Eine neue Kriegspartei in Syrien – die Türkei
Andreas Flocken
Der Krieg in Syrien ist in eine neue Phase eingetreten.
Im vergangenen Monat haben die türkischen
Streitkräfte mit Bodentruppen im Nachbarland interveniert.
Hauptziel ist nicht die Terror-Organisation Islamischer Staat
– die Operation richtet sich vor allem gegen die
sogenannten Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden,
kurz die YPG-Miliz. Denn die Regierung in Ankara ist besorgt
über die Geländegewinne der syrischen Kurden im Kampf
gegen den IS. Die Türkei möchte verhindern, dass an
ihrer Südgrenze eine durchgehend von der YPG kontrollierte
autonome Zone entsteht. Für Ankara ist die YPG ein Ableger der
terroristischen PKK, die immer wieder Anschläge auf
türkische Einrichtungen verübt.
Mit der türkischen Intervention wird die bereits jetzt
komplizierte Interessenlage im Syrienkrieg noch verworrener. Zwischen
der Türkei und den syrischen Kurden hat es eine der
Öffentlichkeit bisher nicht bekannte Vereinbarung gegeben.
Eine Art Burgfrieden mit dem Fluss Euphrat als rote Linie. Bekannt
wurde diese Vereinbarung im vergangenen Monat durch
US-Vizepräsident Biden während eines Treffens mit
Regierungschef Yildirim in Ankara. Biden stellte sich dabei klar auf
die Seite der türkischen Regierung:
O-Ton Biden (overvoice)
„Der Premierminister hat präzise die Absprache
wiedergegeben, die wir mit Blick auf die Städte Dscharabulus
und Manbidsch getroffen haben. Wir haben der YPG, die Teil
der ‚Syrian Democratic Forces‘ (SDF) ist, klipp und
klar gesagt, dass sie sich hinter den Fluss zurückziehen muss.
Sie können und sie werden unter keinen
Umständen US-Unterstützung erhalten, wenn
sie sich an diese Vereinbarung nicht halten.“
Bei den Gefechten zwischen Türken und den syrischen Kurden hat
es Tote und Verwundete gegeben. Die Regierung in Washington versucht,
den offen zu Tage getretenen Konflikt in der Anti-IS-Koalition
beizugelegen.
Der türkischen Regierung geht es ganz offensichtlich nicht
nur um die Sicherung der eigenen Grenze.
Für den Strategieexperten der Wiener
Landesverteidigungsakademie, Walter Feichtinger, verfolgt die
Türkei mit ihrem militärischen Vorstoß viel
weitergehende Ziele:
O-Ton Feichtinger
„Das zweite ist vielleicht doch, ein bisschen
weiter in das syrische Territorium hineinzugehen, um hier eine
Sicherheitszone zu schaffen, von der die Türkei ja
schon seit Jahren spricht. Und das könnte jetzt ein Ansatz in
diese Richtung sein, weil man sich damit auch die Möglichkeit
eröffnen würde, Flüchtlinge
einerseits gleich dort zu sammeln oder sogar aus der Türkei
dorthin zurückzuführen.“
So der Strategie-Experte im
österreichischen Fernsehen.
Eine solche Schutzzone birgt allerdings große Risiken. Denn
sie müsste auch von den syrischen Kurden in der Region
akzeptiert werden.
Ob die YPG die eroberten Gebiete aufgeben und sich östlich des
Euphrats zurückziehen wird, bleibt ungewiss. Eine politische
Lösung für die Region ist durch die
türkische Militärintervention jetzt noch
schwieriger geworden. Daran wird auch die Einigung der USA und
Russlands an diesem Wochenende auf einen Plan zur Befriedung Syriens
nichts ändern. Verkündete Waffenruhen waren bisher
immer nur von kurzer Dauer.
Andreas Flocken ist Redakteur
für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und
Strategien" bei NDRinfo.
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