Entfernung von weniger als 200 Kilometern von einer Küste entfernt sind. Das heißt, wenn man eine verlegefähige Plattform hat, die über die hohe See schnell Einsatzkräfte in das Krisengebiet bringen kann, dann schafft man sich große strategische Flexibilität.“ 

Solche See/Land-Operationen, sind mit dem niederländischen Unterstützungsschiff KAREL DOORMAN möglich. Dieses Kriegsschiff ist ein Mix aus Tanker, Lazarett und Transporter. Es hat Kommandoboote an Bord und ein Flugdeck für bis zu sechs NH90-Hubschrauber. Fahrzeuge wie Panzer können über eine Laderampe an der Küste angelandet werden. Das Schiff kann zu seinen 130 Mann Besatzung immerhin noch rund 170 Soldaten mitsamt Ausrüstung an Bord nehmen. Das erlaubt keine großen amphibischen Operationen, aber begrenzte Militäraktionen wären damit durchaus möglich. 

Die Interessenlage bei der angestrebten Zusammenarbeit ist unterschiedlich. Während die Deutschen mit der Kooperation vor allem ihre militärische Handlungsfähigkeit verbessern wollen, geht es den Niederländern erst einmal um eine Kostenreduzierung. Die im vergangenen Jahr in Dienst gestellte KAREL DOORMAN ist das modernste Schiff der niederländischen Flotte. Es kostete rund 400 Millionen Euro. Eigentlich wollten die Niederländer das Schiff verkaufen. Der Betrieb erschien zwischenzeitlich als zu teuer. Das Unterstützungsschiff wurde beschafft, weil es zwei ausgemusterte Versorger ersetzt, die für den Betrieb der niederländischen Flotte essenziell waren. Das aber ist der Schwachpunkt bei der geplanten Nutzung der KAREL DOORMAN für gemeinsame Operationen. Das Schiff ist in der niederländischen Marine für Versorgungsaufgaben fest verplant. Es wird nicht für Militär-Operationen in ständiger Bereitschaft gehalten.

Bei einer deutsch-niederländischen Operation mit der KAREL DOORMAN müssten wohl deutsche Versorger freigestellt werden, um die Flotte der Niederländer z.B. zu betanken. Angesichts der zahlreichen Einsätze der Deutschen Marine ist jedoch fraglich, ob das stets möglich wäre. Die Marine klagt bereits jetzt, dass sie keine Schiffe mehr in Reserve hat und gegenwärtig bei den NATO- und EU-Missionen improvisieren muss. Die Kooperation über nur ein Schiff ist generell problematisch, findet Sebastian Bruns, Experte für Marine-Strategie an der Universität Kiel: 

O-Ton Bruns
„Bis zu einem gewissen Grad ist es natürlich schon politische Augenwischerei. Es gibt ja den Reim der besagt: ‚Ein Schiff ist kein Schiff‘ und dass man eigentlich für die durchhaltefähige Einsatzpräsenz zwei oder drei dieser Sorte brauchen würde. Denn die wenigsten Krisen kündigen sich so an, dass man den Einsatzplan des Schiffes dann auch optimieren kann.“ 

Liegt die KAREL DOORMAN etwa in der Werft hat sich die amphibische Option schnell erledigt, wenn es beispielsweise darum geht, deutsche und niederländische Staatsbürger aus einem Krisengebiet zu evakuieren. Eine Herausforderung für die Kooperation ist auch die jeweils andere politische Kultur im Umgang mit Militär-Einsätzen, sagt der Kieler Marine-Experte Sebastian Bruns: 

O-Ton Bruns
„Nicht alle in den Niederlanden sind so ganz glücklich, dass die Deutschen jetzt mit an Bord sind. Wir haben ja nicht unbedingt den Ruf, dass wir ganz vorne mitmischen.“ 

Hinzu kommt: in Deutschland muss der Bundestag jedem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zustimmen. In den Niederlanden hat das Parlament nur das Recht, über Einsätze von der Regierung informiert zu werden. Somit sind Verzögerungen und Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Partnern vorprogrammiert, wenn gemeinsame Entscheidungen anstehen, ob und wie man eine Mission durchführt. 

Laut Absichtserklärung der beiden Verteidigungsministerinnen soll die KAREL DOORMAN Anfang 2018 für gemeinsame Operationen einsatzbereit sein. Hierfür gibt es bereits einen Fahrplan. Vorgesehen sind vor allem Manöver, um die Bundeswehr bis 2018 an niederländische Verfahren und Standards anzupassen. In diesem Zusammenhang soll dann auch – wie es offiziell heißt - die „Integration“ des rund 800 Soldaten starken Seebataillons der Bundeswehr in die Niederländische Marine erfolgen. Mit dieser Wortwahl wird der Eindruck erweckt, es würde ein gemeinsames Marine-Korps aufgestellt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Seebataillon bleibt an seinem Standort in Eckernförde und eigenständig. 

Es geht also um Kooperation, nicht um Integration, zwischen den beiden Seestreitkräften. Was der Partnerschaft zudem fehlt, ist ein gemeinsames Einsatzkonzept. Die Bundeswehr hat für amphibische Militäroperationen ein Konzept namens „Basis See“. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Deutsche Marine das ganze Spektrum an Fähigkeiten beherrschen soll – von humanitären Hilfseinsätzen bis zu Landungsoperationen, um feindliche Streitkräfte zu bekämpfen. Bei der Kooperation mit den Niederländern wird der Ball allerdings bewusst flachgehalten. Ab 2018 seien maximal Evakuierungsmissionen realistisch, sagt das Marinekommando in Rostock auf Nachfrage von NDR Info. Der Marine-Experte Sebastian Bruns kritisiert diese Zurückhaltung und erwartet Klartext von der Marineführung: 

O-Ton Bruns
„Wenn man davor zurückscheut, die anderen maritimen Einsatzszenarien zu benennen und auf diesem Weg die Politik und Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dann ist es natürlich schwierig, Beschaffung auch herzuleiten und oder so eine Integration auch zu erklären.“ 

Dabei gibt es bei der Deutschen Marine bei der amphibischen Kooperation mit den Niederländern schon jetzt Überlegungen, die über die Nutzung des Unterstützungsschiffes KAREL DOORMAN hinausgehen. Sie hat bereits ein weiteres Schiff der Holländer im Auge, das Möglichkeiten für größere Land/See-Operationen bietet. Der Marine-Experte Heinz-Dieter Jopp vom Institut für strategische Zukunftsanalysen der Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung: 

O-Ton Jopp
„Die Marine denkt jetzt schon den Schritt weiter, dann eben auch Erfahrungen zu sammeln mit einem niederländischen Schiff der JOHAN DE WITT-Klasse. Das ist ein eindeutig amphibisches Transportschiff. Es  hat die Möglichkeit - und darum geht es zurzeit auch im Denken der deutschen Marine - dass es ein Bataillon an Bord nehmen kann. Deswegen auch die Vereinbarung mit dem Seebataillon.“ 

Die JOHAN DE WITT kann mit knapp 600 Soldaten extra fast das gesamte Seebataillon aufnehmen – erheblich mehr als die KAREL DOORMAN. Was die JOHAN DE WITT für die Militärführung besonders wertvoll macht: Sie besitzt eine Kommandozentrale, die speziell dafür ausgelegt ist, kombinierte Einsätze von Marine-, Land- und Luftstreitkräften zu führen. Gegenüber NDR Info äußert das Marinekommando, die JOHAN DE WITT wäre in der Tat das Mittel der Wahl. Planungen für eine Mitnutzung gebe es aber noch nicht. 

Aus Sicht der Deutschen Marine wäre es militärisch sinnvoll, die Kooperation zügig auf zwei Schiffe auszubauen. Danach sieht es aber derzeit nicht aus. Trotzdem spricht Verteidigungsministerin von der Leyen bei der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit von einem Leuchtturm-Projekt. Damit aber werden Erwartungen geweckt, die sich in absehbarer Zeit nicht erfüllen lassen. Bei der Marine-Kooperation wird es daher vorerst wohl vor allem bei SymbolPolitik bleiben.