Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
10. September 2016


Eine neue Kriegspartei in Syrien – die Türkei

Andreas Flocken

Der Krieg in Syrien ist in eine neue Phase eingetreten. Im vergangenen Monat haben die türkischen Streitkräfte mit Bodentruppen im Nachbarland interveniert. Hauptziel ist nicht die Terror-Organisation Islamischer Staat – die Operation richtet sich vor allem gegen die sogenannten  Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden, kurz die YPG-Miliz. Denn die Regierung in Ankara ist besorgt über die Geländegewinne der syrischen Kurden im Kampf gegen den IS. Die Türkei möchte verhindern, dass an ihrer Südgrenze eine durchgehend von der YPG kontrollierte autonome Zone entsteht. Für Ankara ist die YPG ein Ableger der terroristischen PKK, die immer wieder Anschläge auf türkische Einrichtungen verübt. 

Mit der türkischen Intervention wird die bereits jetzt komplizierte Interessenlage im Syrienkrieg noch verworrener. Zwischen der Türkei und den syrischen Kurden hat es eine der Öffentlichkeit bisher nicht bekannte Vereinbarung gegeben. Eine Art Burgfrieden mit dem Fluss Euphrat als rote Linie. Bekannt wurde diese Vereinbarung im vergangenen Monat durch US-Vizepräsident Biden während eines Treffens mit Regierungschef Yildirim in Ankara. Biden stellte sich dabei klar auf die Seite der türkischen Regierung:

O-Ton Biden (overvoice)
„Der Premierminister hat präzise die Absprache wiedergegeben, die wir mit Blick auf die Städte Dscharabulus und Manbidsch  getroffen haben. Wir haben der YPG, die Teil der ‚Syrian Democratic Forces‘ (SDF) ist, klipp und klar gesagt, dass sie sich hinter den Fluss zurückziehen muss. Sie können und sie werden unter keinen Umständen  US-Unterstützung erhalten, wenn sie sich an diese Vereinbarung nicht halten.“

Bei den Gefechten zwischen Türken und den syrischen Kurden hat es Tote und Verwundete gegeben. Die Regierung in Washington versucht, den offen zu Tage getretenen Konflikt in der Anti-IS-Koalition beizugelegen.

Der türkischen Regierung geht es ganz offensichtlich nicht nur  um die Sicherung der eigenen Grenze.  Für den Strategieexperten  der Wiener Landesverteidigungsakademie, Walter Feichtinger, verfolgt die Türkei mit ihrem militärischen Vorstoß viel weitergehende  Ziele:

O-Ton Feichtinger
„Das zweite ist vielleicht  doch, ein bisschen weiter in das syrische Territorium hineinzugehen, um hier eine Sicherheitszone zu schaffen,  von der die Türkei ja schon seit Jahren spricht. Und das könnte jetzt ein Ansatz in diese Richtung sein, weil man sich damit auch die Möglichkeit eröffnen würde,  Flüchtlinge einerseits gleich dort zu sammeln oder sogar aus der Türkei dorthin zurückzuführen.“

So  der Strategie-Experte im österreichischen  Fernsehen.

Eine solche Schutzzone birgt allerdings große Risiken. Denn sie müsste auch von den syrischen Kurden in der Region akzeptiert werden.

Ob die YPG die eroberten Gebiete aufgeben und sich östlich des Euphrats zurückziehen wird, bleibt ungewiss. Eine politische Lösung für die Region ist durch die türkische  Militärintervention jetzt noch schwieriger geworden. Daran wird auch die Einigung der USA und Russlands an diesem Wochenende auf einen Plan zur Befriedung Syriens nichts ändern. Verkündete Waffenruhen waren bisher immer nur von kurzer Dauer.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.